Wiedersehen mit Brideshead

Wiedersehen mit Brideshead

Wiedersehen mit Brideshead. Die heiligen und profanen Erinnerungen des Hauptmanns Charles Ryder ist ein 1944 erschienener Roman des englischen Schriftstellers Evelyn Waugh. Er beschreibt aus der Perspektive des Ich-Erzählers Charles Ryder den Zerfall der wohlhabenden, katholischen Adelsfamilie Marchmain im England der 1920er- und 1930er-Jahre. Der Roman wurde von 1979 bis 1981 unter dem Titel Brideshead Revisited als TV-Serie und 2008 für das Kino verfilmt.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Im Zweiten Weltkrieg wird der Offizier Charles Ryder mit seiner Truppe auf einem vornehmen Adelssitz einquartiert: Schloss Brideshead, das er aus der Vorkriegszeit kennt. Charles Ryder erinnert sich an die Familie Marchmain, mit deren Sohn Sebastian er sich 1922 in Oxford angefreundet und mit dessen älterer Schwester Julia er eine Liebesbeziehung hatte. Der Roman erzählt die Geschichte dieser Familie aus der Perspektive von Charles Ryder.

Charles Ryder, ungeliebter Sohn aus gutbürgerlichem Hause und Agnostiker, verlässt Oxford vorzeitig ohne Abschluss und wird Architekturmaler. Mal aus der Nähe, mal aus der Distanz nimmt er Anteil am Leben der Familie Marchmain und wird Zeuge verschiedener Formen des Unglücks: Der Vater Alexander Flyte, Lord Marchmain und Marquess of Brideshead, lebt seit Ende des 1. Weltkriegs mit einer Geliebten in Venedig, getrennt von seiner Frau, die eine bekennende Katholikin ist. Sebastian, der jüngere Sohn des Marquess und seiner Ehefrau Teresa Flyte, Lady Marchmain entwickelt sich zum Alkoholiker. Die Gründe hierfür bleiben unklar: Ist es die Vernachlässigung durch die Mutter oder eine Art negativer Kontaktsuche zu ihr? Die ältere Schwester Julia flüchtet sich in die Ehe mit dem Parvenü Rex Mottram, danach in Liebschaften und später in sich steigernde Selbstvorwürfe. Der ältere Sohn Bridey (sein richtiger Vorname wird nie genannt), Earl of Brideshead, kultiviert seinen hölzernen Charakter, bis er zu einem professionellen Sammler von Streichholzschachteln geworden ist. Die jüngste Tochter Cordelia, eine tiefgläubige Katholikin, engagiert sich nach einer gescheiterten Ordensberufung als Krankenschwester im Spanischen Bürgerkrieg.

Die kaum verdeckt als homoerotisch geschilderte Freundschaft zwischen Sebastian und Charles[1] verblasst allmählich, je mehr Charles Teil der Gesellschaft auf Schloss Brideshead wird, von der Sebastian sich kontrolliert und eingeengt fühlt. Beide verlieren sich Mitte der 20er-Jahre aus den Augen. Zehn Jahre später trifft Charles Ryder auf einem Dampfer von Amerika nach England zufällig Sebastians Schwester Julia Flyte wieder. Sie gehen eine Beziehung miteinander ein und betreiben die Scheidung von ihren jeweiligen Ehepartnern.

Alle Figuren des Romans mit Ausnahme Sebastians und der bereits verstorbenen Lady Marchmain begegnen sich am Totenbett Lord Marchmains, der vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nach England zurückgekehrt ist. Der alte Lord bekehrt sich kurz vor seinem Tod wieder zum katholischen Glauben. Auch Julia kehrt in den Schoß der katholischen Kirche zurück und verlässt Charles, den sie u.a. deshalb nicht heiraten will, weil sie beide nach katholischem Eherecht trotz ihrer Scheidung als verheiratet gelten. Durch die Rahmenhandlung, in der Charles als Katholik auftritt, wird die Möglichkeit angedeutet, dass selbst er sich durch diese Erlebnisse zum katholischen Glauben bekehrt hat.

Erzählweise

Die Sprache ist durchwirkt von Ironie, Witz und poetischen Metaphern. Zugleich verwendet Waugh umgangssprachliche Formulierungen, die der Tragik der Hauptfiguren die distanzierte Perspektive des Beobachters entgegensetzen. Die ironische Distanz kündigt sich schon in dem unzeitgemäß umständlichen Titel des Romans an.

Die Handlung spielt an wechselnden Orten – in Oxford, London, Venedig, Paris und Marokko, auf Schloss Brideshead, einem Dampfer –, was es Waugh ermöglicht, die von ihm gezeichnete Welt immer wieder neu und interessant darzustellen. Aus der späten Wiederbegegnung Charles Ryders mit Brideshead entsteht so das Gemälde einer ganzen Epoche, der Zeit zwischen den Weltkriegen.

Deutung

Der Roman beschreibt die Suche nach Orientierung in einer Welt des Umbruchs. Seine Figuren sind auf ihren Wegen mit einer Häufigkeit des Scheiterns konfrontiert, die - in konservativer Perspektive - nur als Wirkung eines strafenden Gottes verstanden werden kann. Leitmetapher dieser zum Untergang verurteilten Welt ist das zum Ende des Romans mehrfach vom Erzähler beschriebene Bild der Hütte eines arktischen Jägers, die von einem Gletscherabbruch zermalmt wird.

Waugh, ein konservativer Exzentriker, der 1930 zum Katholizismus übergetreten war, schrieb 1959 in seinem Vorwort zu dem Roman, den er für seinen besten hielt, er habe die Wirkung der göttlichen Gnade auf den Kreis seiner Hauptfiguren untersuchen wollen. Die Wirkung dieser Gnade zeigt sich zunächst vor allem in strafender Gerechtigkeit: In Härte und Durchhalten bei der Mutter, in bewusster Abweichung und dann tätiger Buße als Pförtner in einem marokkanischen Kloster bei Sebastian und in depressionsmächtigen Selbstvorwürfen bei Julia. In seinem Epilog fasst der Ich-Erzähler seinen Bericht als „grimme kleine Menschentragödie“ zusammen.

Das Leben fast aller Figuren wird durch ihr Christentum zunächst mehr beschwert als erleichtert. Über allen scheint vor allem Traurigkeit, während es ihnen an Zuversicht fehlt. In einer konservativ-katholischen Sichtweise finden aber letztlich alle, wenn auch durch Leiden hindurch, zu Gott zurück. So scheint die „Traurigkeit“ und die „Hoffnungslosigkeit“ der Figuren nicht so sehr auf den Einfluss des katholischen Glaubens zurückzugehen, sondern auf ihre zeitweilige Abwendung von ihm. In einer liberaleren Sichtweise hingegen scheitern die beiden Söhne und die ältere Tochter, da sie sich der streng konservativen Art der Mutter, den Katholizismus zu leben, selbst nach deren Tod nicht entziehen können: Bridey findet Erfüllung als Sammler von Streichholzschachteln und ehelicht eine nicht mehr junge Witwe, die ihn primär aus Gründen der finanziellen Absicherung heiratet; Julia ist unfähig, ihre Liebe zum geschiedenen Charles Ryder zu bejahen; Sebastian endet als Trinker, und der alte Marquess selbst, Alexander, findet nur deshalb zum Katholizismus zurück, da er den Tod fürchtet. Das Gegenbild dazu bietet allein die tief gläubige und zugleich fröhliche und liebenswerte Cordelia, die das Positive des Glaubenslebens zum Ausdruck bringt.

Der Roman ist stark autobiographisch geprägt. Dafür spricht auch die in Waughs Nachlass gefundene Erzählung Charles Ryder's Schooldays – in Deutschland veröffentlicht unter dem Titel Charles Ryders Tage vor Brideshead –, in welcher der Autor eigene Erlebnisse aus seiner Schulzeit verarbeitet hatte.

Verfilmungen

Hauptartikel: Wiedersehen mit Brideshead (Fernsehproduktion)

Besonders populär wurde Waughs Roman durch seine Verfilmung als Fernsehmehrteiler, welcher auf dem Castle Howard gedreht und 1981 erstmals im britischen Fernsehen ausgestrahlt wurde. In Brideshead Revisited waren Jeremy Irons als Charles Ryder, Anthony Andrews als Sebastian Flyte, Diana Quick als Julia Flyte in den Hauptrollen zu sehen. Die Produktion der beiden britischen Regisseure Michael Lindsay-Hogg und Charles Sturridge – mit prominenten Nebendarstellern wie John Gielgud, Laurence Olivier, Stéphane Audran und Claire Bloom besetzt – avancierte 1982 zum internationalen Erfolg bei Kritikern und Publikum und wurde mit sieben BAFTA-TV-Awards ausgezeichnet, unter anderem als Beste dramatische Fernsehserie. Anthony Andrews erhielt den BAFTA-Award und einem Emmy als bester Darsteller, Laurence Olivier den BAFTA-Award als bester Nebendarsteller für die Rolle des Lord Marchmain. Ein Jahr später folgten zwei Golden Globe Awards in den Kategorien Beste Miniserie und für Anthony Andrews als besten Hauptdarsteller.

Hauptartikel: Wiedersehen mit Brideshead (Film)

Eine Kinoversion des Stoffes von David Yates, in der Paul Bettany Charles Ryder, Jude Law Sebastian Flyte und Oscar-Preisträgerin Jennifer Connelly Julia Flyte spielen sollten, scheiterte 2005 an finanziellen Problemen. 2007 wurde ein erneuter Versuch gestartet, den Roman für die Kinoleinwand zu adaptieren. Mit der Inszenierung wurde der hauptsächlich als Fernsehregisseur erprobte Julian Jarrold beauftragt, während die jungen britischen Akteure Matthew Goode, Ben Whishaw und Hayley Atwell mit den Rollen von Charles Ryder, Sebastian Flyte und der Julia Flyte betraut wurden. Die Neuverfilmung von Brideshead Revisited wurde am 25. Juli 2008 in New York City uraufgeführt.[2][3]

Werkausgaben

  • Englisch: Brideshead Revisited, The Sacred & Profane Memories of Captain Charles Ryder, 1944 bei Chapman and Hall, London
  • Deutsch: Wiedersehen mit Brideshead. Die heiligen und profanen Erinnerungen des Hauptmanns Charles Ryder. Roman, ISBN 3-548-60163-4

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Spiegel Online: „Legende ohne Leidenschaft“, 20. November 2008
  2. Starttermine für Wiedersehen mit Brideshead in der Internet Movie Database, abgerufen 30. April 2011.
  3. A. O. Scott: Bright Young Things in Love and Pain, in: The New York Times vom 25. Juli 2008, abgerufen 30. April 2011.

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