10. Sinfonie (Schostakowitsch)

10. Sinfonie (Schostakowitsch)

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Die 10. Sinfonie in e-Moll op. 93 von Dmitri Schostakowitsch wurde vom Leningrader Philharmonischen Orchester unter der Leitung von Jewgeni Mrawinski am 17. Dezember 1953 uraufgeführt. Es kann nicht genau nachvollzogen werden, wann diese Sinfonie geschrieben wurde. Laut der Briefe des Komponisten entstand das Werk zwischen Juli und Oktober 1953.

Sie unterteilt sich in vier: Sätzen:

Aufführungsdauer: ca. 52 Minuten.

Es war Schostakowitschs erste sinfonische Arbeit seit 1945 und seit seiner Demütigung in Folge der „antiformalistischen“ Säuberungen von 1948, bei der er seiner Lehrämter in Moskau und Leningrad enthoben wurde. In der Zeit zwischen 1945 und dem Tode Josef Stalins am 5. März 1953 repräsentierte er die Sowjetunion in einer Reihe sogenannter „internationaler Friedenskongresse“. Bis zum März 1953 hatte sich eine erhebliche Anzahl ernsthafter Werke in den Schubladen Schostakowitschs gestapelt, die entweder auf ihre Uraufführung oder ihre Rehabilitierung harrten. Solomon Wolkow schrieb in seinem Buch „Zeugenaussage“, die 10. Sinfonie handle von „Stalin und den Stalin-Jahren“ Diese Theorie wird jedoch bis heute heftig diskutiert. [1].

Gestaltung

Die Sinfonie gliedert sich in vier Sätze.

Erster Satz

Im ersten Satz steht Leiden im Mittelpunkt. Dieses ist der bis dahin komplexeste und am sorgfältigsten durchkomponierte aller sinfonischen Kopfsätze Schostakowitschs. Dieses Thema der persönlichen Identität wird im dritten und vierten Satz wieder aufgenommen. Der erste Satz beginnt mit einem Cello-Kontrabass-Unisono in E-Moll. Die Themata, die Schostakowitsch nutzt, zeigen alle einen ähnlichen, tragischen Eindruck, wobei das Tempo Moderato die negative Atmosphäre angemessen zur Wirkung bringt. Bis auf den Mittelteil, wo sich die Musik zu lärmenden Akkorden steigert, ist dieser Satz eher ruhig gehalten. Der Musikwissenschaftler Bernd Feuchtner beschrieb den ersten Satz als ein Bild des Wahnsinns.

Zweiter Satz

Der zweite Satz ist ein kurzes und „brutales“ Scherzo, nach Wolkows Worten handelt es sich hierbei „grob umrissen um ein musikalisches Porträt Stalins“ [1]. Der Satz beginnt mit heftigen Akkordschlägen, worauf Schostakowitsch, so Kurt Sanderling, das Stalinthema von Ziffer 71, Takt 7 bis Ziffer 73, Takt 1 zunächst als Holzbläserquartett, dann als Quintett setzt. Dieses Thema enthält Marschpunktierungen und markante Rhythmen mit Sechzehntelnoten, die anschließend als Trommelsolo (Kb. 0:22) wiederholt werden.

Dritter Satz

Den dritten Satz beginnt Schostakowitsch mit einer Verformung seiner Initialen, nämlich C D Es H, die er analog zum BACHschen Kreuzsymbol mit deutschen Notenbezeichnungen notiert. In Ziffer 104, Takt 5 zeigen sich seine Originalinitialen D Es C H. Aus harmonischen Gründen wählte er C-Moll, da so H als Leitton zu C dient. Darunter erscheint wieder das Stalinthema, jedoch als Imitation, wobei Schostakowitsch seine Initialen als wohlgeordnete Viertelnoten der Flöte als Staccato-Pfiffe darübersetzt. Er wird hauptsächlich aus zwei Motiven gebildet: das DSCH–Motiv repräsentiert den Komponisten selbst (die Noten D-Es-C-H stehen für die Initialen Dimitri Schostakowitsch), sowie das Elmira-Motiv (E-La-Mi-Re-A in einer deutsch-italienischen Kombination von Notennamen). Dieses Motiv wird zwölf Mal auf dem Horn gespielt; mit ihm huldigt Schostakowitsch der aserbaidschanischen Kompositionsschülerin Elmira Nasirova, seiner damaligen Muse, Vertraute und Objekt seiner unerwiderten Zuneigung. Das DSCH- und das Elmira-Motiv ändern sich im Laufe des dritten Satzes und vereinen sich schließlich im Zeitablauf. Das Initialthema ist am Ende des Satz ab Ziffer 142 sechsmal zu hören. Die letzte Erscheinung seiner Initialen erscheint als Augmentation.

Vierter Satz

Der vierte und letzte Satz dieser Symphonie unterteilt sich in ein Andante und Allegro. Das Andante beginnt in Ziffer 144, Takt 8 mit einem Thema, das zuerst von der Oboe gespielt wird. In Takt 18 wendet sich das Thema vom idyllischen Charakter ab und zeigt ein aggressives Klangbild, was Schostakowitsch durch Chromatik und einen dissonanten H-C-Fis-Akkord der Streicher erzielt. Diese Wendung vollzieht das Thema mehrmals, wobei jedes Mal ein befremdlicher Eindruck entsteht.

Zum zweiten Teil des Satzes löst sich die pessimistische Stimmung in Ziffer 153, Takt auf und es erklingt eine fröhliche Tanzmusik. Die Düsternis zu Beginn des letzten Satzes wird scheinbar durch eine unbekümmerte Klarinette und sorglose Geigen vertrieben, welche aber wieder im Mittelteil des Satzes vom brutalen Stalin-Scherzo begleitet werden. Erst das triumphale DSCH-Motiv, welches sich mit wachsender Intensität wiederholt, vertreibt die Krise endgültig. Zuletzt erscheint es als Unisono fast des gesamten Orchesters als halbe Noten im forte fortissimo.

Literatur

  • David Fanning: Shostakovich – Symphony No. 10 in E-Minor. [Deutsche Übersetzung: Bernd Müller] – CD-Booklet HLD 7511
  • Michael Koball: Pathos und Groteske – Die Deutsche Tradition im symphonischen Schaffen von Dmitri Schostakowitsch. Kuhn, Berlin 1997, ISBN 3-928864-50-5 (im Buchhandel vergriffen, Bezug über den Autor möglich)

Quellen

  1. a b Solomon Wolkow, Dmitri Schostakowitsch: Die Memoiren des Dmitri Schostakowitsch. List, München 2003, ISBN 3-548-60335-1

Weblinks


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