Wissenschaftsbetrieb

Wissenschaftsbetrieb

Wissenschaftsbetrieb ist, zunächst wertneutral, im Unterschied zum herkömmlichen Normbegriff der Wissenschaft (→Wissenschaftstheorie) die Gesamtheit der von Bürgern, Staat und Unternehmungen geschaffenen und finanzierten, international verflochtenen Einrichtungen von Wissenschaft oder Wissenschaftsinstitutionen, in denen sich wissenschaftliche Forschung alltäglich vollzieht, mit ihren administrativen Regeln und bürokratischen Routinen.

In einer weiteren, eher kritisch-subtextuellen, Bedeutung wird als Wissenschaftsbetrieb (als Betriebsamkeit vom Wissenschaftlern) alles im alltäglichen Forschungsprozess außerhalb der wissenschaftlichen Erkennis(gewinnung) selbst liegende soziale Handeln (Tun, Dulden, Unterlassen), vor allem Personal- und Mikropolitik, Veröffentlichungspraxis, Staats- und/oder Drittmittelförderung, Lehre/Ausbildung, Infrastruktur, Mittelverteilung angesprochen.

Das Wort Wissenschaftsbetrieb verdrängte im 20. Jahrhundert den Begriff der Gelehrtenrepublik (lat. res publica literaria). Noch im 19. Jahrhundert wurde der Wissenschaftsbetrieb auch in Deutschland in erster Linie als republikanisch organisierte Gemeinschaft der Forschenden verstanden.

Der englische Begriff scientific community (Wissenschaftsgemeinde, genauer: Gemeinschaft von Wissenschaftlern) drückt auch heute noch den Aspekt einer Gemeinschaft der Forschenden und ihrer speziellen Handlungsformen aus.

Der deutsche Begriff, der sich inzwischen weitgehend durchgesetzt hat, betont neben einer Institutionalisierung und Ökonomisierung der Wissenschaft, die sich im 19. und 20. Jahrhundert entwickelten, auch die Alltäglichkeit der Forschung im Kontext von gesellschaftlicher Organisiertheit (→Wissenschaftssoziologie).

Der Naturwissenschaftler (Chemiker) und Schriftsteller Carl Djerassi bezeichnete den nicht nur empirischen, sondern strukturellen Widerspruch zwischen wissenschaftlichem Erkenntnisprozess (als selbstloses Streben nach Wahrheit) und der Organisation der Wissenschaftlergemeinde (in Form des Wissenschaftsbetriebs) als zwei Seiten derselben Medaille. Im Postscript seines Satireromans "Cantor´s Dilemma" (1989) kennzeichnete Djerassi Wissenschaft als beides zugleich (Cantor´s Dilemma. A Novel; Penguin, ²1991, p. 229) und den Doppelcharakter von Wissenschaft so:

"Science is both disinterested pursuit of truth and a community, with its own customs, its own social contract." [1]

Der deutsche Anglist und Schriftsteller Dietrich Schwanitz hat in seinem zweiten Roman Der Zirkel (1998) ein satirisch-ätzendes Zeit- und "Sittenbild" der Wissenschaftsbetriebsamkeit im gesamtdeutschen Universitätssystem der 1990er Jahre gezeichnet, in dem dieser gesellschaftliche Bereich als letztlich unreformierbar erscheint.

Einzelnachweise

  1. Carl Djerassi, "Cantors Dilemma. A Novel" [1989]; Penguin, ²1991, p. 229; deutsch etwa: „ Wissenschaft bedeutet sowohl selbstloses Streben nach Wahrheit als auch eine Gemeinschaft mit ihren eigenen Sitten und Gebräuchen, Vorstellungen und Gesetzen.

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