Wilhelm-Tietjen-Stiftung für Fertilisation

Wilhelm-Tietjen-Stiftung für Fertilisation

Die Wilhelm-Tietjen-Stiftung für Fertilisation Limited ist eine Körperschaft, die das Vermögen des 2002 kinderlos verstorbenen Bremer Lehrers Wilhelm Tietjen verwaltet. Sein Erbe soll zur Fruchtbarkeitsforschung eingesetzt werden, die er als „Fertilisation“ bezeichnete.

Inhaltsverzeichnis

Wilhelm Tietjen

Wilhelm Tietjen, der Namensgeber der Stiftung, wurde am 12. Mai 1903 geboren. Tietjen arbeitete in den 1920er Jahren als Entwicklungshelfer in Afghanistan, wo er sich mit einer Geschlechtskrankheit infizierte, infolge derer er unfruchtbar wurde.[1] 1932 trat er der NSDAP bei. Im Zweiten Weltkrieg diente Tietjen als Offizier bei der Luftwaffe. 1945 wurde er von den Alliierten kurzzeitig inhaftiert, weil er laut Wehrmachtsauskunftsstelle Parteischulungen durchgeführt hatte. Tietjen verstarb am 24. Januar 2002. Er vermachte sein Vermögen der Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung, als dessen Verwalter er Jürgen Rieger einsetzte. Sein hinterlassenes Vermögen wird auf über eine Million Euro geschätzt.[2] Den Nachlass von Tietjen und anderen Gesinnungsgenossen verwaltete Rieger in der Wilhelm Tietjen Stiftung.

Geschichte

Die Gesellschaft wurde am 21. November 2001 als Private Limited Company für den Geschäftsbereich „Advertising“ unter dem Namen „Wilhelm Tietjen Stiftung für Fertilisation Limited“ mit dem Sitz im Vicarage House S44, 58-60 Kensington Church Street in London unter der Registernummer 04326557 beim für diese Rechtsform zuständigen Handelsregister Companies House angemeldet.[3]

Geschäftsführer (director) der britischen Kapitalgesellschaft war seit dem 21. November 2001 der Hamburger Rechtsanwalt Jürgen Rieger. Am 31. Januar 2005 wurde der Firmensitz umgemeldet und nach 44 Southwark Street, London verlegt. Am 15. April 2005 erfolgte die Ummeldung nach Thrale House, London.

Rieger reichte entgegen den britischen gesetzlichen Bestimmungen keinen Geschäftsbericht für das Jahr 2004 ein. Nach mehreren erfolglosen Aufforderungen löschte das Companies House die Gesellschaft am 29. August 2006 aus dem britischen Handelsregister. Das Firmenguthaben und der Firmenbesitz fallen demnach der britischen Krone zu.[4]

Am 25. Oktober 2006 gründete Rieger eine Nachfolgegesellschaft, die „Wilhelm Tietjen Stiftung Limited“, welche anstelle der britischen Krone das Vermögen der gelöschten Gesellschaft übernehmen soll.[4] Die Gesellschaft hat ihren Firmensitz unter der Briefkastenanschrift 2nd floor, West Thrale House, 44-46 Southwark Street in London. Sie trägt die Registernummer 05977830. Die juristische Lage ist unklar. Aus Kreisen des deutschen Verfassungsschutzes hieß es: „Eine Entscheidung darüber dürfte bis zu 20 Jahre dauern.“.[5]

Unabhängig vom Schicksal der Gesellschaft nach britischen Recht hatte das Amtsgericht Jena im März 2007 den Pößnecker CDU-Stadtrat und Rechtsanwalt Alf-Heinz Borchardt als Nachtragsliquidator eingesetzt, der ankündigte, die Immobilien der Wilhelm-Tietjen-Stiftung zu veräußern und keine Veranstaltungen mehr in den Immobilien zu dulden.[6] Der Beschluss des Amtsgerichts wurde jedoch durch das Landgericht Gera aufgehoben. Das Thüringer Oberlandesgericht bestätigte „erhebliche Verfahrensfehler“ und wies das Amtsgericht an, über die Einsetzung eines Nachtragsliquidators neu zu entscheiden.[7] Daraufhin ließ das Amtsgericht Jena die Wilhelm-Tietjen-Stiftung als Restgesellschaft in das Handelsregister eintragen (AG Jena, HRB 502006, 7. November 2007) und bestellte den Erfurter Rechtsanwalt Görge Scheid als Nachtragsliquidator. Ein Verkauf der Immobilien war ohne Zustimmung des Ltd.-Gesellschafters Rieger jedoch nicht möglich, wie das Landgericht Erfurt im April 2008 in einer einstweiligen Verfügung festlegte. Seit Anfang Mai 2008 ist die Gesellschaft wieder aktiv. Die Löschung im britischen Handelsregister wurde aufgehoben. Damit ist die Wilhelm-Tietjen-Stiftung als Eigentümerin der Immobilien wieder existent.

Immobilien

Schützenhaus in Pößneck

Mitte Dezember 2003 wurde das Schützenhaus im thüringischen Pößneck für 360.000 Euro durch Rieger für die Wilhelm-Tietjen-Stiftung erworben. Zu der Immobilie gehören ein Restaurant, eine Diskothek, ein Biergarten sowie ein Festsaal für 500 Personen.[8][9] Der Kauf blieb weitgehend unbeachtet, bis am 2. April 2005 hier im Anschluss an einen Landesparteitag der NPD eines der größten Rechtsrock-Konzerte in Thüringen stattfand. Bei dem vom NPD- Landesvorstand organisierten Landesparteitag mit anschließendem "Kulturteil" traten mehrere Rechtsrock-Bands vor etwa 1.500 Neonazis auf. Michael Regener, Sänger der Neonazi-Band Landser, gab sein Abschiedskonzert vor dem Verbüßen einer mehrjährigen Haftstrafe. Dass die Polizei nicht in der Lage war, das von der Stadt zuvor verbotene Konzert aufzulösen, sorgte bundesweit für Empörung.[10]

Heisenhof in Dörverden

Bekannter wurde die Gesellschaft im Juli 2004, als sie den Heisenhof in Dörverden erwarb und öffentlich bekannt wurde, dass dahinter der Rechtsextremist Jürgen Rieger stand.

Hotelgebäude in Delmenhorst

Seit Ende Juli 2006 war die Gesellschaft bestrebt, das frühere „Hotel am Stadtpark“ in Delmenhorst zu erwerben, um dieses als Schulungszentrum und für Parteitage der NPD zu nutzen. Dagegen hat sich Widerstand von Stadtrat und Teilen der Bevölkerung formiert. Der Streit um den Ankauf des Hotels beschäftigte neben den deutschen Medien auch die britische Presse.[11]

Die Stadt Delmenhorst verhinderte einen Erwerb des Hotels durch die Wilhelm-Tietjen-Stiftung, indem sie es durch ihre Wohnungsbaugesellschaft, die Gemeinnützige Siedlungsgesellschaft, im Dezember 2006 selbst kaufte. Für das Gebäude, das einem Gutachten zufolge nur 1,3 Millionen Euro wert war,[12] zahlte sie drei Millionen Euro. Knapp ein Drittel des Kaufpreises konnten aus privaten Spenden aufgebracht werden.[13] Durch die privaten Spenden und die Beteiligung der Wohnungsbaugesellschaft konnte die Stadt die haushaltsrechtlichen Vorschriften, welche sie zur Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit verpflichten, umgehen und somit einen Preis zahlen, der weit über dem geschätzten Wert der Immobilie lag.[14]

Nach dem Tod Jürgen Riegers

Jürgen Rieger, so dachte man, habe keinen rechtlichen Vertreter für den Falle des Eintretens seines Todes ernannt. Nachdem Jürgen Rieger am 29. Oktober 2009 verstarb, wurde vermutet, dass die Stiftung aufgelöst werde. Zunächst verschwanden wichtige Unterlagen der Stiftung nach Riegers Tod aus dessen Wohnung, was die Klärung der Eigentumsfrage an Riegers Immobilien erschwerte.[15] Inzwischen zeichnet sich ab, dass die rechtsextreme Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung e.V.“ (GfbAEV) zukünftiger Eigentümer beider Anwesen der Tietjen-Stiftung wird.[16]

Einzelnachweise

  1. NDR Online
  2. [1]
  3. Registerauszug Wilhelm Tietjen Stiftung
  4. a b tagesschau.de (nicht mehr online verfügbar) Bericht der Tagesschau vom 4. Oktober 2006 mit Hinweisen auf die Stiftungslöschung; Rieger macht ohne Befruchtung weiter. redok vom 27. Oktober 2006
  5. Der Traum vom Prinzen. Thüringer Allgemeine von 18. Januar 2007
  6. taz vom 19. März 2007: Neonazis ausgetrickst
  7. Martplatz-Recht vom 26. August 2007; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 22. August 2007
  8. Dubiose Immobilienkäufe: rechtsextreme „Fruchtbarkeitsforschung“? redok vom 12. Juli 2004
  9. Thüringer Allgemeine vom 17. Januar 2007 über das Schützenhaus in Pößneck
  10. Nazi-Konzert verpennt. taz vom 5. April 2005
  11. BBC.co.uk, Mail&Guardian-online
  12. taz vom 31. August 2006
  13. Radio Bremen am 21. Dezember 2006, Presseerklärung der Stadt Delmenhorst
  14. Der Spiegel vom 6. Oktober 2006
  15. Quelle: Ad-hoc-News
  16. Blick nach rechts, Ausg. 4/2010

Weblinks

  • radiobremen.de - Mehrere Artikel über die Aktivitäten der Wilhelm-Tietjen-Stiftung in Delmenhorst
  • delmenhorst.de - Netzauftritt der Stadt Delmenhorst mit Stellungnahmen der Stadt und Link zur Bürgerinitiative Für Delmenhorst
  • keine-nazischule-in-delmenhorst.de- Informationsportal einer Bürgerinitiative gegen den Verkauf des Delmenhorster Hotels am Stadtpark an Neonazis

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