Bruderhass (Motiv)

Bruderhass (Motiv)

Das Motiv des Bruderhasses, auch »Bruderkonflikt« oder Motiv der »verfeindeten Brüder«, ist eines der ältesten Motive in der Literatur; es bezieht seinen Reiz aus dem Antagonismus von Brüderlichkeit und Feindschaft.

Abkömmlinge derselben Eltern werden oft in eine sakral anmutende Nähe zueinander gesetzt. Gerade Brüder und noch deutlicher Zwillingsbrüder stehen oft für »Menschlichkeit« oder »Nächstenliebe«, Ausdrücke, für die synonym auch »Brüderlichkeit« stehen kann. (vgl. Frenzel). Die »Blutsbrüderschaft«, die dies Verhältnis zu einem Menschen, zu dem keine biologischen Bande der Verwandtschaft bestehen, herstellen möchte, lädt diese Brüderschaft als Wahlverwandtschaft mit dem emphatischen Bezug zum Blut auf, der wiederum pleonastisch auf die Verwandtschaft verweist: Dass »Blut dicker« sei »als Wasser« hebt hierauf in ähnlicher Weise ab.

Während psychologisch nun der Grund für den Konflikt gerade in der betonten Innigkeit gesehen werden kann, die an Intimität lediglich von der Mutter-Kind-Dyade und vielleicht noch der Partnerschaft überboten wird, bieten die Stoffe der Mythen und der Literatur aber oft äußere Anlässe für die Entfremdung. So kann der Konflikt durch das Schicksal (fatum) prädisponiert sein, wie es sich in aller Unausweichlichkeit bei Polyneikes und Eteokles findet. Schlichtere menschliche Gründe können aber auch in familiären oder sozialen Konstellationen gegeben sein. Der Kampf um das Erbe des Vaters, die Zuneigung der Mutter, ja sogar den phantasierten oder ausgeführten Beischlaf mit der Schwester (vgl. Daemmrich) können zu Entfremdung und Hass führen. Noch einfacher aber wird das Motiv des Bruderhasses verständlich, wenn es sich im Fall einer für dieselbe Frau empfundenen Liebe mit dem Motiv der Eifersucht verschränkt. Eine Variante hierzu, die die Liebe zur Frau mit der zur Gottheit vertauscht, bietet die biblische Erzählung von Kain und Abel.

Inhaltsverzeichnis

Altes Testament

Die Geschichte von Kain und Abel findet sich Genesis 4, 1–16. Kain und Abel sind die Söhne des Adam und der Eva. Ab Vers 3 wird die Tötung des Abel wiedergegeben:

(3) Es begab sich aber nach geraumer Zeit, dass Kain von den Früchten des Ackers dem Herrn ein Opfer brachte. (4) Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Schafe dar und von ihrem Fette. Und der Herr sah wohlgefällig auf Abel und sein Opfer, (5) auf Kain und sein Opfer aber sah er nicht. Da ergrimmte Kain gar sehr und blickte finster. (6) Und der Herr sprach zu Kain: Warum ergrimmst du, und warum blickst du so finster? (7) Ist's nicht also? Wenn du recht handelst, darfst du frei aufschauen; handelst du aber nicht recht, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir steht ihre Begierde; du aber sollst Herr werden über sie! (8) Darauf sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Lass uns aufs Feld gehen! Und als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot. (Text nach der Zürcher Bibel (1987) )

Die Sünde, die auch personifiziert als wildes Tier oder Dämon verstanden werden kann (Duhm), wird von einem unmotiviert auftretenden »Herrn« hier prospektiv als Erklärungsmodell angeboten. Die Tat selbst scheint lediglich aus dem abgelehnten Opfer zu entspringen. Die Ausführung, den Abel an einer entlegenen Stelle und bar jeder Hilfe auf dem Acker zu erschlagen, weist aber nicht nur auf eine Berechnung, denn der Konflikt zwischen dem sich der Landwirtschaft widmenden Kain und dem Kleinvieh-Nomaden Abel wird gerne als Widerhall der Konflikte um die Sesshaftwerdung der israelitischen Stämme interpretiert. Der Acker als Symbol der Landwirtschaft scheint geschändet, wenn das an ihm haftende Blut des Erschlagenen in Gen 4,10 es selbst ist, das den Mund auftut und zu Gott ruft, die Greueltat aufzudecken. Aus dem Schicksal des entwickelt sich dann das Motiv des Geächteten, der mit einem Stigma versehen (Gen 4,15) wird, dass ihn die (bis dahin nicht erwähnten) irdischen Mitbewohner nicht töten. Dem Elternpaar Adam und Eva aber wird kompensatorisch der Sohn Seth geboren.

Während des Bruderstreits zwischen Kain und Abel das Motiv der Eifersucht zugrunde zu liegen scheint, entwickelt sich in 2. Samuel 13 aus der inzestuösen Schändung der Thamar durch ihren Bruder Amnon zwischen Amnon und Absalom, einem weiteren Bruder, eine Feindschaft, die das Motiv der Rache transportiert.

Antike

Die griechische Mythologie kennt das Zwillingspaar Amphion und Zethos. Die Zwillinge, die die von Epopeus, dem König von Sikyon, geschändete Antiope gebar, wurden ausgesetzt. (siehe Motiv des Findelkindes). Erst später enthüllte sich, dass Antiope, die auch des Zeus Geliebte war, vom Göttervater die Kinder empfangen hatte. Während nun Amphion eine musische Begabung entwickelte und mit der Zeit lernte, die Laute in Steine bewegender Weise zu spielen, entwickelte Zethos Kraft und Mut. Aus der Konstellation dieser gegensätzlichen Zwillinge entwickelte sich jedoch keine Feindschaft.

Anders ist dies mit den Zwillingen Romulus und Remus der römischen Mythologie. Die Nachfahren des aus Troja entkommenen Aeneas, die Rhea Silvia Gott Mars gebar, wurden ähnlich dem Paar aus Amphion und Sethos ausgesetzt und von einer Wölfin, später dann einem Schweinehirten namens Faustulus aufgezogen. Das diese als Gründungssage Geschichte durchziehende Motiv ist jedoch das der Macht. Nachdem zuvor noch an einem Amulius, der den Großvater beider von dessen Thron vertrieben hatte, Rache zu nehmen war, enthalten die Zwillinge die Erlaubnis zur Begründung einer Stadt. Als die Auspizien dann Romulus zu dem Namensgeber der noch nicht erbauten Stadt erwählten und dieser sofort einen Graben und einen Wall um das avisierte Siedlungsgebiet zog, sprang der zurückgesetzte Remus höhnend über den Wall und wurde von seinem Bruder im Zorn erschlagen. Der Brudermord in der Gründungsgeschichte der Stadt Rom findet dann in den Worten des Obsiegenden, dass es jedem so ergehen möge, der besagte Befestigung überspränge, seine nahezu sakrale Überhöhung, mit der die Uneinnehmbarkeit der Stadt verbunden wurde.

Literatur

  • Hans Duhm: Die bösen Geister im Alten Testament. Mohr Verlag, Tübingen und Leipzig 1904
  • Elisabeth Frenzel: Motive der Weltliteratur. Kröner, Stuttgart 1976, S. 80–94
  • Wolfgang Harms: Der Kampf mit dem Freund oder Verwandten in der deutschen Literatur um 1300. (Medium Aevum 1), Eidos, München 1963
  • Hedwig Jacke: Die rheinische Sage von den feindlichen Brüdern in ihrer von der Romantik beeinflussten Wirkung. (Beiträge zur rheinischen und westfälischen Volkskunde in Einzeldarstellungen 7), Diss., Martini & Grüttefien, Elberfeld 1932
  • M. Landau: Die feindlichen Brüder auf der Bühne. In: Bühne und Welt 9/1996/07)
  • H. Landsberg: Feindliche Brüder. In: Literarisches Echo 6/1903/04)
  • J.T. McCullen: Brotherhate and Fratricide in Shakespeare. In: Shakespeare Quarterly 3/1952

Siehe auch

Brudermord


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