Brechung der Zinsknechtschaft

Brechung der Zinsknechtschaft

Zinsknechtschaft (englisch: „Interest bondage“) und die Forderung nach „Brechung der Zinsknechtschaft“ sind wirtschaftspolitische Schlagworte in Anlehnung an den historischen Begriff der Schuldknechtschaft, die besonders in der nationalsozialistischen Ideologie zum Zwecke der Zinskritik Verwendung fanden und auch heute in zahlreichen Veröffentlichungen von Rechtsextremisten erscheinen. Auch linke Gruppen wie Attac geraten manchmal unter Antisemitismusverdacht, wenn sie diese und verwandte Begriffe in einem bestimmten Zusammenhang verwenden[1]. Dies ist auf das tiefverwurzelte Vorurteil aus dem Mittelalter zurückzuführen, als es den Christen verboten war, Zinsen zu nehmen, und somit jüdische Mitbürger, denen der Zugang zu zahlreichen Berufen (siehe Zünfte) verwehrt wurde, oft nur über Zinseinnahmen Geld verdienen konnten.

Inhaltsverzeichnis

Begriff

Erstmals verwendet wurde der Begriff der Zinsknechtschaft von der Deutschen Arbeiterpartei in Böhmen, die unter dem Einfluss Walter Riehls 1913 auf einem Parteitag in Iglau ein neues Programm erstellte, in welchem die Forderung nach Bekämpfung der Zinsknechtschaft erhoben wurde.[2] Die DAP ging 1919 in der Deutschen Nationalsozialistischen Arbeiterpartei auf, die als Splitterpartei bis 1926 existierte.

Die Zuordnung der beiden Worte bzw. der Forderung zur nationalsozialistischen Ideologie geht maßgeblich auf Gottfried Feder zurück, der 1919 den Deutschen Kampfbund zur Brechung der Zinsknechtschaft gegründet und im selben Jahr sein Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft[3] veröffentlicht hatte. Inhalt seiner Forderungen war jedoch nicht, wie oft vermutet wird, ein Verbot, Zinsen zu erheben, sondern zahlreiche geforderte Veränderungen in der staatlichen Wirtschaftspolitik. Eine Hauptkritik Feders war die Zahlung von Zinsen durch den Staat an Inhaber von staatlichen Wertpapieren/Schatzbriefen. Seine Argumente dienten als Begründung für die nationalsozialistische Politik, die alle jüdischen Mitbürger aus dem wirtschaftlichen Leben ausschließen wollte, und sind somit Teil des Antisemitismus im 20. Jahrhundert. Er schrieb auf Seite 34 seines Manifestes: ... dagegen existiert der Pfennig, den der alte Rothschild auf Zinsen gelegt hat und wird, wenn es ein internationales Recht gibt, in alle Ewigkeit existieren.

Nationalsozialismus

Feder gilt als erster Wirtschaftstheoretiker der NSDAP, seine Veröffentlichungen werden in Adolf Hitlers Mein Kampf mehrfach lobend erwähnt. Für die Nationalsozialisten waren sie besonders interessant, weil er darin zwischen „raffendem und schaffendem Kapital“ unterschied. Feders wirtschaftspolitische Vorstellungen fanden 1920 Eingang in das 25-Punkte-Programm der NSDAP. Unter Punkt 11 wurden hier die „Abschaffung des arbeits- und mühelosen Einkommens, Brechung der Zinsknechtschaft“ gefordert.

Von Historikern wird jedoch konstatiert, dass Parolen wie diese keine Rolle für die tatsächliche Politik der Nationalsozialisten spielten; sie gehörten

„…ins manipulationsfähige Vorfeld, das der Tarnung, der Verwirrung diente und nach Opportunitätsmotiven mit wechselnden Schlagwörtern bestückt war. Wie zynisch zumindest an der Spitze die Programmgrundsätze missachtet wurden, erfuhr einer der jungen enthusiastischen Überläufer zur Partei im Gespräch mit Goebbels; auf die Bemerkung, dass Feders Brechung der Zinsknechtschaft doch ein Element des Sozialismus enthalte, bekam er zur Antwort, brechen müsse höchstens der, der diesen Unsinn anhöre.“

Joachim Fest: Hitler. Eine Biographie. S. 393[4]

Ideologien nach dem Zweiten Weltkrieg

Verwendung des Begriffs auf der Auftaktdemo zur Antikapitalismus-Kampagne von NPD und Freien Kameradschaften am 1. April 2006 in Arnstadt (Thüringen)

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Feders Arbeiten, darunter sein Hauptwerk Kampf gegen die Hochfinanz, von rechtsextremen Verlagen und Antiquariaten vertrieben, aber nur gelegentlich in der rechtsextremen Szene rezipiert. Im Zusammenhang mit der Wandlung weiter Teile der extremen Rechten hin zu einer antikapitalistischen Ausrichtung etwa seit der Jahrtausendwende wurde Feder insbesondere von Neonazis als „Wirtschaftsreformer“ und Repräsentant einer antikapitalistischen Strömung in der NSDAP „wiederentdeckt“. So würdigte beispielsweise die NPD-Parteizeitung Deutsche Stimme Feder als einen der „Großen“ auf dem Gebiet der Volkswirtschaftslehre. Die Begriffe Zinsknechtschaft und Zinswirtschaft werden in den politischen Programmen und sonstigen Veröffentlichungen wie Reden und Demonstrationsthemen rechtsextremer Parteien wie der DVU oder der NPD und anderer Gruppierungen wie der PNOS, den Jungen Nationaldemokraten, dem Deutschen Kolleg, Schutzbund Deutschland und Kampfbund Deutscher Sozialisten verwendet, wobei der direkte Bezug auf die Arbeiten Feders nicht immer deutlich wird. Beispielsweise findet sich in einer Presseerklärung auf der Website der NPD in Mecklenburg-Vorpommern die Formulierung: „So ist es der DDR ergangen. Durch verantwortungslose Führer geriet sie in die Zinsknechtschaft des BRD Systems.“[5]

Fußnoten

  1. Die Zeit: Blondes Ächzen. Wenn Globalisierungskritiker gegen „Profithaie“ wettern, ist der Antisemitismus nicht weit. 23. Oktober 2003
  2. Francis L. Carsten: Faschismus in Österreich. Von Schönerer zu Hitler. Wilhelm Fink Verlag, München, 1977, ISBN 3-7705-1480-7 S. 33.
  3. Gottfried Feder: Das Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft des Geldes. Huber, Diessen 1919 (; 456 KB)
  4. zitiert auf Holocaust-Referenz: Waren die Nazis Sozialisten?
  5. NPD Landesverband Mecklenburg-Vorpommern: Produktion in Anklam - früher hochwertige Textilien, heute sinnlose Bewerbungen. 22. Juni 2006

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