Weihnachtsgeschichte

Weihnachtsgeschichte
Conrad von Soest: Die Geburt Christi, 1404.

Die Weihnachtsgeschichte findet sich in zwei unterschiedlichen Versionen bei Matthäus und Lukas im Neuen Testament und erzählt die Geschehnisse, die mit der Empfängnis und der Geburt Jesus von Nazarets in Zusammenhang stehen. In Krippenspielen wird sie zu Weihnachten oft nachgespielt und in Weihnachtskrippen nachgestellt.

Inhaltsverzeichnis

Die Weihnachtsgeschichte nach Lukas

Die berühmteste Weihnachtsgeschichte ist die Erzählung über die Geburt Jesu Christi, wie sie im Neuen Testament der Bibel vom Evangelisten Lukas in Lk 2,1–20 EU erzählt wird. Dieser Text wird im christlichen Kulturraum traditionellerweise am Heiligen Abend und am Weihnachtstag bei Gottesdiensten und Weihnachtsfeiern vorgelesen oder nachgespielt.

Die Geschichte beginnt damit, dass Kaiser Augustus die erste Volkszählung der Geschichte durchführt und sich deswegen jede Familie in den Heimatort des Familienvaters begeben soll. Aus diesem Grund begibt sich Josef mit seiner hochschwangeren Verlobten Maria nach Betlehem. Als sie dort ankommen, kommt Maria in die Wehen und bringt ihren ersten Sohn zur Welt. Das Neugeborene wird gewickelt und in eine Krippe gelegt. Daraus wird zumeist geschlossen, dass die Geburt in einem Stall stattfand; es heißt im Text ausdrücklich nur, dass das Paar keinen Platz in einer Herberge fand. Die Ställe um Bethlehem herum waren aus dem Felsen gehauen, so dass die Futterkrippe vermutlich eine einfache Wandnische in einer solchen Höhle war.

Der Rest der Geschichte handelt davon, wie Hirten in der Nähe von einem Engel aufgesucht werden, der ihnen mitteilt, dass in Betlehem der Heiland (Messias) geboren worden sei. Da es in der Gegend um Betlehem im Dezember zwar kaum Nachtfröste gibt, aber vor allem im Winter keine Pflanzen wie Gräser usw. wachsen, werden die Schafe und Ziegen im Winter stets in Ställen gehalten. Daraus lässt sich schließen, dass Jesus nicht im Dezember geboren sein kann. Das Datum des 25. Dezember wurde auch erst im vierten Jahrhundert unter Kaiser Konstantin I. festgelegt, wobei möglicherweise das Fest des Sonnengottes „Sol invictus“ eine Rolle spielte.

Nach dieser Verkündigung kommt eine Schar von Engeln zu dem einen hinzu. Sie lobpreisen Gott im Himmel und verheißen den Menschen Frieden auf Erden. Hier ist der Text wieder doppeldeutig: Entweder wird der Friede allen Menschen gemäß dem guten Willen Gottes verheißen oder nur denjenigen Menschen, die guten Willens sind. Die Hirten beschließen, nach Betlehem zu eilen und dem Kind zu huldigen, das sie an seinem für Neugeborene ungewöhnlichen Aufenthaltsort identifizieren. Nachdem sie das Christuskind gesehen und allen Umstehenden von ihrer Begegnung mit den Engeln erzählt haben, kehrten die Hirten wieder zu ihrer Herde zurück und „priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.“ Sie erzählen die frohe Botschaft, dass der versprochene Retter der Welt geboren ist.

Die Weihnachtsgeschichte nach Matthäus

Der Evangelist Matthäus erzählt die Geschichte auf andere Weise (Mt 1,18–25; 2,1–23 EU). Jesus wird in Betlehem geboren, wo Joseph und Maria wohnen. Sie bekommen Besuch von magoi (griechisch μάγοι ), also ‚Magiern‘, ‚Sterndeutern‘ oder ‚Weisen‘ aus dem Osten, die von einem Stern dorthin geführt wurden. Matthäus spricht in diesem Zusammenhang weder von Königen noch benutzt er die Zahl drei, wie es die Legende der Heiligen drei Könige tut. Die Magier huldigen dem Kind und bringen Geschenke. Weil sie auf der Suche nach dem neugeborenen König der Juden waren, hatten sie sich vorher im Königspalast im nahegelegenen Jerusalem erkundigt. Auf diesem Wege erfährt König Herodes davon, dass ein Rivale geboren wurde und befiehlt den Kindermord zu Betlehem, vor dem sich die heilige Familie, von einem Engel gewarnt, in Ägypten in Sicherheit bringen kann (Flucht nach Ägypten). Nach Herodes’ Tod im Jahre 4 v. Chr. kehren sie nach Palästina zurück und siedeln sich in Nazaret an.

Kritik

Beide biblischen Geschichten bemühen sich, das unerhörte Ereignis, auf das es ihnen ankommt, das Kommen des Messias und die Menschwerdung Gottes, mit zwei Strategien glaubhaft zu machen: Zum einen durch Anbindung an historische Gestalten – nirgendwo in der Bibel kommen außerbiblische Personen in derartiger Häufung vor (Augustus, Publius Sulpicius Quirinius, Herodes der Große) –, zum anderen durch Bezugnahme auf alttestamentliche Prophezeiungen, die Matthäus sogar explizit anführt.

  • Nach Mi 5,1 EU soll der Messias in Betlehem zur Welt kommen, was beide Evangelisten vor das Problem stellt, dass der historische Jesus nach Meinung einiger Theologen aus Nazaret kam, ein Problem, das jeder von ihnen auf andere Weise löst.
  • Nach Jes 7,14 EU soll der Messias durch eine Jungfrauengeburt zur Welt gekommen sein, was vielleicht nur ein Missverständnis ist, da das griechische Wort parthenos sowohl Jungfrau im biologischen Sinne als auch einfach „junge Frau“ bedeuten kann, und der hebräische Begriff 'almah bezeichnet eine Frau vor der Geburt ihres ersten Kindes, was dem früheren Gebrauch des Wortes Magd im Deutschen nahe kommt.
  • Nach Hos 11,1 EU soll Gott seinen Sohn aus Ägypten kommen lassen, was Matthäus Anlass für die durch keinerlei andere Quellen belegte Geschichte vom betlehemitischen Kindermord gibt.
  • Eine vierte von Matthäus angeführte Prophezeiung, wonach der Messias den Beinamen „Nazarener“ tragen würde (Mt 2,23 EU), lässt sich im Alten Testament nicht finden. Es könnte sich jedoch um eine Andeutung auf Jes 11,1 EU handeln, wo auf den „Spross Isais“ hingewiesen wird, auf Hebräisch „nezer“.

Auch unterscheidet sich das Matthäus-Evangelium von den drei anderen durch eine eigentümliche Besonderheit. Durch anfangs immer wieder vorkommende Prophezeiungen aus dem Alten Testament, wie z. B.: „Dies alles ist geschehen, damit sich erfüllte, was der Herr durch den Propheten gesagt hat“ – eine Aussage, die eingestreut worden sein könnte, um Jesus als den erwarteten Messias und Erlöser zu bestätigen. Doch ausgerechnet bei seiner „Weisen-Erzählung“ unterlässt Matthäus einen solchen Hinweis. Dabei können in diesem Fall im Alten Testament sogar mit Ps 72,10 EU[1] und Jes 60,3 EU zwei Stellen als Hinweise auf das Ereignis in Betlehem gedeutet werden. Der Grund für den Wegfall dieses Hinweises scheint auf der Hand zu liegen. Saba liegt im Süden der arabischen Halbinsel, also auch südlich von Jerusalem. Die Weisen und Gelehrten kamen aber von Osten – dies wusste natürlich auch Matthäus.

Die historische Anbindung der Weihnachtsgeschichte wirft ebenfalls Probleme auf. Lukas bringt mit der von ihm erwähnten Volkszählung zwei verschiedene römische Verwaltungsvorgänge durcheinander, nämlich:

  1. Den Reichscencus (Bürgercensus), die Schätzung römischer Bürger im gesamten Imperium Romanum
  2. Den Provincialcencus, die Schätzung der Provinzbewohner, die das römische Bürgerrecht (Civitas Romana) nicht besaßen.[2]

Der Tatenbericht des Augustus in der Vorhalle des Augustus- und Romatempels in Ancyra (Ankara) erwähnt einen Reichscensus 8 v. Chr.[3] Ein Reichscensus kann Joseph nicht betroffen haben, denn wäre er römischer Bürger gewesen, hätte Pontius Pilatus seinen (Adoptiv-)Sohn nicht kreuzigen lassen dürfen. Dreizehn Jahre später, im Jahr 6 n. Chr. schickte Kaiser Augustus den Publius Sulpicius Quirinius als Statthalter in die Provinz Syria, in die das Königreich Judäa kurz zuvor eingegliedert worden war, um die Verhältnisse nach der Verbannung des Herodessohnes Archelaos dort neu zu regeln. Nach Flavius Josephus, Jüdische Altertümer, 17 und 18, hielt er in Judäa einen Provinzialcensus ab. Nach Mt 2,1 wurde jedoch Jesus vor dem Tod Herodes des Großen (4 v. Chr.) geboren, was heute von vielen Historikern für glaubhaft gehalten wird.[4] Dies bedeutet, dass sich die beiden Evangelisten in ihren Versuchen, die Geburt des Erlösers in die säkulare Geschichte einzuordnen, widersprechen;[5] die von ihnen nahegelegten historischen Daten liegen um mehr als eine Dekade auseinander. Als Lösung dieses Dilemmas hat die historische Jesusforschung schon vor längerer Zeit diskutiert, ob Quirinius nicht zweimal Statthalter der Provinz Syrien gewesen sein könnte, einmal um 8 v. Chr, das zweite Mal um 6 n. Chr.[6] Die These von der zweifachen Statthalterschaft des Qurinius hat sich in der historischen Forschung aber nicht durchgesetzt.[7]

Der Tübinger Archäologe Philipp Filtzinger weist immerhin darauf hin, dass 1961 ein Steuerformular aus dem Jahre 127 n. Chr. in einer Höhle westlich des Toten Meeres gefunden wurde. Auch hundert Jahre nach dem Tod Jesu mussten sich Einwohner von ihrem Wohnort zu ihrem Geburtsort begeben, um ihre Steuerformulare vor römischen Beamten abzugeben und beispielsweise persönlich vor Ort mit mehreren einheimischen Zeugen ererbten Grundbesitz zu deklarieren.[8]

Joseph wohnte nach der lukanischen Tradition in Nazaret, was zu Galiläa gehörte, dies lag aber im Herrschaftsgebiet des Herodes des Großen, wo der römische Statthalter allenfalls indirekte Befehlsgewalt hatte. Selbst wenn dieser ein Interesse daran gehabt hätte, auch die Einwohner der Klientelstaaten zu erfassen, wäre es für die Römer, denen es auf funktionierende Steuerlisten ankam, äußerst unpraktisch gewesen, als Eintragungsort nicht den Wohnort, sondern den Stammsitz der Familie zu befehlen. Ob dieser Betlehem war, wo rund tausend Jahre zuvor König David zur Welt gekommen war, ist außerdem fraglich, denn die beiden Vorfahrenlisten (Mt 1; Lk 3) gelten als fiktiv. Sie stellen Joseph als Nachkommen Abrahams und König Davids (Röm 1,3) dar, ohne zu beachten, dass Jesus gar nicht dessen leiblicher Sohn gewesen sein soll, und haben keine historische, sondern eine theologische Aussageabsicht.[9]

Aus all diesen Widersprüchen innerhalb der beiden biblischen Weihnachtsgeschichten und zwischen ihnen ziehen heute die meisten Historiker und Theologen den Schluss, dass es sich um literarische Fiktionen handelt, mit denen die Gottessohnschaft Christi und sein Kommen in die Welt historisch und prophetisch glaubhaft gemacht werden sollen. Es solle vermittelt werden, dass es sich bei dem Gottessohn auf Erden ihrer Ansicht nach nicht um eine mythische Gestalt, sondern um eine wahrhaftig historische Gestalt gehandelt habe. Zum Geburtsort wird eher angenommen, dass Jesus in Nazaret, dem Wohnort seiner Familie (Mk 6,1 ff.; Mt 13,54), wo er „erzogen“ wurde (Lk 4,16.22), auch geboren wurde.[10]

Literatur

  • Peter Stuhlmacher: Die Geburt des Immanuel. Die Weihnachtsgeschichten aus dem Lukas- und Matthäusevangelium. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005, ISBN 3-525-53535-X.
  • Gerhard Perl: Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Weihnachtsgeschichte. In: Christian Friedrich Collatz u. a. (Hrsg.): Dissertatiunculæ criticæ. Festschrift für Günther Christian Hansen. Königshausen & Neumann, Würzburg 1998.
  • Raymond E. Brown: The Birth of the Messiah. A Commentary on the Infancy Narratives in the Gospels of Matthew and Luke. Anchor Bible Reference Library, Doubleday, New York [u. a.] 1999, ISBN 0-385-49447-5.

Weblinks

 Wikisource: Weihnachtsevangelium (Latein) – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1. Septuaginta und Vulgata benutzen in Ps 72,10 VUL den Begriff Könige aus Arabien statt des im masoretischen Text erscheinenden Šeba
  2. Herbert Hausmaninger, Census, in: Der kleine Pauly. Lexikon der Antike in fünf Bänden, dtv, München 1979, Bd. 1, Sp. 1108
  3. Res gestae divi Augusti C.8. online lateinisch und deutsch
  4. Hans Conzelmann: Geschichte des Urchristentums, Göttingen 1978, S. 18
  5. Géza Vermes, The Nativity. History and Legend, Penguin Books, London 2006, S. 19
  6. Theodor Keim, Der geschichtliche Christus. Eine Reihe von Vorträgen mit Quellenbeweis und Chronologie des Lebens Jesu, 3. Aufl, Orell, Füßli und Comp., Zürich 1866, S. 225
  7. Werner Eck, s.v. Sulpicius [II 13] P. S. Quirinius, in: Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Bd. 11, hrsg. von Hubert Cancik, Metzler, Stuttgart und Weimar 2001, Sp. 1105
  8. Philipp Filtzinger, Bethlehem. Die christliche Legende – ein historisches Ereignis im Konsulatsjahr des Gaius Censorinus und Gaius Asinius 8 v. Chr.
  9. David Flusser, Jesus, 21. Aufl., Rowohlt, Reinbek 1999, S. 16 f.
  10. Gerd Theißen, Anette Merz: Der Historische Jesus: Ein Lehrbuch; Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 32001; ISBN 3-525-52198-7; S. 42 ff.

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