Britische Äthiopienexpedition von 1868

Britische Äthiopienexpedition von 1868
Karikatur zum britischen Eingreifen

Die Britische Äthiopienexpedition von 1868 war eine Strafexpedition die sich gegen den Kaiser von Äthiopien Theodor II. richtete. Dieser hatte zuvor mehrere Missionare sowie zwei Vertreter der britischen Regierung gefangen genommen. Der Feldzug erforderte den Transport einer beträchtlichen Armee über hunderte Meilen auf bergigem Gelände ohne Straßen.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Bis Oktober 1862 war der Kaiser Theodor II. immer mehr in eine gefährliche Lage geraten. Ein großer Teil Äthiopiens rebellierte gegen ihn. Lediglich ein kleines Gebiet zwischen dem Tanasee und seiner östlich davon gelegenen Festung Magdala hielt zu ihm. Der Kaiser kämpfte ständig gegen vielerlei Aufständische. Um seine Stellung wiederherzustellen, rief er letztlich die Großmächte zu Hilfe. Donald Crummey berichtet dazu: „Nun kam es zum endgültigen Versuch, am Wendepunkt der Karriere des Kaisers. Ein Erfolg könnte die innere Lage stabilisieren, eine Niederlage würde die letzte Stütze wegreißen. Er schlug vor Abgesandte auszuschicken, um militärische Bündnisse und Absprachen für technischen Fortschritt zu erzielen.“[1]

Theodor sandte Briefe an Russland, Preußen, Österreich, Frankreich und Großbritannien.[2] Soweit bekannt, antworte lediglich die französische Regierung, die Ansprüche im Namen einer Mission der Lazaristen in Hamasien, am Rand von Theodors Reich, anmeldete.[3] Der erste Europäer, der Theodor nach dieser Nicht-Antwort über den Weg lief, war Henry Stern, ein britischer Missionar. In einem Buch hatte Stern die Abstammung des Kaisers aus ärmlichen Verhältnissen erwähnt. Obwohl die Textstelle nicht abwertend gemeint war („die ereignisreiche und romantische Geschichte des Mannes, der vom armen Jungen aus einem Kloster aus Schilfrohr aufstieg…zum Eroberer zahlreicher Provinzen und Herrscher über ein großes ausgedehntes Reich“[4]), stellte sie sich als gefährlicher Fehler heraus. Zu jener Zeit beharrte Theodor auf seiner wahren Abstammung von der Solomonischen Dynastie. Seine Wut äußerte sich auf verschiedene Art, so ließ er unter anderem Sterns Diener zu Tode prügeln und Stern wurde zusammen mit Rosenthal „angekettet, streng behandelt und letzterer mehrere Male verprügelt.“[5]

Der britische Konsul Charles Duncan Cameron versuchte zusammen mit dem Abuna Salama und einigen Missionaren aus Gafat zu vermitteln, um die beiden Gefangenen frei zu bekommen. Eine Zeit lang schien es so, als sollten ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt sein. Am 2. Januar 1864 jedoch wurde Cameron zusammen mit seinen Angestellten aufgegriffen und in Ketten gelegt. Kurz darauf erlitten die meisten der Europäer im königlichen Lager dieses Schicksal.[6]

Die britische Regierung schickte Hormuzd Rassam, um eine Lösung dieser Krise auszuhandeln. Aufgrund von „Sicherheitsfragen in Tigray, der Unentschlossenheit des Königs sowie ständiger Konfusion um die Befehle des Gesandten“ verzögerte sich Rassams Ankunft in Theodors Lager bis zum Januar 1866.[7]

Anfangs schien es, als sollte Rassams Eingreifen von Erfolg gekrönt und die Geiseln befreit werden, obwohl C.T. Beke Briefe von den Familien der Geiseln geschickt hatte, in welchen deren Freilassung gefordert wurde, was den bereits argwöhnischen Theodor weiter verunsicherte.[8] Unterdessen wurde der Kaiser Theodor zunehmend unberechenbarer: Auf freundschaftliche Gesten gegenüber Rassam folgten paranoide Anschuldigungen und Gewalt gegen jeden, der sich in seiner Nähe befand. Letztlich wurde Rassam selbst zum Gefangenen und einer der Missionare mit dieser Neuigkeit und den aktuellen Forderungen Theodors ausgeschickt (Juni 1866). Der Kaiser verlegte schließlich all seine europäischen Gefangenen auf seine Festung Magdala und setzte seine Unterredungen mit den Briten so lange fort, bis die Königin Victoria am 21. August 1867 ihre Entscheidung bekanntgab, eine militärische Abordnung zur Befreiung der Geiseln zu entsenden.

Der Feldzug

Aus Sicht Alan Mooreheads, „hat es in der Neuzeit keinen vergleichbaren Feldzug einer Kolonialmacht gegeben, wie den der Briten in Äthiopien 1868. Er verlief von Anfang bis Ende gleich dem Anstand und der Zwangsläufigkeit eines viktorianischen Staatsbanketts. Selbst auf schwerfällige Schlussreden wurde nicht verzichtet. Dennoch war es ein Furcht erregendes Unterfangen, denn niemand war für Jahrhunderte in das Land eingedrungen und allein die wilde Beschaffenheit des Geländes begünstigte einen möglichen Misserfolg.“[9]

Die Aufgabe wurde der British Indian Army übertragen und Generalleutnant Napier erhielt die Befehlsgewalt über die Expeditionsarmee. Man sammelte sorgfältig Informationen über Äthiopien, berechnete die Größe der einzusetzenden Armee und schätzte die zur erwartenden Bedürfnisse zuvor ein. „So wurden zum Beispiel 44 abgerichtete Elefanten aus Indien herangeschafft, um die schweren Waffen auf dem Marsch zu transportieren, und Abordnungen bemühten sich überall im Mittelmeergebiet und Nahen Osten Maultiere und Kamele für die leichtere Ausrüstung aufzutreiben. Eine Eisenbahnlinie über zwanzig Meilen sollte in der Küstenebene gebaut werden und an der Landungsstelle wollte man eine große Pier, Leuchttürme und Warenhäuser errichten.“[10]

Die Streitmacht bestand aus 13.000 britischen und indischen Soldaten, 26.000 Zivilpersonen und mehr als 40.000 Tieren, darunter Elefanten. Die Truppe stach von Bombay mit mehr als 280 Dampf- und Segelschiffen in See. Die Vorhut bestehend aus Ingenieuren landete Mitte Oktober 1867 bei Zula am Roten Meer, etwa 30 Meilen südlich von Massawa und begann mit dem Bau eines Hafens. Nach einem Monat stand bereits eine 640 Meter lange Pier, eine zweite wurde in der ersten Dezemberwoche fertiggestellt und die Eisenbahnlinie reichte bereits bis ins Inland. Zu gleicher Zeit war eine Vorhut unter Sir William Lockyer Merewether entlang des trockenen Betts des Kumayli Flusses bis zum Surupass vorgedrungen, wo Ingenieure eine Straße nach Senafe für die Elefanten, Lafetten und Karren bauten.[11]

Merewether schickte zwei Briefe aus Senafe vom Generalleutnant Napier: einen an den Kaiser Theodor, in dem er die Freilassung der Geiseln forderte, und den zweiten an die Äthiopier, worin er verkündete, dass er lediglich an der Befreiung der Gefangenen interessiert sei und feindliche Absichten nur gegen jene habe, die versuchten, sich ihm entgegenzustellen. Der erste Brief wurde durch Rassam abgefangen und zerstört, da dieser fürchtete, dass ein Ultimatum Theodor gegen die Gefangenen aufbringen könnte.[12] Napier erreichte Zula am 2. Januar 1868, wo er letzte Hand an seinen Vormarschplan legte, bevor er am 25. Januar nach Senafe weiterreiste.

Napiers Armee benötigte drei Monate, um die 400 Meilen durchs Gebirge zum Fuß der Kaiserfestung in Magdala zurückzulegen. In Antalo verhandelte Napier mit Ras Kassai, dem späteren Kaiser Yohannes IV., der ihm Unterstützung zusicherte, welche die Briten in ihrem zielstrebigen Marsch nach Magdala dringend benötigten. Ohne die Hilfe, oder zumindest Gleichgültigkeit, der einheimischen Völker hätte die britische Expedition niemals ihr Ziel tief im äthiopischen Hochland erreicht. Am 17. März gelangte die Armee zum Ashangisee, 100 Meilen von ihrem Ziel entfernt. Um ihr Gepäck weiter zu verringern, wurden die Männer dort auf halbe Rationen gesetzt.[13]

Inzwischen war Kaiser Theodors Fassade der Unbesiegbarkeit ins Wanken geraten. Zu Beginn des Jahrs 1865 kontrollierte er lediglich Begemder, Wadla und Delanta mit der Festung Magdala. Er bemühte sich, die Stärke seiner Armee aufrechtzuerhalten, welche Sven Rubenson zufolge sein einziges Machtinstrument darstellte.[14] Mitte des Jahres 1867 hatte sich seine Armee durch Überläufer jedoch auf 10.000 Mann reduziert.

Die Festung Magdala in Brand nachdem die britische Expeditionsarmee Theodor von Äthiopien besiegt hat.

Als die Briten Richtung Süden auf Magdala zu marschierten, rückte Theodor aus Westen entlang des Beshitta-Flusses vor. Er führte Kanonen mit sich, die europäische Missionare und ausländische Handwerker auf seine Veranlassung hin in Gafat gebaut hatten, darunter auch sein Prunkstück, die gewaltige Sebastopol. Der Kaiser versuchte, vor den Briten nach Magdala zu gelangen. Obwohl er einen kürzeren Weg zurückzulegen hatte, war der Erfolg dieses Unternehmens nicht gesichert. Tatsächlich gelangte er nur wenige Tage vor seinen Gegnern ans Ziel. Am 9. April trafen die ersten Kräfte der britischen Armee am Beshitta ein und „durchquerten am folgendem Morgen, dem Karfreitag, barfuß den Fluss, wobei sie ihre Wasserflaschen auffüllten.“[15]

Am 13. April kam es zur entscheidenden Schlacht vor den Toren der Festung Magdala, die geradezu einen Antiklimax darstellte. Die Verteidiger wurden in die Flucht geschlagen und hatten viele Verletzte und Tote zu beklagen, während auf britischer Seite niemand getötet wurde. Mehr als 700 von Theodors Männern wurden in nur zwei Stunden getötet und 1.200 weitere verwundet. Einige Tage später beging Theodor Selbstmord, um der Gefangennahme zu entgehen, und die Geiseln wurden befreit.

Gliederung der britischen Expeditionsstreitmacht

  • Oberkommando (General Napier), Stabschef Oberst Thesiger)
  • 1. Division (Generalmajor Staveley)
    • 1. Brigade (Brigadegeneral Schneider)
    • 2. Brigade (Brigadegeneral Wilby, Stabschef William Hicks)
  • 2. Division (Generalmajor Malcom)[16]

Folgen

Die britischen Truppen auf ihrem Rückmarsch nach Zula.

Die Briten betraten die Hauptstadt und Sir Robert genehmigte seinen Truppen vor der Abreise aus Äthiopien, Magdala samt seiner Kirchen als Strafmaßnahme zu plündern und niederzubrennen.[17] Seine Armee kehrte auf gleichem Weg nach Zula zurück, wie Moorehead schreibt: „eine eindrucksvolle Prozession mit Musikkapellen und Flaggen. Aber die Armee stellte alsbald fest, dass sie sich in Äthiopien keine Dankbarkeit verdient hatte; sie wurden als weiterer kriegerischer Stamm in Bewegung gesehen. Nun da sie wie schwache geschlagene Männer abzogen boten sie ein nahe liegendes Ziel für Angriffe.“[18] Ras Kassai wurde in Senafe für seine Dienste mit einer erheblichen Anzahl Waffen, Munition und Lagern prämiert, was ihm später beim Aufstieg zum Kaiser half. Am 2. Juni gelangte Napier nach Zula. Das Basislager wurde abgebaut, Napier bestieg die Feroze am 10. Juni und stach in See Richtung England durch den Suez-Kanal.

Die britische Expedition nahm viele Schätze, Manuskripte und Reliquien wie Tabots mit, welche sich heute in verschiedenen europäischen Museen und Bibliotheken sowie bei privaten Sammlern finden. Die Manuskripte entfachten Interesse an äthiopischen Studien im Westen.

Einige der Stücke wurden mittlerweile an Äthiopien zurückgegeben. Das bedeutendste darunter war die Krone Theodors II., die Georg V. persönlich dem späteren Kaiser Haile Selassie bei dessen Besuch in Großbritannien 1925 überreichte.

Mit der Erfüllung ihres Auftrags kehrte die britische Armee nach Hause zurück. Napier wurde aus Anerkennung seines Erfolgs zum Baron Napier of Magdala ernannt.

Literatur

  • Donald Featherstone: Victorian Colonial Warfare - AFRICA. Cassell, London 1992, ISBN 0-304-34174-6.
  • Volker Matthies: Unternehmen Magdala . Strafexpedition in Äthiopien, Christoph Links Verlag, Berlin 2010 ISBN 978-3-86153-572-0.
  • Alan Moorehead: The Blue Nile. Überarbeitete Auflage. Hamilton, London 1972, ISBN 0-241-02175-8.
  • Gerhard Rohlfs: Im Auftrage Seiner Majestät des Königs von Preussen mit dem Englischen Expeditionscorps in Abessinien. Kühtmann, Bremen 1869.
  • Peter C. Smith: Victoria's Victories. Spellmount, Tunbridge Wells 1987, ISBN 0-946771-17-0.

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Donald Crummey: Priests and Politicians. 1972 Tsehai (Hollywood 2007), S. 134
  2. Sven Rubenson: King of Kings: Tewodros of Ethiopia. Haile Selassie I University (Addis Ababa 1966), S. 84
  3. Der ehemalige Diplomat Paul B. Henze weist darauf hin, dass es sich dabei nicht nur um Gleichgültigkeit handelte: „Der Brief war in amharischer Sprache verfasst und nach Deutschland zur Übersetzung geschickt.“ Paul B. Henze: Layers of Time, A History of Ethiopia. Palgrave (New York 2000), S. 138
  4. Wanderings among the Falashas. Wertheim, Macintosh, and Hunt (London 1862), S. 62
  5. Crummey: Priests and Politicians. S. 135
  6. Crummey: Priests and Politicians, S. 137. Die Ausnahme bildete eine Gruppe deutscher Handwerker, die weiterhin gut mit dem Kaiser auskamen und nie eingekerkert worden.
  7. Crummey: Priests and Politicians. S. 138
  8. Moorehead: The Blue Nile. S. 232f
  9. Moorehead: The Blue Nile. S. 262
  10. Moorehead: The Blue Nile. S. 266
  11. Moorehead: The Blue Nile. S. 270
  12. Moorehead: The Blue Nile, enthält den Brief an Theodor auf S. 271, und jenen an „the Governors, the Chiefs, the Religious Orders, and the People of Ethiopia“ auf den Seiten 271f.
  13. Moorehead: The Blue Nile. p. 284
  14. Rubenson: King of Kings. S. 81
  15. Moorehead: The Blue Nile. S. 288
  16. Peter C. Smith: Victoria's Victories S. 91
  17. Moorehead: The Blue Nile. S. 309f
  18. Moorehead, The Blue Nile, p. 310

Siehe auch


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