Werner Pinzner

Werner Pinzner

Werner Pinzner (* 1947 in Hamburg-Bramfeld; † 29. Juli 1986 in Hamburg), auch Mucki genannt, war ein deutscher Auftragsmörder, der als St.-Pauli-Killer bekannt wurde. Nach einer Serie von Auftragsmorden erschoss er 1986 während einer Vernehmung im Hamburger Polizeipräsidium den ermittelnden Staatsanwalt, seine eigene Frau und sich selbst. Der Fall führte zu politischen Konsequenzen in der Hansestadt Hamburg und gilt als einer der spektakulärsten Fälle der Kriminalgeschichte der Bundesrepublik Deutschland.[1]

Inhaltsverzeichnis

Leben

Pinzner wurde als Sohn eines Rundfunkmechanikers und einer Lebensmittelketten-Filialleiterin geboren. Nachdem er die Schule ohne Abschluss abgebrochen hatte, fuhr er ab 1964 für zwei Jahre zur See. 1966 arbeitete er für einige Wochen als Fahrer und fuhr hiernach nochmals kurz zur See. Eine beabsichtigte Verpflichtung bei der Bundeswehr scheiterte an Vorstrafen. Er lernte seine erste Frau kennen. 1970 wurde er erstmals zu einer kurzen Freiheitsstrafe verurteilt. 1971 wurde seine Tochter geboren. Nach ihrer Geburt arbeitete Pinzner als Gerüstbauer, Fliesenleger und Schlachter. Im August 1975 beteiligte er sich an einem Überfall auf einen Supermarkt, bei dem der Leiter des Marktes erschossen wurde.[2]

Pinzner wurde im September 1975 festgenommen und zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt. Noch vor der Verurteilung lernte er seine zweite Frau kennen. Neun Jahre der Strafe saß er in der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel ab, bevor er zum offenen Vollzug in die Justizvollzugsanstalt Vierlande verlegt wurde. Während dieser Haftstrafe lernte er Personen kennen, die eine gewisse Bedeutung im Rotlichtmilieu von Hamburg-Sankt Pauli hatten, und kam auch mit Drogen in Kontakt. Pinzner konnte sich während des offenen Vollzuges einen Revolver der Marke Arminius im Kaliber .38 Special beschaffen und in seinem Schließfach im Gefängnis hinterlegen. Er beteiligte sich als Freigänger im Juni 1984 gemeinsam mit zwei Komplizen aus dem Umfeld des Rotlichtmilieus an einem Raubüberfall auf einen Geldboten und beging im Folgemonat seinen ersten Auftragsmord.[2] Noch im Juli 1984 wurde Pinzner aus dem offenen Vollzug entlassen.[2] Es folgten innerhalb von 14 Monaten mehrere Auftragsmorde, ehe Pinzner 1986 festgenommen wurde.

Motiv für Pinzners Taten war, dass er an den Geschäften mit der Prostitution teilhaben wollte. Dies gelang ihm allerdings nicht, da er zwar als Auftragsmörder gefürchtet war, jedoch nicht als Teil des Rotlichtmilieus respektiert wurde.[3] Zum Ende seiner Laufbahn bestanden schließlich Planungen, Pinzner als Mitwisser ermorden zu lassen. Ein Kopfgeld von 300.000 DM soll auf ihn ausgesetzt gewesen sein, als er in Untersuchungshaft mit dem Staatsanwalt sprach.[3] In der Untersuchungshaft sagte er umfassend über die von ihm begangenen Morde aus. Bei einer Vernehmung am 29. Juli 1986 erschoss er den ermittelnden Staatsanwalt, dann seine Ehefrau und schließlich sich selbst.[1]

Pinzners wurde auf dem Kiez nach seinem Tode mit einem Autokorso gedacht.[4] Die letzte Ruhestätte fand er auf dem Burgtorfriedhof in Lübeck.[5]

Die Morde Pinzners

Im Rahmen der Urteilsfindung zu lebenslänglichen Haftstrafen gegen drei weitere Beteiligte wurde Pinzner drei Jahre nach seinem Tod die Ermordung von fünf Personen nachgewiesen.[2] Drei weitere Morde im Rotlichtmilieu hatte Pinzner bei seiner ersten Vernehmung zugegeben, später behauptete er, er wolle über elf von ihm begangene Morde aussagen.[6] Nach der Tat vom 29. Juli 1986 wurde ihm daher zugeschrieben, einschließlich seines Suizids 14 Menschen getötet zu haben.[7]

Auftragsmorde

Revolver der Marke Arminius, ähnlich der von Pinzner benutzten Waffe.
Rotlichtviertel in Hamburg

Werner Pinzner wurde als Auftragsmörder im Rotlichtmilieu tätig. Er beging Taten im Bereich der gesamten Bundesrepublik, im Wesentlichen handelte es sich aber um solche mit Bezügen zu Auseinandersetzungen im Rotlichtviertel von Hamburg-St. Pauli. Auftraggeber Pinzners war vor allem ein Zuhälter mit dem Spitznamen „Wiener-Peter.“[4][8]

Hamburger Kiez zur Zeit von Pinzners Morden

Die Zuhälter des Rotlichtviertels von Hamburg-St. Pauli waren bundesweit aktiv und betrieben sowohl in Hamburg als auch bundesweit Bordelle. Die Prostitution verzeichnete in den 1980ern allerdings einen erheblichen Rückgang in Folge der zunehmenden Angst vor der Infektion mit dem AIDS-Erreger HIV. Gleichzeitig begannen sich in den deutschen Rotlichtvierteln, neben den deutschen Zuhältern auch internationale Organisationen auszubreiten. Die Zuhälter reagierten hierauf zunächst mit brutaleren Methoden der Ausbeutung der Prostituierten. Zunehmend wurde aber auch der Rauschgifthandel, wie auch andere illegale Aktivitäten wie Waffenhandel oder Hehlerei zur Einnahmequelle. Neben der Ausdehnung auf andere Geschäftsfelder kam es zu vermehrten Auseinandersetzungen um die Reviere für Prostitution und den Drogenhandel. Teil dieser auch gewaltsam ausgetragenen Auseinandersetzungen waren die von Pinzner begangenen Auftragsmorde.[4]

Es hatten sich in St. Pauli, insbesondere entlang der Herbertstraße und an der Reeperbahn, zwei Gruppen von Zuhältern gebildet, die um Einfluss rangen: die etabliertere sogenannte Gmbh und die aufstrebende Nutella. Eine gewisse Rolle als Geldeintreiber spielten noch die Hells Angels, die von beiden Gruppen für Handlangerdienste eingesetzt wurden. Verdrängt wurde die Gmbh schließlich nach und nach durch eine Gruppe um den „Wiener-Peter“, der später der hauptsächliche Auftraggeber Pinzners werden sollte.[8][9][10]

Die einzelnen Auftragsmorde

Jehuda Arzi

Jehuda Arzi oder Hans Jenö Müller war ein ehemaliger Bordellbesitzer, der seine ehemalige Ehefrau und seine Tochter mit deren Vergangenheit als Bordellbesitzerin erpresste. Zudem war er in ein unbezahltes Kokain-Geschäft verwickelt. Arzi versteckte sich vor seiner Frau und seinen Geschäftspartnern in einer Wohnung in Kiel.

Vermittelt durch den „Wiener-Peter“ baten Arzis Ex-Frau und Tochter Pinzner zunächst darum, Arzi einen Finger abzuschneiden, um ihn einzuschüchtern. Er erklärte, dass er Arzi für 40.000 DM töten würde. Im Auftrag von Ex-Frau und Tochter begab sich Pinzner schließlich mit einem Komplizen nach Kiel und erschoss Arzi am 7. Juli 1984 in dessen Wohnung. Zwar konnten die ehemalige Frau und die Tochter relativ rasch als Verdächtige ermittelt werden, aus Mangel an konkreten Beweisen wurden die Verfahren gegen die beiden aber zunächst wieder eingestellt.

Nach der Tat begab sich Pinzner zurück in den offenen Vollzug in der Justizvollzugsanstalt Vierlande, wo er die Waffe wieder in seinem Schließfach deponierte.

Peter Pfeilmaier

Peter Pfeilmaier, genannt „Bayern-Peter“, war Teilhaber am Bordell „Hammer Deich“ und am „MB-Club“. Der Club diente illegalem Glücksspiel, dem Konsum von Kokain durch die Mitglieder und der Organisation des Rauschgifthandels.[11] Durch seinen zunehmenden eigenen Kokainkonsum und sein geschäftsschädigendes Verhalten im Bordell entwickelte sich Pfeilmaier zu einem wirtschaftlichen Risiko für seinen Partner. Der Partner bot daraufhin dem „Wiener-Peter“ eine Beteiligung an Stelle Pfeilmaiers an.

Mit der Ermordung Pfeilmaiers wurde Pinzner beauftragt. Er sollte 15.000 DM von jedem der beiden neuen Partner und eine Beteiligung an einem Bordell erhalten. Pinzner spielte Pfeilmaier mit Hilfe eines Komplizen ein größeres Rauschgiftgeschäft vor, das an einem ruhigen Ort abgewickelt werden sollte. Er begab sich mit dem Komplizen und dem Opfer am 12. September 1984 in dessen Wagen in einen Garagenkomplex, in dem Pfeilmaier mit einem Kopfschuss getötet wurde.

In der Folge erhielt Pinzner allerdings nicht die zugesagte Bordellbeteiligung, vielmehr sollte er als Wirtschafter im „Hammer Deich“ arbeiten. Sein Komplize behielt einen Teil des zugesagten Geldes ein.

Dieter Traub

Dieter „Lackschuh“ Traub war zusammen mit dem „Wiener-Peter“ Betreiber des Bordells „Palais d’Amour“. Durch seinen hohen Kokainkonsum wurde auch Traub für seinen Partner eine Belastung. Zusätzlich wollte er sich gegen eine Abstandszahlung von 100.000 DM aus seinem Engagement in dem Bordell zurückziehen und betrieb Rauschgiftgeschäfte auch unabhängig von seinem Partner. Traub hielt sich allerdings mehr und mehr vom Kiez fern.

Im November 1984 begab sich Traub zur Kontrolle einer Prostituierten nach München. Pinzner folgte ihm mit einem gerade aus der Haft entlassenen Komplizen. Die beiden legten einen Zwischenstopp in Heilbronn ein, wo sie sich bei einem als „Häuptling von Heilbronn“ bekannten Bordellier ein Alibi besorgten. Hiernach fuhren sie nach München. Wie schon bei Pfeilmaier wurde dem späteren Opfer ein fiktives Rauschgiftgeschäft angetragen. Traub ging darauf ein. Die drei begaben sich in einem Leihwagen in den Riemerlinger Forst. Dort täuschten Pinzner und sein Komplize eine Autopanne vor und erschossen Traub, nachdem dieser ausgestiegen war.

Waldemar Dammer und Ralf Kühne

Waldemar Dammer, bekannt als „Neger Waldi“, betrieb in Konkurrenz zu dem „Wiener-Peter“ zwei Bordelle. Kurz vor Ostern 1985 ließ Dammer „Wiener-Peter“ von zweien seiner Schläger in dessen Bordell „Palais d’Amour“ zusammenschlagen und demütigte ihn dadurch öffentlich. Pinzner erhielt mit einem Komplizen den Auftrag, für pauschal 60.000 DM Dammer und seine beiden Schläger zu töten.

Pinzner ging davon aus, dass sich Dammer mit den Schlägern zu einer Besprechung in seinem Haus im bürgerlichen Hamburg-Schnelsen treffen würde. Daher begab er sich mit seinem Komplizen am Ostermontag zu Dammers Haus und wurde eingelassen. Dort wurden Dammer und sein Wirtschafter Ralf Kühne erschossen, nicht aber die Schläger.

Pinzner gestand später zwar diese Morde, anhand der Waffen konnte jedoch nachgewiesen werden, dass nicht er, sondern sein Komplize die beiden Männer erschossen hatte.

Ermittlungen wegen der Auftragsmorde

Im Zusammenhang mit Hinweisen – die sich letztlich nicht bestätigten –, dass hochrangige Polizeibeamte mit Zuhältern gemeinsame Sache machen würden, war unter dem Innensenator Alfons Pawelczyk bereits Ende der 1970er eine Ermittlungsgruppe gegen die organisierte Kriminalität eingerichtet worden, die Fachdirektion 65. Es war die erste derartige Dienststelle zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität in Deutschland.[12][13][14] Diese Polizeieinheit arbeitete unter anderem mit V-Leuten und Abhörmethoden. Sie war auch polizeiintern abgeschirmt.[11] Ihr gelang es, einen namhaften Bordellier, der „Pate von St. Pauli“ genannt wurde, wegen Steuerhinterziehung festzusetzen. Außerdem konnte die Fachdirektion 65 sowohl gegen die Gmbh als auch die Nutella und die Hells Angels Erfolge erzielen.[6]

Das von Pinzner verwendete Kaliber .38 stellt zwar einen sehr weit verbreiteten Projektildurchmesser dar, aber die Projektile der von Pinzner verwendeten Waffe wiesen eine Besonderheit auf: Pinzners Revolver war eine Waffe mit „zehn Zügen mit Rechtsdrall“, einem sehr seltenen Merkmal. Aus dieser Besonderheit und der Tatsache, dass es sich um Morde an Personen mit Bezug zum Zuhältermilieu von St. Pauli handelte, konnte sehr rasch darauf geschlossen werden, dass es sich um eine eigenständige Mordserie handelte. Lediglich bei Jehuda Arzi waren die Bezüge zu St. Pauli zunächst nicht erkennbar, und der Doppelmord an Dammer und Kühne wies nur Parallelen in der Tatausführung auf, wurde aber mit einer anderen Waffe ausgeführt.[15]

Wegen der Gemeinsamkeiten der Todesfälle wurde eine Sonderkommission (SoKo) unter Federführung der Fachdirektion 65 gebildet. Systematisch wurden die Ergebnisse der verdeckten Ermittlungen zusammengetragen, potenzielle Zeugen vernommen. Als schließlich zwei Prostituierte konkrete Aussagen machten,[2] verhaftete ein Mobiles Einsatzkommando am 15. April 1986 Pinzner, den „Wiener-Peter“ und einen Komplizen.[4] „Auf dem Sofa des Killers lag die Mordwaffe, ein geladener Revolver der Marke Arminius, Kaliber .38, zehn Züge, Rechtsdrall.“[4]

Nach der Festnahme, die lediglich wegen des Mordverdachts an „Bayern-Peter“ Pfeilmaier erfolgt war,[7] verlangte Pinzner unmittelbar, den ermittelnden Staatsanwalt Wolfgang Bistry zu sprechen. Bei der ersten Vernehmung gab Pinzner zu Protokoll, acht Morde begangen zu haben.[7] Dem Staatsanwalt gegenüber erklärte er später, dass er insgesamt elf Personen getötet habe und zur Aussage bereit sei.[7] Bedingung sollte sein, dass er noch einmal einen Tag mit seiner Frau Jutta ungestört verbringen dürfe. Die Antwort des Staatsanwaltes war vage gehalten und ging dahin, dass man sehen werde, was möglich sei. Pinzner nahm das nach Eintragungen in seinem Tagebuch wohl als eine Zusage. In der Folge sollte Pinzner in mehreren Vernehmungen zu fünf Morden konkrete Angaben machen und zu den Strukturen im Rotlichtmilieu St. Paulis aussagen.[9]

Tat vom 29. Juli 1986

Am 29. Juli 1986 wurde Pinzner zur Vernehmung ins alte Hamburger Polizeipräsidium gebracht. Anwesend waren Pinzner, Pinzners Frau Jutta, seine Rechtsanwältin, zwei Polizeibeamte, eine Schreibkraft zur Aufnahme der Aussage und der Staatsanwalt Wolfgang Bistry. Pinzners Frau hatte mit Hilfe der Rechtsanwältin eine Schusswaffe in das Präsidium eingeschmuggelt. Pinzner ergriff diese und erschoss den Staatsanwalt. Die Polizeibeamten konnten den Raum verlassen. Pinzner verbarrikadierte die Tür, telefonierte mit seiner Tochter und erschoss dann seine Frau und sich selbst.[16][17] Bei dem späteren Prozess gegen die Anwältin ging der gerichtlich bestellte Gutachter Herbert Maisch davon aus, dass die Rechtsanwältin sich in der Folge schwerer Entwicklungsstörungen in Kindheit und Jugend bei der Fallbearbeitung derartig verstrickt habe, dass sie sich selbst nicht mehr hieraus habe befreien können.[18]

Es folgten umfangreiche Ermittlungen, um die vermuteten Hintermänner der Tat zu fassen; so durchsuchte die Polizei das Büro der Rechtsanwältin. Im Dezember 1986 führten etwa 350 Polizeibeamte und mehrere Staatsanwälte zeitgleich eine Großrazzia in Hamburg, Ahrensburg, Braunschweig und auf Mallorca durch. Es kam zu drei Verhaftungen und mehreren Festnahmen.[19] Der „Ringo“ genannte Bordellier jedoch, der als Hintermann des Mordes an Staatsanwalt Bistry verdächtigt wurde, entkam über die Dächer und verließ Deutschland in Richtung Costa Rica, von wo er erst nach erheblichen diplomatischen Anstrengungen ausgeliefert wurde.[20][21]

Presse

Der Hamburger Innensenator Rolf Lange stellte die Festnahme Pinzners und der übrigen Beteiligten auf einer Pressekonferenz noch als großen Erfolg der Fachdirektion 65 im Kampf gegen die organisierte Kriminalität dar.[6]

Bereits am Tag der Festnahme Pinzners vereinbarten die Rechtsanwältin Pinzners und der Reporter Thomas Reinecke, dass gegen eine Zahlung von 30.000 DM Pinzner, seine Anwältin und Pinzners Frau nur über Reinecke mit der Presse kommunizieren würden. Reinecke verkaufte diese Rechte seinerseits an das Magazin Stern weiter. Der Stern verfügte damit über Exklusivrechte.

Der Journalist Thomas Osterkorn konnte sich private Bilder und Aufzeichnungen Pinzners beschaffen: Pinzners Nachbarn hatten sie auf dem nicht von der Polizei durchsuchten Speicher gefunden und Osterkorn angeboten. Osterkorn begann auf Grund dieses Materials seine Karriere beim Stern.[22] Die Bunte druckte Briefe Pinzners an seine Frau ab, die Zeitschrift Quick Briefe der Ehefrau an Pinzner. Die Bild-Zeitung konnte zunächst nicht mit diesen Informationen mithalten, „revanchierte“ sich aber mit einer Schlagzeile, mit der die Anwältin diffamiert wurde.[6][8]

Nach dem Tode Pinzners wurde erstmals seit der Schleyer-Entführung eine Nachrichtensperre verhängt, die allerdings nur die Spekulationen in der Presse anheizte.[4]

Folgen

Die Auftragsmorde und der Doppelmord mit anschließendem Suizid erregten erhebliches öffentliches Aufsehen. Wegen der Bekanntheit des Falles wurde seine Dokumentation ein wichtiger Bestandteil einer Ausstellung der bekanntesten Kriminalfälle der Hamburger Kriminalgeschichte,[23] Pinzner war Bestandteil einer NDR-Sendereihe zu großen Kriminalfällen der Hansestadt,[24] die ARD befasste sich in der Sendereihe „Die großen Kriminalfälle“ 2002 mit dem Fall.[25] Der Fall Pinzner wurde dementsprechend bei der Ausstellung Ein Polizeimuseum für Hamburg 2007 neben anderen Hamburger Kriminalfällen – wie etwa die Serienmorde Fritz Honkas oder des Kaufhauserpressers „Dagobert“- besonders dargestellt.[26] Außerdem wird er bei Touristenführungen durch St. Pauli thematisiert.[27] Den 25. Jahrestag der Tat im Polizeipräsidium vom 29. Juli 1986 nahm der Norddeutsche Rundfunk 2011 zum Anlass für eine erneute Dokumentation.[28]

Politik

Im Zusammenhang mit dem Fall Pinzner kam es zu einem Justizskandal wegen der unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen in den Hamburger Gefängnissen, aber auch wegen des zu großen Entgegenkommens der Ermittlungsbehörden gegenüber Pinzner.[13] Werner Pinzner war letztlich auch gut mit Drogen versorgt worden, was ebenfalls auf erhebliche Sicherheitsmängel hindeutete.[29][30] Die Senatoren für Inneres und Justiz waren unabhängig von den Taten Pinzners politisch angeschlagen. Eva Leithäuser, die Senatorin für Justiz, stand wegen des von ihr vertretenen liberalen Strafvollzugs in der öffentlichen Kritik,[31][32] der Innensenator Rolf Lange wegen des sogenannten Hamburger Kessels,[13][33] beide aber auch wegen der Sorge der Bevölkerung vor steigender Kriminalität.[13] Hinzu kam, dass angesichts der nahen Wahlen zur Hamburgischen Bürgerschaft am 9. November 1986 die bislang regierende sozialdemokratische Regierung in der Folge des Skandals die Wahl zu verlieren drohte.[34] Wegen des Kriminalfalles zogen die zwei Senatoren der Hansestadt für Inneres und Justiz die politischen Konsequenzen und traten am 6. August 1986 zurück.[25][34][35][36] Hatten die Umfragen im Juni 1986 noch auf einen eindeutigen Sieg der SPD hingedeutet, führte die durch die Tat im Polizeipräsidium hervorgerufene Debatte um die innere Sicherheit zu starken Stimmverlusten bei der Wahl für die SPD. Die SPD (41,7 %) wurde hinter der CDU (41,9 %) nur zweitstärkste Kraft. Da es in der Folge zu keiner Koalitionsvereinbarung kam, traten die sogenannten „Hamburger Verhältnisse“ mit einem SPD-Minderheiten-Senat mit wechselnden Mehrheiten ein.[37]

Durch den Fall gelangte das Thema der organisierten Kriminalität in Westdeutschland in die politische Debatte in der Bundesrepublik.[4][38]

Um Vorfälle wie den am 29. Juli 1986 zu verhindern, wurden Sicherheitsschleusen an den Eingängen des Polizeipräsidiums installiert, die noch immer bestehen.[39] Die zunächst gegen alle Strafverteidiger gerichtete generelle Kontrolle der Hamburger Justizbehörden nach der Ermordung Bistrys stieß auf erheblichen Widerstand der Hamburger Rechtsanwaltskammer, der Arbeitsgemeinschaft Hamburger Strafverteidiger und des Republikanischen Anwaltsvereins.[40]

Folgeprozesse

Gegen Pinzners Anwältin wie auch gegen drei seiner Auftraggeber wurde Anklage erhoben. Diese Prozesse erregten nochmals ein erhebliches Medieninteresse.[3] Die Anwältin wurde wegen Beihilfe zum Mord schließlich zu sechseinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, ihre Zulassung als Rechtsanwältin wurde ihr vorübergehend entzogen.[41] 1989 wurden der Auftraggeber „Wiener-Peter“ und zwei Komplizen Pinzners zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Nach der Verbüßung eines Teils der Haftstrafe wurde der Auftraggeber im Februar 2000 nach Österreich ausgewiesen.[2]

Neben den Strafprozessen befasste sich die Justiz auch presserechtlich mehrfach mit den Folgen der Taten Pinzners. So musste Der Spiegel nach Berichten über einen angeblichen Hintermann der Morde eine halbseitige Gegendarstellung drucken.[42] Dem Journalisten Dagobert Lindlau wurde es aus Gründen der Resozialisierung 1994 durch das Landgericht Hamburg untersagt, den Namen der Rechtsanwältin Pinzners in seinem Buch Der Lohnkiller zu nennen.[43]

Film und Literatur

Die Ereignisse um Werner Pinzner wurden bereits bald nach dem Suizid als Stoff für ein Drehbuch angesehen:[3]

„Der sentimentale Berufskiller und die schönen Frauen. Das kann eigentlich nur aus einem dieser zeitgenössischen TV-Märchen stammen, in denen es um Mord und Sex und Drogen und sehr viel Geld geht.“

Im auf die Morde folgenden Jahrzehnt griffen Kriminalroman und -film den Stoff des „St.-Pauli-Killers“ auf: So befasste Frank Göhre sich in seiner St.-Pauli-Trilogie mit dem Fall.[44] Unter der Regie von Nico Hofmann entstand 1995 der Film Der große Abgang,[45] der auf dem Fall basierte und mit dem Fernsehfilmpreis der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste ausgezeichnet wurde.[46]

Literatur

  • Dagobert Lindlau: Der Lohnkiller. Eine Figur aus dem organisierten Verbrechen. Droemer Knaur, München 1994, ISBN 3-426-77095-4.
  • Danuta Harrich-Zandberg: Der St. Pauli-Killer. In: Helfried Spitra (Hrsg.): Die großen Kriminalfälle. Der St. Pauli-Killer, der Ausbrecherkönig und neun weitere berühmte Verbrechen. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-593-37438-2, S. 11–34.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Christian Wriedt: Dreifachmord im Polizeipräsidium. In: Berliner Zeitung vom 30. September 2002.
  2. a b c d e f St.-Pauli-Killer Pinzner: Auftraggeber nach Österreich ausgewiesen. In: Die Welt vom 11. April 2000.
  3. a b c d Viola Roggenkamp: Pinzners erdrückendes Erbe. In: Die Zeit Nr. 11, 1988, S. 23.
  4. a b c d e f g Die lenkenden Hände vom Kiez. In: Der Spiegel Heft 34 vom 18. August 1986.
  5. Pompöse Gruften und bescheidene Grabstätten. In: Lübecker Stadtzeitung vom 6. April 1999.
  6. a b c d „Jeder ist Gott… Ich bin Gott“. In: Die Zeit Nr. 35 vom 22. August 1986, S. 9 f.
  7. a b c d Tja oder Ja. In: Der Spiegel. Nr. 36, 1987, S. 98–100 (31. August 1987, online).
  8. a b c Thomas Hirschbiegel: »Wiener-Peter« schickte Luden Killer ins Haus. In: Hamburger Morgenpost vom 8. Dezember 2005.
  9. a b Danuta Harrich-Zandberg: Der St. Pauli-Killer. In: Helfried Spitra (Hrsg.): Die großen Kriminalfälle. Der St. Pauli-Killer, der Ausbrecherkönig und neun weitere berühmte Verbrechen. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-593-37438-2, S. 11–34.
  10. Thomas Hirschbiegel: Immer wieder Krieg um Geld und Macht. In: Hamburger Morgenpost vom 21. November 2005.
  11. a b Schnee auf dem Strich. In: Der Spiegel. Nr. 18, 1986 (28. April 1986, online).
  12. Danuta Harrich-Zandberg: Der St. Pauli-Killer. In: Helfried Spitra (Hrsg.): Die großen Kriminalfälle. Der St. Pauli-Killer, der Ausbrecherkönig und neun weitere berühmte Verbrechen. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-593-37438-2, S. 11–34, hier S. 13 ff.
  13. a b c d Hans Jakob Ginsburg: Politik, Pistolen und Polizisten. In: Die Zeit Nr. 33, 1986.
  14. Justiz warnt: Hochkarätige OK-Täter nicht hofieren. Interview mit Oberstaatsanwalt Martin Köhnke. In: Hamburger Abendblatt vom 20. Juni 2007.
  15. Dagobert Lindlau: Der Lohnkiller. Eine Figur aus dem organisierten Verbrechen. Droemer Knaur, München 1994, ISBN 3-426-77095-4, S. 24 ff.
  16. 1986 – das Blutbad im Polizeipräsidium. In: Hamburger Abendblatt vom 27. Februar 2006.
  17. Ich sah, wie Pinzner die Waffe zog. In: Hamburger Morgenpost vom 29. Juli 2006.
  18. Gerhard Mauz, Staatsanwalt Bistry ist tot …, Der Spiegel Heft 27 / 1988 vom 4. Juli 1988.
  19. Lieferte Karl-Heinz Schwensen den Revolver?. In: Der Spiegel. Nr. 51, 1986 (15. Dezember 1986, online).
  20. Sex-Geschäfte auf der Schweinefarm. In: Der Spiegel. Nr. 26, 1987 (22. Juni 1987, online).
  21. Unter Strom. In: Der Spiegel. Nr. 51, 1987, S. 89f (14. Dezember 1987, online).
  22. Danuta Harrich-Zandberg: Der St. Pauli-Killer. In: Helfried Spitra (Hrsg.): Die großen Kriminalfälle. Der St. Pauli-Killer, der Ausbrecherkönig und neun weitere berühmte Verbrechen. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-593-37438-2, S. 11–34, hier S. 24.
  23. Ausstellung zeigt die größten Kriminalfälle. In: Die Welt vom 2. Dezember 2007.
  24. Hamburgs spektakulärste Kriminalfälle. Auf: NDR 90,3, 2009.
  25. a b Danuta Harrich-Zandberg/Walter Harrich: Der St. Pauli-Killer (NDR). Siehe: Rückschau: Sendung vom Montag, 30. September 2002. Auf: DasErste.de.
  26. "Dagoberts" U-Boot und Pinzners Pistole, Hamburger Abendblatt vom 4. Dezember 2007
  27. Touren durch das tolle St. Pauli. In: Die Welt vom 17. Mai 2008.
  28. Ada von der Decken, Als die Killer auf den Kiez kamen, NDR online vom 20. Juli 2011.
  29. 29. Juli 1986. In: Die Welt vom 18. Dezember 1999.
  30. Unterm Geschirrtuch. In: Der Spiegel. Nr. 32, 1986 (4. August 1986, online).
  31. Katrin Kramet: Sie waren auf und davon. In: Die Zeit Nr. 39 vom 21. September 1984.
  32. Drei Verdunster. In: Der Spiegel. Nr. 42, 1984 (15. Oktober 1984, online).
  33. Michael Schwellen: 800 Kläger. In: Die Zeit Nr. 35 vom 26. August 1988.
  34. a b Wie im Groschenroman. In: Der Spiegel. Nr. 33, 1986 (11. August 1986, online).
  35. Das Ende des St.-Pauli-Killers Das Ende des St.-Pauli-Killers, Welt am Sonntag vom 17. Juli 2011.
  36. Schadenfreude. In: Die Zeit vom 22. August 1986.
  37. Christoph Holstein/Christel Oldenburg/Meik Woyke/Michael Schütze, Alles für Hamburg: Die Geschichte der Hamburger SPD von den Anfängen bis zum Jahr 2007, 2008, S. 102.
  38. Wir Kennen die Dunkelmänner alle. In: Der Spiegel. Nr. 9, 1988, S. 68–83 (29. Februar 1988, online).
  39. Kristina Johrde: 1986 – das Blutbad im Polizeipräsidium. In: Hamburger Abendblatt vom 27. Februar 2006.
  40. Gerhard Mauz: Der Anwalt muß auch jede Blöße vermeiden. In: Der Spiegel. Nr. 34, 1986, S. 93f (18. August 1986, online).
  41. Danuta Harrich-Zandberg: Der St. Pauli-Killer. In: Helfried Spitra (Hrsg.): Die großen Kriminalfälle. Der St. Pauli-Killer, der Ausbrecherkönig und neun weitere berühmte Verbrechen. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-593-37438-2, S. 11–34, hier S. 34.
  42. Dieter Buhl: Wer zählt die Fehler, nennt die Namen? In: Die Zeit Nr. 40 vom 25. September 1987.
  43. Ekkehard Schumann: Der Name als Geheimnis. Umfaßt die anwaltliche und ärztliche Schweigepflicht auch die Namen der Mandanten und Patienten? In: Walter Gerhardt (Hrsg.): Festschrift für Wolfram Henckel zum 70. Geburtstag am 21. April 1995. Verlag Walter de Gruyter, Berlin 1995, ISBN 3-11-013756-9, S. 773–802, hier S. 786, Fußnote 67.
  44. Der Schrei des Schmetterlings, 1986, Der Tod des Samurai, 1989, und Der Tanz des Skorpions, 1991. Göhre, Frank. In: H. P. Karr: Lexikon der deutschen Krimi-Autoren – Internet-Edition.
  45. Der große Abgang in der deutschen und englischen Version der Internet Movie Database.
  46. Der große Abgang. Auf: cinema.de.
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