Zentrum gegen Vertreibungen

Zentrum gegen Vertreibungen
Flüchtlinge aus dem Osten 1945 in Berlin

Das Zentrum gegen Vertreibungen ist ein Mitte 1999 vorgestelltes Projekt des Bundes der Vertriebenen (BdV) zur Dokumentation der Vertreibungen im 20. Jahrhundert, das in Berlin errichtet werden sollte. Im Jahr 2000 wurde vom BDV eine gleichnamige Stiftung mit Sitz in Wiesbaden gegründet. Vorsitzende der Stiftung ist die BDV-Präsidentin Erika Steinbach (CDU).

Das Vorhaben stieß auf Kritik in Deutschland und im Ausland, besonders in Polen und Tschechien.[1] Seine Konzeption wurde von der deutschen Bundesregierung nicht übernommen. Gleichwohl plant die Bundesregierung, in Berlin eine Institution („Sichtbares Zeichen“) zur Erinnerung an die 15 Millionen Deutschen zu gründen, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus Ost- und Mitteleuropa vertrieben wurden.

Inhaltsverzeichnis

Zielsetzung des Zentrums gegen Vertreibungen

Das Zentrum gegen Vertreibungen soll

  • die Flucht und Vertreibung von mehr als 15 Millionen Deutschen ebenso wie auch die Vertreibung anderer Völker, insbesondere im Europa des 20. Jahrhunderts, dokumentieren
  • mündliche und schriftliche Zeitzeugenberichte aus allen Vertreibungs- und Aussiedlungsgebieten zusammenführen
  • Kultur, Schicksal und Geschichte der europäischen, auch der deutschen Vertriebenen und ihrer jeweiligen Heimat im Zusammenhang erfahrbar machen
  • an die Integration der Vertriebenen sowie ihre gesellschaftliche Rezeption in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik erinnern
  • in Wechselausstellungen aktuelle Vertreibungsgeschehen aufarbeiten
  • eine Requiem-Rotunde soll zum Gedenken an die Opfer zur Besinnung und Andacht einladen
  • die regelmäßige Verleihung des Franz-Werfel-Menschenrechtspreises gehört nach eigener Aussage ebenfalls zu den Aufgaben der Stiftung.

Geplant sind nach bisheriger Konzeption Ausstellungen zu:

  • dem Schicksal der Armenier 1915/16,
  • den Vertreibungen von Griechen und Türken gemäß dem Lausanner Vertrag von 1923,
  • der Vertreibung der europäischen Juden ab 1933 als Teil des Holocaust,
  • den Vertreibungen, Zwangsumsiedlungen und Deportationen der Polen, Balten und der Ukrainer zwischen 1939 und 1949,
  • der Vertreibung, Zwangsumsiedlung und Deportation der Deutschen zwischen 1941 und 1949,
  • der Vertreibung der Westkarelier 1939/40 und 1944 bis 1947
  • der Vertreibung der Italiener aus Jugoslawien 1945/46,
  • den Vertreibungen als Folge des Zypernkonflikts nach 1974 und
  • den Vertreibungen im ehemaligen Jugoslawien am Beispiel von Bosnien und Herzegowina in den 1990er Jahren.

Peter Glotz (SPD), der zusammen mit Erika Steinbach bis zu seinem Tod 2005 den Vorstand der Stiftung bildete, erklärte im Jahre 2001: „Es [das Zentrum gegen Vertreibungen] soll nicht vor allem unsere Erinnerungen pflegen, es soll dazu beitragen, Vertreibungen weltweit zu ächten, die Völkergemeinschaft zu sensibilisieren und die Auseinandersetzung mit Ethnonationalismus und der Idee des ethnisch homogenen Nationalstaats systematisch zu führen. Insofern wird dieses Zentrum ein Beitrag zur Bekämpfung des Rechtsradikalismus und Rechtspopulismus sein.“[2]

Wanderausstellung „Erzwungene Wege“

Die Wanderausstellung des Zentrums gegen Vertreibungen „Erzwungene Wege – Flucht und Vertreibung im Europa des 20. Jahrhunderts“ wurde erstmals vom 11. August bis zum 29. Oktober 2006 im Kronprinzenpalais in Berlin der Öffentlichkeit gezeigt. Danach war die Ausstellung in einer modifizierten und erweiterten Form seit Juni 2007 in der Paulskirche in Frankfurt am Main, in Nürnberg, Erfurt, Recklinghausen und Hannover zu besichtigen. Neu aufgenommen wurde die Vertreibung von Ungarn aus der damaligen Tschechoslowakei sowie die Vertreibung der Deutschen aus Ungarn und die Vertreibung der Deutschen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Darüber hinaus wurde die Ausstellung in der überarbeiteten Version um einen lokalen Teil erweitert, in dem die Aufnahme von Vertriebenen nach 1945 in einzelne deutsche Städte gezeigt wird.

Die Ausstellung war politisch stark umstritten. Polnische Museen und Opferverbände, die sich an der Ausstellung beteiligt hatten, zogen ihre Exponate wieder zurück.

Wanderausstellung „Die Gerufenen“

2009 präsentierte die Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen die Folgeausstellung der „Erzwungenen Wege“ unter dem Titel „Die Gerufenen. Deutsches Leben in Mittel- und Osteuropa“. Im Mittelpunkt von „Die Gerufenen“ steht die Migrationsgeschichte der Deutschen zwischen dem Mittelalter und der Neuzeit. Die Ausstellung wurde erstmals im Berliner Kronprinzenpalais vom 16. Juli bis zum 30. August 2009 gezeigt.

Debatte

Sowohl in Deutschland als auch im Ausland, speziell in Polen und Tschechien, stoßen das Vorhaben und der Standort Berlin auf Kritik beziehungsweise Ablehnung. Kritiker werfen dem Bund der Vertriebenen vor, eine solche Institution in Berlin würde dahingehend missverstanden werden, dass sie revisionistisch intendiert sei und zum eigentlichen Ziel die neuerliche Vertreibung der heutzutage in den früheren deutschen Gebieten lebenden Polen und Tschechen habe.

Das Projekt wird auch dahingehend kritisiert, dass sich mit ihm der Bund der vertriebenen Deutschen ungefragt und unbevollmächtigt das Gedenkinteresse anderer vertriebener Völker bzw. Volksgruppen aneigne. Zweck dieser Aneignung sei, die Hauptursache für die Vertreibung der Deutschen aus Ost- und Mitteleuropa, den Unterjochungs- und Vernichtungskrieg des Deutschen Reiches, aus den Inhalten einer deutschen Vertriebenengedenkstätte weitgehend auszuklammern.

Demgegenüber argumentieren Befürworter, dass das Zentrum gegen Vertreibungen Vertriebene aus allen europäischen Völkern einbeziehe, um eine einseitige Fokussierung auf die deutschen Vertriebenen zu verhindern. Vertreter anderer vertriebener Volksgruppen würden in die Gestaltung des Zentrums einbezogen. Eine angemessene Aufarbeitung der Thematik sei bisher unterblieben. Vielen Vertreibungen habe ein „völkisches Denken“ zugrunde gelegen, weil nicht persönliche Schuld, sondern allein die ethnische Zugehörigkeit den Ausschlag gegeben habe. Die Vertreibungen des zwanzigsten Jahrhunderts seien nur zum Teil aus Rache bzw. Vergeltung erfolgt. Auch persönliches Macht- bzw. Besitzstreben, (pseudo)historische Ideologien und das Ziel, ethnische Minderheiten zu beseitigen, hätten eine Rolle gespielt.

Alternativvorschläge aus dem In- und Ausland (über die Parteigrenzen hinweg kontrovers diskutiert) sind Breslau, Sarajewo, Schweden oder Priština. Der ehemalige DDR-Politiker und SPD-Bundestagsabgeordnete Markus Meckel initiierte das Gegenprojekt eines Europäischen Zentrums gegen Vertreibungen. Meckel will die konkrete Gestaltung des Zentrums einer internationalen Kommission übertragen.

Standpunkt der deutschen Bundesregierung

Die Bundesregierung plant die Gründung einer Berliner Institution, die an die Vertreibung der Millionen Deutschen aus Ost- und Mitteleuropa erinnern soll. Sie steht unter dem vorläufigen Titel „Sichtbares Zeichen“. Dies wurde in den Koalitionsvereinbarungen von Union und SPD festgehalten. Konzepte für diese Institution werden unter Federführung des Staatsministers für Kultur und Medien Bernd Neumann erarbeitet. Innerhalb des Deutschen Historischen Museums wurde inzwischen die unselbständige Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung errichtet, die diese Aufgabe erfüllen soll.

Literatur

  • Ein Zentrum gegen Vertreibungen: Nationales Gedenken oder europäische Erinnerung? Podiumsgespräch, Französische Friedrichstadtkirche, mit Nawojka Cieslinska-Lobkowicz, Helga Hirsch, Hans Lemberg, Markus Meckel und Erika Steinbach. Moderation: Thomas Urban. Deutsches Kulturforum östliches Europa, Potsdam 2004, ISBN 3-936168-11-3 (Reihe: Potsdamer Forum)
  • Erzwungene Wege. Flucht und Vertreibung im Europa des 20. Jahrhunderts. Ausstellung im Kronprinzenpalais. Texte: Wilfried Rogasch, Katharina Klotz & Doris Müller-Toovey. Zentrum gegen Vertreibungen, Wiesbaden 2006 ISBN 978-3-00-019838-0
  • Die Gerufenen. Deutsches Leben in Mittel- und Osteuropa. Ausstellung im Kronprinzenpalais (Berlin). Zentrum gegen Vertreibungen, Wiesbaden 2009
  • Bettina Mihr: Wund-Male. Folgen der „Unfähigkeit zu trauern“ und das Projekt eines Zentrums gegen Vertreibungen. Haland & Wirth - Psychosozial, Gießen 2007, ISBN 978-3-89806-922-9

Einzelnachweise

  1. Stellungnahme Premier Topolaneks zum geplanten Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin
  2. Rede von Peter Glotz

Weblinks


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