Zivilprozeß

Zivilprozeß
Dieser Artikel behandelt einen Zivilprozess im juristischen Sinn; für den gleichnamigen Film siehe Zivilprozess (Film).

Der Zivilprozess dient der Durchsetzung materieller Rechte und Ansprüche des Klägers oder der Feststellung bestimmter Rechtsverhältnisse. Der Zivilprozess im römischen Recht diente demgegenüber nicht der Durchsetzung materieller Rechte, sondern schuf sie erst (siehe Formelles Recht). Diese Entwicklung kam bis in das 19. Jahrhundert - und als Begriff bis in das 20. Jahrhundert - in der Actio als einem sowohl materiellrechtliche wie prozessuale Voraussetzungen umfassenden Rechtsinstitut zum Ausdruck. Man fragte lange: welche Actio habe ich - nicht: welchen Anspruch habe ich.

Zivilprozess ist in Deutschland das in der Zivilprozessordnung (ZPO) geregelte gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (Zivilrecht, also Privatrecht und Handelsrecht). Er findet vor den Zivilgerichten (Amtsgericht, Landgericht, Oberlandesgericht, Bundesgerichtshof) statt, die zur ordentlichen Gerichtsbarkeit gehören.

In Österreich werden die gerichtlichen Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten durch die Zivilprozessordnung (ZPO) von 1895 sowie durch das Gesetz vom 1. August 1895 über die Ausübung der Gerichtsbarkeit und die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte in bürgerlichen Rechtssachen (Jurisdiktionsnorm, JN) geregelt.

In der Schweiz ist das Zivilprozessrecht kantonal und teilweise recht unterschiedlich in den kantonalen Zivilprozessordnungen geregelt; für zivilrechtliche Streitigkeiten vor dem Bundesgericht gilt das Bundesgesetz vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess.

Die Europäische Union sieht - mittlerweile in ihrer supranational geprägten 1. Säule - eine Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen vor.

Inhaltsverzeichnis

Ablauf des deutschen Zivilprozesses

Der deutsche Zivilprozess beginnt mit einem Erkenntnisverfahren, in dem das Gericht den Rechtsstreit auf der Grundlage des materiellen Rechts verbindlich entscheiden soll. Das anschließende Vollstreckungsverfahren dient der Durchsetzung der gerichtlichen Entscheidungen oder eines zwischen den Parteien geschlossenen Vergleichs.

Erkenntnisverfahren

Verfahrensarten

Das Erkenntnisverfahren sieht verschiedene Verfahrensarten vor, die zum Teil parallel verlaufen.

Der häufigste und bekannteste Fall ist das Klageverfahren oder die Klage (§§ 253 ff. ZPO). Mit der Klage begehrt der Kläger eine Leistung (Leistungsklage) oder (seltener) die verbindliche Feststellung eines Rechtsverhältnisses (Feststellungsklage).

Eine ähnliche und oft einfachere und billigere Verfahrensform ist das Mahnverfahren (§§ 699-703 d ZPO), das allerdings nur zur Durchsetzung von Geldforderungen statthaft ist und unter anderem voraussetzt, dass die Gegenleistung bereits erbracht ist (oder aber der Anspruch des Gläubigers auf einer Gegenleistung nicht beruht, z.B. Kindesunterhalt).

Arrest und einstweilige Verfügung (§§ 916-945 ZPO) sind Eilverfahren zur vorläufigen Regelung des Rechtsverhältnisses, wenn es dem Antragsteller nicht zuzumuten ist, das Ergebnis eines regulären Klageverfahrens abzuwarten.

Mit einem selbständigen Beweisverfahren (§§ 485-494 a ZPO) können Beweise gesichert werden, auch vor einem Rechtsstreit, wenn die Beweismittel verloren zu gehen drohen.

Das Prozesskostenhilfeverfahren (§§ 114-127 a ZPO) ist neben den anderen Verfahren statthaft, soweit der Kläger oder Antragsteller wegen seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage sein wird, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Voraussetzung ist allerdings, dass die Angelegenheit aus der Perspektive des Antragstellers Aussicht auf Erfolg hat.

Der Urkunden-, Wechsel- und Scheckprozess bringt Erleichterungen für den Kläger gegenüber dem allgemeinen Klageverfahren, wenn es zur Darlegung seines Anspruchs ausreicht, das jeweilige Schriftstück als Beweismittel vorzulegen.

Im Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103-107 ZPO) stellt das Gericht fest, in welcher Höhe eine Partei der anderen Partei Kosten (Anwaltskosten, aber auch als Vorschüsse einbezahlte Gerichtskosten) zu ersetzen hat. Die Frage der Kostenschuld, also wer welchen Anteil der Kosten überhaupt zu tragen hat, wird regelmäßig in der Hauptentscheidung (meist Urteil) festgelegt (sog. Kostengrundentscheidung) – soweit das die Parteien nicht in einem Vergleich einvernehmlich regeln und eine gerichtliche Entscheidung darüber entbehrlich machen. Die konkrete betragsmäßige Höhe der zu zahlenden Gerichtskosten wird im Verfahren des Kostenansatzes nach § 19 GKG festgelegt.

Ablauf des Klageverfahrens

Übersicht

Das Klageverfahren beginnt mit der Klageerhebung durch einen Schriftsatz (Klageschrift) schriftlich oder bei amtsgerichtlichen Verfahren auch mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle. Vor Einreichung einer Klage ist zu beachten, dass immer eine gütliche Beilegung vor einer Schlichtungsstelle veranlasst werden soll, um den Prozess zu vermeiden. Erst wenn diese Güteverhandlung als fruchtlos (gescheitert) gilt, soll Klage eingereicht werden. Ebenfalls ist zu beachten, dass das Gericht in der Regel erst nach Einzahlung eines Kostenvorschusses tätig wird. Dann kann das Gericht einen frühen ersten Termin bestimmen oder stellt dem Beklagten die Klage zu und setzt eine Frist zur Verteidigungsanzeige sowie anschließend noch eine weitere Frist zur Klageerwiderung. Die Klageschrift besteht aus einem Antrag und einer Begründung, und in ihr müssen zudem einige Förmlichkeiten beachtet werden (§ 253 ZPO). Die Zuständigkeit des Gerichts muss nach Ort und Instanz exakt bestimmt werden, was nicht immer einfach ist. In den meisten Fällen kann die Zuständigkeit anhand des Wohnorts des Beklagten und am Streitwert festgemacht werden.

Ein Termin zur mündlichen Verhandlung soll vom Gericht erst dann anberaumt werden, wenn der Kläger als Vorschuss auf die Gerichtskosten die Prozessgebühr entrichtet hat. Den äußeren Ablauf des Zivilprozesses bestimmt in der Regel der Amtsbetrieb, die Aufklärung des Sachverhalts die durch die Wahrheitspflicht der Parteien und das richterliche Fragerecht gemäß §§ 138 und 139 ZPO modifizierte Verhandlungsmaxime. Grundsätzlich wird dabei die Wahrheit nicht von Amts wegen vom Gericht ermittelt, sondern das Gericht stützt seine Entscheidung nur auf die Tatsachen, die von den Parteien vorgetragen werden. Erst wenn etwas zwischen den Parteien streitig ist, erhebt das Gericht Beweise (z.B. Zeugenvernehmungen, Sachverständigengutachten, Urkundenbeweis oder Augenschein), sofern die beweispflichtige Partei ein taugliches Beweismittel angeboten hat.

Der Zivilprozess endet durch gerichtliche Entscheidung (Urteil oder Beschluss), gegen die dem Unterlegenen ab einem Streitwert von über 600,- € Rechtsmittel der Berufung oder Sprungrevision sowie andere Rechtsbehelfe offenstehen, sonst durch Rücknahme der Klage, Anerkenntnis des Beklagten, Erklärung der Erledigung der Hauptsache oder Vergleich zwischen den Parteien. Erscheint eine Partei nicht im Verhandlungstermin, so ergeht auf Antrag der anderen Partei ein Versäumnisurteil (anfechtbar durch Einspruch) oder wenn beide Parteien säumig sind nach Lage der Akten. Das Gericht ist nach der ZPO gehalten, in jeder Lage des Verfahrens möglichst eine gütliche Einigung der Parteien herbeizuführen.

Klageerhebung und Verhandlung

Es beginnt mit der Erhebung der Klage. Diese erfolgt durch die Zustellung des Klageschriftsatzes (§ 253 Abs.1 ZPO), nach dem dieser bei Gericht eingereicht worden ist. Das zuständige Gericht bestimmt sich unter anderem nach dem Streitwert und ist entweder das Amtsgericht oder das Landgericht. Bevor die Klage dem Beklagten zugestellt wird, muss das Gericht entscheiden, ob zunächst ein schriftliches Vorverfahren (§ 276 ZPO) durchgeführt werden soll oder ein früher erster Termin (§ 275 ZPO) anberaumt werden soll, der zugleich auch Haupttermin sein kann. Der mündlichen Verhandlung soll im Allgemeinen eine Güteverhandlung vorangehen (278 ZPO). Das Gericht soll überhaupt in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits oder einzelner Streitpunkte bedacht sein. Kommt es in der Güteverhandlung zu keiner Einigung, schließt sich daran die mündliche Verhandlung an.

Die Verhandlung ist dann kontradiktorisch. Die Parteien (Kläger und Beklagter) tragen ihre Argumente vor und beantragen Verurteilung und Klageabweisung. Im Gegensatz zum Strafprozess bestimmen die Parteien des Rechtsstreits den Streitgegenstand, die Beweismittel und in gewissem Umfang auch den Ablauf des Verfahrens (s.u. Beweislast).

In dem Verfahren ist das Gericht an die Prozessmaximen (Prozessgrundsätze) und damit auch an die Anträge der Parteien gebunden (Dispositionsmaxime). Kommt das Gericht zu der Entscheidung, dass die Klage nicht zulässig ist, wird es sie mit einem Prozessurteil abweisen. Wenn das Gericht der Auffassung ist, die Klage sei zulässig, muss es über die Begründetheit, über die materielle Rechtslage, entscheiden.

Neben den verschiedenen Prozessgrundsätzen unterscheidet sich der Zivilprozess vom Strafverfahren auch in Bezug auf die Beweislast, die im Strafverfahren allein der Staatsanwaltschaft obliegt. Kann im Zivilprozess eine entscheidungserhebliche Behauptung weder bewiesen noch widerlegt werden, so muss dies anhand der Beweislast entschieden werden.

Nach den Parteivorträgen, ggf.auch der Beweisaufnahme durch Sachverständige, Augenschein, Parteivernehmung, Urkundsbeweise und Zeugen, schließen sich die Anträge an.

Entscheidung

Wenn es nicht zur Anerkenntnis durch den Beklagten oder zum Klageverzicht durch den Kläger kommt, entscheidet das Gericht durch Sachurteil. Es wird verkündet und den Parteien zugestellt.

Damit ist die erste Instanz beendet; nun können innerhalb bestimmter Fristen Rechtsmittel eingelegt werden, sofern hierfür die Voraussetzungen vorliegen (s.u.). Das Urteil wird durch die Einlegung der Rechtsmittel nicht aufgehoben, sondern es wird lediglich der Eintritt der Rechtskraft aufgeschoben. Eine Zwangsvollstreckung ist daher nur vorläufig möglich, häufig nur gegen Sicherheitsleistung, oder der Beklagte kann die Vollstreckung zunächst durch Sicherheitsleistung abwenden.

Rechtsmittel und Rechtsbehelfe

Mögliche Rechtsmittel gegen die Entscheidung in der Hauptsache sind die Berufung gegen Urteile der ersten Instanz und die Revision gegen Urteile des Berufungsgerichts (ausnahmsweise auch als Sprungrevision gegen erstinstanzielle Urteile). Ist das erstinstanzliche Urteil vor dem Einzelrichter beim Amtsgericht ergangen, so findet die Berufung vor der Zivilkammer des Landgerichts statt. Über die Berufung gegen ein erstinstanzielles Urteil der Zivilkammer des Landgericht entscheidet hingegen das Oberlandesgericht. Übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstands 600 Euro nicht, so ist die Berufung gegen das Urteil nur zulässig, wenn das Erstgericht die Berufung im Urteil zugelassen hat (§ 511 Abs. 2 ZPO). In der Berufung ist eine erneute Feststellung der Tatsachen und Prüfung der Rechtsfragen möglich.

Zur Entscheidung über die Revision (auch im Fall der Sprungrevision) ist der Bundesgerichtshof zuständig. Auf die Revision kann nur geprüft werden, ob das Urteil auf einer Rechtsverletzung beruht.

Ist der Rechtsweg erschöpft oder sind die Fristen für die Rechtsmittel verstrichen, wird das Urteil rechtskräftig. Auch das nicht für vorläufig vollstreckbar erklärte Urteil ist als Schuldtitel nun vollstreckbar. Nur unter engen Voraussetzungen ist die Wiederaufnahme des Verfahrens noch möglich. Die Verfassungsbeschwerde ist ohnehin nur bei Rechtswegerschöpfung zulässig.

Siehe auch: Strafprozess, Gerichtsbarkeit, Relationstechnik

Klauselverfahren

An das Erkenntnisverfahren schließt sich das sog. Klauselverfahren an. Für die Zwangsvollstreckung bedarf es einer sog. vollstreckbaren Ausfertigung des Vollstreckungstitels, die dem Vollstreckungsgläubiger auf Antrag vom Prozessgericht erteilt wird. Das Klauselverfahren gehört nicht zum Vollstreckungsverfahren, sondern ist diesem noch vorgeschaltet. In diesem Verfahrensstadium gelten dementsprechend auch besondere Rechtsbehelfe, z.B. die Klauselerinnerung, Klauselgegenklage etc.

Vollstreckungsverfahren

Mit dem Urteil ist die Zwangsvollstreckung, der abschließende Teil des Zivilprozesses, möglich.

Der Zivilprozess in Österreich

siehe: Zivilverfahren (Österreich)

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