Abell 520

Abell 520
Falschfarbenbild des Galaxienhaufens Abell 520 (Orientierung: Norden oben, Osten links). In blau ist die Verteilung der dunklen Materie gezeigt, während die roten Bereiche die Regionen erhöhter baryonischer Dichte kennzeichnen.

Abell 520 ist ein Galaxienhaufen im Sternbild Orion, dessen Name sich von seinem Eintrag im Abell-Katalog ableitet. Die genauen Koordinaten sind Rektaszension 04h 54m 03,80s und Deklination +02° 53' 33,00". Bei einer Rotverschiebung von z=0,201 ist er etwa 2,4 Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt und hat am Himmel eine optische Ausdehnung von etwa 10 Bogenminuten. Die Gesamtmasse des Abell-520-Systems beträgt etwa 1015 Sonnenmassen, die sich bei genauerem Hinsehen auf mehrere Komponenten (daher mehrere Galaxienhaufen) verteilen. Diese befinden sich aktuell im Prozess der Verschmelzung. Das System zeigt eine ungewöhnliche Verteilung von dunkler und baryonischer (daher gewöhnlicher) Materie, die dabei hilfreich sein könnte, die Eigenschaften der dunklen Materie besser zu verstehen. Abell 520 stellt nach dem Bullet cluster das zweite System dar, in dem der dunkle Materiebeitrag getrennt von der baryonischen Materie beobachtet werden konnte.

Es ist der dynamische Zustand, der dem Haufen seine besondere Bedeutung verleiht. Er befindet sich (noch) nicht in einem Gleichgewichtszustand. Abell 520 wurde im Rahmen einer multi-wellenlängen Kampagne zur Analyse von 50 massereichen Galaxienhaufen untersucht. Die Ergebnisse der Analyse der Massenverteilung, welche mit Hilfe des Gravitationslinseneffektes ermittelt wurde, sind im Rahmen der Arbeit A dark core in Abell 520 (daher: Ein dunkler Kern in Abell 520) von A. Mahdavi et al. 2007 (siehe Referenzen) veröffentlicht worden. Im Folgenden wird die Essenz der Arbeit zusammengefasst.

Die Rekonstruktion der Massenverteilung von Abell 520 zeigt vier Massenkonzentrationen (Nr. 1-4), die wie an einer Perlenkette in NO-SW-Richtung aufgereiht sind (siehe Abbildung sowie Referenzen für weitere Illustrationen). Aufgrund dieser Anordnung bezeichnen Mahdavi et al. 2007 Abell 520 auch als „kosmisches Zugwrack“ (cosmic train wreck). Eine fünfte Massenkonzentration befindet sich östlich davon. Anhand der hellsten Galaxien in den jeweiligen Massenkonzentrationen lassen sich deren Radialgeschwindigkeiten bestimmen. Es zeigt sich, dass sie sich alle merklich voneinander unterscheiden, so dass es sich in der Tat um sich relativ zueinander bewegende Massenansammlungen handelt. Diese Konstellation ist zwar ungewöhnlich, jedoch kaum von besonderer Bedeutung. Die zeigt sich erst, wenn man die „Zusammensetzung“ der einzelnen Massenansammlungen genauer untersucht. Damit sind hierbei die jeweiligen Massenanteile gemeint, die sich in Galaxien (Sternen), in diffusem intergalaktischen Gas und dunkler Materie befinden. Für einen typischen Galaxienhaufen liegt der Anteil für Sterne bei unter zehn Prozent und der Anteil an intergalaktischem Gas bei etwa 15-20 Prozent. Der Rest und damit der größte Teil liegt in Form von dunkler Materie vor.

Ein Maß für das Massenverhältnis von baryonischer Materie (Sterne und Gas) zu dunkler Materie ist das sogenannte „Masse-Leuchtkraft-Verhältnis (MLV)“. Dieses gibt an wie viel Masse wie viel Licht erzeugt und wird typischerweise in Einheiten von Sonnenmassen pro Sonnenleuchtkraft angegeben (so auch im Folgenden). Für die meisten Galaxienhaufen liegt es in der Größenordnung von 200. Das bedeutet beispielsweise für uns selbst, dass auf die gesamte Masse unseres Sonnensystems noch etwa 200-mal dieselbe Masse in unser kosmischen Umgebung kommt, die in nichtleuchtender Form vorliegt. Das Verhältnis ist so hoch, da die meiste Masse nicht in leuchtenden Sternen gebunden ist, sondern entweder in Form von dunkler Materie oder Gas vorliegt, das (im Vergleich zur Sonne) relativ wenig Licht abgibt.

Bei der Analyse des MLV für die einzelnen Massenkonzentrationen des Abell 520 Systems stechen zwei besonders hervor. Diese gehören zu den Massen Nummer 3 und 5. Die erste liegt etwa im Zentrum des Zugwracks und Nr. 5 ist die Massenkonzentration östlich des Wracks. Für Nr. 3 finden Mahdavi et al. 2007 ein MLV von etwa 720, also deutlich mehr als im Normalfall, während für die fünfte Massenkonzentration lediglich ein Wert von etwa 60 gefunden wird. Dieses Ergebnis kann folgendermaßen gedeutet werden: Massenkonzentration Nr. 3 enthält fast nur dunkle Materie, während Nr. 5 fast nur baryonische (leuchtende) Materie enthält. Dieses entspricht durchaus den Erwartungen, da dunkle und baryonische Materie (die ja hauptsächlich in Form von intergalaktischem Gas und nicht von Sternen vorliegt) sich bei einer Haufenverschmelzung unterschiedlich verhalten sollten (siehe auch „Bullet cluster“ für eine Diskussion der Dynamik). Mit anderen Worten: Eine Separation von baryonischer und dunkler Materie ist nicht überraschend. Ungewöhnlich ist jedoch die Verteilung der Galaxien. Von diesen erwartet man, dass sie sich kollisionsfrei (also wie die dunkle Materie) verhalten. Es zeigt sich aber, dass das Zentrum des Zugwracks, in dem der Großteil der dunklen Materie konzentriert ist, so gut wie frei von Galaxien ist. Insbesondere liegt keine der drei hellsten Galaxien des Haufens in der Nähe des Zentrums. Dieses ist ein entscheidender Punkt, da durchaus Haufen bekannt sind, die ein ungewöhnlich hohes MLV aufweisen, jedoch fallen dort die Positionen der hellsten Galaxien und der dunklen Materie zusammen. Mit Abell 520 wurde hier erstmalig ein Fall untersucht, wo das anders ist. Im Gegensatz dazu weist die östlich gelegene baryonische Massenkonzentration eine Überhäufigkeit von Galaxien auf.

Nimmt man die Massenkonzentrationen Nr. 3 und 5 zusammen, weist das Ergebnis keinerlei Auffälligkeiten auf; es sieht dann aus wie ein durchschnittlicher Galaxienhaufen. Das legt nahe, dass beide einen gemeinsamen „Vorfahren“ haben. Es scheint, als ob Galaxien und dunkle Materie durch einen bislang nicht verstandenen Effekt getrennt worden seien.

Bei diesem Effekt könnte es sich zum Beispiel um komplexe Dreikörperwechselwirkungen handeln, die die Galaxien aus dem Zentrum „schleudern“. Es wäre aber auch denkbar, dass die dunkle Materie eine nicht-gravitative Wechselwirkung zeigt, die ihre räumliche Trennung von den Galaxien erklären kann. Die Frage nach dem Grund für die Trennung von Galaxien und dunkler Materie ist bisher unbeantwortet.

Die Beobachtung von Abell 520 steht sowohl in puncto Beobachtungstechnik als auch Beobachtungsziel in einer Reihe mit der Beobachtung des Bullet clusters. In beiden Fällen kann dunkle Materie in nicht relaxierten (sich nicht im Gleichgewicht befindenden) Systemen getrennt von baryonischer Materie beobachtet werden. Die Situation im Falle von Abell 520 ist jedoch deutlich komplexer. Ein gutes Verständnis (beider Fälle) erfordert sicher noch weitere Beobachtungen und theoretische, numerische Betrachtungen. Abell 520 stellt mit Sicherheit eine Herausforderung für bisherige Modelle der Entwicklung von Galaxienhaufen dar, jedoch ist es nicht so, dass hier ein grundsätzlicher Widerspruch bestünde bzw. bestehen muss.

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