Wagniserziehung

Wagniserziehung

Unter Wagniserziehung versteht man das pädagogische Heranführen an wertvolle, aber gefahrenhaltige Situationen, Handlungen, Unternehmungen. Wagniserziehung soll beim Erlernen des notwendigen Risikomanagements begleiten und helfen, verantwortungsbewusst mit Bedrohungen umzugehen.

Inhaltsverzeichnis

Begriff und Zielausrichtung

Im Gegensatz zur reinen Risikohandlung, die häufig Selbstzweckcharakter annimmt (Kick, Nervenkitzel), findet sich die Wagnishandlung in der einschlägigen humanwissenschaftlichen Literatur nahezu durchgängig mit einer ethischen Zielausrichtung verbunden (Wagnis Ehe, Wagnis Glaube, Wagnissport). Die wertvolle Zielsetzung lohnt es, sich für den erwarteten Gewinn durch das Wagnis gewissen Gefahren auszusetzen.[1]

Wagnisbereitschaften und Wagniskompetenzen in verschiedenen Lebensbereichen werden nach Warwitz (Sinnsuche im Wagnis)[2] als notwendige menschliche Leistungspotenziale verstanden, die der Entwicklung der Persönlichkeit Impulse geben, der Wertschöpfung und qualifizierten gesellschaftlichen Teilhabe dienen und somit eine wichtige Funktion auch im aktiven Selbstbildungsprozess des Einzelnen haben.[3]

Lehr- und Lerninhalte

Wagniserziehung lehrt Wertausrichtung, wirklichkeitsgerechtes Gefahrenbewusstsein, nüchterne Selbsteinschätzung und eigene Verantwortungsübernahme in kritischen Situationen. Sie strebt eine Kompetenzausbildung im Umgang mit Risiken an [4]. Wer sich im Wagen hohen Risiken aussetzt, muss vom Wert des möglichen Wagnisgewinns überzeugt sein, denn Risiken können Opfer fordern [2].

Wagniserziehung beginnt bereits mit der Ermunterung des Kleinkinds, sich bestimmten Herausforderungen der Umwelt zu stellen (z.B. auf etwas hinauf zu klettern, ins Wasser zu gehen etc). Sie bestärkt den Jugendlichen, sich Prüfungen seines Wissens, Könnens und Charakters zu stellen (sinnvolle Mutproben). Angemessenes Wagnisverhalten (z.B. Zivilcourage bei Belästigung oder Gefährdung Schwächerer) ist jedem Alter und Geschlecht zugänglich und ethisch zuträglich, - auch noch Erwachsenen.[5]

Folgen der Vernachlässigung

Ein übersteigertes (auch falsch verstandenes) Sicherheitsbedürfnis verhindert allerdings häufig in der familiären Erziehung die notwendige Konfrontation mit Gefahren (vgl. Schulwegtransport im elterlichen Auto.[6] Zudem beeinträchtigen restriktive gesetzliche Auflagen, entsprechende Regressbefürchtungen der Lehrpersonen und eine verbreitete gesellschaftliche Missbilligung gefahrenhaltiger Handlungen (abwertende Begriffe Risikosport, Risiker) auch im Schulbereich oft die Entwicklung einer gesunden Wagnisfähigkeit. Dies führt zu teilweise dramatischen Defiziten in der Persönlichkeitsentfaltung (Wasserscheu, Höhenangst, soziales Duckmäusertum) sowie zu Einschränkungen der Lebensmöglichkeiten (Karriereknick durch Scheu vor Prüfungen, Wettbewerb und Konkurrenz). Eine fehlende oder mangelhafte Wagniserziehung kann wegen der Orientierungslosigkeit bei dynamischen Kindern und Jugendlichen auch zu Risikohandeln ohne Sinnausrichtung führen (zerstörerische Akte, Vandalismus, Rowdytum).[2][7]

Gesellschaftliche Repräsentanz

Wagniserfahrung ist ein zentraler Bestandteil der Erlebnispädagogik.[8][9], wie sie auf Abenteuerspielplätzen, in den Outward Bound-Schulen[10], im Hochseilgarten, in vielen Jugendorganisationen, im Sportunterricht[11], in der Erwachsenenbildung und in der Teamentwicklung betrieben wird. Außerhalb dieser Angebote ist gezielte Wagniserfahrung aber eher selten zu finden und wird deshalb oft anderswo gesucht (im Straßenverkehr, beim Extremsport, im Glücksspiel, an der Börse).

Die Erziehung zum Wagnis bleibt in der Realität trotz des viel beschworenen, nachweisbaren Bildungswerts einzelnen Erziehungsfeldern wie der Verkehrserziehung[12], engagierten Sportlehrern[13], Institutionen und Organisationen wie dem Deutschen Alpenverein (DAV)[14] oder den Privatschulen der Outward-Bound-Bewegung überlassen, die dem Wagnisbedürfnis der Jugend und deren wertorientierter pädagogischer Förderung allerdings große Bedeutung zumessen. Nach Schleske[4], Warwitz[15][16], Lang[17] sollte Wagniserziehung ein elementarer Bestandteil jeder vollwertigen Erziehung sein.

Siehe auch

Literatur

  • M. Birnthaler: Erlebnispädagogik und Waldorfschulen. Eine Grundlegung. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2008. ISBN 3-7725-1693-9
  • T. Blumenstock: Outdoor Education in Australien und Deutschland in schulebezogenem Vergleich. Wiss. Examensarbeit GHS. Karlsruhe 2000
  • A. Boeger /T. Schut (Hrsg.): Erlebnispädagogik in der Schule: Theorie, Methoden, Wirkungen. Berlin 2005
  • Deutscher Alpenverein (DAV)(Hrsg.): Risiko – Gefahren oder Chancen? Tagungsbericht der Ev. Akademie Bad Boll. München 2004
  • N. Gissel / J. Schwier (Hrsg.): Abenteuer, Erlebnis und Wagnis. Perspektiven für den Sport in Schule und Verein. Hamburg 2003
  • Th. Lang: Kinder brauchen Abenteuer? München. 3. Auflage 2006
  • H. Röhrs (Hrsg.): Bildung als Wagnis und Bewährung. Heidelberg 1966
  • B. Runtsch (Red.): Abenteuer – ein Weg zur Jugend? Frankfurt 1993
  • W. Schleske: Abenteuer - Wagnis - Risiko im Sport: Struktur und Bedeutung in pädagogischer Sicht. Schorndorf 1977, ISBN 3778065815
  • N. Stumpf: Abenteuer im Schulsport. Was Kinder sich wünschen und wie man diese Wünsche realisieren kann. Wiss. Examensarbeit GHS. Karlsruhe 2001
  • J. Völler: Abenteuer, Wagnis und Risiko im Sport der Grundschule. Erlebnispädagogische Aspekte. Wiss. Examensarbeit GHS. Karlsruhe 1997
  • S. A. Warwitz: Sinnsuche im Wagnis. Leben in wachsenden Ringen. Erklärungsmodelle für grenzüberschreitendes Verhalten. Baltmannsweiler 2001. ISBN 3-89676-358-X
  • S. A. Warwitz: Brauchen Kinder Risiken und Wagnisse? In: Grundschule 11(2002) ISSN 0533-3431
  • S. A. Warwitz: Vom Sinn des Wagens. Warum Menschen sich gefährlichen Herausforderungen stellen. In: DAV (Hrsg) Berg 2006. München-Innsbruck-Bozen 2005. S. 96-111. ISBN 3-937530-10X
  • S. A. Warwitz: Verkehrserziehung vom Kinde aus. Wahrnehmen-Spielen-Denken-Handeln. Baltmannsweiler 1993. 6. Auflage 2009. ISBN 978-3-8340-0563-2
  • S. A.Warwitz: Wachsen im Wagnis. Vom Beitrag zur eigenen Entwicklung. In: Sache-Wort-Zahl 93 (2008) 25-37

Einzelnachweise

  1. H. Röhrs (Hrsg.): Bildung als Wagnis und Bewährung. Heidelberg 1966
  2. a b c S. Warwitz: Sinnsuche im Wagnis. Leben in wachsenden Ringen. Erklärungsmodelle für grenzüberschreitendes Verhalten. Baltmannsweiler 2001. S. 26-31, S. 257-292
  3. S. Warwitz: Wachsen im Wagnis. Vom Beitrag zur eigenen Entwicklung. In: Sache-Wort-Zahl 93 (2008) 25-37
  4. a b W. Schleske: Abenteuer - Wagnis - Risiko im Sport: Struktur und Bedeutung in pädagogischer Sicht,Schorndorf 1977
  5. N. Gissel / J. Schwier (Hrsg.): Abenteuer, Erlebnis und Wagnis. Perspektiven für den Sport in Schule und Verein. Hamburg 2003
  6. S. Warwitz: Verkehrserziehung vom Kinde aus. Baltmannsweiler 2009. S. 10-19 und S. 51-56
  7. B. Runtsch (Red.): Abenteuer – ein Weg zur Jugend? Frankfurt 1993
  8. M. Birnthaler: Erlebnispädagogik und Waldorfschulen. Eine Grundlegung. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2008.
  9. A. Boeger /T. Schut (Hrsg.): Erlebnispädagogik in der Schule: Theorie, Methoden, Wirkungen. Berlin 2005
  10. Blumenstock, Tina: Outdoor Education in Australien und Deutschland in schulebezogenem Vergleich. Wiss. Examensarbeit GHS. Karlsruhe 2000
  11. Völler, Judith: Abenteuer, Wagnis und Risiko im Sport der Grundschule. Erlebnispädagogische Aspekte. Wiss. Examensarbeit GHS. Karlsruhe 1997
  12. S. Warwitz: Verkehrserziehung vom Kinde aus. Wahrnehmen-Spielen-Denken-Handeln. Baltmannsweiler 2009. S. 10-19 und S. 51-56
  13. Stumpf, Nadine: Abenteuer im Schulsport. Was Kinder sich wünschen und wie man diese Wünsche realisieren kann. Wiss. Examensarbeit GHS. Karlsruhe 2001
  14. Deutscher Alpenverein (DAV)(Hrsg.): Risiko – Gefahren oder Chancen? Tagungsbericht der Ev. Akademie Bad Boll. München 2004
  15. S. Warwitz: Brauchen Kinder Risiken und Wagnisse? In: Grundschule 11(2002)
  16. S. Warwitz: Vom Sinn des Wagens. Warum Menschen sich gefährlichen Herausforderungen stellen. In: DAV (Hrsg) Berg 2006. München-Innsbruck-Bozen 2005. S. 96-111
  17. Th. Lang:Kinder brauchen Abenteuer. München 2006

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