Vittoria Colonna

Vittoria Colonna
Vittoria Colonna, Kreidezeichnung von Michelangelo im British Museum, London

Vittoria Colonna (* 1492 in Castello di Marino bei Rom; † 25. Februar 1547 in Rom) war eine berühmte italienische Dichterin. Für viele ihrer gebildeten Zeitgenossen war sie eine vorbildliche Idealfigur, die neben die großen Frauengestalten der Antike gestellt wurde. Sie entstammte dem alten, schon im Mittelalter mächtigen römischen Adelsgeschlecht der Colonna, einer der einflussreichsten Familien im Kirchenstaat. Durch ihre Ehe mit dem Markgrafen von Pescara, einem erfolgreichen Heerführer, wurde sie Markgräfin. Nach seinem Tod an den Folgen einer in der Schlacht erlittenen Verwundung blieb sie Witwe und kinderlos und widmete sich kulturellen und religiösen Aufgaben. Sie stand mit bedeutenden humanistischen Gelehrten, Künstlern und kirchlichen Würdenträgern in freundschaftlicher Verbindung. Besonders mit Michelangelo verband sie eine enge Freundschaft.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Herkunft und Jugend

Vittoria wurde nicht, wie man früher irrtümlich glaubte, 1490, sondern erst 1492 geboren.[1] Ihr Vater Fabrizio Colonna schlug eine militärische Laufbahn ein; er wurde ein erfolgreicher Söldnerführer (Condottiere). Ihre Mutter Agnese von Montefeltro stammte aus dem Geschlecht der Herzöge von Urbino. Urbino war ein bedeutendes Zentrum der humanistischen Kultur. Da Agnese für ihre Liebe zur Literatur und bildenden Kunst bekannt war und Fabrizio kulturelle und wissenschaftliche Interessen hatte, ist anzunehmen, dass Vittoria in einer geistig anregenden Atmosphäre aufwuchs.

1494 unternahm der französische König Karl VIII. eine Invasion Italiens, mit der er den Anspruch seines Geschlechts auf das Königreich Neapel geltend machte. Damit wurde Italien zum Schauplatz lang anhaltender militärischer Auseinandersetzungen fremder Mächte. Vittorias Vater trat in den Dienst der Franzosen. Nach dem Einzug Karls in Rom und der Einnahme Neapels durch die französischen Truppen erhielt Fabrizio Colonna zum Lohn für die geleisteten Dienste einige Lehen. Die Franzosen wurden aber bald von einer starken gegnerischen Allianz zum Rückzug gezwungen, und der französische Statthalter vernachlässigte die Soldauszahlung für die Truppen Fabrizios. Daher brach Fabrizio mit den Franzosen. Er trat in den Dienst der Gegenpartei, des Hauses Aragón, das vor dem Einmarsch der Franzosen in Neapel regiert hatte. Die Familie Colonna trug wesentlich dazu bei, dass der aus diesem Geschlecht stammende König Ferdinand II. von Neapel, den Karl vertrieben hatte, sein Reich schnell zurückerobern konnte. Um die neue Allianz der Colonna mit dem Hause Aragón zu festigen, vereinbarte man eine politische Heirat: 1495 wurde Fabrizios dreijährige Tochter Vittoria mit dem etwa fünfjährigen spanischen Adligen Fernando Francesco d'Avalos verlobt. Der Vater Fernando Francescos, der Markgraf von Pescara Alfonso d’Avalos, war ein treuer Anhänger des Hauses Aragón.

Vittoria lebte damals mit ihrer Mutter Agnese in Marino, einer von den Colonna beherrschten Ortschaft in den Albaner Bergen unweit von Rom. Als die Franzosen 1501 erneut in den Kirchenstaat einmarschierten, wurde Marino verbrannt. Agnese konnte nur knapp mit ihren Kindern entkommen und auf die Insel Ischia flüchten, wo Costanza d’Avalos, die Tante von Vittoras Verlobtem, sie aufnahm. Fabrizio geriet in Gefangenschaft, wurde aber freigekauft. Auf Ischia lernte Vittoria ihren künftigen Ehemann kennen; wahrscheinlich blieb sie einige Jahre dort. Der militärische Partner der Colonna war nun der spanische Feldherr Gonzalo Fernández de Córdoba y Aguilar, genannt der „Gran Capitán“. Er war der Befehlshaber des von den Katholischen Königen Spaniens entsandten Heeres, das auf der Seite des aragonesischen Königshauses von Neapel gegen die Franzosen kämpfte. Ihm gelang es, die Franzosen entscheidend zu schlagen; 1503 nahm er Neapel ein. Die Früchte dieses Sieges erntete auch Fabrizio Colonna, der seine Machtstellung ausbauen konnte. Er ließ sich nun mit seiner Familie in Neapel nieder, wo sein Palast zu einem Treffpunkt von Gelehrten, Künstlern und Diplomaten wurde. Am 6. Juni 1507 wurde der Vertrag über die Ehe Vittorias mit Fernando (italienisch: Ferrante) Francesco d’Avalos unterzeichnet. Die Hochzeit fand aber erst im Dezember 1509 statt.

Ehejahre

Fernando Francesco d'Avalos, Ehemann von Vittoria Colonna

Obwohl er in Italien aufgewachsen und mit einer Italienerin verheiratet war, betrachtete sich Vittorias Mann stets als Spanier, weigerte sich, italienisch zu sprechen, und verachtete die Italiener.[2] Während Vittoria ihm eine loyale Gattin war, meinte er, nicht zur ehelichen Treue verpflichtet zu sein. Er warb um die Gunst der Frau des Vizekönigs von Neapel, Isabella de Requesens, und schenkte ihr ein Perlenhalsband, das seiner Frau gehörte. Isabella sandte es an Vittoria zurück.[3]

1511 verbündete sich Papst Julius II. mit Kaiser Maximilian I., Spanien und Venedig in der Heiligen Liga gegen Frankreich. Fabrizio Colonna und Fernando Francesco d'Avalos zogen auf der Seite der Alliierten in den Kampf. Als die Liga in der Schlacht bei Ravenna eine Niederlage erlitt, wurden beide von den Franzosen gefangengenommen. Vittorias Gatte wurde nach Verhandlungen freigelassen und ging nach Mantua, wo er die Hofdame Delia kennenlernte, die seine langjährige Geliebte wurde.[4] In der Folgezeit beteiligte er sich wiederum an den Kampfhandlungen. Er war für seine Kühnheit und Tapferkeit bekannt, doch die Grausamkeit seines Vorgehens war selbst für damalige Verhältnisse auffällig und erregte Anstoß. Im Zeitraum 1515–1517 hielt er sich zwar längere Zeit in Neapel auf, ansonsten war er aber die meiste Zeit von zu Hause weg; nach 1517 hat Vittoria ihren Mann nur noch kurzzeitig gesehen. Die Ehe blieb kinderlos. In der Schlacht bei Pavia (Februar 1525) befehligte d’Avalos die kaiserlichen Truppen. Er errang einen großen Sieg, wurde aber schwer verwundet. Als er erkannte, dass sein Tod nahe war, ließ er Vittoria aus Ischia kommen. Am 3. Dezember 1525 starb er in Mailand. Vittoria traf ihn nicht mehr an; sie erhielt die Todesnachricht unterwegs in Viterbo und erlitt einen heftigen Schock. Damit begann die Zeit ihrer Trauer um den Gatten, die bis zu ihrem Tod andauerte.

Politische und militärische Verwicklungen

Von dem Verlust ihres Gatten schwer erschüttert beabsichtigte Vittoria, in ein Kloster einzutreten, doch Papst Clemens VII. untersagte dies mit der Begründung, sie handle mehr aus Schmerz als nach reiflicher Überlegung. Bald geriet Vittoria, deren Vater schon 1520 gestorben war, in einen politischen Gegensatz zu ihrer eigenen Herkunftsfamilie, denn die Colonna wandten sich als Verbündete von Kaiser Karl V. im September 1526 gegen den Papst, richteten in Rom Verwüstungen an und zwangen Clemens VII. zur Flucht in die Engelsburg. Maßgeblich beteiligt waren Vittorias Bruder Ascanio und Kardinal Pompeo Colonna. Vittoria, die sowohl zum Papst als auch zum Kaiser ein gutes Verhältnis hatte, missbilligte dies scharf. Der Papst rächte sich, indem er die Besitzungen der Colonna von seinen Truppen verwüsten ließ. Im Mai 1527 nahmen kaiserliche Truppen Rom ein und plünderten die Stadt (Sacco di Roma). Die Colonna beteiligten sich dabei aktiv auf der kaiserlichen Seite, was ihnen die Verachtung der Gebildeten eintrug. Vittoria bemühte sich, die Not zu lindern und Gefährdete in Sicherheit zu bringen. Als der Krieg auch in Neapel ausbrach, fand sie wiederum Zuflucht auf Ischia, wo sie einen Beitrag zur Verteidigung der Insel leistete. Im Januar 1534 gewährte ihr Karl V. in Anbetracht der Verdienste ihres verstorbenen Gatten und ihrer Hilfe bei der Verteidigung von Ischia eine jährliche Pension von tausend Dukaten.

Ein weiteres Mal geriet Vittoria 1540–41 in einen politischen und militärischen Konflikt, als ihr Bruder Ascanio sich weigerte, die von Papst Paul III. geforderte Salzsteuer zu zahlen. Der Streit eskalierte und Ascanio unternahm einen Angriff auf päpstliches Gebiet. Vermittlungsversuche Vittorias und des kaiserlichen Gesandten blieben erfolglos. Überlegene päpstliche Streitkräfte eroberten die Festungen der Colonna; das Geschlecht büßte seine Besitztümer ein, seine Machtgrundlage wurde vernichtet. Schließlich musste Vittoria ihrem Bruder, dessen Kampf sie unterstützt hatte, zur Kapitulation raten. Ascanio sah sich gezwungen, ins Königreich Neapel ins Exil zu gehen.

Kulturelle und religiöse Aktivitäten

Vittoria Colonna. Porträt von Girolamo Muziano, Rom, Galleria Colonna

Bei ihren Zeitgenossen fand Vittoria ein außerordentliches Maß an Bewunderung und Verehrung, die sich sowohl auf ihren Charakter als auch auf ihre Bildung und Schönheit bezog. Schon in ihren Ehejahren bildete sich um sie ein Kreis von Literaten, von denen sie in Gedichten verherrlicht wurde (darunter Girolamo Britonio, Pietro Gravina, Scipione Capece, Marcantonio Minturno und Galeazzo di Tarsia). Die prominentesten unter den Dichtern, die schon damals mit ihr Freundschaft schlossen, waren Jacopo Sannazaro und Francesco Berni. Giovanni Berardino Fuscano pries sie in seinen Stanze sopra le bellezze di Napoli als schönste unter den Schönheiten. In einer freundschaftlichen Beziehung stand sie auch zu Baldassare Castiglione, der ihr 1524 das Manuskript seines Cortegiano zur Beurteilung überließ. Ein enger Freund Vittorias war der päpstliche Sekretär Gian Matteo Giberti. Nach dem Tod ihres Gatten traten weitere Literaten in Vittorias Umkreis und begeisterten sich für sie, darunter Claudio Tolomei, Bernardino Rota, Angelo di Costanzo, Bernardo Tasso, Bernardino Martirano, Gian Giorgio Trissino und Marcantonio Epicuro.[5] Tizian malte 1531 auf Veranlassung Vittorias eine Maria Magdalena. Weitere prominente Freunde Vittorias waren Ludovico Ariosto, der ihre Dichtkunst in seinem Epos Orlando furioso als einzigartig pries, Marcantonio Flaminio, der sie in lateinischen Gedichten verherrlichte, und Kardinal Pietro Bembo, der sich enthusiastisch über ihre Sonette äußerte.[6]

Während humanistisch gesinnte Dichter ihr weiterhin im Stil heiterer, galanter Verehrung huldigten, begann sie, sich als Witwe mit wachsender Leidenschaft religiösen Anliegen zu widmen. In der Spiritualität, die sie nun entwickelte, spielten neuplatonische Impulse eine wesentliche Rolle.[7] Sie schloss sich einer religiösen Strömung im Katholizismus an, deren Ziele mit denen der beginnenden Reformation teilweise übereinstimmten. Der Initiator dieser Bestrebungen war der Humanist Juan de Valdés, der Vittoria tief beeindruckte und ihre neue Ausrichtung maßgeblich beeinflusste. Das Anliegen dieser Kreise war eine vertiefte Innerlichkeit des religiösen Lebens; damit verband sich oft eine Distanzierung von konventionellen Gepflogenheiten und der veräußerlichten Praxis der rituellen Gebräuche. Der Einhaltung von Formalitäten wurde das Erfordernis einer persönlichen Beziehung zu Gott entgegengehalten.

Ein Kerngedanke war dabei die Idee, für die Erlösung des Menschen sei die Gnade als freies Geschenk ausschlaggebend; Verdienste, die er sich durch seine Handlungen zu erwerben glaubt, seien unwesentlich. Gute Werke und schon der Wunsch, sie zu verrichten, seien keine Verdienste des Menschen, sondern selbst schon der Gnade zu verdanken, also deren Folge und nicht Ursache. Diese Betonung der Gnade führte bei Vittorias Freunden und auch bei ihr selbst zu Formulierungen, die eine mehr oder weniger ausgeprägte Nähe zu Martin Luthers Konzept Sola gratia erkennen ließen. Durch ihre Sympathie für solches Gedankengut und für prominente Theologen, die es mehr oder weniger deutlich vertraten, geriet Vittoria im einsetzenden Kampf zwischen Katholizismus und Reformation zwischen die Fronten, obwohl kein Zweifel daran bestand, dass sie sich bis zu ihrem Lebensende als Katholikin betrachtete.[8] Besonders scharf trat dieses Konfliktpotenzial in der Kontroverse um ihren Freund Bernardino Ochino zutage, dessen begeisterte Anhängerin sie war. Ochino war Ordensgeneral der Kapuziner und ein berühmter, aber umstrittener Prediger, der von seinen Gegnern der Häresie verdächtigt wurde. Vittoria setzte sich in eindringlichen Briefen mit großem Nachdruck für ihn ein. Später floh er aus Italien, brach mit der katholischen Kirche und vertrat offen eine reformierte Theologie, wodurch Vittoria kompromittiert wurde. Ein anderer Freund Vittorias, Pietro Carnesecchi, stand ebenfalls im Verdacht der Ketzerei; später, lange nach ihrem Tod, wurde er der Inquisition ausgeliefert und hingerichtet. Aber auch im Kollegium der Kardinäle hatte sie Freunde, die ihren spirituellen Anliegen Verständnis entgegenbrachten, darunter insbesondere Gasparo Contarini, Jacopo Sadoleto und Reginald Pole. Eine gleichgesinnte Freundin und Mitstreiterin fand sie in der Königin von Navarra Margarete von Angoulême.

Porträt Michelangelos von Jacopino del Conte

Sehr intensiv war Vittorias 1538 beginnende Freundschaft mit Michelangelo, der sie in einigen Gedichten im Stil ihrer galanten humanistischen Verehrer verherrlichte, wobei er besonders ihre Schönheit überschwänglich pries. Solche Gedichte verfasste er noch nach ihrem Tod. Mit dieser Verherrlichung der verehrten Dame geriet er aber in einen Gegensatz zu ihrem in dieser späten Lebensphase kultivierten Demutsideal. Unzweifelhaft ist nach seinen Äußerungen die zentrale Rolle ihrer Anwesenheit für sein Leben und ihrer Inspiration für seine Kunst. So dichtete er:

Tanto sopra me stesso
mi fai, donna, salire,
che non ch'i' 'l possa dire,
nol so pensar, perch'io non son più desso.
So weit über mich
machst du mich, Herrin, steigen.
Worte sind mir nicht eigen
dafür, nicht Gedanken; ich bin doch nicht mehr dasselbe Ich.[9]

Die beiden als „Liebespaar“ zu bezeichnen, was noch in neuerer Zeit in der Forschungsliteratur gelegentlich geschieht, weckt zumindest teilweise falsche Vorstellungen.[10] Vittoria, die den Gedanken an eine neue Ehe stets nachdrücklich zurückwies, betonte, keinen anderen als ihren verstorbenen Mann lieben zu können. Mit dieser Haltung wurde sie für ihre Zeitgenossen zum Muster einer liebevollen Ehefrau, die ihrem Gatten noch als Witwe die Treue hält.[11]

Die letzten Lebensjahre Vittorias wurden durch die zunehmende religiöse Intoleranz verdunkelt. Die 1542 von Papst Paul III. eingerichtete Römische Inquisition, die das Vordringen des Protestantismus in Italien verhindern sollte, wandte sich gegen einen zentralen Teil ihrer religiösen Gedankenwelt, die Gnadenlehre. Die nun definitiv als häretisch geltenden Ideen durfte sie fortan nicht mehr vertreten.

Dichtung

Vittorias poetische Aktivität setzte spätestens 1512 ein; aus diesem Jahr stammt ihr ältestes erhalten gebliebenes Gedicht. Von ihren Dichtungen ist ein erheblicher Teil – über 100 Sonette und Kanzonen – dem Andenken ihres Gatten gewidmet, dessen Persönlichkeit sie idealisierend darstellt. Der Schmerz über seinen Tod ist ein Hauptmotiv ihrer Lyrik. So dichtet sie beispielsweise:

Morte col fiero stral se stessa offese,
Quando oscurar pensò quel lume chiaro,
Ch' or vive in cielo e quì sempre più caro:
Che 'l bel morir più le sue glorie accese.
Onde irata ver me l' arme riprese:
Poi vide essermi dolce il colpo amaro,
Nol diè; ma col morir vivendo imparo
Quant'è crudel, quando par più cortese.
S' io cerco darle in man la morta vita,
Perchè di sua vittoria resti altera,
Ed io del mio finir lieta e felice:
per far una vendetta non più udita,
Mi lascia viva in questa morte vera.
S' ella mi fugge, or che sperar mi lice?
Wie traf sich selbst der Tod mit jenem Stoße
Gen ihn, mein Licht, das zu verdunkeln er
Zu schwach und dessen Ruhm nur mehr und mehr
Durch schönes Sterben wuchs ins Übergroße!
Nun droht er mir! Doch seine Faust erstarrt
Hoch in der Luft, mein Lächeln macht sie stocken ...
Warum lässt er zum Streich sich nicht verlocken?
Wie grausam er mit Höflichkeit mich narrt!
Mein totes Leben such ich ihm zu schenken
Doch er, nicht solchen leichten Siegs gewohnt,
Übt nie erhörte Rache: er verschont
Mich seines Streichs, quält mich mit seinen Ränken,
Lässt lebend mich in diesem wahren Tod –
O, wie entrinn ich dieser letzten Not?[12]
Fernando Francesco d'Avalos

Bei der Heroisierung ihres Mannes verwendet sie dichterische Ausdrucksmittel, die sie in ihrer religiösen Lyrik einsetzt, um Christus zu verherrlichen. Das Liebeskonzept, von dem sie ausgeht, ist einerseits von neuplatonischem Denken und Empfinden angeregt, insbesondere von der Liebestheorie des humanistischen Philosophen Marsilio Ficino, zeigt andererseits aber auch eigenständige Aspekte. Schon zu Lebzeiten des Gatten weist die irdische Liebe in Richtung einer göttlichen, mit der die liebende Seele sich zum Himmel erheben soll. Die zunächst von den Sinneseindrücken geprägte Liebe verlagert sich auf eine geistige Ebene. Dank dieser Spiritualisierung schwindet sie nicht, nachdem der Tod das Paar getrennt hat, sondern die Bindung wird im Gegenteil noch verstärkt. Da aber die Seele der Witwe im Körper verbleibt und dem Gatten nicht folgen kann, erlebt sie anhaltenden Schmerz und eine als kaum erträglich empfundene Verzweiflung. Ihr Weiterleben stellt die Dichterin, eine platonische Metapher aufgreifend, als Gefangenschaft der Seele im Kerker des Körpers dar. Sie schildert den Konflikt zwischen fortdauernder Diesseitsverhaftung, deren Ausdruck die Trauer ist, und einer Todes- und Jenseitssehnsucht, die auf konsequente Loslösung vom Irdischen abzielt. Einerseits erlebt sie sich als Opfer in einer ausweglos scheinenden Situation äußerster Unfreiheit, andererseits meint sie, sich durch eine rationale Anstrengung aus ihrer Not befreien zu können. So schwankt sie fortwährend zwischen dem Versuch einer religiösen Transzendierung ihrer Gefühle und dem immer wieder neu aufbrechenden Schmerz.

Der Einfluss Petrarcas macht sich in Vittorias poetischem Werk formal und inhaltlich stark bemerkbar (Petrarkismus). Ein grundlegender Unterschied zu Petrarcas Haltung besteht jedoch darin, dass Vittoria niemals die irdische Liebe als solche bereut oder als Irrtum betrachtet. Vielmehr wertet sie das, was sie in der Ehe erlebt hat, grundsätzlich positiv, denn sie sieht darin in neuplatonischem Sinne die Voraussetzung und den Ausgangspunkt für das, was sie durch die Vergöttlichung der Liebe zu erlangen hofft. Als Fehler betrachtet sie nur ihr fortgesetztes Festhalten an der Trauer über den Verlust des Vergänglichen, nachdem der Tod des geliebten Mannes dieser Art des Erlebens von Liebe ein Ende gesetzt hat.

Andererseits kennt und beherrscht Vittoria aber auch den petrarkistischen Liebesdiskurs, der die widersprüchlichen Gefühlsregungen (contrari affetti) im erotischen Erleben darstellt und problematisiert. Dies zeigt sich unter anderem in ihrer Cento-Dichtung, in der sie unterschiedlichen Gedichten Petrarcas Textstellen entnimmt, die sie zu einer neuen Einheit verbindet.

Rezeption

Mit ihrem Stil traf Vittoria den Geschmack ihrer Zeit. Zur öffentlichen Anerkennung, die ihr als Dichterin zuteil wurde, trug Pietro Bembos Wertschätzung ihrer Leistung wesentlich bei, denn Bembo galt als literarische Autorität höchsten Ranges. Der erste, nicht von der Verfasserin autorisierte Druck einer Gedichtsammlung erschien 1538. Ein Autograph existiert nicht, da Vittoria nicht eigenhändig schrieb, sondern diktierte.

Schon zu Vittorias Lebzeiten setzte die Kommentierung ihrer Gedichte ein; 1543 veröffentlichte der junge Gelehrte Rinaldo Corso einen Kommentar zu ihrer religiösen Lyrik. 1542, 1545 und 1550 hielten in Florenz Gelehrte öffentliche Vorlesungen über jeweils eines ihrer Gedichte. Vittorias poetisches Werk wurde somit schon damals zu einem Kanon vorbildlicher italienischer Dichtung gezählt.

Beim Tod Vittorias war die Trauer unter den Gebildeten Italiens tief und allgemein. Zahlreiche Gedichte entstanden aus diesem Anlass. Ihre Lyrik wurde im 16. Jahrhundert oft gedruckt. Seitens der Inquisition hingegen wurde sie im Zeitalter der Gegenreformation offen als Häretikerin gebrandmarkt. Vom 17. Jahrhundert bis zum Beginn der Moderne war sie fast vergessen, außer Literarhistorikern interessierte sich kaum jemand für sie. Erst im 19. Jahrhundert setzte besonders in konservativen katholischen Kreisen wieder eine Beschäftigung mit ihrer Dichtung ein. Zugleich wurde sie in Italien für den aufblühenden Nationalismus vereinnahmt. Im 20. Jahrhundert haben Kritiker ihre Dichtkunst als zwar technisch gelungen, aber konventionell und unoriginell bewertet.[13]

In der 1887 veröffentlichten Novelle Die Versuchung des Pescara schildert Conrad Ferdinand Meyer die letzten Monate vor dem Tod von Vittorias Mann als eine Zeit dramatischer politisch-militärischer Loyalitätskonflikte, in denen Vittoria als italienische Patriotin handelt. Der österreichische Autor, Philosoph und Musikforscher Harald Kaufmann (1927-1970) schrieb auf Grundlage der Novelle ein Theaterstück mit dem Titel Vittoria Colonna, das im November 1947 im Rahmen des Grazer Hochschulstudios uraufgeführt wurde.[14]

Siehe auch

Ausgaben

  • Vittoria Colonna: Rime, hrsg. Alan Bullock, Laterza, Roma 1982
  • Vittoria Colonna: Sonetti in morte di Francesco Ferrante d’Avalos Marchese di Pescara, hrsg. Tobia R. Toscano, Mondadori, Milano 1998. ISBN 88-374-1623-7

Übersetzungen

  • Dirk Hoeges (Übers.): Vittoria Colonna. Ausgewählte Dichtungen in neuer Übertragung, in: Dirk Hoeges (Hrsg.): Frauen der italienischen Renaissance. Dichterin – Malerin – Komponistin – Herrscherin – Mäzenatin – Ordensgründerin – Kurtisane, 2., überarb. Auflage, Frankfurt/Main 2001, S. 9-37. ISBN 3-631-36753-8
  • Hans Mühlestein (Übers.): Ausgewählte Sonette der Vittoria Colonna, 2. Auflage, Schwabe, Basel 1935

Quellen

  • Sergio M. Pagano und Concetta Ranieri: Nuovi documenti su Vittoria Colonna e Reginald Pole, Archivio Vaticano, Città del Vaticano 1989. ISBN 88-85042-13-9
  • Rainer Maria Rilke (Übers.): Dichtungen des Michelangelo, Insel, Wiesbaden 1957 (enthält Gedichte Michelangelos an Vittoria Colonna und über ihren Tod)

Literatur

  • Abigail Brundin: Vittoria Colonna and the Spiritual Poetics of the Italian Reformation, Ashgate, Aldershot 2008. ISBN 978-0-7546-4049-3
  • Kurt Pfister: Vittoria Colonna. Werden und Gestalt der frühbarocken Welt, Bruckmann, München 1950 (populärwissenschaftliche Darstellung mit zahlreichen Übersetzungen von Quellentexten)
  • Ulrike Schneider: Der weibliche Petrarkismus im Cinquecento. Transformationen des lyrischen Diskurses bei Vittoria Colonna und Gaspara Stampa, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007. ISBN 978-3-515-09047-6
  • Claudia-Elisabetta Schurr: Vittoria Colonna und Michelangelo Buonarroti. Künstler- und Liebespaar der Renaissance, Narr, Tübingen 2001. ISBN 3-8233-5864-2
  • Johann J. Wyss: Vittoria Colonna. Leben / Wirken / Werke, Huber, Frauenfeld 1916 (teils veraltete, aber gründliche Biographie)

Weblinks

 Commons: Vittoria Colonna – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

  1. Zur Chronologie siehe Wyss (1916) S. 3f.
  2. Gaspare De Caro: Artikel Ferdinando Francesco d’Avalos, in: Dizionario Biografico degli Italiani, Band 4, Rom 1962, S. 623f.
  3. Wyss (1916) S. 12.
  4. Giorgio Patrizi: Artikel Vittoria Colonna, in: Dizionario Biografico degli Italiani, Band 27, Rom 1982, S. 455; Wyss (1916) S. 12. Das Verhältnis ist durch Briefe von d'Avalos bezeugt, die er an einen Verwandten richtete. Sie wurden von Alessandro Luzio im Gonzaga-Archiv in Mantua entdeckt; für Einzelheiten siehe Alessandro Luzio: Vittoria Colonna, in: Rivista storica mantovana 1 (1885), S. 1-52, hier: 3-8.
  5. Einzelheiten zu diesen Verehrern Vittorias bei Wyss (1916) S. 37-46, 65-70. Siehe auch Suzanne Thérault: Un cénacle humaniste de la Renaissance autour de Vittoria Colonna châtelaine d’Ischia, Paris 1968.
  6. Zu Bembos Verhältnis zu Vittoria siehe Carlo Dionisotti: Appunti sul Bembo e su Vittoria Colonna, in: Carlo Dionisotti: Scritti sul Bembo, hrsg. Claudio Vela, Torino 2002, S. 115-140.
  7. Dennis J. McAuliffe: Neoplatonism in Vittoria Colonna’s Poetry: From the Secular to the Divine, in: Konrad Eisenbichler und Olga Zorzi Pugliese (Hrsg.): Ficino and Renaissance Neoplatonism, Ottawa 1986, S. 101-112; Brundin S. 9.
  8. Zum geistigen Umfeld siehe Concetta Ranieri: Vittoria Colonna e la riforma: alcune osservazioni critiche, in: Studi latini e italiani 6 (1992) S. 87-96.
  9. Michelangelo: Rime 154, Übertragung von Rainer Maria Rilke.
  10. Auswertung der Quellen dazu bei Wyss (1916) S. 81-96. Zu einer anderen Deutung kommt Schurr (2001), die allerdings S. 205 feststellt, dass Vittoria die „Liebe zu Michelangelo ... nie direkt thematisiert“ hat.
  11. Barbara Marx: Vittoria Colonna (1492–1547), in: Frauen der italienischen Renaissance, hrsg. Irmgard Osols-Wehden, Darmstadt 1999, S. 40f., 44-46.
  12. Freie Übertragung von Hans Mühlestein, Ausgewählte Sonette der Vittoria Colonna, 2. Auflage, Basel 1935, S. 18.
  13. Belege bei Schneider (2007) S. 156f.; siehe auch Wyss (1916) S. 200-219.
  14. Gottfried Krieger: Ein Pionier der Musikpublizistik in Österreich. Zum Leben und Wirken von Harald Kaufmann (1927-1970) in: Österreichische Musikzeitschrift 7-8, 2010, S. 5.
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