Wallonisch-Niederländische Kirche

Wallonisch-Niederländische Kirche
Vorne die Ruine der wallonischen Kirchenhälfte, im Hintergrund das Dach der niederländischen

Die Wallonisch-Niederländische Kirche in Hanau war die Doppelkirche reformierter Konfession der 1597 durch Graf Philipp Ludwig II. von Hanau-Münzenberg für Religionsflüchtlinge aus Frankreich und den spanischen Niederlanden gegründeten Neustadt Hanau.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Ursprünglicher Entwurf für den Ausbau der Stadt, in dem die Kirche zwischen die Blöcke V und R platziert werden sollte
Skizze im Brief von Daniel Soreau an René Mahieu
Innenraum der wallonischen Kirchenhälfte vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg

Ursprünglich war von Nicolas Gillet geplant, die Kirchen innerhalb der Zeilen der Blockrandbebauung zu platzieren. Der Rundbau zwischen vier Häuserblöcken sollte von zwölf Säulen getragen und mit vier Eingängen versehen werden.[1] Bereits im Frühsommer 1597 wurde allerdings umgeplant. Die Kirche sollte nun einen großen Kirchplatz erhalten und frei stehen.[1]

Nachdem im Januar 1599 mit einer Kollekte für den Kirchenbau begonnen worden war, einigten sich Niederländer und Wallonen im August desselben Jahres: Es sollte wegen der Zweisprachigkeit der Flüchtlingsgemeinde (niederländisch und französisch) eine Doppelkirche gebaut werden. Die konfessionelle Einheit wurde durch die enge Verbindung beider Kirchen ausgedrückt, die im Inneren aber „durch eine gute Mauer getrennt“ werden sollten.

Diese Pläne wurden unter anderem von Daniel Soreau massiv gegenüber Philipp Ludwig II. verteidigt. So bat er René Mahieu in einem Brief vom 11. Februar 1600, ein Modell zu besorgen und es dem Grafen vorzuführen, um ihn zu überzeugen. Er argumentierte, dass die Flamen, welche sich stark an der Finanzierung der Kirche beteiligen würden, zufriedengestellt werden müssten. Er empfahl weiterhin, einen Behelfsbau zu errichten, um die Zeit der Bauarbeiten zu überbrücken. Dieser leichte Bau (bastiment au leger), der im ebenfalls im Brief skizziert wird, könnte später zu Wohnhäusern umgewandelt und mit Gewinn verkauft werden.

Die Rundkirche von Wilhelmstadt, die vermutlich Vorbild für die Kirche in Hanau war

Der Graf ließ sich jedoch nicht überzeugen und die Errichtung einer Rundkirche – trotz Bedenken der Gemeindevertreter wegen der Mehrkosten. Vorbild soll die Kirche von Wilhelmstadt in den Niederlanden gewesen sein, das ebenfalls – wie die Neustadt Hanau – in dieser Zeit als Planstadt errichtet wurde. Es wird vermutet, dass der Graf auf einer Reise kurz vor dieser Entscheidung diese Kirche gesehen hat.[2] Die Kirche wurde letzten Endes als Solitär auf einem Platz von der Größe eines Häusergevierts errichtet (heute: Französische Allee), das die gleiche Fläche einnahm wie der Marktplatz. Am 9. April 1600 fand die Grundsteinlegung statt, zu der berühmte Persönlichkeiten wie Friedrich IV. und Luise Juliana von Oranien geladen wurden. Die Bauarbeiten waren von ständigem Geldmangel und technischen Schwierigkeiten gezeichnet. Da ein Großteil der Bauzeit für den größeren wallonischen Teil der Kirche verwandt werden würde, wollten die Flamen ihren Teil aus eigenen Mitteln ohne Hilfe der Wallonen bauen. Diese wiederum wollten einen hölzernen Behelfstempel am ehemals geplanten Marktplatz (de Borse) errichten, wo Philipp Ludwig nun das Rathaus errichten wollte. Wegen Differenzen zwischen Stadtschultheiß Dr. Wilhelm Sturio und Kämmerer Wilhelm Post wurde der Bau jedoch nicht genehmigt. Es sollte jedoch noch 120 Jahre dauern, bis auf diesem Platz das Rathaus stehen würde. Die Außenarbeiten wurden schließlich mit dem ersten Gottesdienst vom 29. Oktober 1608 abgeschlossen, der Innenausbau dauerte noch mehrere Jahre.

Grundriss Wallonisch-Niederländische Kirche, Hanau

Die Wallonisch-Niederländische Kirche in Hanau wurde von den gewaltigen Steildächern der beiden Kirchenhälften dominiert. Die größere wallonische Kirche wurde aus einem Zwölfeck gebildet, die kleinere niederländische aus einem Achteck. Beide waren ineinander verschränkt. Zwischen den beiden Kirchen, in der Mitte der Trennwand, stand der achteckige, aber den gewaltigen Walmdächern verhältnismäßig untergeordnete, Turm. Im Innern waren beide Kirchen als reformierte Gotteshäuser nur schlicht eingerichtet.

Gemeinde

Die Kirche im Stich von Merian

Die Gemeinde blieb bis heute selbständig und ist nicht Teil der Landeskirche. Ursprünglich war diese Trennung von der ebenfalls reformierten Landeskirche der Grafschaft Hanau-Münzenberg wohl durch den sprachlichen Unterschied bedingt. Die Wallonisch-Niederländische Gemeinde beteiligte sich dann aber auch nicht an der Hanauer Union, wodurch sich ein konfessioneller Unterschied ergab: Sie blieb reformiert, die Landeskirche wurde uniert. Im Laufe des 19. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts setzte sich Deutsch vermehrt als Gottesdienstsprache durch. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Gottesdienste nur noch in Deutsch abgehalten.

Zerstörung und Wiederaufbau

Kirchenruine mit Philippsdenkmal

Im Zweiten Weltkrieg wurde die Doppelkirche durch Luftangriffe – wie die gesamte Hanauer Innenstadt – bis auf die Außenmauern zerstört. Wieder aufgebaut wurde nach dem Krieg lediglich die kleinere, ehemals niederländische Kirchenhälfte. Die größere, wallonische blieb als Ruine und Mahnmal erhalten. In den 1980er Jahren wurde dort auf Erdgeschosshöhe – von außen kaum wahrnehmbar – ein Gemeinde- und Diakoniezentrum eingebaut. Diese Lösung erhielt den Hessischen Denkmalschutzpreis.

Weitere Informationen

Weblinks

 Commons: Wallonisch-Niederländische Kirche – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Internetseite der Wallonisch-Niederländischen Gemeinde Hanau

Literatur

  • Heinrich Bott: Gründung und Anfänge der Neustadt Hanau 1596-1620, Marburg 1970, ISBN 3-7708-0409-0, S. 225ff
  • Heinrich Bott: Stadt und Festung Hanau in: Hanauer Geschichtsblätter 20, 1965, S. 61–125
  • Georg Dehio: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler – Hessen. Bearb.: Magnus Backes. 2. Aufl., München 1982.
  • Werner Kurz: „Mutter“ der Wallonisch-Niederländischen Kirche. In: Hanauer Anzeiger, 8. September 2007, S. 33.
  • Friedrich Otto: Die Wallonische und Niederländische Gemeinde in Hanau. In: Hanau Stadt und Land. Ein Heimatbuch für Schule und Haus. Hanau 1954, S. 460-464.

Einzelnachweise

  1. a b Bott [1965], S. 76f
  2. Bott [1970], S. 229
50.13148.917

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