Volksliste

Volksliste

Die Deutsche Volksliste (DVL) teilte die Bevölkerung in den vom Deutschen Reich im Zweiten Weltkrieg annektierten Teilen Polens in Bevölkerungsgruppen mit unterschiedlichen Rechten. In entwürdigenden Verfahren wurde vor allem das politische Verhalten vor dem deutschen Angriff und die Abstammung überprüft. Das Verfahren wurde in ähnlicher Form auch bald auf das Reichskommissariat Ukraine und auf Nordfrankreich ausgeweitet.

Sie wurde am 28. Oktober 1939 zunächst in dem von den deutschen Besatzern auf polnischem Territorium eingerichteten „Reichsgau Posen“, dem späteren Wartheland, durch eine Verordnung des dortigen Reichsstatthalters Arthur Greiser gegründet. Auf Grund der Anordnung des Reichsführers SS Heinrich Himmler als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums vom 12. September 1940 erschien die „Verordnung über die Deutsche Volksliste und die deutsche Staatsangehörigkeit in den eingegliederten Ostgebieten vom 4. März 1941“ im Reichsgesetzblatt I, S.118. Sie wurde von der Publikationsstelle Berlin-Dahlem unter Albert Brackmann verwaltet und im Zusammenhang mit der Ausarbeitung des Generalplans Ost ausführlich dargestellt.[1]

DVL-Gründungsdokument

Wer in die Deutsche Volksliste aufgenommen wurde, erhielt die deutsche Staatsbürgerschaft. Die DVL des Warthelandes von 1939 hatte keine „Eindeutschungsfunktionen“. Sie sollte im Gegenteil Polen ausgrenzen. Später wurde dies anders. Am 4. März 1941 wurde die DVL auf alle annektierten westpolnischen Gebiete (also Danzig-Westpreußen, Ostoberschlesien und Teile Ostpreußens) ausgeweitet. Ungefähr zu dem gleichen Zeitpunkt, Mitte März 1941, musste die Vertreibung von Polen aus diesen Gebieten in das Generalgouvernement wegen der Vorbereitung des Angriffs auf die Sowjetunion vorübergehend und schließlich bald ganz eingestellt werden. Während im Wartheland die Selektionskriterien auch bis zur deutschen Niederlage verhältnismäßig restriktiv gehandhabt wurden, also nur ein relativ geringer Anteil von ca. 10 % der einheimischen Bevölkerung in die Deutsche Volksliste aufgenommen werden sollte, stellte sich die Situation vor allem in den Provinzen Danzig-Westpreußen und Oberschlesien völlig anders dar. Dort wurden jeweils ca. 60 % der einheimischen Bevölkerung eingetragen, die überwiegende Mehrheit in die Abteilung 3. Kriegsbedingt bestand ein großer Bedarf an Arbeitskräften, und es wurde nun in diesen Gebieten ein wesentlich größerer Teil der Bevölkerung in die privilegierten Abteilungen der Liste aufgenommen und zu Deutschen gemacht. Diese Volksliste von 1941 sollte es auch ermöglichen, aus der polnischen Bevölkerung Soldaten für die Wehrmacht zu gewinnen. Etwa 200.000 wurden an die Front geschickt.

Die „als Deutsche Brauchbaren“ der Bevölkerung wurden dabei in folgende vier Abteilungen eingeteilt:

  • Volksliste 1: sog. Bekenntnisdeutsche, die sich vor dem Krieg für das „deutsche Volkstum“ eingesetzt hatten, also etwa in Organisationen der deutschen Minderheiten organisiert waren - und zwar unabhängig davon, ob sie eine ‚deutsche Abstammung‘ nachweisen konnten,
  • Volksliste 2: Menschen, die zwar nicht Mitglieder in den Organisationen der deutschen Minderheiten gewesen waren, aber an deutscher Sprache und Kultur festgehalten hatten. Während die Angehörige der Abteilung 1 sofort der NSDAP beitreten konnten und auch tatsächlich den Kern der Partei in den annektierten Gebieten bildeten, konnten sich die Mitglieder der Abteilung 2 zunächst lediglich als Anwärter auf eine Parteimitgliedschaft registrieren lassen.
  • Volksliste 3: entweder sog. Stammesdeutsche, also Menschen, die angeblich ‚deutscher Abstammung‘ waren, obwohl sie in der Regel nicht mehr Deutsch sprachen, oder aber Angehörige der sog. Zwischenschicht, also Kaschuben, Masuren, Schlonsaken, soweit sie nicht Mitglieder in polnischen politischen Organisationen waren. Sie bekamen die „deutsche Staatsangehörigkeit auf Widerruf“.
  • Volksliste 4: sog. Renegaten, d.h. Menschen, die nach Auffassung der deutschen Zivilverwaltung 'deutscher Abstammung' waren, die aber „ins Polentum abgeglitten waren“ - d. h. sich selbst als Polen betrachteten. Sie erhielten die „Anwartschaft auf die deutsche Staatsangehörigkeit auf Widerruf“ und waren von der Wehrpflicht ausgenommen.

Für alle galt deutsches Recht, aber jede Abteilung erhielt abgestufte Rechte und Privilegien, erkennbar an Ausweisen in unterschiedlichen Farben (Abteilung 1 und 2: blau, Abteilung 3 grün, Abteilung 4 rot).

Die Einteilung in die verschiedenen „Abteilungen“ hatte umfangreiche Folgen in allen Bereichen des Lebens, von der Lebensmittelration über die Gesundheitsversorgung bis zur Bildung. Je ungünstiger die Eingruppierung, desto schwieriger die u.a. kriegsbedingte (Über-)Lebenssituation. Wer nicht in eine der vier Abteilungen eingetragen war, hatte den Status recht- und staatenloser „Schutzangehöriger des Deutschen Reiches“ und musste mit brutalen Repressalien rechnen. Er lief Gefahr, ins Generalgouvernement deportiert zu werden. Rechtlos vegetierten sie mit Hungerrationen dahin.

In der Regel wurden die Antragsteller nicht einer sogenannten "rassischen Musterung" unterzogen. Zwar drängte Himmler auf eine solche rassistische Selektion, konnte sich jedoch nicht gegen die jeweiligen Reichsstatthalter und Gauleiter durchsetzen. Allein im Wartheland stimmte der dortige Reichsstatthalter und Gauleiter Arthur Greiser einer rassistischen Selektion des größten Teils der Personen in den Abteilungen 3 und 4 zu, sodaß etwa 60.000 Menschen durch die sogenannten Eignungsprüfer des Rasse- und Siedlungshauptamtes der SS "gemustert" wurden. Im Gegensatz hierzu ließ in Oberschlesien der dortige Oberpräsident und Gauleiter Fritz Bracht lediglich die Selektion der ca. 50.000 Personen in Abteilung 4 zu, während der Reichsstatthalter und Gauleiter Albert Forster in Danzig-Westpreußen die Selektionen gänzlich untersagte. Da jedoch die Deportationen in das Generalgouvernement kriegsbedingt eingestellt worden waren, wurden vermutlich nur sehr wenige der Personen, bei denen das Rasse- und Siedlungshauptamt auf die Wertungsgruppe IV oder IVf erkannt hatte, aus der Deutschen Volksliste entfernt oder hatten sonstige daraus resultierende Nachteile zu erleiden.

Nach dem Krieg stellte die Volksrepublik Polen z. B. solche Menschen, die sich zur Eintragung in die „DVL“ in aller Regel genötigt gesehen hatten, zunächst als „faschistisch-hitleristische“ Kollaborateure dar, was Repressalien zur Folge haben konnte (etwa Lagerhaft oder gar Vertreibung). Ab der zweiten Jahreshälfte 1945 setzte sich eher die Auffassung durch, dass zahlreiche DVL-Angehörige der Gruppen III und IV insbesondere in Oberschlesien nicht freiwillig, sondern zwangsweise eingeschrieben worden waren. Das Gleiche galt für Danzig-Westpreußen.


Gebiet Gesamtbevölkerung deutsche Bevölkerung 1939 in die Deutsche Volksliste eingetragen polnische Schutzangehörige
Ostoberschlesien 2.450 100 1.477 973
Wartheland 4.400 325 512,5 3.887,5
Danzig-Westpreußen 1.650 243 976 674
Zichenau/Sudauen 1.000 46,5 920

Stand 1944, Zahlen jeweils in 1000, Volksliste alle Abteilungen Abt.I bis Abt. IV

Die Tabelle zeigt, dass eine große Zahl von Polen „eingedeutscht“ worden ist. Dies geschah oft unter Zwang und unter Androhung von KZ-Haft oder der Wegnahme der Kinder. In einem der Nürnberger Prozesse, dem Prozess Rasse- und Siedlungshauptamt der SS, der von einem amerikanischen Militärgericht 1947–48 geführt wurde, wurde dieses System der gestaffelten Einbürgerung fremder Staatsbürger über die Deutsche Volksliste als Verbrechen geahndet.

Anmerkungen

  1. „Volkspolitische Voraussetzungen der Deutschen Volksliste“

Siehe auch

Literatur

  • Wolfgang Bleyer, Elisabeth Brachmann-Teubner, Gerhard Hass, Helma Kaden, Manfred Kuhnt, Norbert Müller, Ludwig Nestler, Fritz Petrick, Werner Röhr, Wolfgang Schumann, Martin Seckendorf (Hrsg.-Kollegium unter Leitung von Wolfgang Schumann): Nacht über Europa: die Okkupationspolitik des deutschen Faschismus (1938–1945), Achtbändige Dokumentenedition, Bd. 2, Die faschistische Okkupationspolitik in Polen (1939–1945), Köln 1989, ISBN 3-7609-1260-5

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