Brandanschläge auf Kraftfahrzeuge in Berlin

Brandanschläge auf Kraftfahrzeuge in Berlin

Seit 2007 kam es zu einer bis heute anhaltenden Reihe von Brandanschlägen auf Kraftfahrzeuge in Berlin. Seit 2008 gingen jedes Jahr mehrere Hundert Fahrzeuge in Flammen auf. Da zunächst die meisten Taten als politisch motiviert eingestuft wurden, übernahm die Ermittlungen zu den Tätern der Staatsschutz. Im Jahr 2011 wurden in den ersten acht Monaten bereits 530 Autos zerstört oder beschädigt.[1]

Inhaltsverzeichnis

Statistiken

Bei der Erfassung der Brandanschläge werden zum Teil unterschiedliche Zählweisen verwendet wie bei der Anzahl der Brandanschläge, der Anzahl der angezündeten Fahrzeuge (bei einem Anschlag können mehrere Fahrzeuge angezündet werden) oder der Anzahl der geschädigten Fahrzeuge (durch Hitze und Flammen in der Nähe von brennenden Fahrzeugen). Des Weiteren wird zwischen politisch motivierten und nicht politisch motivierten Anschlägen unterschieden. Auf Grund dieser unterschiedlichen Zählweisen können Statistiken voneinander abweichende Angaben enthalten.

Die folgende Tabelle benennt die Anzahl der Brandanschläge gemäß der offiziellen Kriminalstatistik der Polizei Berlin.[2]

Jahr Anzahl der Anschläge davon politisch motiviert
2010 221[3] 44[3]
2009 320[4] 145[4]
2008 215[5] 73[6]
2007 keine Angabe mindestens 75[7]
Graffiti zu Autobrandanschlägen, Berlin 2004: 1. Mai: Autos brennen, Bullen sterben

In ihrer Kriminalstatistik für das Jahr 2010 vermeldete die Berliner Polizei einen signifikanten Rückgang der politisch motivierten Brandanschläge auf Fahrzeuge.

„Nach 145 Fällen mit 221 angegriffenen Fahrzeugen im Vorjahr, waren es 2010 nur noch 44 Fälle mit 54 angegriffenen Fahrzeugen. Hier könnten die polizeilichen Maßnahmen zur Verhinderung politisch motivierter Gewaltkriminalität Wirkung gezeigt und zu einer Verunsicherung der „linken Szene“ geführt haben. Außerdem gab es 2010 weniger aktionsauslösende Anlässe als im Vorjahr und neben der öffentlichen Berichterstattung wurde auch innerhalb der „linken Szene“ eine kritische Diskussion in Gang gesetzt. Diese forderte ein Umdenken hinsichtlich einiger Aspekte bei Brandstiftungen an Kraftfahrzeugen, insbesondere der Vermittelbarkeit in der Öffentlichkeit. Im Gegensatz dazu gab es bei den Brandanschlägen auf Fahrzeuge, welchen kein politisches Motiv zugrunde lag, einen geringfügigen Anstieg von 175 Fällen mit 180 angegriffenen Fahrzeugen im Vorjahr auf 177 Fälle mit 196 angegriffenen Fahrzeugen im Berichtsjahr.“

– Polizeiliche Kriminalstatistik Berlin 2010[3]

Ein Sprecher des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) sagte, das bei bundesweit rund 15.000 Autobränden jährlich die Zahl der Berliner Fälle vergleichsweise gering sei.[8]

Hintergrund

Ausgebrannter Porsche Cayenne in Berlin, 2009

Viele Brände früherer Jahre wurden der autonomen Szene zugeordnet. Bereits 1998 veröffentlichte die Berliner Zeitschrift radikal eine Bauanleitung für Brandätze für Autos.[9] Bis zu ihrer Auflösung im Juli 2009 verübte die militante gruppe (mg) gezielt Anschläge auf Fahrzeuge überwiegend von Behörden und Militäreinrichtungen. In den Jahren 2007 und 2008 beschränkten sich die Tatorte überwiegend auf die Ortsteile Kreuzberg, Mitte, Friedrichshain und Lichtenberg.[10] Täter aus der linken Szene steckten meist Fahrzeuge der Oberklasse in Brand, und militante Umweltschützer hatten es gezielt auf Fahrzeuge mit hohem Spritverbrauch abgesehen, vorwiegend Limousinen, Geländewagen und Sportwagen.[11]

Die seit 2007 aufgekommene Serie von Brandstiftungen fand Verständnis in der politischen Linken.[12] Die Brandanschläge wurden seitens der Täter als notwendiges Mittel gegen die Gentrifizierung gerechtfertigt. Im linken Szeneblatt Interim bekannten sich linke Gruppen zu Anschlägen.[13].

Im August 2011 gingen in mehreren aufeinander folgenden Nächten jeweils bis zu 15 Autos in Flammen auf, insbesondere auch in den Ortsteilen Westend und Charlottenburg[14][15][16], die Vermutungen über einen Einzeltäter schürten und zu Irritationen der Ermittler führten, da diese fast alle im Stadtteil Charlottenburg und nicht wie sonst im Bezirk Mitte, Prenzlauer Berg oder Friedrichshain passierten.[17]

Reaktionen auf die Anschlagsserie im August 2011

Die Serie der Brandanschläge im August 2011 wird im Wahlkampf zur Wahl zum Berliner Abgeordnetenhauses am 18. September 2011 thematisiert. Sowohl die CDU wie auch FDP haben dazu eigens Plakate vorgestellt.[18]

Bundeskanzlerin Angela Merkel verurteilte die Brandanschläge scharf und sagte, sie beobachte die Entwicklung mit Sorge.[19] Der Berliner Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele bezeichnete die Anschläge als „Prestigegerangel zwischen denen, die das machen, und der Polizei“ und als „Mutprobe mit schlimmen Folgen“. Es handele sich außerdem um eine „schwere Straftat“, die auch verfolgt werden müsse, da Autobesitzer geschädigt und Anwohner in Gefahr gebracht würden.[20] Dieter Wiefelspütz (SPD), Mitglied des Innenausschuss des Deutschen Bundestages, wertete die Brandanschläge als „Vorstufe zum Terrorismus“,[19] warnte aber die Ereignisse mit denen in London zu vergleichen, sie seien Vandalismus: „Für diese Art von Gewalt gibt es keine sachliche oder politische Begründung.“ Zudem sei es „leicht, ein Auto anzustecken und blitzschnell zu verschwinden, ohne Spuren zu hinterlassen.“[21] Der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA) Jörg Ziercke schätzt dass nur 20 bis 30 Prozent der Täter zum linksextremistischen Spektrum gehören. Der Rest seien „Chaoten, notorische Randalierer, Pyromanen, andere Trittbrettfahrer und vereinzelt auch Versicherungsbetrüger.“ Zudem widersprach er den Äußerungen mehrerer Innenpolitiker von CDU und SPD sowie der Behauptung „hier von einer Vorstufe zum Terrorismus zu sprechen“.[22]

Die Berliner Polizei und der Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) sagten, es gäbe bei den Anschlägen keine Hinweise auf Täter aus der linksextremen Szene und keinen Zusammenhang mit Terrorismus. Laut Polizei deuteten die Spuren auf Nachahmungstäter mit „pseudopolitischer Motivation“ hin. „Die linksextremistische Szene steht nicht hinter den Taten und erklärt sich damit auch nicht einverstanden“, sagte die Polizeivizepräsidentin Margarete Koppers, kommissarische Polizeipräsidentin in Berlin.[19] Der Fraktions- und Landeschef der CDU Berlin Frank Henkel widersprach der Auffassung Körtings. Der Senat müsse endlich eingestehen, dass er die Berliner Polizei „kaputtgespart hat und nicht mehr in der Lage ist, die Bürger angemessen vor der Bedrohung zu schützen“, erklärte Henkel.[23] In einem Artikel für Die Welt kritisierte Henkel: „Anstatt die linksextreme Bedrohung deutlich anzusprechen, zieht sich der rot-rote Senat auf Erklärungsmuster zurück, die die Realität verschleiern.“[24] Der Parteienforscher Oskar Niedermayer sagte, das dass Wahlkampftema der CDU Rückenwind verschaffen könne, da ihr beim Thema Innere Sicherheit hohe Kompetenz zugeschrieben würde.[25]

Der regierende Bürgermeister Klaus Wowereit erwiderte: „Wer jetzt schnelle Lösungen verspricht, will nur billig Wahlkampf machen“[26] und rief die Bevölkerung zur Mithilfe auf.[19] Für sachdienliche Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen, wurde eine Belohnung bis zu 5.000 Euro ausgesetzt.[27] Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) forderte im Zuge des Kampfes gegen Autobrandstifter die Bevölkerung dazu auf, bei der Fahndung nach den Tätern zu helfen sowie die Bundespolizei und Beamte aus anderen Bundesländern in Berlin einzusetzen. Die Beamten müssten mindestens sechs Monate lang die Berliner Kollegen unterstützen, sagte ein GdP-Sprecher. Er wies auf die Unterbesetzung der Polizei in Berlin hin, da der Berliner Senat in den vergangenen zehn Jahren rund 4.000 Stellen bei der Polizei eingespart habe.[28]

Verhaftungen und Tatverdächtige

Nachdem in der Proskauer Straße zwei Fahrzeuge in Flammen aufgingen, wurde im November 2009 ein Tatverdächtiger festgenommen, der in der Nähe des Tatorts mit einer Flasche Feuerzeugbenzin und Spuren eines Brandbeschleunigers an den Händen aufgegriffen wurde. 140 Bereitschaftspolizisten durchsuchten daraufhin zwei besetzte Häuser in der Liebigstraße 14 und 34. Der Verdächtige wurde nach 43 Tagen Untersuchungshaft freigelassen. In der Nacht vom 23. zum 24. September 2011 wurde der Mann in Berlin-Mitte erneut aufgegriffen, als er sich an einem Auto zu schaffen machte, das wenig später in Flammen aufging. Auch diesmal hatte er Zündmittel bei sich. Als selbst bezeichneter freier Fotograf und Journalist schoss der Verdächtige in der Vergangenheit mehrfach Fotos von brennenden Fahrzeugen und bot diese Zeitungen zur Veröffentlichung an.[29][30]

Im Oktober 2011 wurde ein weiterer Verdächtiger festgenommen. Ihm werden 67 Brandstiftungen (102 ausgebrannte Fahrzeuge) zur Last gelegt, zwischen Juni und August 2011 verübt wurden.[31] Ein politischer Hintergrund wird von den Ermittlern für diese Taten ausgeschlossen. Der geständige Täter gab als Motiv Frustration über seine Arbeitslosigkeit an. Nach Aufnahme einer Erwerbstätigkeit stellte der Mann Ende August 2011 seine Brandstiftungen ein.[32]

Weblinks

  • Brennende Autos. eine Chronologie der Brandanschläge. In: brennende-autos.de. 6. Oktober 2010, abgerufen am 29. August 2011 (deutsch, Eine chronologische und geographische Auflistung der Anschläge bis zum Oktober 2010).
  • Dorothea Jung: Von Klassenkämpfern und Trittbrettfahrern. Brennende Autos in Berlin. In: Deutschlandfunk. 25. August 2011, abgerufen am 29. August 2011 (Text, Audio, deutsch, Radiobericht über die Brandanschläge).

Einzelnachweise

  1. Mutmaßliche Autobrandstifter festgenommen. rbb, 30. August 2011, abgerufen am 31. August 2011.
  2. Kriminalstatistik der Berliner Polizei
  3. a b c Polizeiliche Kriminalstatistik Berlin 2010. Seite 100. Der Polizeipräsident in Berlin, abgerufen am 19. August 2011.
  4. a b Polizeiliche Kriminalstatistik Berlin 2009. Seite 18. Der Polizeipräsident in Berlin, abgerufen am 19. August 2011.
  5. Polizeiliche Kriminalstatistik Berlin 2008. Seite 95. Der Polizeipräsident in Berlin, abgerufen am 29. August 2011.
  6. Bericht über die politisch motivierte Kriminalität in Berlin 2008. Seite 30. Der Polizeipräsident in Berlin, abgerufen am 29. August 2011.
  7. Lagedarstellung der Politisch motivierten Kriminalität in Berlin für das Jahr 2007. Seite 19. Der Polizeipräsident in Berlin, abgerufen am 29. August 2011.
  8. Bürger sollen Brandstifter stellen Frankfurter Rundschau vom 17. August 2011
  9. Episode 158, S. 55
  10. Anschlagserie in Berlin: Autobrandstifter weiten ihr Gebiet aus. Berliner Morgenpost, 13. August 2011, abgerufen am 18. August 2011.
  11. Brandstiftung in der Hauptstadt Brennende Autos in Berlin. Süddeutsche Zeitung, 7. September 2009, abgerufen am 18. August 2011.
  12. Bei einer Diskussion im taz-Café zeigt die linke Szene offen Verständnis für Brandanschläge auf Autos
  13. Brandanschläge in Berlin – auf Spurensuche in der linken Hauptstadtszene
  14. Autozündeleien: Charlottenburg und Westend: Brandanschläge im Minutentakt. Der Tagesspiegel, 16. August 2011, abgerufen am 18. August 2011.
  15. Brandserie : Wieder brennende Autos in Berlin. Der Tagesspiegel, 17. August 2011, abgerufen am 18. August 2011.
  16. Anschlagserie: Jetzt brennen Autos auch in Brandenburg. Berliner Morgenpost, 18. August 2011, abgerufen am 18. August 2011.
  17. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,780748,00.html Spiegel Online vom 17. August 2011
  18. Brandanschläge heizen Berliner Wahlkampf an. Spiegel Online, 19. August 2011, abgerufen am 19. August 2011.
  19. a b c d Nächtliche Brandanschläge in Berlin: Brennende Autos beunruhigen die Politik. Tagesschau, 18. August 2011, abgerufen am 19. August 2011.
  20. Ströbele: Autobrandstifter gehören bestraft. Reuters, 19. August 2011, abgerufen am 19. August 2011.
  21. Wiefelspütz: Berlin ist nicht London, mdr vom 18. August 2011
  22. BKA-Chef hält Autozündler nicht für Terroristen, Spiegel Online vom 2. September 2011
  23. CDU: «Militante Linke» für Autobrände verantwortlich
  24. Linke Intoleranz
  25. Autozündler vermiesen Wowereit den Wahlkampf Spiegel Online vom 17. August 2011
  26. Bundespolizei hilft bei der Autozündler-Jagd Spiegel Online vom 23. August 2011
  27. Pressemeldung: Fahrzeuge angezündet – Belohnung bis zu 5000,- €. Der Polizeipräsident in Berlin, 19. August 2011, abgerufen am 19. August 2011.
  28. Brennende Autos in Berlin: Polizei fordert mehr Unterstützung. Hamburger Abendblatt, 18. August 2011, abgerufen am 19. August 2011.
  29. Haftbefehl gegen mutmaßlichen Autobrandstifter
  30. Autozündler fotografierte Brände und wollte Bilder verkaufen
  31. [http://www.morgenpost.de/berlin-aktuell/article1803257/Brandstifter-zuendete-nur-Audi-BMW-Mercedes-an.html www.morgenpost.de
  32. Auto-Brandstifter soll aus Frust gehandelt haben. Die Welt, 23. Oktober 2011

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