Wittorf-Affäre

Wittorf-Affäre

Die Wittorf-Affäre war eine Unterschlagungsaffäre, die dadurch ausgelöst wurde, dass der KPD-Funktionär John Wittorf (1894–1981) während des Wahlkampfes zur Reichstagswahl 1928 sich 1.500 bis 3.000 Reichsmark aus der Wahlkampfkasse aneignete. Der KPD-Vorsitzende sowie Freund und Förderer Wittorfs, Ernst Thälmann, wusste um die Unterschlagung, verschwieg sie aber aus wahlkampftaktischen Motiven.[1] Nachdem Gerüchte über die Unterschlagungen in die Presse durchgesickert waren, schloss das ZK der KPD am 26. September 1928 Wittorf und drei weitere Hamburger Funktionäre aus der Partei aus. Thälmann wurde gezwungen, seine Parteiämter vorläufig niederzulegen.

Die Absetzung Thälmanns passte jedoch nicht in die Pläne Stalins, der bereits 1925 für eine Stärkung von Thälmanns Positionen sorgte, um mit seiner Hilfe den „ultralinken“ KPD-Kurs Ruth Fischers und Arkadi Maslows zu bekämpfen. Stalin wollte Thälmann weiterhin als bewährten Verbündeten behalten, um die KPD von rechten und linken Tendenzen zu säubern. In einem Telegramm an Molotow vom 1. Oktober 1928 sprach Stalin sich für Thälmann aus: Dessen Beweggründe seien „uneigennützig“ gewesen. „Keinerlei mildernde Umstände“ sah Stalin hingegen in Bezug auf die ZK-Mitglieder und „VersöhnlerArthur Ewert und Gerhart Eisler, die seiner Meinung nach ihre fraktionellen Interessen über die der Partei und der Komintern gestellt hätten.

Stalins Haltung wurde zur Handlungsmaxime: Bereits am 6. Oktober 1928 fasste das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale einen Beschluss, in dem sie Thälmann „das volle politische Vertrauen“ aussprach. Schließlich beschloss das ZK der KPD am 20. Oktober 1928, auf Druck aus Moskau und nach hartnäckigem Widerstand einiger namhafter Funktionäre, die Reinstallierung Thälmanns als Parteivorsitzenden.

In ihrer Tragweite bedeutete die Wittorf-Affäre einen finalen Schritt zur Stalinisierung der KPD und eine endgültige Manifestation der Ausdehnung Stalinscher Kaderpolitik auf ausländische kommunistische Parteien. Dabei stützte sich der sowjetische Führer auf loyale „Aufsteiger“, um tatsächliche und vermeintliche politische Widersacher auszuschalten. Die Diskussion in der Komintern um die Absetzung und Reinstallierung Thälmanns hatte weitreichende Konsequenzen für andere kommunistische Parteien, darunter die KP Italiens.

Anmerkungen

  1. Krejsa, Michael: Wo ist John Heartfield? In: Günter Feist, Eckhart Gillen, Beatrice Vierneisel (Hrsg.): Kunstdokumentation SBZ/DDR 1945-1990. DuMont, Köln 1996, S. 112.

Literatur

  • Friedrich Firsow: Das Eingreifen Stalins in die Politik der Kommunistischen Partei Deutschlands. In: Klaus Schönhoven, Dietrich Staritz (Hrsg.): Sozialismus und Kommunismus im Wandel. Hermann Weber zum 65. Geburtstag. Bund, Köln 1993, S. 174–187.
  • Michael Krejsa: Wo ist John Heartfield? In: Günter Feist, Eckhart Gillen, Beatrice Vierneisel (Hrsg.): Kunstdokumentation SBZ/DDR 1945-1990. DuMont, Köln 1996, ISBN 3-7701-3846-5.
  • Hermann Weber, Bernhard H. Bayerlein (Hrsg.): Der Thälmann-Skandal. Geheime Korrespondenzen mit Stalin. Aufbau, Berlin 2003, ISBN 3-351-02549-1.
  • Hermann Weber: Die Wandlung des deutschen Kommunismus. Die Stalinisierung der KPD in der Weimarer Republik. 2 Bände. Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1971, ISBN 3-434-45008-4.

Weblinks


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