Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes

Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes

Die ehemalige Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) ist ein Komplex von Lehr- und Verwaltungsgebäuden, der zwischen 1928 und 1930 im Norden von Bernau bei Berlin durch den Architekten Hannes Meyer errichtet wurde und seit 1977 unter Denkmalschutz steht.

Inhaltsverzeichnis

Architektur

Konzept

Meyer plante einen Gebäudekomplex, der additiv aus einzelnen Baukörpern zusammengesetzt ist und sich in die Landschaft einpasst. In der bauhaus-Zeitschrift schrieb er 1928: Diese Schule darf mit Recht gelockert erscheinen. Die kürzesten Wege des Zusammenkommens sind nicht durch verkürzte korridore zu schaffen, sondern durch die Gelegenheit zum freundschaftlichen Sich-ergehen. Das Resultat: Nicht konzentrische Häufung von Baumassen, sondern exzentrische Lockerung der Bauteile. [1] Der Entwurf hatte sich direkt aus den Funktionsdiagrammen ergeben, die Meyer für die Schule entwickelt hatte. Alle Aufenthaltsräume orientierten sich zur Landschaft, zu dem nahen See. Damit wurde eine starke Verbindung zur Natur hergestellt und eine optimale Besonnung der 60 Zweibettzimmer erreicht.

Meyers entwarf nicht nur eine Form, ein „Gefäß“, um den Lehrbetrieb aufzunehmen, sondern konzipierte eine völlig neue, sozial-pädagogischen Organisation des Zusammenlebens [2], die in der Architektur ihren Ausdruck fand. Dies zeigt deutlich seine starke Tendenz zu sozialistischen Idealen.

Beschreibung

Wohntrakt (Nordseite)
Wohntrakt (Südseite)
Sporthalle, darüber drei Klassenräume

Man erreichte die Schule über eine betonierte Zufahrtsstraße, eine runde Vorfahrt empfing den Besucher. Das Gebäude wirkt wie der Eingang zu einem Fabrikgelände, Meyer spielt mit den entsprechenden Motiven. Die drei Schornsteine der Heizungsanlage und der blockhafte Kubus der Aula beherrschten das Bild. Davor waren Garagen, eine gläserne Kabine für den Pförtner und eine Anlieferungsrampe für den Küchenbereich angeordnet. Das Alles sind für das Funktionieren des Hauses notwendige Dinge, doch Meyer platzierte sie markant im Eingangsbereich und spielte mit Motiven aus dem Arbeitermilleu.

Unmittelbar hinter dem Eingangsbereich liegen die öffentlichen Räume, so dass sich im Grundriss ein Quadrat ergibt. In die Mitte eingebettet liegt die ebenfalls quadratische Aula. Diese Form sollte Ausdruck der Einheit, der Geschlossenheit einer Gemeinschaft sein. Es ist ein fensterloser Raum, die starke Introvertiertheit erlaubt eine maximale Konzentration auf das Geschehen. Eine ausgefeilte Technik unterstützte den Vortragenden: auf Knopfdruck ließ sich das Lichtband verkleinern, die Beleuchtung dimmen und man konnte drei Wandelemente an der Stirnseite, mit Karten und Schaubildern behängt, bewegen. Die Stirnseite des Raumes war mit silbernem Cellophanstoff verkleidet, so dass der Redner als „dozierende Shilouette“ vor einem weißen Quadrat erschien. Rund um die Aula reihten sich westlich die Verwaltungsräume, südlich die Küche und östlich Speisesaal, Liegesaal und Freizeiträume aneinander. Die Erholungsräume waren nach Südosten orientiert und erlauben einen Ausblick über den See. Im Gegensatz zur Aula ermöglichten sie ein Abschweifen der Gedanken, eine Erholung des Geistes.

Die weitere Anlage wird einhüftig über die ganze Länge mittels eines ebenerdigen Glasganges erschlossen. Südlich reihen sich die fünf Wohntrakte an, zum Norden hin hatte man freie Sicht in die Landschaft. Der Gang folgt dem Geländeverlauf und hat somit ein Gefälle von fünf Metern. Die rückspringenden Kanten der Wohntrakte bilden Nischen, die als Kommunikations- und Aufenthaltsräume dienen. Meyer schuf nicht nur eine Erschließung, sondern gleichzeitig einen öffentlichen Raum, der auch bei Regenwetter als Bewegungszone genutzt werden kann. Eine Orientierungsmöglichkeit boten farbige Lichtsignale im Gang. Jedem Wohntrakt war eine Farbe (z.B. rot) zugeordnet, die sich dann in den einzelnen Stockwerken weiter differenzierte (z.B. karmin, zinnober, rosa).[2]

In den Wohntrakten waren auf jeder der drei Etagen jeweils fünf Zweibettzimmer. Die 120 Gäste wurden in Gruppen von 10 Personen aufgeteilt, die beim Studium, Sport, Spiel und beim Essen immer zusammen blieben. Das Ziel war es, ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen und gruppendynamische Kennlernprozesse möglichst reibungslos ablaufen zu lassen. Der fünfte Trakt beherbergte Kranke, Gastredner und das Personal.

Am weitesten von der Straße abgerückt liegt der Schulflügel. Im Erdgeschoss waren zwei Seminarräume, eine Lesesaal und die Turnhalle untergebracht. Der lange Erschließungsgang endet in einer Treppe und einem Laubengang, der das Obergeschoss erschließt. Dort sind drei Klassenräume. Wie die Aula waren sie mit technischen Finessen ausgestattet. Sie werden beidseitig belichtet, eine nach innen geneigte Decke verteilt das Licht in die Raumtiefe. Auch hier ist die Aussicht aber eingeschränkt, um die Konzentration zu erleichtern.

Die Lehrer und Angestellten lebten mit ihren Familien direkt neben der Schule. Sie waren in separaten Häusern untergebracht, um ein eigenständiges Familienleben zu ermöglichen. Die Häuser sind zur Straße hin orientiert, haben alle eine Terrasse und bilden das Pendant zum Baukörper des Schulflügels.

Rezeption

Der Bau gilt als eines der bedeutendsten Werke der Architekten des Bauhauses. Es ist neben dem Bauhaus in Dessau das größte Bauhausprojekt.

Geschichte

Wettbewerb

Das Grundstück liegt außerhalb von Bernau und war 6,2 ha groß. Es handelte sich um eine Lichtung zwischen Pinienwäldern mit einem kleinen See, eine idyllische Landschaft, sehr ruhig und leicht hügelig. 1928 wurde das Gelände vom ADGB gepachtet.

1928 schrieb der ADGB einen beschränkten Wettbewerb zum Bau der Schule unter sechs Architekten aus. Das Gebäude sollte zur Weiterbildung und Erholung der Gewerkschaftsfunktionäre dienen. Das Haus sollte laut Ausschreibung ein „Musterbeispiel moderner Baukultur“ werden[3], zum Einen, um den Arbeitern die Dankbarkeit des ADGB zu erweisen, zum Anderen sollte der Bau eine Vorbildfunktion haben. Die Arbeiter, meist aus ärmlichsten Verhältnissen stammend, sollten am eigenen Leib spüren, was modernes Wohnen bedeuten kann, sollten Ziele und Methoden moderner Wohnkultur kennenlernen. 120 Arbeiter sollten für jeweils vier Wochen dort Unterkunft finden. Die Unterrichtsfächer befassten sich mit gewerkschaftsspezifischen Themen: Studium der Gewerkschaftsbewegung, Betriebslehre, Volkswirtschaft, Versicherung- und Arbeitsrecht, Sozialpolitik, Arbeitshygiene. Das Raumprogramm umfasste 60 Zweibettzimmer, Zimmer für Lehrer, Gastredner, Personal und Kranke. Zur Fortbildung waren mehrere Seminar- und Vortragsräume geplant, Aufenthaltsräume, eine Turnhalle und ein großer Park dienten der Erholung. Dazu kamen noch Speisesaal, Küche, Verwaltung und die Wohnhäuser der Lehrenden.

Hannes Meyer, Direktor des Bauhauses Dessau, setzte sich mit seinem Entwurf gegen Max Berg, Alois Klement, Willy Ludewig, Erich Mendelsohn und Max Taut durch.

Bau

Federführend bei Planung und Bau waren Hannes Meyer und Hans Wittwer, sein langjähriger Mitarbeiter und Leiter der Bauabteilung am bauhaus. Die Grundsteinlegung erfolgte am 29. Juli 1928, einen Monat später, am 22. August begann man mit dem Bau der Schule. Am 15. Mai 1929 feierte man das Richtfest und am 4. Mai 1930 fand die Einweihung statt. Allerdings traten zahlreiche Mängel auf, teilweise aufgrund von Planungsfehlern (z.B. Kälte und Überhitzung), aber auch wegen der Verwendung unerprobter Baustoffe (Kork-Linoleum-Böden) und Ausführungsfehlern (Zugluft, undichte Keller).

1930 - 2001

Am 4. Mai 1930 wurde die Schule eingeweiht und für drei Jahre vom ADGB zur Aus- und Weiterbildung von Gewerkschaftsfunktionären genutzt.

Am 2. Mai 1933 wurde die Gewerkschaftsschule durch die SA besetzt und später in eine „Reichsschule der NSDAP“ und der DAF umgewandelt. 1936 entstand eine Ausbildungs- und Tagungsstätte für Angehörige der SS, des SD und der Gestapo. In der Schule fanden Konferenzen zur NS-Volkstumspolitik statt, Außenstellen des RSHA waren hier untergebracht. Im Sommer 1939 übte auf dem Gelände der Schule die SS in Vorbereitung des Polenfeldzugs den „polnischen Überfall auf den Sender Gleiwitz“.[4]

Die Gebäude dienten ab Frühjahr 1945 der Roten Armee als Lazarett, bis die Sowjetische Militäradministration sie 1946 dem Bundesvorstand des FDGB übergab. Seit dem 2. Mai 1947 nutzte der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund die Schule. 1951 wurde die Gewerkschaftshochschule "Fritz Heckert" hier eingerichtet.

In den 50er jahren wurde das Ensemble erweitert, Architekt war Georg Waterstradt.

1977 wurde der Ensemble unter Denkmalschutz gestellt.

Am 4. Mai 1990 gründete sich der Verein „baudenkmal bundesschule bernau“, der sich die Bewahrung des Ensembles zum Ziel setzt. Ab Oktober 1990 versuchte ein aus der Hochschule hervorgegangenes Bildungs- und Begegnungszentrum Bernau e.V. hier arbeitnehmerorientierte Weiterbildung anzubieten. Der DGB sah aber keine Möglichkeit, an diesem Ort die zentrale gewerkschaftliche Bildung wieder aufzunehmen. Nach zeitweiliger Verwaltung des Ensembles durch die Treuhand trat das Land Brandenburg 1993 in den Erbbauvertrag mit der Stadt Bernau ein. Von September 1991 bis August 1998 wurde das Ensemble als Fachhochschule für öffentliche Verwaltung genutzt.

2001 bis 2005

Am 1. September 2001 wurde die Handwerkskammer Berlin neuer Eigentümer und Nutzer des Baudenkmals. Im Frühjahr 2002 starten Vorbereitungen für die Sanierung und Rekonstruktion, die im Frühjahr 2003 begann und bis Mai 2005 dauerte. Beteiligte Architekten waren Brenne Gesellschaft von Architekten mbH und die Landschaftsarchitekten Landschaft Planen & Bauen.

Die Anbauten aus den 1950er Jahren wurden seit 2004 als Schule genutzt. Die Hauptgebäude werden seit Januar 2008 im Auftrag der Handwerkskammer Berlin durch den Internationalen Bund als Seminar- und Lehrgangshotel betrieben.

Einzelnachweise

  1. www.bauhaus.de
  2. a b Claude Schnaidt: „Hannes Meyer“ (Teufen, CH, 1965) - Seite 40
  3. Magdalena Droste: „bauhaus 1919-1933“ (Berlin, 1998) - Seite 193
  4. Yasemin Shooman: Die SD-Schule Bernau als Trainingsort für den Überfall auf Polen, in: Wolfgang Benz (siehe Literaturliste), S. 119-136.

Literatur

  • Magdalena Droste: „bauhaus 1919-1933“ Berlin, 1998 ISBN 3822822221
  • Hans M. Wingler: „bauhaus“, Bramsche, 1975
  • Claude Schnaidt: „Hannes Meyer“, Teufen, CH, 1965
  • Ulrich Brinkmann: "Zurück auf Meyer und Wittwer", Artikel in der Bauwelt, Jg.: 99, Nr.8, 2008, Seite 16-25 ISSN: 0005-6855
  • Jan Gympel: "Überraschend gut erhalten. Ehemalige Bundesschule des ADGB, Bernau", Artikel in der Zeitschrift: "Metamorphose BAUEN IM BESTAND", Nr.2, 2008, Seite 52-59
  • Wolfgang Benz (Hrsg.): Das Schicksal der ADGB-Bundesschule im Dritten Reich. Reichsführerschule, Schule des Sicherheitsdienstes der SS, Außenstelle des Reichssicherheitshauptamtes, Verein Baudenkmal Bundesschule Bernau e.V., Bernau 2007

Weblinks

 Commons: ADGB_Schule_Bernau – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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