Bolognaprozess

Bolognaprozess
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Der Begriff Bologna-Prozess bezeichnet ein politisches Vorhaben zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulwesens bis zum Jahr 2010. Er beruht auf einer im Jahre 1999 von 29 europäischen Bildungsministern im italienischen Bologna unterzeichneten, völkerrechtlich nicht bindenden Bologna-Erklärung.

Inhaltsverzeichnis

Historische Entwicklung

Ein erstes allgemeines völkerrechtliches Abkommen zur gegenseitigen Anerkennung von Studienabschlüssen erarbeitete der Europarat zusammen mit der UNESCO am 11. April 1997 im Lissabon-Abkommen. Diese legte die prinzipielle Anerkennung aller Studienabschlüsse der Unterzeichnerstaaten untereinander fest. Im Gegenzug sollte jedes Land zusätzliche Bedingungen zur Fortsetzung eines bereits im Ausland begonnenen Studiums in seinen Grenzen definieren dürfen, wobei die Transparenz des Verfahrens gegeben sein sollte. Ferner enthielt die Übereinkunft Regelungen zur Beilegung eines Diploma Supplement (sinngemäß: „Leistungsnachweis“) zu jeder Hochschulurkunde.[1]

Die Initiative zur Vereinheitlichung des bestehenden europäischen Hochschulbetriebs geht auf eine gemeinsame Erklärung der Bildungsminister der damals vier größten Mitgliedsländer der Europäischen Union im Jahr 1998 zurück, namentlich Frankreichs, Deutschlands, Italiens und des Vereinigten Königreichs. Aufgrund ihres Unterzeichnungsortes wurde diese „Gemeinsame Erklärung zur Harmonisierung der Architektur der europäischen Hochschulbildung“ vom 25. Mai 1998 als Sorbonne-Erklärung bekannt. Darüber hinaus forderte die Erklärung, im Ausland erbrachte Leistungen in einem solchen Hochschulraum unbürokratisch anerkennen zu lassen, die studentische Mobilität zu fördern und ein Kreditpunktesystem zu erlassen.[2]

Die „Bologna-Erklärung“ stellt im Wesentlichen eine Konkretisierung und Erweiterung der in der Sorbonne-Erklärung festgehaltenen Absichten dar. Durch den Beschluss regelmäßiger Folgekonferenzen im Abstand von zwei Jahren und einer nahe liegenden Umsetzungsfrist mit dem Jahr 2010 sollte das Projekt beschleunigt werden. Die Bildungminister von 29 europäischen Nationen beschlossen darüber hinaus die Einführung eines konsekutiven, zweistufigen Abschlusssystems, dessen Abschlüsse meist als „Bachelor“ und „Master“ bezeichnet werden. Die Konferenz kam ferner über Mechanismen zur nachhaltigen Qualitätssicherung überein.[3]

Ziele

Der Bologna-Prozess verfolgt drei Hauptziele: Die Förderung von Mobilität, von internationaler Wettbewerbsfähigkeit und von Beschäftigungsfähigkeit. Als Unterziele umfasst dies unter anderem:

  • die Schaffung eines Systems leicht verständlicher und vergleichbarer Abschlüsse, auch durch die Einführung des Diplomzusatzes,
  • die Schaffung eines zweistufigen Systems von Studienabschlüssen (konsekutive Studiengänge, undergraduate/graduate, in Deutschland und Österreich als Bakkalaureus/Bachelor und Magister/Master umgesetzt),
  • die Einführung eines Leistungspunktesystems, des European Credit Transfer System (ECTS),
  • die Förderung der Mobilität durch Beseitigung von Mobilitätshemmnissen; gemeint ist nicht nur räumliche Mobilität, sondern auch kulturelle Kompetenzen und Mobilität zwischen Hochschulen und Bildungsgängen,
  • Förderung der europäischen Zusammenarbeit bei der Qualitätsentwicklung,
  • die Förderung der europäischen Dimension in der Hochschulausbildung,
  • das lebenslange bzw. lebensbegleitende Lernen,
  • die studentische Beteiligung (Mitwirken an allen Entscheidungen und Initiativen auf allen Ebenen),
  • die Förderung der Attraktivität des europäischen Hochschulraumes,
  • die Verzahnung des europäischen Hochschulraumes mit dem europäischen Forschungsraum, insbesondere durch die Eingliederung der Promotionsphase in den Bologna-Prozess.

Ein weiteres Ziel ist die Integration der sozialen Dimension, sie wird als übergreifende Maßnahme verstanden und bildet somit keinen eigenen Schwerpunkt.

Zyklen

Eines der bekanntesten Resultate des Bologna-Prozesses ist die Definition eines Systems von drei aufeinander aufbauenden Zyklen in der Hochschulbildung. Diese Zyklen werden in der Bergen-Deklaration durch ein grobes Rahmenwerk von Qualifikationen und ECTS-Credits definiert [1].

  • 1. Zyklus: typisch 180−240 ECTS-Credits. Meistens als Bachelor bezeichnet.
  • 2. Zyklus: typisch 90−120 ECTS-Credits (Minimum 60). Meistens als Master bezeichnet.
  • 3. Zyklus: Erfordert eigenständige Forschung. Meistens als Doktor bzw. PhD bezeichnet. Keine ECTS-Angabe, allerdings wird ein Arbeitsaufwand von 3–4 Jahren (Vollzeit-Beschäftigung) angenommen.

Die tatsächliche Benennung der Zyklen bleibt offen. Wie die jeweiligen akademischen Grade genannt werden (Bachelor, Bakkalaureat, Licence, Laurea …), hat keinen Einfluss auf ihre Kompatibilität zum Rahmenwerk; ein Zwang zur Umbenennung besteht daher nicht.

Organisation

Beim Bologna-Prozess handelt es sich um eine rechtlich unverbindliche Absprache zwischen den Bildungsministern von inzwischen 46 europäischen Staaten. Auf den alle zwei Jahre stattfindenden Ministertreffen (2001 in Prag, 2003 in Berlin, 2005 in Bergen, 2007 in London, 2009 in Leuven) legen sie offiziell fest, welche Ziele im Bologna-Prozess erreicht werden sollen (z.B. höhere Mobilität, Einführung von BA/MA oder die Einrichtung von Qualitätssicherungssystemen). Gleichzeitig sind die Minister für die Umsetzung der verschiedenen Konzepte auf Länderebene verantwortlich. Unterstützt werden sie dabei von einer Arbeitsgruppe auf europäischer Ebene, der Bologna Follow-Up Group (BFUG), und nationalen Komitees, den nationalen Bologna-Gruppen.

In der BFUG arbeiten Vertreter der verschiedenen Bologna-Staaten und der Europäischen Union an konkreten Plänen für die Umsetzung der Bologna-Ziele, wobei sie von europaweiten Vereinigungen der Hochschulen (EUA und EURASHE), der Studierenden (ESU), der Wirtschaft (BusinessEurope) und des Europarats beraten werden. Weitere Organisationen wie CESAER oder SEFI wirken inoffiziell am Bologna-Prozess mit, indem sie Empfehlungen für einzelne Bereiche ausarbeiten. Die BFUG trifft sich mehrmals im Jahr, um offene Fragen zu den Reformen zu klären und über Fortschritte zu berichten.

Die nationale Bologna-Gruppe besteht in Deutschland aus Vertretern des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), der Kultusministerkonferenz (KMK), des freien zusammenschlusses von studentinnenschaften (fzs), der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA), der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), des Akkreditierungsrates und des deutschen Studentenwerks (DSW). Gemeinsam erarbeitet sie Lösungen zur Umsetzung der Bologna-Ziele auf Bundesebene, berichtet an die BFUG und führt Seminare zu den verschiedenen Inhalten des Bologna-Prozesses durch.

Politikwissenschaftliche Erklärung des Bologna-Prozesses

Der Bologna-Prozess wird von der Politikwissenschaft als ein Phänomen der "Politikkonvergenz" bezeichnet: Politische Lösungsfindungen eigentlich unabhängiger Nationalstaaten werden von politischen Entscheidungsträgern bewusst einander angeglichen – eine bemerkenswerte Entwicklung, weil so national souverän erarbeitete Lösungswege teilweise radikale Änderungen erfahren. Erklärbar wird eine solche Entwicklung durch verschiedene Faktoren, die Staaten dazu zwingen können, ihre nationalen Politiken einander anzugleichen. Der erste von drei wichtigen Faktoren ist der Ablauf des Bologna-Prozesses im Rahmen der Europäischen Einigung. Das bewirkt eine internationale Harmonisierung, hervorgerufen beispielsweise durch wechselseitige Abhängigkeiten, auch im Bildungsbreich. Zweitens führt ein Regulierungswettbewerb zur Implementierung des Bologna-Prozesses: Die teilnehmenden Staaten wollen so verhindern, im internationalen Bildungswettbewerb einerseits Prestige und andererseits kompetente potenzielle Studierende zu verlieren. Drittens hat transnationale Kommunikation, beispielsweise über international angelegte Studien wie die Bildungsberichte der OECD, den Einigungsprozess im Hochschulfeld beschleunigt.[4]

Kritik

Sowohl große Studentenorganisationen und Verbände wie auch Verantwortliche der Hochschulen üben teilweise heftige Kritik am Bologna-Prozess. Diese reicht von der Kritik an einzelnen Umsetzungsproblemen bis zur gänzlichen Ablehnung des Prozesses.

Rund drei Jahre nach Einführung des Bachelor/Master-Systems häufen sich Anzeichen von Überforderung und Stress bei Bachelorstudenten. Auch die Gefahr sozialer Selektion durch den erhöhten Druck auf Werkstudenten wird von verschiedenen Beratungsstellen und Universitätspsychologen kritisiert.[5]

Von zahlreichen Beteiligten wie den Studentenorganisationen werden in der Regel nicht die Ziele des Bologna-Prozesses (z.B. Mobilität, Strukturierung des Studiums, Berufsqualifizierung), sondern die Art der Umsetzung durch die Hochschulen kritisiert. Insbesondere detaillierte Umstrukturierungsmaßnahmen der Universitäten werden oftmals als durch den Bologna-Prozess vorgegeben begründet, obwohl dieser nur grobe Rahmenvorgaben macht.

So wird an manchen Universitäten der Lehrstoff eines 4-jährigen Magister-Abschlusses in einen 3-jährigen Bachelor komprimiert, was zu Arbeitsüberlastung und Frust führt. [6] Dem wird entgegengehalten, dass gerade die Modularisierung und das Creditpoints-System erstmals auch die Vor- und Nachbereitungszeit berücksichtigen, anstatt nur die Präsenzzeit vor Ort in Semesterwochenstunden. Wenn Dozenten den von der Hochschule zu erarbeitenden Zeitumfang nicht einhalten, könne das nicht als Kritik am Bologna-Prozess gewertet werden.

Auch im Bereich der Theologie wird der Bologna-Prozess stark kritisiert: Insbesondere die Modularisierung des Studiums wird von vielen Studierenden abgelehnt.[7] Der Theologe Marius Reiser hat inzwischen aus Protest gegen den Bologna-Prozess seine Professur an der Universität Mainz niedergelegt.[8]

Außerdem wird unter anderem vorgebracht, dass

  • der Prozess demokratisch ungenügend legitimiert sei, da an seiner Ausarbeitung und Durchführung hauptsächlich exekutive Organe der einzelnen Nationalstaaten beteiligt sind, während die legislativen Organe nicht oder erst nach vollendeten Tatsachen dazu beraten konnten.
  • der auf drei Jahre verkürzte Bachelor-Studiengang zu einem geringeren Qualifikationsniveau und zu einem weniger praktischen und berufsqualifizierenden Abschluss führe (z.B. durch den Wegfall von Praxissemestern und Auslandsaufenthalten[9]).
  • den Studierenden durch die gestraffte Ausbildungsform und die zumeist vorgegebenen Lehrinhalte die Möglichkeit genommen werde, eigene Interessenschwerpunkte herauszuarbeiten und sich wissenschaftlich experimentell einzubringen. [10]
  • innerhalb des Prozesses das Studium zu stark auf rein wirtschaftliche und berufsbezogene Kriterien reduziert werde. Statt der "Bildung" (Humboldtsches Bildungsideal) stünden nur noch die Arbeitsmarktqualifikation und die Interessen des Marktes im Vordergrund. [11]
  • insbesondere auch in den deutschsprachigen Ländern mit ihrer traditionell starken Berufsbildung der Bologna-Prozess die Universitäten in Konkurrenz zum berufsgerichteten Teil des dualen Bildungssystems bringe, was letztlich für beide Teile negative Auswirkungen habe.
  • die zur erfolgreichen Umsetzungen notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen nicht zur Verfügung gestellt würden und dadurch Bologna, statt die Hochschulen zu entlasten, vielmehr auf Kosten anderer, notwendigerer Reformen ausgeführt werde.
  • die Versprechungen der Deklaration (insbesondere von Mobilität) nur für einen sehr kleinen Teil der Studierenden eingelöst würden. [12]
  • die sozialen Auswirkungen der Reformen, insbesondere auf die Chancengleichheit der verschiedenen sozialen Gruppen und die Gleichstellung von Frau und Mann, zu wenig berücksichtigt würden und der Prozess die Situation verschlechtere.

Siehe auch

Referenzen

  1. vgl. „Lissabon 1997: Konvention des Europarates und der UNESCO“, Hochschule Darmstadt. Zugriff am 11. August 2008.
  2. vgl. „Paris 1998: Sorbonne-Erklärung“, Hochschule Darmstadt. Zugriff am 11. August 2008.
  3. „Die Bologna-Erklärung“, Zugriff am 11. August 2008.
  4. Christian Förster: Troja oder Bologna? Die Reform des Hochschulwesens zwischen Pfadabhängigkeit und Angleichung. WiP Working Paper 37, 2007, Kostenloser Download, S. 8-12.
  5. http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,607639,00.html
  6. Report Mainz, Das Erste, 7. April 2008: Bachelor-Abschluss führt zu Studienabbruch
  7. Informationsbroschüre des Studierendenrats Evangelische Theologie.
  8. Bericht in der FAZ
  9. fzs-Papier: Studentische Mobilität im Bologna-Prozess, http://www.fzs.de/aktuelles/papiere/189383.html
  10. Vgl. den Aufsatz von Ulrich Ruschig, S. 6ff.
  11. Vgl. die Stellungnahme von Julian Nida-Rümelin
  12. Artikel der Zeit von Justus Bender | DIE ZEIT, 15.04.2009 Nr. 03 , abgerufen am 27. April 2009.

Literatur

  • Jana Bektchieva: Die europäische Bildungspolitik nach Maastricht. Münster 2004, ISBN 3-8258-7077-4
  • Winfried Benz, Jürgen Kohler, Klaus Landfried (Hrsg.): Handbuch Qualität in Studium und Lehre. Evaluation nutzen – Akkreditierung sichern – Profil schärfen. Berlin 2004, ISBN 3-8183-0207-3
  • Georg Bollenbeck (Hrsg.): Der Bologna-Prozess und die Veränderung der Hochschullandschaft. Synchron, Heidelberg 2007. ISBN 978-3-939381-04-4
  • Christian Förster: Troja oder Bologna? Die Reform des Hochschulwesens zwischen Pfadabhängigkeit und Angleichung. WiP Working Paper 37, 2007, Kostenloser Download
  • Philipp Eckardt: Der Bologna-Prozess. Entstehung, Strukturen und Ziele der europäischen Hochschulreformpolitik. Norderstedt 2005, ISBN 3-8334-4031-7
  • Werner Fiedler, Eike Hebecker: Promovieren in Europa. Strukturen, Status und Perspektiven im Bologna-Prozess. Budrich 2006, ISBN 3-8664-9026-7
  • Hans Rainer Friedrich: Neuere Entwicklungen und Perspektiven des Bologna-Prozesses. Wittenberg 2002 (HoF-Arbeitsberichte, 4’02), ISBN 3-9806-7016-3
  • Frauke Gützkow, Gunter Quaißer (Hrsg.): Jahrbuch Hochschule gestalten 2005. Denkanstöße zum Bologna-Prozess. Bielefeld 2005, ISBN 3-937026-41-x
  • Anke Hanft, Isabel Müskens (Hrsg.): Bologna und die Folgen für die Hochschule. Wiesbaden 2005, ISBN 3-9370-2633-9
  • Hochschulrektorenkonferenz: Bologna in der Praxis. Erfahrungen aus den Hochschulen. Bertelsmann, Bielefeld 2008. ISBN 978-3-7639-3578-9
  • Hajo Köppen: Der Bologna-Prozess - Auswirkungen auf die Hochschulen am Beispiel der Fachhochschule Gießen-Friedberg. In: Europa, aktuelle Aspekte und Entwicklungen, herausgegeben von Friedrich-Karl Feyerabend und Robert Malzacher, Gießen, Dezember 2006.
  • Kertz-Welzel, Alexandra: Motivation zur Weiterbildung: Master- und Bachelor-Abschlüsse in den USA, in: Diskussion Musikpädagogik 29 (2006), S. 33–35.
  • Michael Leszczensky, Andrä Wolter (Hrsg.): Der Bologna-Prozess im Spiegel der HIS-Hochschulforschung. Hannover 2005, Kostenloser Download
  • Franziska Muche: Opening up to the Wider World. Bonn 2005, ISBN 3-9323-0667-8
  • Alexander-Kenneth Nagel: Der Bologna-Prozess als Politiknetzwerk. Akteure, Beziehungen, Perspektiven. Wiesbaden 2006, ISBN 3-8350-6046-5
  • Stefanie Schwarz-Hahn, Meike Rehburg: BACHELOR und MASTER in Deutschland. Empirische Befunde zur Studienstrukturreform. Münster [u.a.] 2004, ISBN 3-8309-1370-2
  • Thomas Walter: Der Bologna-Prozess. Ein Wendepunkt europäischer Hochschulpolitik? Wiesbaden 2006, ISBN 3-531-15322-6
  • Konrad Paul Liessmann: Theorie der Unbildung. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2006, ISBN 978-3-492-25220-1, S. 104 - 123

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