Wohltätige Ereignis

Wohltätige Ereignis
Sultan Murads IV. Kammerherr im Kreise der Janitscharen

Die Janitscharen (Einzahl der Janitschar, türkisch Yeniçeri, „neue Truppe“) waren im Osmanischen Reich die Elitetruppen der Infanterie. Sie stellten auch die Leibwache des Sultans und erreichten oft höchste Positionen im osmanischen Staatswesen. Die Truppen haben ihren Ursprung im 14. Jahrhundert und wurden 1826 aufgelöst.

Inhaltsverzeichnis

Ursprung

Sultan Orhan I. gilt als Vater der sogenannten "neuen Truppe", der Yeniçeri, die im aufkommenden Osmanischen Reich des Jahres 1330 gegründet wurde. Die Idee dahinter war ausreichend Soldaten für die neuen Kriegszüge der Osmanen zu finden, da das eigene Volk nicht immer ausgereicht hätte, um ein Heer zu stellen, das größere Teile der Welt unterwerfen hätte können. Jeder neue Kriegszug brachte jedoch neue Kriegsgefangene ein, unter denen sich kräftige, junge Männer befanden, die für den Waffendienst geeignet wären. Den Makel, dass diese Männer der falschen Religion anhingen beseitigte Orhan, indem er den Christen ihre Kinder wegnahm, sie von Angehörigen eines nach dem heiligen Hadschi Bektasch benannten Derwisch-Ordens zu fanatischen Muslimen erziehen ließ und sie dann seiner neuen, ebenfalls einem Orden gleichenden Einheit eingliederte.[1]

Die Janitscharen wurden anfänglich nach dem Vorbild der Mamluken gebildet, überwiegend aus Christen, die meistens nicht freiwillig dem Korps beitraten, sondern durch die Knabenlese im kindlichen Alter aus dem Kaukasus und dem Balkan verschleppt und zum Islam zwangskonvertiert wurden. Oftmals versuchten islamische Eltern aus den Unterschichten ihre Kinder einzuschmuggeln, um ihnen so eine bessere Zukunft im Dienste des Sultans zu ermöglichen.

Ein weiteres Vorbild für Orhan könnten die Futuwa-Gruppen gewesen sein, die im 13. und 14. Jahrhundert in anatolischen Städten als Sufi-Männerbünde entstanden. Die Janitscharen wurden die erste stehende Armee des Osmanischen Reiches und ersetzten die aus Stammeskriegern zusammengesetzten Truppen, auf deren Loyalität und Moral man nicht vertraute.

Ausbildung und Lebensweise

Sitzender Janitschar,
Zeichnung von Gentile Bellini um 1480

Die ersten Janitscharen-Einheiten umfassten noch Kriegsgefangene und Sklaven. Ab 1438 wurden sie systematisch zwangsrekrutiert, wobei hauptsächlich vom Balkan – vor allem aus Serbien und Bosnien – stammende christliche Jungen ausgewählt und zur Erziehung, Ausbildung und Zwangs-Islamisierung in das Osmanische Reich gebracht wurden. Üblicherweise wurde jeder 40. Junge im Alter zwischen 7 und 14 ausgewählt, die Anzahl wurde aber je nach Bedarf geändert. In späteren Jahrhunderten wurden neben Jungen aus Serbien und Bosnien auch Albaner, Rumänen und Bulgaren bevorzugt, schließlich aber auch Griechen und Ungarn.

Janitscharen wurden unter strikter Disziplin und harter Arbeit in acemi-oglan-Schulen ausgebildet, wo sie dem Zölibat unterworfen waren und islamisiert wurden. Im Gegensatz zu freien Moslems durften sie nur einen Schnurrbart und keinen Vollbart tragen. Die Janitscharen gehörten als Armee dem Sultan und wurden so erzogen, dass sie das Korps als ihre Heimat und Familie und den Sultan als ihren Vater anerkannten. Nur diejenigen, die sich als stark genug herausstellten, verdienten sich den Rang eines echten Janitscharen im Alter von 24 bis 25 Jahren. Das Eigentum verstorbener Mitglieder ging auf das Regiment über.

Religiös orientierten sich die Janitscharen an den Lehren des Mystikers Hadschi Bektasch, der im 14. Jahrhundert die ersten Truppen gesegnet hatte, und an dem nach ihm benannten Orden der Bektaschi-Derwische. Die spezielle weiße Kopfbedeckung der Janitscharen (die "Keçe") symbolisiert den Ärmel des Hadschi Bektasch und zeigt die Verbundenheit zu dessen Lehren. Darin und in ihrem abgeschiedenen Leben in Kasernen ähnelten sie den christlichen Ritterorden wie dem Malteserorden.

Das Janitscharen-Korps

Die Janitscharen lebten ausschließlich für den Krieg. Sie heirateten nicht, sie hatten keinen Besitz und bezogen außer regelmäßigen Mahlzeiten so gut wie keinen Sold. Da die Janitscharen rechtlich als Sklaven galten war der Sold vornehmlich von symbolischem Wert und stammte direkt aus der Kasse des Herrschers. Die Bataillonskommandeure der Truppe führten den bezeichnenden Titel "Tschorbatschi-Baschi" (dt. Chefsuppenkoch). Die Rangabzeichen aller Offiziere setzten sich aus gekreuzten Löffeln zusammen; vier davon kennzeichneten etwa den "Aschdschi-Baschi", den Chefkoch oder Kompanieführer. Anstelle von Standarten wurden den Janitscharen mächtige Suppenkessel vorangetragen, auf dem Kopf trugen sie eine kegelförmige, von einem Turban umwundene Filzkappe der Bektaschi-Mönche, ihre Beine steckten in hohen Schaftstiefeln, ihre wichtigste Waffe war der Doppelbogen, mit dem sie achthundert Meter weit zu schießen vermochten. Die Janitscharen machten die Infanterie aus, während die Sipahi die Kavallerie ausmachten. Ähnlich wie die fränkischen Reiter Karls des Großen fand sich die ganze Streitmacht des Sultans Jahr für Jahr auf dem Märzfeld ein, um zu erfahren, wohin der nächste Feldzug führen würde.[1]

Die volle Stärke der Janitscharen-Truppe stieg von ungefähr 100 bis auf mehr als 200.000. Das Korps wurde in Kompanien (orta) mit 200–400 Männern organisiert. Süleyman der Prächtige hatte 165 Ortas, später stieg die Anzahl auf 196. Der Sultan hatte das Oberkommando, geführt und organisiert wurde das Korps aber – nach der Einrichtung des Amtes durch Selim I. im Jahre 1515 – vom Ağa. Das Korps war in drei Divisionen (viz) unterteilt, den cemaat (Grenztruppen) mit 101 Ortas, den bölük (Leibgarde) mit 61 Ortas und den sekban oder seirnen mit 34 Ortas. Zusätzlich gab es 34 Ortas mit acemi (Auszubildende). Ursprünglich konnten die Janitscharen nur innerhalb ihrer Orta aufsteigen, und konnten ihre Einheit nur verlassen, indem sie das Kommando einer anderen annahmen. Sie durften nur von ihren eigenen Vorgesetzten bestraft werden. Die Namen ihrer Ränge entsprachen denen des Küchenpersonals und der Begleiter des Sultans auf der Jagd.

In den ersten Jahrhunderten waren die Janitscharen Bogenschützen, sie benutzten aber Feuerwaffen, sobald sie verfügbar waren. Im Nahkampf verwendeten sie Beile, Säbel und Jatagane.

Das Osmanische Reich setzte die Janitscharen in allen größeren Feldzügen ein, so 1453 bei der Eroberung Konstantinopels, dem Sieg über die ägyptischen Mamluken und den Kriegen gegen Österreich. Dabei erwarben sie sich bald den Ruf, außerordentlich grausam gegen ihre Feinde zu sein. Die Janitscharentruppen wurden immer vom Sultan selbst in die Schlacht geführt und bekamen einen Anteil an der Beute.

Verfall und Revolten

Die Janitscharen wurden sich allmählich ihrer Wichtigkeit bewusst. Im Jahr 1444 revoltierten sie in Edirne (Adrianopel) und forderten die Rückkehr Sultan Murads. Hierbei gibt es je nach Quelle zwei Versionen: Entweder musste Sultan Murad zuvor nach einer verlorenen Schlacht abdanken, sein Sohn Mehmed war zum Zeitpunkt der Revolte der neue Sultan, oder Mehmed fungierte nur als Statthalter Sultan Murads, der einen Feldzug in Anatolien befehligte. Jedenfalls setzten sie sich durch, Murad kehrte zurück und sein Sohn bestieg erst 1451 als Mehmed II den Thron. Im Jahr 1449 rebellierten sie ein weiteres Mal und verlangten eine bessere Bezahlung, die sie auch bekamen. Nach 1451 musste jeder neue Sultan allen Janitscharen eine Belohnung geben und ihren Lohn verbessern. Sultan Selim II. gab ihnen 1566 die Erlaubnis zu heiraten. Immer mehr muslimische türkische Familien brachten ihre eigenen Söhne in den Truppen unter, da diese ein hohes Ansehen genossen. 1683 konnte die Knabenlese abgeschafft werden.

Damit ging aber auch eine Änderung des Selbstbewusstseins der Janitscharen einher. Waren sie anfänglich dem Sultan gegenüber gehorsam und loyal, konnten sie nun selbst wesentlichen Einfluss auf die Regierung ausüben. Sie meuterten, diktierten die Politik und verhinderten Bemühungen, die Struktur der Armee zu modernisieren. Durch Staatsstreiche ersetzten sie unliebsame Sultane durch andere. Sie machten sich selbst zu Landbesitzern und Geschäftsleuten. Die Söhne von Truppenangehörigen mussten nicht mehr obligatorisch die harte Ausbildung in den acemi oglan durchlaufen.

Als die Janitscharen praktisch Geld vom Sultan erpressen konnten und das Geschäfts- und Familienleben die Hingabe an den Kriegsdienst ersetzte, nahm auch ihre Wirksamkeit als Kampftruppe ab. Die Nordgrenze des Reichs verschob sich nach der Schlacht am Kahlenberg 1683 immer mehr nach Süden. Die Janitscharen widersetzten sich allen Ansätzen, die Armee zu reformieren und ermordeten 1622 Sultan Osman II., als er plante, sie zu ersetzen. 1807 revoltierten sie und setzten Selim III. ab, der mit Hilfe europäischer Ausbilder die Armee zu modernisieren versuchte. Bevor seine Anhänger die Macht wieder an sich ziehen konnten, ließ ihn Mustafa IV. töten und setzte 1808 Mahmud II. auf den Thron. Wiederum drohten die Janitscharen, Mahmud zu verdrängen, der gehorchte und Mustafa hinrichten ließ. Er brauchte ein Jahrzehnt, um seine Position zu festigen.

Im April 1810 setzten die Janitscharen in Galata 2000 Häuser in Brand, und im Frühjahr 1811 waren zwei Regimenter in ein Gefecht in Istanbul verwickelt. 1826 waren sie an der Niederschlagung von Aufständen in Griechenland beteiligt.

Das sogenannte „Wohltätige Ereignis“

Schließlich entschied Mahmud II., die Janitscharen aufzulösen. Als bekannt wurde, dass der Sultan eine neue Armee bildete, rebellierten sie am 14./15. Juni 1826. Dieses Mal stellten sich allerdings die Bevölkerung und große Teile der Armee gegen sie. Dem Sultan gegenüber loyale Truppen drängten sie in ihre Quartiere zurück. Die Artillerie feuerte fünfzehn Salven in die Kasernen, weswegen viele Janitscharen verbrannten. Überlebende wurden hingerichtet oder verbannt. Zwei Jahre später ließ Mahmud II. den letzten verbliebenen Besitz der Janitscharen beschlagnahmen. Der Sultan bezeichnete diese Ereignisse als Vaka-i Hayriye (dt.: Wohltätiges Ereignis).

Bekannte Janitscharen

Literatur

  • Annemarie Schimmel: Der Islam. Eine Einführung., Stuttgart 1990, ISBN 3-15-008639-6
  • Godfrey Goodwin: The Janissaries. Saqi Books, London 1997, ISBN 0-86356-055-5.
  • Nahoum Weissmann : Les Janissaires - Etude de l'organisation militaire des Ottomans , Paris ,Libr. Orient, 1964
  • David Nicolle: The Janissaries. Osprey, Oxford 1995, ISBN 1-85532-413-X.
  • Gerhard Schweizer: Die Janitscharen: geheime Macht des Türkenreiches. - Bergland-Buch, Salzburg 1984, ISBN 3-7023-0098-8.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. a b Gerhard Herm: Der Balkan. Das Pulverfaß Europas. Econ Verlag GmbH, Düsseldorf / Wien / New York / Moskau, 1993, S. 159, ISBN 978-3430144452

Weblinks


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