Volkssouverän

Volkssouverän

Das Prinzip der Volkssouveränität bestimmt das Volk zum souveränen Träger der Staatsgewalt. Die Verfassung als politisch-rechtliche Grundlage eines Staates beruht danach auf der verfassungsgebenden Gewalt des Volkes. Nicht ein Monarch, sondern das Volk in seiner Gesamtheit steht einzig über der Verfassung.

Es ist der Gegenbegriff zum monarchischen Prinzip. Volkssouveränität leitet sich vom französischen Wort „souveraineté“ (= höchste Staatsgewalt) und vom Lateinischen superioritas ab.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Der Aufklärer Jean-Jacques Rousseau entwickelte in seiner staatstheoretischen Schrift Contrat social (Gesellschaftsvertrag) 1762 die Idee der Volkssouveränität. Sie wird in Deutschland vom Kameralisten und Staatstheoretiker Justi aufgegriffen. Man wurde sich lange Zeit nicht einig, wem im Volke die Aufgabe zukommen solle, die Verfassung zu erlassen. Erst nach Abschluss des Übergangs von der ständischen Gesellschaft in eine bürgerliche Gesellschaft konnte in Deutschland erstmalig im Jahre 1919 mit der Weimarer Reichsverfassung eine Verfassung auf der Grundlage des Prinzips der Volkssouveränität erlassen werden; in der Schweiz hingegen war das schon 1848 mit der Abstimmung zur neuen Bundesverfassung klar. Zunächst hatte der Begriff der Volkssouveränität mehr eine völkerrechtliche Bedeutung. Im 19. Und 20. Jahrhundert wurde die Volkssouveränität zur Bezeichnung für die verfassunggebende, konstituierende Gewalt (pouvoir constituant) und für die demokratische Legitimation des Staates. Der Streit verlagerte sich damit in den innenpolitischen Bereich. Hierdurch entstand der Streit darüber, ob das beherrschte Volk oder eine andere Herrschaftsinstitution der wahre Souverän sei. Durch Formulierungen wie „Alle Macht kommt vom Volke“ hat die Volkssouveränität inzwischen auch in den neuesten Verfassungen des osteuropäischen Raumes zum Ausdruck gefunden und wird damit als grundlegendes Prinzip der Legitimation demokratisch politischer Herrschaft angesehen.

Geltendes Recht

Rechtslage in Deutschland

Die Volkssouveränität im Sinne deutschen Verfassungsrechts ist Bestandteil des Demokratieprinzips und gehört als solcher zu den verfassungsrechtlichen Staatsformmerkmalen der Bundesrepublik Deutschland. Der Grundsatz der Volkssouveränität ist in Artikel 20 Absatz 2 des Grundgesetzes geregelt. Die Bestimmung lautet wie folgt:

Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

Im einzelnen ergibt sich aus dieser Bestimmung:

Sämtliche Staatsgewalt geht in Deutschland – unmittelbar oder mittelbar – vom Volk aus. Das Volk ist in diesem Sinne der Souverän im Staate, ist gleichsam Herrscher über sich selbst. Dabei ist unter „Volk“ in diesem Zusammenhang ausschließlich das Staatsvolk im Sinne der staatsrechtlichen Drei-Elemente-Lehre zu verstehen. Dazu gehört jeder, der im Sinne von Artikel 116 des Grundgesetzes die deutsche Staatsangehörigkeit hat. Ausländer (Nicht-Deutsche) haben daher keinen Anspruch darauf, an der Ausübung der Staatsgewalt, insbesondere an Wahlen und Abstimmungen (auf Bundesebene) teilzunehmen. Ihnen darf ein Ausländerwahlrecht auch nicht eingeräumt werden, weil nur Deutschen die Staatsgewalt (Art. 20 Abs. 2 GG) zusteht. Nur bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind gemäß Art. 28 Abs. 1 Satz 3 Ausländer, soweit sie Unionsbürger, also Angehörige eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union sind, aktiv und passiv wahlberechtigt. Aus dieser Bestimmung folgt ebenfalls, dass ein Ausländerwahlrecht sowohl auf Bundes- und Landesebene als auch bei Kommunalwahlen unzulässig ist.

Das Staatsvolk übt seine Staatsgewalt unmittelbar durch Wahlen und Abstimmungen aus. Die Ausübung der Staatsgewalt durch Abstimmungen ist im Grundgesetz abschließend geregelt. Abstimmungen finden ausschließlich bei Neugliederungen des Bundesgebietes statt (Artikel 29 des Grundgesetzes und Artikel 118). Die Einführung weiterer konstitutiver Volksabstimmungen oder -entscheide wäre nur durch Verfassungsänderung, nicht aber durch einfaches Gesetz möglich.

Außerhalb der Wahlen und Abstimmungen übt das Volk die Staatsgewalt ausschließlich mittelbar, und zwar durch die Organe der Gesetzgebung (Legislative), der Verwaltung (Exekutive) und der Rechtsprechung (Jurisdiktion) aus. Die unmittelbare Ausübung der Staatsgewalt ist daher im Wesentlichen auf die Teilnahme an Wahlen beschränkt. Die deutsche Demokratie ist in diesem Sinne eine rein repräsentative Demokratie.

Rechtsphilosophische Sichtweise

Rechtssouveränität

Aus rechtspositivistischer Sicht gibt es nach geltendem deutschem Verfassungsrecht kein deutsches Recht, das dem Zugriff des deutschen Souveräns – des Volkes – entzogen wäre. Denn das Volk übe seine Staatsgewalt aus, in dem es Recht setze und vollziehe. Recht (im rechtswissenschaftlichen Sinne gemeint) sei daher nicht Voraussetzung und Grenze der Souveränität des Volkes, sondern Ausdruck und Folge seiner Souveränität und Medium in dem die Souveränität sich entfalte. Das Volk sei daher im Prinzip noch nicht einmal gehindert – notfalls durch Neuschaffung der Verfassung –, die Todesstrafe einzuführen, Zwangsarbeit zu erlauben, Privateigentum abzuschaffen oder die Unverletzlichkeit der Wohnung aufzuheben. Übergeordnete „Rechtssätze“, an die auch der Souverän im Rechtssinne absolut gebunden wäre, gebe es nicht. Sollte sich der Souverän an bestimmte Werte aus moralischen, ethischen oder sonstigen Gründen gebunden fühlen (etwa an die Unantastbarkeit der Menschenwürde oder die freie Meinungsäußerung), so werde er sie berücksichtigen. Rechtlich verpflichtet aber sei er dazu nicht.

Dem gegenüber vertritt eine am Naturrecht orientierte Rechtsphilosophie die Auffassung, auch in demokratischen Staaten solle die „Rechtssouveränität“ der Volkssouveränität vorangestellt werden. Das heißt, bestimmte Rechtsgrundsätze (wie z. B. die Menschenrechte) dürften als Grundlage des politischen Lebens in einer Demokratie nicht verletzt werden. Die demokratische Anwendung des Volkssouveränitätsprinzips bestehe nicht in einer Durchsetzung des Willkürwillens der Mehrheit, sondern in der Achtung der Rechte einzelner und der gesellschaftlichen Minderheiten und Gruppen durch die demokratisch qualifizierte Mehrheit.

Kritische Überlegungen zum Verständnis von Volkssouveränität im allgemeinen

Verschiedene Initiativen verstehen unter dem Volkssouveränitätsprinzip eine weitergehende Forderung. Sie lehnen die repräsentative Demokratie als grundsätzlich „undemokratisch“ ab und akzeptieren lediglich direkte Demokratien als „demokratisch“. Nach deren Verständnis soll es keine dem Volk übergeordnete staatliche oder staatsähnliche Ebene wie z. B. Bundesstaatsebene oder EU-Ebene, die gegenüber dem Volk des jeweiligen Staates weisungsbefugt ist, geben. Auch innerhalb des Staates werden dem Volk übergeordnete, weisungsbefugte Instanzen wie z. B. Parlamente, Verfassungsgerichte, Regierungen, Verwaltung, Aristokraten, Diktatoren etc. abgelehnt.

Literatur

  • Peter Graf Kielmansegg: Volkssouveränität. Eine Untersuchung der Bedingungen demokratischer Legitimität. Stuttgart 1977.

Siehe auch


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