Benedetto Craxi

Benedetto Craxi
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Italienische Aussprache

Bettino Craxi (eigentlich Benedetto Craxi, * 24. Februar 1934 in Mailand; † 19. Januar 2000 in Hammamet, Tunesien) war ein italienischer Politiker.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Craxi wurde 1953 Mitglied des Partito Socialista Italiano PSI (Sozialistische Partei Italiens). Sein Studium der Geschichte brach er ab und wurde früh politisch aktiv. Von 1960 bis 1970 war er als Stadtrat von Mailand tätig. Er galt als von Pietro Nenni geförderter Jungreformer („Jungtürke“), wurde 1965 Parteisekretär des PSI der Lombardei, eine Funktion, die er 1968 niederlegte, als er Mitglied der Abgeordnetenkammer wurde.

Craxi gewährte der Spanischen Sozialistischen Partei PSOE am Ende der Diktatur Francisco Francos und dem tschechoslowakischen oppositionellen Exilpolitiker und Herausgeber von Listy Jiří Pelikán logistische Unterstützung. Die RAI grub seltene Fotos Craxis von seinem Versuch aus, am Grab von Salvador Allende Blumen niederzulegen.

Craxi verdankte seinen Aufstieg in seiner Partei nicht zuletzt dem Umstand, dass die italienische Politik über Jahrzehnte vorwiegend darum kreiste, den Partito Comunista Italiano PCI (Kommunistische Partei Italiens) aus der Regierung fern zu halten, obwohl die Zusammenarbeit mit den Kommunisten in allen Parteien, insbesondere im PSI Befürworter besaß und der PCI die dynamischste aller italienischen Parteien war. Auch die Democrazia Cristiana (DC) hatte in Aldo Moro einen Befürworter des Compromesso storico (dt. Historischer Kompromiss). Seine eigene Partei PSI hatte sich nach dem Rücktritt Nennis in verschiedene Flügel zerstritten und deshalb nur eine vergleichsweise untergeordnete Stellung als Juniorpartner der Democrazia Cristiana inne.

Generalsekretär der PSI

1969 wurde Craxi Vizesekretär des PSI. Als Verfechter eines reformistischen Sozialismus stieg er 1976 zum Generalsekretär des PSI auf, ein Amt, das er bis 1993 bekleidete. Die alte Garde der Partei ermöglichte den Repräsentanten der Strömungen die zeitweilige Herrschaft in der Partei und erwartete auch von Craxi nur ein Intermezzo. Craxi versuchte jedoch den PSI nach dem Vorbild des Godesberger Programms der deutschen SPD umzugestalten, bekannte sich zum Reformismus, vergrößerte den Abstand der Sozialisten zu den italienischen Kommunisten und brach im April 1983 kurzzeitig die Dauerkoalition mit der DC, womit er das Stigma des ewigen Juniorpartners der DC los wurde. Filmstars und Modedesigner wurden Parteitagsgäste.

Das Resultat war eine Stimmenzunahme für Craxis Partei zu Lasten der seit 1945 ununterbrochen regierenden DC. Der PSI verdoppelte seinen Stimmenanteil von ehemals ca. 7 % zu Beginn der 1980er Jahre innerhalb eines Jahrzehnts. Es gelang ihm 1983 erfolgreich, das Amt des italienischer Ministerpräsidenten für sich zu beanspruchen, wurde am 22. Juli 1983 von Staatspräsident Sandro Pertini mit der Regierungsbildung beauftragt, das er dank seiner Managerqualitäten bis 1987 länger ununterbrochen innehatte, als die meisten italienischen Regierungschefs nach dem Zweiten Weltkrieg. Während seiner Amtszeit wurde Italien fünftgrößte Industrienation und beanspruchte erfolgreich die Mitgliedschaft im Club der damaligen G7.

Ohne Rücksicht auf die Partikularinteressen seiner Koalitionspartner erzwang er angesichts einer zweistelligen Inflationsrate Entscheidungen, darunter die Abschaffung der inflationstreibenden scala mobile, der automatischen Lohnanpassung an die Inflationsrate. Daraus resultierten jedoch auch häufige langanhaltende Streiks vor allem im Öffentlichen Dienst Italiens. Während seiner Amtszeit stieg die Verschuldung der italienischen Öffentlichen Hand steil an, die er als wichtige Ursache der Inflation brandmarkte. Craxi dominierte die italienische Politik während der 1980er-Jahre. Er befürwortete entschieden die NATO-Nachrüstung und die Aufstellung von US-Mittelstreckenraketen in Italien. 1984 wurde das Konkordat zwischen dem Vatikan und der Republik Italien unterzeichnet, mit dem der Katholizismus als Staatsreligion in Italien abgeschafft wurde. Das vom PCI angestrengte Referendum zur Fortsetzung der scala mobile endete im Juni 1985 mit einem Sieg für Craxi und einer Niederlage für die Kommunisten.

Sigonella-Zwischenfall

Als im Oktober 1985 palästinensische Freischärler das italienische Kreuzfahrtschiff Achille Lauro gekapert und dabei den gehbehinderten US-amerikanischen Passagier jüdischer Abstammung Leon Klinghoffer erschossen hatten, handelte die italienische Regierung einen freien Abzug der Terroristen auf dem zuletzt in ägyptischen Gewässern liegenden Schiff gegen die Unversehrtheit der übrigen Passagiere und Besatzungsmitglieder aus. Der US-amerikanischen Regierung unter Präsident Ronald Reagan, die die Täter vor ein US-amerikanisches Gericht stellen wollte, gelang jedoch die Identifizierung des ägyptischen Verkehrsflugzeugs, das die vier Entführer und zwei Angehörige der Palästinensischen Befreiungsfront aus Ägypten ausflog, die als Vermittler aufgetreten waren, darunter deren Chef Abu Abbas. Drei Jagdflugzeuge der US-Navy zwangen das Flugzeug daraufhin zur Landung auf dem Nato-Luftwaffenstützpunkt Sigonella auf Sizilien. Gleichzeitig wurden Spezialkräfte eingeflogen. Die italienische Flugsicherung wurde getäuscht und die italienische Regierung nicht informiert. Italienische Luftwaffensoldaten und Militärpolizei hinderten die Amerikaner zunächst an weiteren Maßnahmen. Bettino Craxi ordnete schließlich die Durchsetzung der italienischen Souveränität an, die vier Entführer wurden nach Verhandlungen mit den mitreisenden bewaffneten ägyptischen Sicherheitskräften verhaftet. Das Flugzeug durfte unter Begleitung nach Rom weiterreisen. Abu Abbas, der als Hintermann des Unternehmens galt, wurde schließlich trotzdem die Ausreise nach Jugoslawien gestattet, was erhebliche Spannungen zwischen den USA und Italien bewirkte.

Mani Pulite

Als 1992 der Staatsanwalt Antonio Di Pietro und sein Team nach der Verhaftung von Mario Chiesa die Untersuchungen Mani pulite (dt. Saubere Hände) begannen und die Finanzen des PSI in Mailand, einer der Hochburgen des PSI, in der Craxis eigener Schwiegersohn Paolo Pillitteri zeitweise Bürgermeister war, unter die Lupe nahmen, geriet Craxi in Schwierigkeiten. Craxi bezeichnete Mario Chiesa zunächst als Schuft und wilden Splitter seiner Partei. Die Staatsanwälte wiesen schließlich nach, dass Craxi ein System von Schmiergeldern beim Bau der U-Bahn in Mailand eingerichtet hatte. Die Ermittlungen griffen von Mailand aus schnell auf andere Städte über.

Die gesamte politische Klasse war involviert, keine der Parteien war unbeteiligt, doch in einigen Parteien war Korruption verbreiteter als in anderen. Craxi räumte letztlich ein, dass seine Partei den Gegenwert von ca. 93 Mio. US-Dollar eingenommen habe, entwickelte die Argumentation, dass schließlich alle Parteien Geld benötigten und sich deshalb eines illegalen Systems der Korruption bedient hätten. Seine Strategie bestand nicht darin, sich für unschuldig zu erklären, sondern jeden für schuldig.

Die Sozialisten stürzten bei den nächsten Wahlen von 14 % ins Nichts ab. Hatte Craxi noch zuvor eine 5 % Klausel zum Einzug ins Parlament eingeführt, so erreichte der PSI zuletzt nicht einmal mehr die auf 4 % gesenkte Mindestquote. Ähnlich erging es der DC, die von einem höheren Stimmenanteil etwas länger brauchte. Die erste italienische Nachkriegsrepublik hatte aufgehört zu existieren.

Craxis Lebensstil als Parteivorsitzender, wie der vieler italienischer Politiker in den 1990ern, wurde angesichts der finanziellen Probleme und Vorwürfe gegen seine Partei als unangemessen angesehen: Craxi lebte in Rom im teuren Hotel Raphael an der Piazza Navona und bewohnte in Hammamet in Tunesien eine Villa am Meer, über die unterschiedliche, schillernde Berichte durch die Medien gingen. Rino Formica, ein prominentes Mitglied des PSI jener Zeit, beschrieb es so: „Das Kloster ist arm, aber die Mönche sind reich“.

Craxis Entourage wurde von seinen Kritikern abfällig als ein „Hof von Zwergen und Tänzern“ bezeichnet, was auch auf die lockere Moral abzielte. Zu seinem System gehörte auch die Beförderung von Freunden in einflussreiche Positionen bei den staatlichen Industriekonglomeraten IRI, ENEL und ENI. Es war nicht so wichtig, was man kannte, sondern wen. Allgemein war bekannt, dass im öffentlichen Radio und Fernsehen RAI Positionen nach Parteizugehörigkeit vergeben wurden. Nachdem die DC sich bei RAI 1 eine ihr ergebene Schar von Journalisten mit einer ihr ergebenen Berichterstattung beschäftigte, gelang es dem PSI, bei RAI 2 seine Anhänger unterzubringen und eine dem nicht nachstehende willfährige Berichterstattung durchzusetzen. Craxis Geliebte Sandra Milo erklomm eine steile Karriere bei RAI, während seine andere Geliebte Anja Pieroni eine Fernsehanstalt in der Region Rom besaß. Zu dieser Entourage Craxis gehörte auch der spätere Ministerpräsident Silvio Berlusconi, dem Craxi in seiner Amtszeit als Ministerpräsident entgegen dem Gesetz genehmigte, mehr als einen privaten Fernsehkanal zu betreiben. Öffentlich wurden Craxis schillernde Freundschaften zu illustren Diktatoren diskutiert, wie Siad Barre aus Somalia und Ben Ali aus Tunesien, der ihm später politisches Asyl gewährte.

Lange hatte Craxi es auch noch aus der Opposition verstanden, die Untersuchungen der Justiz durch die Immunität des Abgeordneten zu verzögern. 1993 trat er endlich als Generalsekretär des PSI zurück. Er betrachtete sich als zu Unrecht verfolgt, weil er doch nur das getan habe, was alle anderen auch getan hätten, und lehnte es ab, sich für seine Taten zu entschuldigen. Von breiten Teilen der Öffentlichkeit als Symbol politischer Korruption verachtet, warfen Studenten ihm Münzen zu, wenn er sein Hotel verließ und sangen zur Melodie von Guantanamera „Bettino nimm die auch“, 1000-Lire-Scheine schwenkend. Im Mai 1994 flüchtete er ins tunesische Exil, während er in Italien in Abwesenheit zu insgesamt mehr als 28 Jahren Haftstrafe verurteilt wurde, von denen er keinen einzigen Tag absaß.

Im Jahr 2000 starb Bettino Craxi an den Folgen seiner Diabetes-Erkrankung. Die italienische Politik beeilte sich, den Angehörigen ein Staatsbegräbnis für den verurteilten Kriminellen anzubieten, doch seine Tochter sah ihren Vater immer noch als Opfer finsterer Verschwörungen.

Silvio Berlusconi verglich sich gelegentlich anlässlich seiner Justiz-Vorladungen mit Bettino Craxi und sah beide von den „Roten Roben“ (bildlich für die angeblich von Kommunisten durchsetzte Justiz) verfolgt. Viele von Craxis Anhängern aus dem PSI, darunter sein früherer Außenminister Gianni De Michelis, der frühere politische Fernsehjournalist Giuliano Ferrara und der frühere Priester Gianni Baget Bozzo sich in Berlusconis neuem rechten Parteienbündnis Casa delle Libertà, dem auch die Tochter von Sergio Moroni, Chiara Moroni als Abgeordnete der italienischen Abgeordnetenkammer angehört.



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