Wallace Stevens

Wallace Stevens

Wallace Stevens (* 2. Oktober 1879 in Reading, Pennsylvania; † 2. August 1955 in Hartford, Connecticut) war ein amerikanischer Lyriker und Essayist.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Nach einem Studium der Rechtswissenschaft in Harvard von 1897 bis 1900, das er jedoch nur mit dem Vordiplom abschließt, zieht Stevens nach New York City, wo er eine Zeitlang als Journalist arbeitet. Dort nimmt er sein Studium wieder auf und schließt es 1903 ab. In diese Zeit fallen seine ersten lyrischen Gehversuche; er veröffentlicht mehrere Gedichte in dem College-Magazin The Harvard Advocate. 1904 lernt er seine spätere Frau Elsie Kachel kennen, die er 1909 heiraten wird. Nach seiner Zulassung als Anwalt arbeitet er von 1904 bis 1907 für verschiedene Kanzleien. 1908 nimmt er eine Stelle als Justitiar für eine Versicherungsanstalt aus Missouri an und wird 1914 Vizepräsident für deren New Yorker Niederlassungen. Im selben Jahr veröffentlicht Harriet Monroe vier seiner Gedichte in dem renommierten Lyrikmagazin Poetry.

Nachdem bei einer Betriebsfusion seine Stelle gestrichen wird, wechselt er 1916 zur "Hartford Accident and Indemnity Co." in Hartford, Connecticut und verlässt zu diesem Zweck New York. Sein erster Gedichtband Harmonium erscheint 1923, findet jedoch zunächst wenig Beachtung, wohl, weil das Erscheinen von T. S. Eliots The Waste Land im Jahr zuvor die Sensibilität im Publikum für weitere Neuerungen herabgesetzt hatte. Durch die Enttäuschung wird Stevens für den Rest der Zwanziger nichts Neues publizieren. 1924 wird seine Tochter Holly Stevens geboren, die sich später um die Herausgabe der posthumen Werke ihres Vaters verdient machen wird. 1934 wird Stevens Vizepräsident seiner Firma. In den Dreißigern findet er seinen Weg in den avantgardistischen Kreis um das Ehepaar Barbara und Henry Church. Erst in den Vierzigern findet sein lyrisches Schaffen Anklang; er wird mit mehreren Preisen, darunter dem National Book Award, ausgezeichnet.

Stevens hat, obwohl er zeitlebens von Europa fasziniert war und regelmäßig Sendungen mit europäischer Kunst und Delikatessen empfing, die Vereinigten Staaten niemals verlassen.

Werk

Von der 1923 erschienenen, ersten Gedichtsammlung Harmonium, die einige seiner meist anthologisierten Gedichte enthält, werden von der Erstauflage nur einhundert Exemplare verkauft. Stevens Bedeutung wird erst erkannt, als der Dichter bereits ein hohes Alter erreicht hat. Dennoch beweist schon seine erste Publikation die herausragende Kenntnis der Kunst der Moderne, die neben Einflüssen von Whitman und Emerson, der englischen Romantik (besonders Coleridge und Wordsworth) und des französischen Symbolismus (hier besonders Valéry und Mallarmé) ebenso wie des Impressionismus in der Malerei treten. Die Ausstellung Armory Show, die 1913 in New York das neuere europäische Kunstschaffen (besonders Cézanne, Matisse und Duchamp) erstmals dem amerikanischen Publikum zugänglich machte, kann für Stevens' Lyrik als ein Schlüsselerlebnis gewertet werden. Viele seiner frühen Gedichte lesen sich als variierte Meditationen auf Duchamps Akt, eine Treppe hinabsteigend.

Zwischen 1935 und 1945 nimmt Stevens zunehmend konservative Positionen ein, die zu Kontroversen mit kommunistischen Schriftstellern führen. Zugleich vollzieht er eine Wende vom frühen Imagismus und Impressionismus zum Symbolismus mit zunehmend festeren Bildsystemen. Seine Ideen über Ordnung (gegen Chaos), über den heroischen Poeten (gegen die Masse oder den Durchschnittsmenschen), über Frauen und Afroamerikaner und sein wiederholter Preis einer romantisch grundierten,umfassenden Imagination, die sich eine Welt schafft, prägen die Gedichtbände von 1935 bis 1942. Nicht erst in Esthétique du Mal (1945) deutet sich eine Wende zu einer Beschäftigung mit Krieg, Leiden und Gewalt an und damit eine Abwendung von der Vorstellung eines Übermenschen in der Nachfolge Nietzsches.

Sein Spätwerk nach 1945 behält den entschiedenen Atheismus von Harmonium bei und verklärt noch radikaler die Poesie als Nachfolgerin der Religion. Poesie ist notwendig, weil die Menschen an irgendetwas glauben müssen, und Gedichte sind notwendig wie Engel. Die Imagination regiert weiterhin suprem bis in die Spätgedichte nach Auroras of Autumn (1950), wo zunehmend auch Gedanken an ein Ende der Macht der Imagination auftreten und ein näherer Bezug zur Alltagswelt offen wird. Die Ironie und rhetorische Virtuosität der früheren Gedichte treten zurück. Einige späte Meditationen tragen eher existentielle Töne, und ihre umgangssprachliche Schlichtheit bereiten in Ansätzen postmoderne Dichtung, etwa von John Ashbery, vor.

Stevens eindrückliche, oft an die Grenzen der Verständlichkeit rührende Bildlichkeit und seine hochartifizielle, zerebrale Sprache gestatten ihm, zeitgenössische philosophische Probleme in prägnante Metaphern zu verwandeln und sie, immer auf der Ebene des Bildes, experimentellen Lösungen zuzuführen. Ein Großteil seiner Gedichte lebt von der Gegenüberstellung der Entfremdung, Einsamkeit des modernen Menschen und der unmittelbaren ästhetischen Erfahrung, aus denen Kunst und Naturbetrachtung hervorgehen können.

Ein weiteres wichtiges Thema ist die Kollision von Imagination und Realität, des Bewusstseins und der wirklichen Welt. Dabei werden beide Bereiche nicht in krasser Antithese gedacht. Vielmehr entdeckt Stevens, dass auch die Realität Funktion und Produkt der Vorstellungskraft ist, die jedoch manchmal 'verloren geht' und den Zugang zur Imagination verstellt. Zur Aufgabe des Dichters wird es, die Realität zum fluktuieren zu bringen, so dass ihre Herkunft aus dem menschlichen Geist aufs neue wieder bewusst wird. Es genügt nicht, wenn diese 'Wiedererweckung' einmalig ist; vielmehr muss sie durch immer neue Perspektivenwechsel poetischer Sprache auf die Wirklichkeit immer wieder neu hergestellt werden. Gelegentlich bedient sich Stevens dazu religiöser Bildlichkeit; im Zentrum des Interesses steht jedoch die Erkenntnis, dass auch die Religion einseitige Realität werden und den Zugang zur Transzendenz verhindern kann.

Stevens frühe Lyrik ist stark beeinflusst durch den Philosophen und Dichter George Santayana, mit dem er Gedichte austauschte. Ihm setzt er mit To an Old Philosopher in Rome ein lyrisches Denkmal.

Viele der Begriffe Stevens' haben in der amerikanischen Literaturwissenschaft sprichwörtlichen Charakter angenommen, besonders in der Schule von Harold Bloom. Ohne Kenntnis Stevens' wird man Anspielungen auf eine "capable imagination", einen 'necessary angel' oder den 'jar in Tennessee' nicht verstehen. In neueren Studien wird der metaphysikkritische Aspekt der Lyrik Stevens' hervorgehoben, die streckenweise der Postmoderne vorzugreifen scheint.

Werkverzeichnis

Lyrikbände

  • Harmonium (1923)
  • Ideas of Order (1935)
  • Owl's Clover (1936)
  • The Man With the Blue Guitar (1937)
  • Parts of the World (1942)
  • Notes Towards a Supreme Fiction (1942)
  • Esthétique du Mal (1945)
  • Three Academic Pieces (1947)
  • Transport to Summer (1947)
  • A Primitive Like an Orb (1948)
  • The Auroras of Autumn (1950)
  • Collected Poems (1954) (Hierfür erhielt er 1955 den Pulitzer-Preis)
  • Opus Posthumous (1957)
  • The Palm at the End of the Mind (1967)

Essayistik

  • The Necessary Angel (1951)

In deutscher Übersetzung

Bücher
  • Hellwach, am Rande des Schlafs. Gedichte. Hanser, München 2011. Hg. Joachim Sartorius. Übers. Hans Magnus Enzensberger u.a.
  • Der Mann mit der blauen Gitarre. Schirmer/Mosel, München 1995. Übers. Karin Graf, Hans Magnus Enzensberger.
  • Adagia. Residenz, Salzburg 1993. Übers. Karin Graf, Joachim Sartorius.
  • Die Gedichte unseres Klimas. Gedichte. Übers. Klaus Martens. Altaquito, Göttingen 1987
  • Der Planet auf dem Tisch. Gedichte und Adagia englisch und deutsch. Hg. Kurt H Hansen. Claassen, Hamburg 1961
Zeitschriften
  • Gedichte (Der Schnee-Mann. Bantamhähne in Tannenwäldern. Der Eiskrem-Kaiser. Die Idee der Ordnung bei Key West. Die Gedichte unseres Klimas. Botanist auf einem Alp (Nr. 1). Ein Eingeborenes wie ein Rund. Puella Parvula. An einen alten Philosophen in Rom. Prologe zum Möglichen. Die Welt als Meditation. Eine Mythologie reflektiert ihre Gegend). In: Akzente 1985, S. 20-34. Klaus Martens
  • Connecticut. ebd. 35-36
  • Klaus Martens: Jemand baut eine Welt zusammen: Wallace Stevens. ebd. 37-49
  • Die Gedichte unseres Klimas. Altaquito, Göttingen, 1987 (Enthält: Mann trägt Gegenstand. Die Gedichte unseres Klimas. Der Schnee-Mann. Puella Parvula. Der Mann mit dem Rachenleiden. Der Eiskrem-Kaiser. Botanist auf einem Alp (Nr. 1). Bantamhähne in Tannenwäldern. Madame La Fleurie. Die Idee der Ordnung bei Key West). Übersetzer: Klaus Martens
  • Gedichte und Prosa (Sonntagmorgen. Der Tod eines Soldaten. Gubbinal. Tee im Palais von Hond. Mrs. Alfred Uruguay. Gewisse Klangerscheinungen. Somnambulismen. Außerordentliche Bezüge. Die Klangschöpfungen. Seite aus einer Erzählung. Ein normaler Abend in New Haven. Das Gedicht, das an Bergesstelle trat. Entdeckendes Denken. Steht leer im Park. Der schlichte Sinn der Dinge. Erste Wärme. Vom bloßen Sein. Während du den Raum verläßt) in: Akzente, Jg. 44, H. 2, 1997, S. 126-158. Übers. Klaus Martens.
  • Die Figur des Jungen als männlicher Dichter. ebd. 133 - 135
  • Über Dichtung. ebd. 142 - 146

Literatur

  • Klaus Martens: W. S.- Schnörkel in der Signatur der Moderne Akzente (Zeitschrift), Jahrgang 44, Heft 2, April 1997, S. 159 - 174 ISBN 3446231749
  • Michel Benamou: Wallace Stevens and the Symbolist Imagination. Princeton: Princeton UP, 1972.
  • Harold Bloom: Wallace Stevens. The Poems of Our Climate (1980)
  • Harold Bloom: “The Central Man: Emerson, Whitman, Wallace Stevens.” Massachusetts Review 7 (1966), 23-42.
  • AugustJohn Cleghorn: "The Rhetorician's Touch" An Uncollected Wallace Stevens. San Francisco UP 1997.
  • Alan Filreis: Wallace Stevens and the Actual World. Princeton: Princeton UP, 1991.
  • Alan Filreis: Modernism from Right to Left. Wallace Stevens, the Thirties, & Literary Radicalism. New York: Cambridge UP, 1994.
  • Mark Halliday: Stevens and the Interpersonal. Princeton : Princeton UP, 1991.
  • Fredric Jameson: "Wallace Stevens." New Orleans Review 11 (1984), 10-19.
  • David M. LaGuardia: Advance on Chaos. The Sanctifying Imagination of Wallace Stevens. Hanover, London: Brown UP, 1983.
  • B. J. Legett: Early Stevens. The Nietzschean Intertext. Durham, London: Duke UP, 1992.
  • Frank Lentrichia: Ariel and the Police. Michel Foucault, William James, Wallace Stevens. Madison: U of Winsconsin P, 1988.
  • James Longenbach: Wallace Stevens. The Plain Sense of Things. New York: 1991.
  • Klaus Martens: Negation, Negativität und Utopie im Werk von Wallace Stevens. Frankfurt a.M.: Peter Lang, 1980.
  • Alden Lynn Nielsen: Reading Race. White American Poets and the Racial Discourse in the Twentieth Century. Athens: U of Georgia P, 1990.
  • Rajeev S. Patke: The Long Poems of Wallace Stevens. An Interpretative Study. Cambridge: Cambridge UP, 1985.
  • Marjorie Perloff: "Revolving in Crystal: The Supreme Fiction and the Impasse of Modernist Lyric." In: Wallace Stevens. The Poetics of Modernism. Cambridge etc: Cambridge UP, 1985, 41-64.
  • Joan Richardson: Wallace Stevens. 2 vols. New York: W. Morrow, 1986, 1988.
  • Joseph N. Riddel: The Clairvoyant Eye. The Poetry and Poetics of Wallace Stevens. Baton Rouge: Louisiana State UP, 1965.
  • William Van O'Connor: The Shaping Spirit. Chicago: Regnery, 1950.
  • Jacqueline Vaught Brogan: Stevens and Simile. A Theory of Language. Princeton: Princeton UP, 1986.
  • Jacqueline Vaught Brogan: ”'Sister of the Minotaur' Sexism and Stevens.” In: Wallace Stevens and the Feminine. Ed. Melita Schaum. Tuscaloosa and London,: The U of Alabama P, 1993,: 3-22.
  • Helen Vendler: On Extended Wings. Wallace Stevens’ Longer Poems. Cambridge, Mass: Harvard UP, 1969.

Weblinks

Ausgewählte Gedichte auf poetry exhibits

Deutsche Übersetzung

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