Ökonomie der Aufmerksamkeit

Ökonomie der Aufmerksamkeit

Bei der Ökonomie der Aufmerksamkeit, auch als Aufmerksamkeitsökonomie bezeichnet, handelt es sich um einen wissenschaftlichen Entwurf von Professor Georg Franck, den er in seinem gleichnamigen Buch vorstellt. Der Zusammenhalt der Gesellschaft wird dabei über den Austausch und die Bewirtschaftung von Aufmerksamkeit erklärt. Dabei geht er von der Konstellation eines "mentalen Kapitalismus" aus, der sich weitgehend von einer Fixierung auf materielle Produktion und Konsum gelöst hat.

Inhaltsverzeichnis

Klappentext

"Ökonomische Begriffe und Modelle bestimmen seit Jahren das Bild der sozialen und politischen Verhältnisse unserer Gesellschaft. Georg Franck beschreibt in diesem Buch eine Ökonomie der Aufmerksamkeit, die neben der vertrauten Ökonomie des Geldes existiert und mit ihr konkurriert. Immer schwieriger wird die Entscheidung, wie wir unsere Aufmerksamkeit investieren sollen, immer komplizierter die Kunst, die gewünschte Aufmerksamkeit bei anderen zu wecken. Aufmerksamkeit ist eine knappe Ressource und eine begehrte Form des Einkommens. Sie läßt sich nicht beliebig vermehren. Intelligent ist daher nur, wer klug mit ihr umgeht. Noch stärker als beim Umgang mit Geld sind bei der Spekulation mit Aufmerksamkeit soziale Konsequenzen zu bedenken. Deshalb beschließt Georg Franck seinen Entwurf mit dem Grundriß einer Ethik: "Die Aufmerksamkeit anderer Menschen ist die unwiderstehlichste aller Drogen. Ihr Bezug sticht jedes andere Einkommen aus. Darum steht der Ruhm über der Macht, darum verblaßt der Reichtum neben der Prominenz."

Einstieg: Aufmerksamkeit als Antrieb

Im Kern seiner philosophischen Grundlegung steht die Orientierung an Heideggers Begriff des Daseins, erweitert um eine ethische Perspektive mit dem Philosophen Emmanuel Levinas. Seine normativ gewendete Theorie dreht sich um den Antrieb des monadisch isolierten Individuums, eine Rolle im fremden Bewusstsein zu spielen. Die großen Fragen nach dem Realitätsgehalt von Welt und dem fremden Bewusstsein, werden einfach durch die funktionierende Unterstellung ihrer Existenz übergangen. Ähnlich wie im "Kampf um Anerkennung" von Axel Honneth wird eine menschliche Konstante vermutet, die sich hinter der scheinbar so dominierenden ökonomischen Verwertungslogik verbirgt. "Es gibt die Ökonomie des Tauschens und es gibt die Ökonomie des Schenkens. Wenn von Ökonomie die Rede ist, ist aber fast nur vom Tauschen und kaum je vom Schenken die Rede. Das hat etwas mit der Ökonomie selbst, vor allem aber mit jenen zu tun, die darüber reden." (Franck 2007, S. 7) Die Engführungen einer ökonomischen Verwertungslogik werden so vor allem auf eine rhetorische Modernisierung zurückgeführt. Auch ohne empirische Anstrengungen lässt sich für jeden nachvollziehbar, die menschliche Aktivität auf das Motiv der Attraktion zurück führen. So gehen wir arbeiten, um Leistung zu beweisen. Konsum ist unmittelbar auch Mittel zur Demonstration von Status nach außen. In der Kommunikation mit Freunden und Fremden sind wir darum bemüht, ein positives und konsistentes Bild von uns selbst aufzubauen, und erfreuen uns an der Bestätigung die wir darüber erhalten.

Ökonomie der Aufmerksamkeit

Im Entwurf einer Ökonomie der Aufmerksamkeit wird nun dem rhetorischen Trend objektivierender Verwertungslogik gefolgt, und ein System konstruiert, in dem Aufmerksamkeit als begehrte und knappe Ressource eingesetzt und bewirtschaftet wird. Dabei wird auch ausdrücklich auf die Probleme und Grenzen dieser Sicht hingewiesen. So erlangt Aufmerksamkeit erst den Charakter eines handelbaren, objektiven Gutes, wenn sie als abstrakte Quantität in großen Mengen betrachtet wird. Damit verliert sie aber auch ihren Vorteil gegenüber dem Geld, da es ursprünglich eben nicht egal ist, von wem diese Aufmerksamkeit bezogen wird. Daher ist es auch wichtig zu berücksichtigen, dass der mentale Kapitalismus keinen automatischen Moralvorsprung vor dem materiellen hat. Zu betrachten ist dies z.B. im Bereich der Massenmedien und Pop-Kultur, in denen Beachtung tatsächlich als Kapitalfaktor akkumuliert werden kann, und z.B. im Bereich der Werbung in Kriterien der Reichweite auch konkret zu Geld gemacht wird.

Das Beispiel der Wissenschaft

"Die Wissenschaft ist ein einziger Tanz um die Aufmerksamkeit." (Franck 2007, S. 37) Ein nahezu perfektes Beispiel für Francks Konstruktion einer "Ökonomie der Aufmerksamkeit" stellt das System der Wissenschaft dar. Auf der Suche nach Wahrheit und objektiv überprüfbaren Realitäten bedient sie sich eines Mechanismus, in dem die Wissensproduktion dezentral organisiert ist, über "Märkte" verknüpft, jedoch ohne auf die Motivation von Geldeinkommen angewiesen zu sein. "Reputation ist das konsolidierte Einkommen an kollegialer Aufmerksamkeit." (Franck 2007, S. 37) Die Aufmerksamkeit ist hier noch nicht beliebig, was ihre Herkunft angeht. Die Reputation des Aufmerksamkeitspendenden fließt direkt in ihren Wert mit ein. Gleichzeitig sind die Aufmerksamkeitstauschenden aufeinander angewiesen: Als Konkurrenz UND wechselseitige Zulieferer. Die wichtigste Ausdrucksform bildet hierin das Zitat. Die eigene, knappe Aufmerksamkeit dient mit dem Verweis und der Erwähnung anderer Wissenschaftler quasi als Bezahlung auf ihr Konto der Beachtlichkeit, im Austausch für die Nutzung ihrer Erkenntnisse. Gleichzeitig bildet die wechselseitige Berufung und Kritik untereinander den eigentlichen Produktionsprozess des "Wissens" ab. Zwar besteht untereinander ein Konkurrenzkampf um Aufmerksamkeit und seine Akkumulationsform des "Prestiges". Über die Märkte der Anerkennung und eine objektivistische Rationalität ist dieser jedoch am gemeinsamen Ziel der Produktion von Wissen ausgerichtet. Die größte Strafe für ein wissenschaftliches Werk und seinen Verfasser ist daher auch nicht eine noch so vernichtende Kritik an seinen Thesen. Diese wären in ihrer Bedeutung ja zumindest noch als einen Verriss wert erachtet worden. Am härtesten trifft ihn die völlige Missachtung derer, von denen er sich Rezeption und Anerkennung erwartet hätte. „Heißt das, daß man Effizienz von der forschenden Aufmerksamkeit nur in dem Maße erwarten darf, in dem der Wunsch nach der Einnahme fremder Aufmerksamkeit dazu anleitet? Wer realistisch ist, sollte nichts anderes erwarten. Ist die Wissenschaft damit aber nicht doch zu partieller Irrationalität verdammt? Sie wäre es, wenn das Streben nach fremder Aufmerksamkeit davon abhielte, die eigene Aufmerksamkeit in den Dienst des kollektiven Erkenntnisfortschritts zu stellen.“ (Franck 2007, S. 43) Inhaltlich ist die Wissenschaft daher noch nicht durch ihren Produktionsmodus festgelegt. Wie sich wer mit besonderer Aufmerksamkeit und Reputation ausstattet hängt an einem diskursiven Prozess, in dem sich Rationalitäten wandeln können. Der Erfolg von Wissenschaft wird hier daher auch nicht nur in der Lieferung technisch oder pädagogisch verwertbaren Wissens gesehen, sondern mindestens ebenso in der Anziehungskraft und Attraktivität für Talente und die Motivation von Spitzenleistungen.

Literatur


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Funktionen der Massenmedien — Unter Funktionen der Massenmedien versteht man die Aufgaben, die den Medien in einer demokratischen Gesellschaft zugeschrieben werden, sowie die Leistungen, die die Medien für die Gesellschaft und ihre Mitglieder erbringen. Den Medien werden… …   Deutsch Wikipedia

  • Der kommende Aufstand — ist ein politischer Essay, der erstmals 2007 unter dem Titel L’Insurrection qui vient in französischer Sprache mit der Autorangabe Comité invisible (Unsichtbares Komitee) erschienen ist. 2009 wurde der Essay überarbeitet und fand zumeist über das …   Deutsch Wikipedia

  • Ökologische Ökonomie — Die Ökologische Ökonomie oder auch Ökologische Ökonomik ist ein inter bzw. transdisziplinäres Wissenschaftsfeld, das sich mit der Erforschung von Handlungsmöglichkeiten angesichts ökologischer Grenzen der Tragfähigkeit natürlicher Systeme befasst …   Deutsch Wikipedia

  • Grüne Ökonomie — Die Ökologische Ökonomie oder auch Ökologische Ökonomik ist ein transdisziplinäres Wissenschaftsfeld, das sich mit der Erforschung von Handlungsmöglichkeiten angesichts ökologischer Grenzen der Tragfähigkeit natürlicher Systeme befasst.… …   Deutsch Wikipedia

  • Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben — Titel der Erstausgabe 1874 Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben (vollständiger Originaltitel: Unzeitgemässe Betrachtungen. Zweites Stück: Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben) ist ein 1874 erschienenes Werk Friedrich… …   Deutsch Wikipedia

  • Effekt der Verfremdung — Der Verfremdungseffekt (V Effekt) ist ein literarisches Stilmittel und Hauptbestandteil des Epischen Theaters nach Bertolt Brecht. Eine Handlung wird durch Kommentare oder Lieder so unterbrochen, dass beim Zuschauer jegliche Illusionen zerstört… …   Deutsch Wikipedia

  • Heterodoxe Ökonomie — umschreibt die Ansätze und Schulen der ökonomischen Theorie, welche außerhalb des ökonomischen Mainstream liegen, somit nicht als orthodoxe Ökonomie bezeichnet werden. Heterodoxe Ökonomie ist ein Überbegriff, der die unorthodoxen Ansätze, Schulen …   Deutsch Wikipedia

  • Kommune. Forum für Politik, Ökonomie und Kultur — Kommune Beschreibung deutsche politische Zeitschrift Verlag Kühl Verwaltungs GmbH Co. Verlagskommanditgesellschaft Erstausgabe 1983 …   Deutsch Wikipedia

  • Die Lage der arbeitenden Klasse in England — Die Lage der arbeitenden Klasse in England, Leipzig 1845 Die Lage der arbeitenden Klasse in England mit dem Untertitel Nach eigner Anschauung und authentischen Quellen ist eine wichtige Arbeit und Frühschrift von Friedrich Engels aus dem Jahr… …   Deutsch Wikipedia

  • Betrug und Fälschung in der Wissenschaft — sind unwahre Behauptungen oder gefälschte Messergebnisse, die vorsätzlich (Betrug) publiziert werden. Das Nicht Wahrhaben Wollen widersprüchlicher Messergebnisse und tendenziöse Berichterstattung sowie Weglassen von Ergebnissen stellen dagegen… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”