ATR-Spektroskopie

ATR-Spektroskopie

ATR-Spektroskopie (von engl. attenuated total reflection, dt. abgeschwächte Totalreflexion) ist eine infrarot-spektroskopische Methode für die Oberflächenuntersuchung von undurchsichtigen Stoffen wie z. B. Lackschichten oder Polymerfolien und auch flüssigen Proben wie z. B. Lösungsmittelmischungen. Das Verfahren wurde erstmals von Harrick 1960 [1] und Fahrenfort 1961 [2] vorgestellt. Dabei wird die Intensität des reflektierten Lichtes gemessen, dies lässt Rückschlüsse über das absorbierende Medium zu.

Inhaltsverzeichnis

Aufbau und Funktion

Kernstück dieser Methode ist ein Lichtwellenleiter, in dem Strahlung in Totalreflexion geführt wird, ein sogenanntes Reflexionselement (engl.: internal reflection element, IRE). Dieser Lichtwellenleiter ist für gewöhnlich ein Prisma, eine Faser ohne Mantel oder ein spezieller ATR-Kristall, in dem Mehrfachreflexionen möglich sind.

Bei Totalreflexion bilden sich hinter der reflektierenden Grenzfläche evaneszente Wellen aus. Diese haben etwa die Reichweite einer Wellenlänge. Wird nun eine Probe nahe an die Oberfläche des Lichtwellenleiters gebracht, kann diese mit der evaneszenten Welle wechselwirken. Das im Wellenleiter geführte Licht wird abgeschwächt.

Ein Richtwert für die notwendige Annäherung der Probe an die Grenzfläche ist die Eindringtiefe dp der evaneszenten Welle. Diese wird definiert als der Abstand von der Grenzfläche bei dem die Amplitude des elektrischen Feldes nur noch 1/e-tel (≈ 37 %) der Amplitude an der Grenzfläche entspricht. Für Licht der Wellenlänge λ und dem Einfallswinkel Θ ergibt sich beim Übergang vom optisch dichteren Medium (z. B. ATR-Element mit der Brechzahl n1) in ein optisch dünneres Medium (z. B. ein flüssiges Medium mit der Brechzahl n2):[3]

d_p = \frac {\lambda}{2\pi\sqrt{n_1^2\sin^2(\Theta) - n_2^2}}

Für eine abklingende (evaneszente) Welle mit der Wellenlänge 500 nm ergibt sich somit bei der Totalreflexion (unter 60°) an der Grenzfläche von Glas (n = 1,5) und Luft (n = 1,0) eine Eindringtiefe von 95 nm. Im Allgemeinen kann gesagt werden, dass die Eindringtiefe etwas geringer (aber näherungsweise in der gleichen Größenordnung) als die Wellenlänge des einfallenden Lichtes ist.

Die folgende Summe wird als effektive Eindringtiefe bezeichnet

d_\mbox{eff} = \sum_i {N_i \cdot d_i}

wobei Ni die Anzahl der Totalreflexionen bei dem Winkel Θi, je mit Eindringtiefe di, bei ATR Elemente mit mehr als eine Totalreflexion, zur erhöhten Mediumkontakt.

Anwendung

Infrarotspektroskopie

Halterung für ATR-Spektroskopie mir KRS5-Kristall
Multireflexionskristalle; Oben: Silicium-Kristall mit mit der Grundfläche eines Parallelograms, darunter Krystalle mit trapezfömioger Grundfläche aus Zink-Selenid (mitte) und Silicium (unten).

Bei der Infrarotspektroskopie werden feste und flüssige Proben in das evaneszente Feld gebracht und die wellenlängenabhängige Absorption gemessen. Feste Proben werden dabei an die Oberfläche des Lichtwellenleiters angepresst, um ein möglichst hohes Messsignal zu erhalten. Zur Erhöhung der Empfindlichkeit werden Lichtwellenleiter eingesetzt, in denen der Messstrahl mehrfach reflektiert wird.

Für die Aufnahme von IR-Spektren von Werkstücken und Materialproben gehört ATR heute zu den am häufigsten angewandten Methoden. Als Materialien für IR-Strahlung wählt man je nach Wellenzahlbereich meist ZnSe, Ge, Thalliumbromoiodid (KRS-5), Si, AMTIR (von engl. amorphous material transmitting infrared radiation, z. B. GeAsSe = AMTIR-1) oder Diamant.[4]

Bei der Untersuchung von Proben ist darauf zu achten, dass die Brechzahl des eingesetzten ATR-Elements hinreichend groß ist, so dass beim Kontakt zwischen Medium und ATR-Element weiterhin die Bedingungen für Totalreflexion erfüllt sind.

Oberflächenplasmonenresonanz

Bei der Oberflächenplasmonenresonanz (SPR) wird die winkelabhängige Absorption bei festen Wellenlängen gemessen. Es gibt zwei verschieden Möglichkeiten der Anordnung: Zum einen die Otto-Methode,[5] bei der ein Luftspalt zwischen Prisma und dem zu untersuchenden Metall gelassen wird. Zum anderen die Kretschmann-Methode,[6] bei der ein dünner Metallfilm auf das Prisma aufgebracht wird. Das evaneszente Feld regt nun unter bestimmten Bedingungen Oberflächenplasmonen an einer Grenzfläche der Probe an und wird dabei absorbiert. Nimmt man die Reflexion winkelabhängig auf, kann man aus dem Verlauf die komplexe Brechzahl der Probe berechnen.

Die Kretschmann-Methode findet auch in der Biologie ihre Anwendung. Hier wird auf ein Prisma mit einem Goldfilm eine Membran präpariert, die biologische Moleküle absorbieren kann. Die Bedeckung der Membran mit Molekülen verändert die Brechzahl der Schicht, die mit dieser Methode sehr empfindlich gemessen werden kann.

Vor- und Nachteile

  • Auch nicht homogenisierbare Substanzen sind messbar (z. B. Polymere)
  • Das Herstellen der KBr-Presslinge entfällt
  • Die Empfindlichkeit bei der ATR-Spektroskopie wird über die Eindringtiefe sowie die Anzahl der Reflexionen eingestellt. Aufgrund der geringen Eindringtiefe ist diese Methode besonders für stark absorbierende Proben geeignet.
  • Die im mittleren Infrarot transparenten Materialien sind zumeist mechanisch und/oder chemisch instabil. Ausnahme bilden hier teure ATR-Elemente aus Diamant.

Vergleichbarkeit von ATR- und Transmissionspektren

Da die Transmissionstechnik lange Zeit die dominierende IR-Messmethode war, existieren große Sammlungen und Datenbanken von Transmissionsspektren. Die relative Ähnlichkeit der ATR- und Transmissionspektren legt den Schluss nahe, die Transmissionspektren können für die Identifikation von Materialien mittels ATR-Spektren genutzt werden. Ein direkter Vergleich der Spektren führt jedoch bei komplexeren Spektren im Allgemeinen nicht zu verlässlichen Resultaten. Die Ursache dafür liegt in den von der Wellenlänge und starken Absorptionszentren (hoher Extinktionskoeffizent) abhängigen Eindringtiefen der Oberflächenwelle und somit der Informationstiefe. Die Folge ist eine von der Wellenlänge abhängige relative Bandenintensität. Die Absorptionsbanden werden zu größeren Wellenlängen (kleinere Wellenzahl) hin breiter und intensiver als bei entsprechenden Transmissionsspektren. Die Lage der Absorptionsbanden ist aber bei Transmissions- und ATR-Spektren identisch.

Um dennoch die Vergleichbarkeit von ATR- und Transmissionsspektren zu verbessern, so dass auch ältere Spektren genutzt werden können, gibt es mathematische Verfahren, die sogenannte ATR-Korrektur. Neben der einfachen ATR-Korrektur, die nur eine Wellenzahlwichtung des Spektrums vornimmt, bieten einige Hersteller von Spektruskopiesoftware auch sogenannte erweiterte ATR-Korrektur-Verfahren an. Diese nutzen unter anderem auch den Einfallswinkel und die Brechzahlen des Kristalls und der Probe für die Korrektur.

Aus diesem Grund führen einige Anbieter von Spektrendatenbanken mittlerweile neben Datenbanken mit Transmissionsspektren auch welche mit ATR-Spektren. Dies ist ein wichtiger Aspekt, da die ATR-Technik mittlerweile in vielen Bereichen die dominierende IR-Technik ist, beispielsweise in der Prozessanalytik.

Weblinks

Literatur

  • N. J. Harrick: Internal Reflection Spectroscopy. John Wiley & Sons Inc, 1967, ISBN 0470352507. 
  • Francis M. Mirabella: Internal Reflection Spectroscopy: Methods and Techniques: Theory and Applications. Marcel Dekker Ltd., 1992, ISBN 0824787307. 
  • Francis M. Mirabella: Modern Techniques in Applied Molecular Spectroscopy. Wiley & Sons, 1998, ISBN 0471123595. 

Fußnoten und Einzelnachweise

  1. N. J. Harrick: . In: Zeitschrift für physikalische Chemie. 64, 1960, S. 1119. , zitiert in Helmut Günzler, Harald Böck: IR - Spektroskopie: Eine Einführung. 2. Auflage. Wiley-VCH, 1983, ISBN 3-527-21089-X, S. 308. 
  2. J. Fahrenfort: Attenuated total reflection A new principle for the production of useful infra-red reflection spectra of organic compounds. In: Spectrochimica Acta. 17, 1961, S. 698–709 (doi:10.1016/0371-1951(61)80136-7). , zitiert in Helmut Günzler,Hans-Ulrich Gremlich: IR - Spektroskopie: Eine Einführung. 4. Auflage. Wiley-VCH, 2003, ISBN 3-527-30801-6, S. 123. 
  3. Frank L. Pedrotti: Optik für Ingenieure: Grundlagen. Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg/New York 2005, ISBN 3-540-22813-6.
  4. Transmission Curves. RMI Laser Optics and Coatings Prototype Through Production. Abgerufen am 3. März 2008. (englisch, Transmissionsfenster einiger wichtiger IR-Materialien)
  5. A. Otto: Excitation of nonradiative surface plasma waves in silver by the method of frustrated total reflection.. In: Zeitschrift für Physik. Band 216, 1968, S. 398–410.
  6. E. Kretschmann: Die Bestimmung optischer Konstanten von metallen durch Anregung von Oberflächenplasmaschwingungen.. In: Zeitschrift für Physik. Band 241, 1971, S. 313–324.

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