a priori

a priori

Der Ausdruck a priori (lat. „vom Früheren her“) bezeichnet in der Philosophie eine epistemische Eigenschaft an Urteilen: Urteile a priori können ohne Basis in der Erfahrung gefällt werden und folgen schon aus deren Bedingungen. Im Gegensatz dazu stehen Urteile a posteriori. Im Allgemeinen gelten alle analytischen Urteile als a priori.

Von der neueren Verwendung abgeleitet bezeichnet apriorisches Wissen ein Wissen, das von Erfahrung unabhängig ist (siehe Apriorismus). Im Unterschied dazu steht empirisches oder erfahrungsabhängiges Wissen, das insbesondere durch eigene sinnliche Wahrnehmung gewonnen wurde. Alltagssprachlich und in verschiedenen fachsprachlichen Kontexten bezeichnet a priori daher Sachverhalte, die bereits mit der Annahme bestimmter Bedingungen, „von vornherein“ festliegen.

In den traditionellen Erkenntnistheorien der europäischen Neuzeit (Rationalismus und Empirismus) wurde generell angenommen, dass zumindest im Bereich der Mathematik und der Logik Wissen a priori möglich ist. Ein Teilprojekt der Aufklärung untersuchte die Frage, ob es solche unhintergehbaren Gesetze auch im Bereich der Naturwissenschaft und der Ethik geben könne, um mit dem Geltungsanspruch religiöser Offenbarung konkurrieren zu können.

Inhaltsverzeichnis

Begriffsherkunft

Der Terminus a priori ist eine Zusammenfügung von lat. a („von (... her)“) und priori, Ablativ von prior („der Erste von Zweien“). Ihre urteilstheoretische Bedeutung haben die Begriffe a priori und a posteriori erst seit Mitte des 17. Jahrhunderts, spätestens aber seit Kant. Zuvor wurden sie in der scholastischen Philosophie als Übersetzung der aristotelischen Unterscheidung zwischen „proteron“ und „hysteron“ verwendet (Bedingung und Bedingtes).[1] Der Ausdruck tritt von dort im 16. Jh. als Syntagma in die deutsche Fachsprache ein.[2]

Ideengeschichte

Neuzeitlicher Rationalismus

Philosophen wie René Descartes oder Gottfried Leibniz verteidigten, dass Menschen epistemischen Zugang zu diversen Wahrheiten auch ohne den Eingang von Empirie haben. Solche Positionen werden üblicherweise als „Rationalismus“ bezeichnet.

Immanuel Kant

Nach Immanuel Kants Auffassung sind strukturelle Bedingungen der erfahrbaren Welt, wie die Kategorien oder die Strukturen von Raum und Zeit, die Kant „Formen der sinnlichen Anschauung“ nennt, a priori, da sie transzendentale Bedingungen der Erfahrung überhaupt sind. Er verwendet den Ausdruck – zunächst noch im Sinn der rationalistischen Tradition – für Erkenntnisse, die auf keiner konkreten empirischen Erfahrung beruhen und daher die Form allgemeiner und notwendiger Urteile annehmen können. In Absetzung vom Rationalismus hält er aber angeborene Begriffe von Gattungen, Arten oder Individuen für unmöglich. Nicht die Strukturen der Welt selbst, sondern nur die unserer Erfahrung sind a priori. Das Erkenntnisvermögen kann a priori keine Einzelgegenstände der Welt erkennen, aber auf die in ihm selbst liegenden Voraussetzungen der Erkenntnis, die Verstandeskategorien und die Anschauungsformen zugreifen. Da dieselben Strukturen und Erkenntnisvermögen auch für die Erkenntnis a posteriori verwendet werden müssen, gelten a priori erkannte Regeln und Zusammenhänge auch für diese. Aus Kants Position folgt, dass Einzelgegenstände nur insofern erkennbar sind, als diese durch die a priori gegebenen Erkenntnisbedingungen vermittelbar sind. Wie Objekte unabhängig von dieser Vermittlung, die sog. Dinge „an sich“, beschaffen sind, ist demnach nicht erkennbar.

Eine Untersuchung, die sich auf die im Erkennen selbst liegenden Voraussetzungen und Bedingungen jeder Erkenntnis bezieht, nennt Kant transzendental. Diesen methodischen Ansatz bezeichnet er auch als Transzendentalphilosophie. Kants Theorie des a prioi findet sich vor allem in seinem erkenntnistheoretischen Hauptwerk, der Kritik der reinen Vernunft und in den Prolegomena.

Dekonstruktion und Diskursanalyse

In der Weiterführung von Kritiken der klassischen Transzendentalphilosophie, wie sie bei Martin Heidegger entwickelt wurde, haben Theoretiker vor allem der spätmodernen französischen Philosophie wie Jacques Derrida oder Michel Foucault die Voraussetzung fester, a priori gesetzter Bedingungen kritisiert und statt dessen von quasi-transzendentalen Voraussetzungen gesprochen. Diesen Ansätzen zu Folge sind Grundstrukturen der die Erfahrung, des Denkens und Handelns nicht ewige Wahrheiten, sondern Ausdruck von historischen und kulturellen Bedingungen. Das hat sowohl epistemologische wie praktische Konsequenzen, obwohl die jeweilig gültigen Grundstrukturen für die in diesen Bedingungen stehenden Menschen unhintergehbar sind und also für sie a priori bleiben.

Foucaults Diskursanalyse beispielsweise führt den Begriff eines historischen Apriori ein, der wie folgt beschrieben wird:

„ich will damit ein Apriori bezeichnen, das nicht Gültigkeitsbedingung für Urteile, sondern Realitätsbedingung für Aussagen ist. Es handelt sich […] darum […] die Bedingungen des Auftauchens von Aussagen, das Gesetz ihrer Koexistenz mit anderen, die spezifische Form ihrer Seinsweise und die Prinzipien freizulegen, nach denen sie fortbestehen, sich transformieren und verschwinden. Ein Apriori nicht von Wahrheiten, die niemals gesagt werden oder wirklich der Erfahrung gegeben werden könnten; sondern einer Geschichte, die gegeben ist, denn es ist die der wirklich gesagten Dinge.“

Foucault[3]

Literatur

  • Paul Boghossian, Christopher Peacocke (Herausgeber): New Essays on the A Priori. Oxford 2000.
  • Laurence Bonjour: Is There a Priori Knowledge? Defense of the a Priori. In: M. Steup, E. Sosa (Herausgeber): Contemporary Debates in Epistemology. Blackwell Publishing, Oxford 2005, 98-105.
  • Gerd Brand: Die Lebenswelt. Eine Philosophie des konkreten Apriori. de Gruyter, Berlin 1971 ISBN 978-3-11-006420-9 (Im Gegensatz zum formalen A priori behandelt Brand das materiale, konkrete der Phänomenologie.)
  • Albert Casullo: A priori justification, Oxford 2003.
  • Hartry Field: Recent Debates about the A Priori. In: Tamar Szabo (Herausgeber): Oxford Studies in Epistemology Bd. 1, 2005, 69-88.
  • Philip Kitcher: A Priori Knowledge. In: The Philosophical Review 89 (1980), 3-23.
  • Nikola Kompa, Christian Nimtz, Christian Suhm (Herausgeber): The A Priori and its Role in Philosophy. mentis, Paderborn 2009.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Vgl. H. Scherpers, A priori/a posteriori, I. in Historisches Wörterbuch der Philosophie Bd. 1, S. 462–467
  2. Vergleiche dazu Hans Schulz, Otto Basler, Gerhard Strauss (Herausgeber): Deutsches Fremdwörterbuch, Bd. 2: Antinomie-Azur. Walter de Gruyter, Berlin 1996. ISBN 3110148161 , S. 133ff.
  3. Michel Foucault: Archäologie des Wissens, Übersetzt von Ulrich Köppen. Suhrkamp, Frankfurt/Main 1973. ISBN 978-3-518-27956-4, S. 184f

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