Bergkristall (Stifter)

Bergkristall (Stifter)

Bergkristall(Der heilige Abend) ist eine Erzählung von Adalbert Stifter (1845/1853).

Inhaltsverzeichnis

Überblick

Illustration aus der Erstausgabe der Bunten Steine (Ludwig Richter)

Die Erzählung Bergkristall erschien erstmals 1845 in der Zeitschrift Die Gegenwart und trug hier noch den Titel Der heilige Abend. 1853 fand sie dann in überarbeiteter Fassung unter dem Titel Bergkrystall (dann: Bergkristall) Eingang in die Sammlung Bunte Steine. Die Erzählung soll durch ein Bild des Stifter-Freundes Friedrich Simony inspiriert worden sein, das in eine Höhle geflüchtete Kinder zeigt. Auch traf er in Hallstatt ein Kinderpaar, das beim Erdbeeren Sammeln von einem Unwetter überrascht worden war und unter einem Felsen Schutz gesucht hatte.

Bergkristall gilt als die ergreifendste Erzählung, die Stifter geschrieben hat. Er schildert einerseits die Natur, in die die Kinder hineingeraten und andererseits die Wirkung auf sie und für die um sie bangenden und sie suchenden Erwachsenen. Der Autor verwendet religiöse Motive: Zu Weihnachten verirren sich die Kinder im Hochgebirge, und als sie lebendig und wohlbehalten zu ihren Familien zurückkehren, ist das wie eine Auferstehung zum Osterfest. Weiter: die bislang verfeindeten Bewohner beider Dörfer versöhnen sich miteinander. Diese Erzählung, die in der heiligen Nacht spielt, vermittelt also die Vorbereitungen zum bevorstehenden Geburtstag Jesu (Weihnachten), die Todesgefahr (Karfreitag), die Rettung aus der Todesgefahr (Ostern) und die anschließende Versöhnung (Pfingsten). Die Personen der Handlung feiern nicht nur die kirchlichen Feste, sondern erfahren deren Bedeutung am eigenen Leib und Seele. Der erste Satz der Erzählung ist also als „Programm“ aufzufassen: „Unsere Kirche feiert verschiedene Feste, welche zum Herzen dringen“.

Inhalt

Bruder und Schwester verirren sich am Heiligen Abend im Gebirge, sie verbringen die Nacht in einer Steinhöhle. Noch in der Nacht sind die Männer aus zwei Bergdörfern aufgebrochen, um die Kinder zu suchen. Am Morgen des Weihnachtstages werden die Kinder unversehrt gefunden. Die Bewohner der beiden Bergdörfer, die sich bisher gegenseitig als Fremde angesehen und behandelt haben, versöhnen sich aufgrund dieser gemeinsamen Rettungsaktion. Die Handlung rahmt Stifter mit Betrachtungen über die kirchlichen Feste. Das „Happy End“ zeigt: Die Feiern und die tätige Sorge um die in Gefahr geratenen Kinder verändern die Menschen so, dass sie einander näher kommen. Allerdings findet sich kein Wort über diese ethische Dimension in der Erzählung; vielmehr schildert Stifter die Naturerscheinungen und wie sie sich auf das Gemüt der Personen auswirken.


Im Einzelnen: Zwei Bergdörfer, Gschaid und Milsdorf, sind durch einen Berg voneinander getrennt, die Einwohner betrachten sich gegenseitig als Fremde. Dessen ungeachtet hat der Schuster aus Gschaid die Milsdorfer Färberstochter geheiratet. Das Ehepaar hat zwei Kinder, Konrad und Sanna. Am Heiligen Abend schickt die Mutter Konrad und Sanna zu den Großeltern in Milsdorf, um ihnen Weihnachtsgrüße und -geschenke zu übermitteln. Dazu gehen die Kinder über den beide Dörfer trennenden Pass mit Namen „Hals“. Die Großmutter schickt ihrerseits die Kinder so rechtzeitig auf den Heimweg, dass sie vor Einbruch der Dämmerung wieder daheim sein müssten.

Auf dem Heimweg aber geraten sie in dichten Schneefall. Auf dem Hals verirren sie sich, finden auch nicht den gewohnten Wegweiser: eine rote Säule, die dort als Mahnmal für einen tödlich verunglückten Wanderer steht. Anstatt talwärts zu gehen, irren die Kinder hinauf in die nackte Fels- und Eisregion. Als es dämmert, steigen sie in eine Steinhöhle, um dort zu übernachten. Gegen die Kälte trinken sie von dem Kaffee, den die Großmutter für die Eltern eingepackt hat. Jetzt ist Konrad, der ältere der Geschwister, überwältigt von den Natureindrücken. Die Kinder hören das Eis krachen; sie sehen am Nachthimmel ein Nordlicht wabern. Bei Einbruch der Morgendämmerung brechen Konrad und Sanna auf, um einen Weg talwärts zu finden.

Inzwischen sind aus beiden Dörfern, Gschaid und Milsdorf, die Männer aufgebrochen, um nach den Kindern zu suchen. Als sie gefunden sind, werden sie auf einem Schlitten heim gefahren. Im Elternhaus treffen sich alle Freunde und Nachbarn, sogar die Großmutter aus Milsdorf ist angereist.

Nun kann es für die Menschen aus beiden Dörfern Weihnachten werden. Sanna: „Mutter, ich habe heute nachts, als wir auf dem Berge saßen, den heiligen Christ gesehen.“ – „O … du mein liebes… Kind,“ antwortete die Mutter… Die gemeinsame Rettung der Kinder wird zum Gesprächsstoff im Gasthaus. „Die Kinder waren von dem Tage an erst recht das Eigentum des Dorfes geworden, sie wurden von nun an nicht mehr als Auswärtige, sondern als Eingeborene betrachtet, die man sich von dem Berge herabgeholt hatte. Auch ihre Mutter… war nun eine Eingeborene von Gschaid.“

Nun kann es Weihnachten werden: Am Weihnachtstag nehmen die Eltern ihre Kinder wohlbehalten wieder auf. Die Kinder sind nach der Todesgefahr im Gebirge nun wieder unter den Lebenden; das ist wie Karfreitag (Tod Jesu) und Ostern (Auferstehung). Die Bewohner der beiden Dörfer machen sich zur gemeinsamen Rettungsaktion auf und betrachten daher einander nicht länger als Feinde: ein Beispiel für die Auswirkung von Pfingsten. Stifter erwähnt die kirchlichen Feste nur in seiner Einleitung. Die Auswirkungen auf den Charakter der Menschen schildert er ausschließlich anhand des den Naturgewalten ausgesetzten Seins.

Zitate nach der Goldmann-Ausgabe der „Bunten Steine“, 6. Auflage 1998, S. 183f.

Verfilmung

Die Erzählung dient als – sehr frei verwendete – Grundlage des gleichnamigen Films von Joseph Vilsmaier (Deutschland, 2004) (mit Daniel Morgenroth, Dana Vavrova und Katja Riemann).

Für das Fernsehen des ORF entstand 1999 bereits eine Verfilmung unter dem Titel Bergkristall - verirrt im Schnee, u.a. mit Tobias Moretti.

Literatur (Auswahl)

  • Paul Hankamer: Adalbert Stifters „Bergkristall“. In: Theodor Steinbüchel, Theodor Müncker (Hrsg.): Aus Theologie und Philosophie. Festschrift für Fritz Tillmann zu seinem 75. Geburtstag. (1. November 1949). Patmos-Verlag, Düsseldorf 1950, S. 84–99.
  • Theo Rosebrock: Erläuterung zu Adalbert Stifters „Das Heidedorf“, „Bergkristall“. 2. Auflage. Bange, Hollfeld 1978, ISBN 3-8044-0154-6 (Königs Erläuterungen und Materialien 250).
  • Hugo Schmidt: Eishöhle und Steinhäuschen. Zur Weihnachtssymbolik in Stifters „Bergkristall“. In: Monatshefte für deutschen Unterricht. 56, 1964, ISSN 0026-9271, S. 321–335.
  • Egon Schwarz: Zur Stilistik in Stifters „Bergkristall“. In: Neophilologus. 38, 1, 1954, ISSN 0028-2677, S. 260–268.
  • Margit M. Sinka: Unappreciated Symbol. The „Unglückssäule“ in Stifters „Bergkristall“. In: Modern Austrian Literature 16, 2, 1983, ISSN 0544-6465, S. 1–17.

Weblinks


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