Wladimir Georgijewitsch Sorokin

Wladimir Georgijewitsch Sorokin
Wladimir Sorokin bei einer Lesung während der Lit.Cologne 2006 in Köln

Wladimir Georgijewitsch Sorokin (russisch Владимир Георгиевич Сорокин, wiss. Transliteration Vladimir Georgievič Sorokin; * 7. August 1955 in Bykowo bei Moskau) ist ein russischer Schriftsteller und Dramatiker. Sorokin gilt als „Konzeptualist“ der russischen Literatur und war in der Vergangenheit heftigen Angriffen von regierungsnahen politischen Organisationen ausgesetzt.[1]

Inhaltsverzeichnis

Leben

Sorokin studierte am Moskauer Gubkin-Institut der Erdgas- und Erdölindustrie sowie am Institut für Chemie. Nach Abschluss der Ingenieursausbildung arbeitete er ein Jahr lang für die Zeitschrift „Wechsel“ („Смена“), bevor die Weigerung, dem Komsomol beizutreten, zu seiner Entlassung führte. Sorokin beschäftigte sich mit Buchgraphik, Malerei und Konzeptkunst und nahm an zahlreichen Ausstellungen teil. Er gestaltete und illustrierte etwa 50 Bücher. Die ersten eigenen literarischen Gehversuche machte er zu Beginn der 1970er-Jahre. 1972 debütierte er als Dichter in der auflagenstarken Zeitung „Für die Erdölindustrie“ („За кадры нефтяников“).

In den 1980er-Jahren zählte er zum „Moskauer Underground“. 1985 wurden in der Pariser Zeitschrift („А-Я“) sechs Erzählungen Sorokins nachgedruckt. Im selben Jahr erschien bei Syntaxe in Frankreich der Roman „Die Schlange“ („Очередь“).

In sowjetischen Zeiten stand Sorokin dem Moskauer Kreis der Konzeptualisten nahe und publizierte im Samisdat. Die erste Publikation in der UdSSR geschah im Jahr 1989, als Sorokin in der Novemberausgabe der Zeitschrift „Quelle“ („Родник“) einige Erzählungen veröffentlichte. In der Folge erschienen „Dritte Modernisierung“ („Третья модернизация“) und „Ende des Jahrhunderts“ („Конец века“).

Im März 1992 wurde Sorokin einem größeren Leserkreis bekannt, als in der Zeitschrift „Kinokunst“ («Искусство кино») der Roman „Die Schlange“ und im Moskauer Verlag „Russlit“ („Русслит“) ein Erzählband erschienen. Zudem wurde das Manuskript „Die Herzen der Vier“ („Сердца четырёх“) veröffentlicht.

Seine Bücher sind gegenwärtig in 22 Sprachen übersetzt. Wladimir Sorokin lebt in Moskau, ist verheiratet und Vater von Zwillingstöchtern.

Kontroverse

Sorokin wird neben Wiktor Pelewin und Wiktor Jerofejew als einer der drei Hauptvertreter der russischen Postmoderne angesehen und gilt als einer der schärfsten Kritiker der politischen Eliten Russlands.[2] Seine Erzählungen und Romane bedienen sich unterschiedlicher Stilformen. In seinen Werken parodiert Sorokin die Stilistik des sozialistischen Realismus und kombiniert sie mit Gewaltdarstellungen und Elementen sowjetischer Mythologie.

Sorokins Themen haben unter der Leserschaft wiederholt Differenzen hervorgerufen. Insbesondere die Jugendbewegung Iduschtschije Wmeste („Gemeinsamer Weg“) initiierte eine Reihe von Aktionen, die sich gegen das Wirken Sorokins richteten, und bemühte 2002 auch die Gerichte, wobei sich der Autor dem Vorwurf der Pornographie ausgesetzt sah.[3] Der Rechtsstreit endete zu Gunsten Sorokins;[4] der russische Kulturminister Michail Schwydkoi hatte sich schon früh gegen die Zensur-Versuche ausgesprochen.[5] Warf die Iduschtschije Wmeste Sorokins Bücher noch symbolisch ins „Klo“, verbrannte sie, nunmehr als Jugendorganisation Naschi, jene in der Folge sogar öffentlich.[6]

Im Frühjahr 2005 wurde der Kulturausschuß der Duma durch diese legitimiert, gegen die Uraufführung der Oper Rosenthals Kinder (Musik: Leonid Desjatnikow, Libretto: Wladimir Sorokin) am Bolschoi-Theater eine Untersuchung einzuleiten. Protagonisten der Oper sind u. a. ein Genforscher, eine Reihe von Prostituierten und Klone der verstorbenen Komponisten Mozart, Verdi, Mussorgski, Wagner und Tschaikowski.[1]

Die russische Zeitung Moskowski Komsomolez nannte den Autor noch 2010 nach der Verleihung des Gorki-Preises einen Revolutionär, der auf der Suche nach neuen literarischen Formen sei. Allerdings könnten die meisten Russen wenig anfangen mit Wladimir Sorokin und seiner Moderne.[7]

Bibliographie

Eis-Trilogie

Romane

  • Norma (Норма), 1979–1984
  • Roman (Роман), 1984 oder 1999(?)
  • Marinas dreißigste Liebe (Тридцатая любовь Марины), 1982-1984 oder 1995(?)
  • Die Schlange (Очередь), 1985
  • Die Herzen der vier (Сердца Четырех), 1992 oder 1994(?)
  • Der himmelblaue Speck (Голубое Сало), 1999 oder 2000 (Volltext russisch)
  • Das Bankett (Пир), 2000
  • Ein Monat in Dachau
  • Pelmeni / Hochzeitsreise
  • Der verzauberte H.H.
  • Der verbundene Dorn
  • In die Tiefe Russlands
  • Vorfall auf der Straße
  • Auf der Durchreise
  • Der Obelisk
  • Die Russische Großmutter
  • Normale Briefe
  • Москва (2001)
  • LJOD Das Eis (Лёд), 2002 (deutsch 2005. ISBN 3-8333-0298-4)
  • BRO (Путь Бро), 2004 (deutsch 2006. ISBN 3-8270-0610-4)
  • Der Tag des Opritschniks, 2006 (deutsch 2007. ISBN 3-462-03923-7)

Kurzgeschichten, Essays

  • Birkhahn (Тетерев), 1969
  • Äpfel (Яблоки), 1969
  • Umzingelt (Окружение), 1980
  • Ein Monat in Dachau (Месяц в Дахау), 1994, Gedicht in Prosa
  • Lazurnata Mass (Лазурната мас), 2000
  • Moskauer Eros (Эрос Москвы), 2000, Essay
  • Schneemann (Снеговик), 2001
  • Hiroshima (Хиросима), 2001
  • Blick auf morgen. Godzilla's Gebrüll und Geschrei Pikachu (Вид на завтра. Рев Годзиллы и крик Пикачу), 2004, Essay
  • Küche (Кухня), 2005
  • Herz, bitte (Сердечная), просьба 2005
  • Ziel (Мишень), 2005
  • Schwarzes Pferd mit weißem Auge (Черная лошадь с белым глазом), 2005
  • Wellen (Волны), 2005
  • Zucker-Kreml (Сахарный кремль), 2008 (deutsch: Der Zuckerkreml – Erzählungen, übersetzt von Andreas Tretner, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010. ISBN 978-3-462-04226-9)
  • Der Schneesturm (Метель), 2010

Theaterstücke

  • Der Unterstand, UA: Theatergruppe Schule der russischen Anmaßung, Moskau, 1993. R: Vadim Sakevic
  • Die russische Großmutter, UA: Schauspiel Leipzig, 2001. R: Sascha Bunge
  • Vertrauen
  • Gutes Neues Jahr
  • Dysmorphomanie, UA: das schauspielhaus, Wien, 1996. R: Christian Stückl
  • Ein Monat in Dachau, UA: Düsseldorfer Schauspielhaus, 1996. R: Dimiter Gotscheff
  • Das Jubiläum, UA: Staatsschauspiel Dresden, 1994. R: Carsten Ludwig
  • Pelmeni, UA: St. Petersburg, 1992. DE: Münchner Kammerspiele, 1997. R: Peter Wittenberg
  • Hochzeitsreise, UA: Volksbühne Berlin, 1995. R: Frank Castorf
  • Krautsuppe, tiefgefroren, UA: Staatstheater Cottbus, 1999. R: Michael Hase
  • Dostojevskij Trip, DE: Bremer Theater, 2001. R: Marlon Metzen
  • Libretto zur Oper Дети Розенталя (Rosenthals Kinder)

Film-Drehbücher

  • Verrückter Fritz (Безумный Фриц), 1994. Regisseure: Tatiana Didenko und Alexander Shamaysky.
  • Moskau (Москва), 2001. Regisseur: Alexander Zeldovich. Erster Preis des Filmfestivals Bonn; Preis der Federation of Russian Film-Clubs für den besten russischen Film des Jahres.
  • Kopeke (Копейка), 2002. Regisseur: Ivan Dykhovichny. Nominiert für den Zolotoy Oven-Preis für das beste Drehbuch.
  • 4 / Vier (4 / Четыре), 2004. Regisseur: Ilya Khrzhanovsky. Großer Jury-Preis am Internationalen Film Festival Rotterdam.
  • Das Ding (Вещь). Regisseur: Ivan Dykhovichny. (Unvollendet, da der Regisseur während der Produktion gestorben ist.)
  • Die Falle (Ловушка), 2009. Regisseur: Alexander Schurikhin.
  • Dau (Дау), 2010.

Auszeichnungen

1996 wurde die Hörspielfassung seines Romans Hochzeitsreise mit dem Hörspielpreis der Akademie der Künste ausgezeichnet.

Im Jahr 2001 erhielt Wladimir Sorokin den russischen Booker-Preis und den russischen Andrei Bely-Preis (Премия Андрея Белого) für Verdienste um die russische Literatur.

Im Jahre 2005 wurde er mit dem russisch-amerikanischen Liberty-Preis ausgezeichnet und vom deutschen Kulturministerium geehrt. Er erhielt den französischen Ordre des Arts et des Lettres und ist Mitglied des russischen P.E.N.

Am 1. Oktober 2010 erhielt Wladimir Sorokin den mit 25.000 Euro dotierten Gorki-Preis.

Einzelnachweise

  1. a b Christine Engel: Der Kampf um die Deutungsmacht als inszenierter Skandal – Vladimir Sorokin im Bol'šoj–Theater, in: Stefan Neuhaus, Johann Holzner (Hrsg.): Literatur als Skandal – Fälle - Funktionen - Folgen. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007, S. 707–717
  2. Vladimir Sorokin. Internationales Literaturfestival Berlin (2010). Abgerufen am 16. November 2011.
  3. Interview mit Wladimir Sorokin im Spiegel vom 6. August 2002; Erste Niederlage für Sorokin" - Spiegel vom 29. Aug.2002
  4. Schriftsteller Vladimir Sorokin freigesprochen - Spiegel vom 25. Apr.2003
  5. Regierung distanziert sich von Literaturzensur - Spiegel vom 21. Jan. 2002
  6. APA (1. Oktober 2010): Gorki-Preis an Vladimir Sorokin. Der Standard, Wien. Abgerufen am 2. Oktober 2010.
  7. MK (1. Oktober 2010): Сорокину отдали задолженное. Moskowski Komsomolez. Abgerufen am 2. Oktober 2010.

Weblinks

 Commons: Vladimir Sorokin – Album mit Bildern und/oder Videos und Audiodateien



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