Zugunglück von Brühl

Zugunglück von Brühl

Das Zugunglück von Brühl ereignete sich am 6. Februar 2000 im Bahnhof Brühl an der Linken Rheinstrecke. Der von der Lok 101 092 gezogene D 203 Schweiz-Express von Amsterdam nach Basel fuhr mit überhöhter Geschwindigkeit über eine auf Abzweig stehende Weiche und entgleiste. Dabei kamen neun Fahrgäste ums Leben.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Der Bahnhof von Brühl. Nach dem Unglück wurde er komplett saniert, wobei das Gleis 3, an dem sich der Unfall ereignete, abgebaut wurde (an dessen früherer Stelle sieht man ganz rechts die Schallschutzmauer).

Der Bahnhof Brühl besteht aus zwei Teilen, dem Güter- und dem Personenbahnhof. Züge, die wie der verunglückte Zug von Köln nach Bonn fahren, durchfahren zuerst den Güterbahnhof und dann den Personenbahnhof.

In der Unfallnacht fanden im Güterbahnhof Brühl am rechten der beiden durchgehenden Hauptgleise (Gleis 1) Arbeiten statt, weshalb das reguläre Gleis gesperrt war, auf dem der Zug planmäßig fahren sollte. Die Zugfahrten mussten deshalb auf das linke Gleis (Gleis 2) ausweichen.

Da im Güterbahnhof Brühl vor der Baustelle keine Überleitung vom rechten auf das linke Gleis vorhanden ist, musste der Zug bereits am vorigen Bahnhof (Hürth-Kalscheuren) vom rechten auf das linke Gleis übergeleitet werden. Die Strecke zwischen Hürth-Kalscheuren und Brühl Güterbahnhof ist signaltechnisch so ausgestattet, dass man auf dem linken Gleis ebenso schnell fahren kann wie auf dem rechten. Man nennt das Gleiswechselbetrieb.

Eine Durchfahrt des Bahnhofes Brühl auf dem linken Gleis war hingegen sicherungstechnisch nicht vorgesehen, im Stellwerk existierte dafür keine Fahrstraße. Die Züge durchfahren den Bahnhof in dieser Fahrtrichtung normalerweise durch eines der anderen Gleise, was aber in der betreffenden Nacht auf Grund der Bauarbeiten nicht möglich war. Da keine gesicherte Fahrstraße existierte, musste der geplante Fahrweg von Hand gesichert und die Zugfahrt durch Ersatzsignal zugelassen werden. Die zulässige Geschwindigkeit bei einer Bahnhofseinfahrt auf Ersatzsignal beträgt 40 km/h.

Zum Schutz der benachbarten Baustelle war auf dem Gleis eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 120 km/h angeordnet worden, Züge in Richtung Bonn durften aber auf Grund der oben beschriebenen Signalisierung nur mit 40 km/h fahren. Es war hier also wegen der örtlichen Verhältnisse im Bahnhof Brühl die Besonderheit eingetreten, dass die Signalisierung einer Langsamfahrstelle für die eine Richtung erforderlich, für die andere hingegen überflüssig war. Deswegen sollten Langsamfahrscheiben mit der Kennziffer 12 (120 km/h) für die Fahrtrichtung Köln–Bonn nicht aufgestellt werden. Im Verzeichnis der Langsamfahrstellen (La), welches der Lokführer während der Fahrt vor sich liegen hat, war die Beschränkung für die Fahrtrichtung des Unglückzuges von Streckenkilometer 13,5 bis Streckenkilometer 13,6 wie Folgt angegeben:

  • für die Dauer der Bauarbeiten auf dem rechten Gleis: 120 km/h auf dem linken Gleis (überflüssiger Eintrag, da nur 40 km/h aufgrund des Ersatzsignals erlaubt)
  • für die Zeit nach den Bauarbeiten: 90 km/h auf dem rechten Gleis

Es konnte nicht endgültig geklärt werden, ob bereits zum Zeitpunkt des Unglücks kurz hinter dem Einfahrsignal von Brühl Güterbahnhof rechts neben dem linken Gleis eine Langsamfahrscheibe stand. Diese Langsamfahrscheibe wurde später dort aufgefunden, eventuell aber auch erst nach dem Unglück aufgestellt. Sie trug aber nicht die Kennziffer 12, sondern die Kennziffer 9 (90 km/h). Offenbar war sie schon für die Zeit nach den Bauarbeiten aufgestellt worden und sollte dann für das rechte Gleis gelten. Dann hätte sie aber normalerweise rechts neben dem rechten Gleis stehen müssen. Da dort wegen Weichen und anderer Signale Platzmangel herrschte, durfte sie auch links vom rechten Gleis, also rechts vom linken Gleis stehen. Dann hätte aber mit einer Zuordnungstafel (einem Pfeil) verdeutlicht werden müssen, dass sie für das rechte Gleis gilt, da im Bahnhofsbereich Signale ansonsten immer rechts von dem Gleis stehen, für das sie gelten.

Unfallhergang

Das Triebfahrzeug mit dem der
D 203 am 6. Februar 2000 verunglückte, befindet sich seit dem 14. Dezember 2002 wieder im Einsatz. Auf diesem Bild ist die Lok vor einem InterCity bei Linz am Rhein zu sehen.

Bei der Einfahrt in den Bahnhof Hürth-Kalscheuren wurde dem Lokführer an einem Vorsignal angezeigt, dass das Ausfahrsignal den Hauptsignalbegriff Hp 2 (Langsamfahrt) anzeigen wird. Die Langsamfahrt ist erforderlich für die Fahrt über die Weichen vom rechten auf das linke Gleis. Der Lokführer hat bestätigt, dieses Vorsignal erkannt zu haben, hat gebremst und ist mit der vorschriftsmäßig gesenkten Geschwindigkeit vom rechten auf das linke Gleis gewechselt. Das Ausfahrsignal Hp 2 gilt bis der letzte Wagen des Zuges den anschließenden Weichenbereich geräumt hat, danach gilt wieder die übliche Geschwindigkeit. Als auch der letzte Wagen seines Zuges die Weichen passiert hatte, durfte der Lokführer wieder beschleunigen. Die zulässige Streckengeschwindigkeit zwischen Hürth-Kalscheuren und Brühl beträgt 160 km/h. Weil in dem Zug aber Wagen mitfuhren, die nur für 140 km/h zugelassen sind, galt für diesen Zug eine Höchstgeschwindigkeit von 140 km/h.

Einen Kilometer vor dem Einfahrsignal des Bahnhofes Brühl hat ein Vorsignal Vr 0 (Halt erwarten) angezeigt. Der Lokführer hat das Erkennen dieses Vorsignals bestätigt und hat den Zug gebremst. Als er sich dem Einfahrsignal näherte, blieb dieses auf Hp 0 (Halt). Zusätzlich leuchteten aber drei kleine weiße Lichter als Ersatzsignal. Das Ersatzsignal wurde benutzt um die Zugfahrt am roten Signal vorbeizulassen, weil der beabsichtigte Fahrweg nicht durch eine Fahrtstellung des Hauptsignals gesichert werden konnte. Dies war notwendig, da die Stellwerkslogik eine automatische Freigabe der Fahrstraße nicht zuließ. Als die Fahrdienstleiterin alle Weichen im Bahnhof Brühl entsprechend gestellt hatte, bediente sie das Ersatzsignal am Einfahrsignal in den Güterbahnhof Brühl. Diese Vorgehensweise war in der Bau- und Betriebsanweisung zwar vorgesehen, doch das Ersatzsignal ist nicht dafür vorgesehen, fehlende Fahrstraßen in Stellwerken zu ersetzen.

Wenn ein Zug auf Ersatzsignal in einen Bahnhof einfährt, dann darf er maximal 40 km/h bis zum nächsten Hauptsignal fahren. Grund dafür ist einerseits, dass das Sicherheitsniveau nicht so hoch ist wie bei einer Signalisierung durch ein Hauptsignal, und andererseits, dass im Fahrweg des Zuges Weichen liegen können, die auf Abzweig stehen. Alle Weichen sind für mindestens 40 km/h vorgesehen, so dass es bei dieser Geschwindigkeit nicht zu Entgleisungen durch überhöhte Geschwindigkeit an einer abzweigenden Weiche kommen kann.

Im Unglücksfall fuhr der Lokführer auf dem linken Gleis auf Ersatzsignal und mit 40 km/h in den Güterbahnhof ein. Durch die darauffolgende Anzeige verschiedener Geschwindigkeiten im Verzeichnis der Langsamfahrstellen sowie durch die Langsamfahrscheibe entstand eine verwirrende Situation.

Möglicherweise hat der Lokführer wegen der widersprüchlichen Signale vergessen, dass er wegen des Ersatzsignals nur 40 km/h fahren darf. Er beschleunigte auf 90 km/h und durchfuhr mit dieser Geschwindigkeit die mit Anfangs- und Endscheibe gekennzeichnete Langsamfahrstelle an der Baustelle. Diese standen, obwohl sie innerhalb des Bahnhofs aufgestellt waren, links vom Gleis, was gewöhnlich nur auf freier Strecke der Fall ist. Dadurch könnte der Lokführer den Eindruck gewonnen haben, er befinde sich nicht mehr im Bahnhof Brühl. Die Signalisierung der Langsamfahrstelle war durch die bereits aufgestellte Langsamfahrscheibe konsistent, obwohl diese eigentlich für das rechte durchgehende Hauptgleis gelten sollte, an dem zum Unglückszeitpunkt noch gearbeitet wurde.

Nachdem der Zug die Langsamfahrstelle durchfahren hatte, beschleunigte der Lokführer erneut. Offenbar wollte er die für diesen Zug planmäßig vorgesehene Geschwindigkeit von 140 km/h erreichen. Diese durfte er schon zwischen Hürth-Kalscheuren und dem Einfahrsignal von Brühl Güterbahnhof auf dem linken Gleis fahren.

Warum der Lokführer beschleunigt hat, ist nicht bekannt. Der Zug entgleiste an Weiche 48, die ihn von Gleis 2 auf Gleis 3 führen sollte, mit einer Geschwindigkeit von 122 km/h.

Anschließend fuhr der vordere Teil des Zuges über eine Böschung und verfehlte eine Baumgruppe. Die Lokomotive rammte die Wand eines der nahegelegenen Einfamilienhäuser. Die nachfolgenden Wagen wurden zum Teil mitgerissen und dabei stark zerstört, andere stellten sich im Bahnhof quer und wurden gegen die Pfeiler der Bahnhofsüberdachung gepresst. Von den rund 300 Reisenden des Zuges starben bei dem Unglück 9 Menschen. 149 weitere wurden verletzt.

Das beim Unfall schwer beschädigte Triebfahrzeug der Baureihe 101 wurde nach dem Unfall wiederaufgearbeitet und befindet sich seit dem 4. Dezember 2002 wieder im planmäßigen Einsatz. Zum Zeitpunkt des Unfalls war die seit dem 10. Juni 1998 im Einsatz befindliche Lokomotive (Fabriknummer 33202-1998) seit rund 20 Monaten im Einsatz der DB.[1]

Juristische Konsequenzen

Das Strafverfahren gegen den Lokführer und drei weitere Mitarbeiter der Deutschen Bahn wurde am 25. Oktober 2001 wegen geringer Schuld eingestellt. Die Angeklagten mussten Geldbußen für wohltätige Zwecke zahlen. Dem Lokführer sei lediglich ein Augenblicksversagen im Rahmen einer Fehlinterpretation anzulasten, die übrigen Angeklagten, denen die verwirrenden Betriebsanweisungen vorgeworfen worden waren, hätten sich, objektiv gesehen, an das Regelwerk gehalten, jedoch die Gefahren nicht erkannt.

Einzelnachweise

  1. Gerd Böhmer: Lokliste der BR 101 Auf: www.gerdboehmer-berlinereisenbahnarchiv.de. 15. Juni 2008, 6:00 Uhr

Weblinks

50.8297222222226.91257Koordinaten: 50° 49′ 47″ N, 6° 54′ 45″ O


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