Camus

Camus
Albert Camus

Albert Camus (gesprochen: alˈbɛːʀ ˈkamy) (* 7. November 1913 in Mondovi, Algerien; † 4. Januar 1960 nahe Villeblevin, Yonne, Frankreich) war ein französischer Philosoph und Schriftsteller. 1957 erhielt er für sein erzählerisches, dramaturgisches, philosophisches und publizistisches Gesamtwerk den Nobelpreis für Literatur. Er ist einer der bekanntesten französischen Autoren des 20. Jahrhunderts.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Kindheit und Jugend

Camus stammte aus einer seit zwei bis drei Generationen in Algerien ansässigen Familie mit südfranzösischen Wurzeln väterlicherseits und spanischen mütterlicherseits. Sein Geburtsort Mondovi (nahe Bône, dem heutigen Annaba), war ein Zentrum der Weinproduktion und sein Vater, ein ungelernter, aber offenbar tüchtiger Fuhrmann, war kurz zuvor von seiner im Weinanbau und -export tätigen Firma aus Algier dorthin geschickt worden, um als Kellermeister eines ihrer Weingüter zu bearbeiten.

Als der Vater 1914 gleich zu Beginn des Ersten Weltkrieges zur französischen Armee eingezogen wurde und in der Marneschlacht fiel, zog die Mutter mit Albert und seinem älteren Bruder Lucien zurück zu ihrer verwitweten Mutter nach Algier, in das Kleine-Leute-Viertel Belcourt. Hier trug sie, zusammen mit ihrem unverheirateten, sprechbehinderten Bruder, einem Böttchergesellen, zuerst als Fabrikarbeiterin und später als Putzfrau zum Unterhalt der Familiengemeinschaft bei, die unter der Fuchtel der strengen Großmutter stand.

1924 erhielt Camus’ Grundschullehrer mühsam die Erlaubnis von Mutter und Großmutter, den begabten Jungen für die Aufnahmeprüfung des Gymnasiums vorzubereiten. Camus bestand und pendelte hinfort zwischen der ärmlichen Welt von Belcourt und dem bürgerlichen Milieu der Schule, wo er seine Herkunft vor den Klassenkameraden versteckte und sich seiner Mutter schämte, die nicht nur Analphabetin, sondern auch leicht hör- und sprechbehindert war. Um seinen Status in der Klasse zu verbessern, war er sehr sportlich und spielte als Torwart in einem Fußballverein (Racing Universitaire d'Algier).

Nach dem ersten Teil des Baccalauréat ("bac") 1930 erkrankte er an Tuberkulose und musste für mehrere Monate in ein Sanatorium in Südfrankreich. Nach seiner Rückkehr wurde er von einer kinderlosen Schwester seiner Mutter und ihrem Mann, einem wohlhabenden und literarisch interessierten Metzgermeister, aufgenommen. Hier fühlte er sich wohl, las, schrieb und entwickelte Dandy-Allüren. Seine Mutter sah er nur selten.

1932 legte er den zweiten Teil des bac ab. Sein Traum wäre die École normale supérieure in Paris gewesen, die französische Elitehochschule für die Lehramtsfächer, doch gab es in ganz Algerien keine classes préparatoires zur Vorbereitung auf die Zulassungsprüfung (concours).

Studium und erste politische Aktivitäten

Camus begann also ein Studium der Philosophie an der neu eröffneten Universität von Algier, wo er Freundschaft schloss mit einem jungen Professor, Jean Grenier. 1934, mit 21, d. h. eben volljährig geworden, heiratete er die 19-jährige Simone Hié, die hübsche, aber auch extravagante (und morphinsüchtige) Ex-Verlobte eines Freundes. Simone war zwar gutbürgerlicher Herkunft, doch hatte ihr Vater die Familie verlassen, was mitsamt ihren Extravaganzen ihren Wert auf dem Heiratsmarkt ausreichend minderte, um sie für Camus erreichbar zu machen. Dass sein Onkel und seine Tante diesen Wert sogar für Null erachteten und strikt gegen die Heirat waren, störte Camus wenig, seine Mutter informierte er gar nicht erst.

Er zog zu den Hiés und schrieb für Simone kleine Texte über seine Jugend, die er zu einem ersten Büchlein zusammenfasste: L’Envers et l’Endroit (gedruckt 1937).

1935, nach der Bildung der „Volksfront“, eines antifaschistischen Bündnisses der französischen linken und halblinken Parteien (Kommunisten und Sozialisten sowie Radikalsozialisten), wurde er, wie viele andere junge Intellektuelle, Kommunist und auch Mitglied in der Kommunistischen Partei (die in Algerien, obwohl es offiziell Teil Frankreichs war, eine eigene Organisation zu bilden versuchte).

Die Partei setzte ihn ein, um im muslimisch-arabischen Bevölkerungsteil der Stadt antikolonialistische und prokommunistische Propaganda zu betreiben sowie Mitglieder zu werben. Letzteres erwies sich allerdings als fast unmöglich, da der marxistische Atheismus die Moslems abstieß. Immerhin erhielt Camus Einblick in die sozialen und psychologischen Probleme der damals etwa 8 Millionen arabo- und berberophonen „Eingeborenen“. Sie wurde von etwa 800.000 Algerienfranzosen, d. h. den Nachkommen französischer, spanischer und italienischer Einwanderer, sowie der französisierten einheimischen Juden (wobei diese Pieds-noirs keineswegs allesamt wohlhabend waren), beherrscht.

Als im Frühsommer 1936 die Volksfront die Wahlen gewann und in ganz Frankreich neue kulturvermittelnde Einrichtungen geschaffen wurden, um das Bildungsniveau der Werktätigen zu heben, gründete Camus mit anderen Linken in Algier ein Théâtre du travail (dt. „Theater der Arbeit“), wo er ein erstes Stück mitverfasste und einstudierte: Révolte dans les Asturies. Dieses Stück verarbeitete einen Streik spanischer Bergarbeiter von 1934, wurde jedoch vor der Aufführung verboten. Mehr nebenbei, denn er war inzwischen auch Mitglied der Schauspieltruppe von Radio Algier, legte Camus sein Diplôme d'études supérieures mit einer Examensarbeit über die antiken nordafrikanischen Philosophen Plotin und Augustinus ab.

Im Spätsommer 1936 reiste er mit Simone nach Norditalien, Österreich und in die Tschechoslowakei. In Prag bemerkte er, dass sie sich bei Ärzten prostituierte, um an Morphium zu kommen. Er war zutiefst getroffen und brach mit ihr.

Zurück in Algier fand er eine Parteiführung vor, die soeben auf Anweisung von Moskau jegliche antikolonialistische Propaganda eingestellt hatte, weil diese die Verteidigungskraft Frankreichs gegenüber dem aufrüstenden Deutschland hätte schwächen können, vor dem auch Stalin Angst zu bekommen begann.

Camus, dem inzwischen die soziale und politische Gleichberechtigung der „Arabes“ am Herzen lag, war empört von diesem Kurswechsel seiner Partei und wollte weiter im alten Sinne agieren. Dafür wurde er mit Parteiausschluss bestraft. Ebenso enttäuscht war er 1937 über das Scheitern eines Gesetzesvorhabens in der Assemblée nationale, wonach zumindest die gebildete und teilweise frankophile autochthone Elite in Algerien das volle französische Bürgerrecht erhalten sollte. Ein weiterer – persönlicher – Schlag war, dass er wegen seiner Tuberkulose nicht zu den Prüfungen (concours) für die Agrégation zugelassen wurde, sich also von einer Einstellung als beamteter Gymnasialprofessor ausgeschlossen sah.

Albert Camus

Beginn der Schriftstellerei

In seiner Enttäuschung begann er einen ersten Roman über einen tuberkulosekranken jungen Mann, der einen reichen Krüppel ermordet und bestiehlt, um dann selbst in einer Villa hoch über dem Meer zu sterben, zu schreiben: La Mort heureuse. Dieses, ihm vielleicht allzu persönlich erscheinende Werk, stellte er jedoch nicht fertig. Ab 1938 benutzte er es als Steinbruch für L’Étranger, einen zunächst politisch motivierten Roman, um einen ganz normalen jungen Algerienfranzosen namens Meursault, der eher zufällig einen jungen Araber erschießt, für sein Vergehen aber einstehen will und so, in die Rolle eines tumben Toren und Sündenbocks geratend, sein Todesurteil provoziert (Meursault: „meurs, sot!“ = „stirb, du Tor!“).

Obwohl Camus nur mühsam von einem Hilfsjob im meteorologischen Institut von Algier lebte, schlug er 1938 einen Posten als angestellter Lehrer in einer algerischen Kleinstadt aus; nicht zuletzt vielleicht auch, weil er sich gerade mit seiner späteren zweiten Frau liiert hatte, der Mathematikstudentin und dann Mathematiklehrerin Francine Faure.

Über einen Freund, Pascal Pia, bekam Camus einen Posten als Reporter bei dem neuen (linken) Blatt Alger républicain. Eine seiner Spezialitäten dort wurden Gerichtsreportagen, zumal von Prozessen gegen Araber und Berber, die in einer von den Algerienfranzosen dominierten Justiz gar zu leicht die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekamen. Nebenher verfasste Camus eine erste Version seines ersten vollständig eigenen Stücks: Caligula, ein Drama um die Sinnsuche eines jungen Mannes.

In dieser Zeit auch begann er den philophischen Essay Le Mythe de Sisyphe. Im Sommer 1939 schrieb er eine die Behörden anklagende Artikelserie über eine Hungersnot im Hinterland Algiers. Seines Erachtens taten die Behörden nichts, weil dort ja nur Berber verhungerten.

Als im September 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach und eine Zensur eingeführt wurde, hatten Camus und seine Zeitung ständig Ärger mit der neuen Behörde. Anfang 1940 ging die Zeitung aus verschiedenen Gründen ein; Camus musste sich, nachdem er endlich geschieden war und sich wiederverheiratet hatte, von Francine durchfüttern lassen. Er hielt das nicht aus, sondern ging (ohne aus Algerien, wie man oft liest, ausgewiesen zu sein) nach Paris, nachdem er hier, erneut über Pia, einen Job als Reporter bei der Zeitung Paris Soir bekommen hatte.

Die Kriegszeit

Unmittelbar vor Beginn des blitz allemand (siehe: Blitzkrieg) am 10. Mai stellte er den Étranger fertig, der sich während der Zwischenzeit mit zusätzlichen Themen und Problemen aufgeladen hatte, die die ursprüngliche politische Intention fast verdecken. Kurz bevor die deutschen Truppen in Paris einmarschierten, flüchtete Camus mit der Redaktion seiner Zeitung nach Clermont-Ferrand und bald weiter nach Lyon, wo er den Waffenstillstand (22. Juni) und die Anfänge des neuen État français unter Marschall Pétain erlebte.

In der Folgezeit führte er ein unstetes Leben zwischen Frankreich und Algerien, schrieb aber fleißig. Im Winter 1941/42 beendete er in Oran (dem Heimatort seiner Frau, wo er eine Lehrerstelle bekommen hatte) Le Mythe de Sisyphe, einen Essay über den Sinn der menschlichen Existenz, den er in der Bejahung ihrer Tragik und in deren Überwindung durch Pflichterfüllung zu sehen scheint. Der Sisyphe traf bei seiner Publikation im Oktober offenbar die Stimmung im besetzten Frankreich, wo man die gerade erlittene Niederlage durch eine Flucht in die alltägliche Pflicht zu kompensieren neigte. Camus wurde bekannt, zumal auch der im Juni endlich herausgekommene Étranger zu einem beachtlichen Erfolg wurde (der nun allerdings überhaupt nicht mehr als ein algerisch-politisch motivierter Roman gesehen wurde, sondern als Meditation über den Sinn der menschlichen Existenz).

Ende 1942 war Camus wieder zu einer Kur in Südfrankreich und konnte nicht nach Oran zurück, nachdem Algerien von anglo-amerikanischen Truppen eingenommen worden war und die Deutschen am 11. November auch den bisher verschonten Süden, die zone libre, besetzt hatten. Er ging deshalb nach dem Ende der Kur nach Paris, wo er bei seinem Verlag Gallimard einen Posten als Lektor bekam und nunmehr hautnah die Verhältnisse im besetzten Frankreich miterlebte, wo sich nach dem Desaster der deutschen Truppen in Stalingrad die Stimmung zu ändern begann. In diesem Umfeld begann er den Roman La Peste, der seine persönliche Situation, d. h. das Getrenntsein von seiner Frau und seinen Willen, sich politisch zu engagieren, ebenso spiegelt wie die allgemeine Lage im Land, dessen Menschen meist noch willig oder gleichmütig mit den Besatzern kollaborierten, teils aber schon, wie bald auch Camus selbst, sich der Widerstandsbewegung anschlossen, der Résistance. La Peste erschien erst 1947, war dann aber trotzdem noch ein großer Erfolg.

Ebenfalls 1943 schrieb Camus das Stück Le Malentendu und begann seine Mitarbeit an dem im Untergrund erscheinenden Blatt Le Combat, dessen Chefredakteur er 1944, nach der Befreiung Frankreichs, wurde. Trotz seines Wirkens als Widerständler versuchte er, mit seinen Lettres à un ami allemand (1945) an der deutsch-französischen Versöhnung zu arbeiten.

Die Nachkriegszeit

In den Nachkriegsjahren war er zusammen mit Sartre (mit dem ihn kurze Zeit lang auch ein freundschaftliches Verhältnis verband) einer der Vordenker des Existentialismus. Sein bekanntestes philosophisches Werk aus dieser Zeit ist die Essay-Sammlung L’Homme révolté (1947–1951), die ihm neben viel Beifall auch allerlei Polemik eintrug, nicht zuletzt die von Sartre, der ihm den Verrat linker Ideale vorwarf.

Weniger erfolgreich, vielleicht weil zu wenig schwarz-weiß, waren Camus’ politische Stücke dieser Jahre: L’État de siège (1948) oder das im zaristischen Russland spielende Les Justes (1949), das anhand des 1905 von Iwan Kaljajew verübten Attentats auf Großfürst Sergei Alexandrowitsch Romanow die immer wieder aktuelle Problematik der politisch motivierten Attentate behandelt, deren Sinnhaftigkeit Camus in Frage stellt, aber – für die damalige Zeit politisch korrekt – nicht völlig verneint.

Ähnlich wie Sartre, begnügte auch Camus sich nicht mit einer Literatenrolle, sondern versuchte darüber hinaus, journalistisch in die Politik hineinzuwirken als ein humanitärer, gemäßigt linker Pazifist, als der er insbesondere die Unnachgiebigkeit der französischen Kolonialpolitik und die Grausamkeiten der Kolonialtruppen brandmarkte. Seine Zeitschriftenartikel gab er ab 1950 regelmäßig auch in Sammelbänden mit dem Titel Actuelles heraus.

Da er über den Parteien zu stehen bemüht war, geriet er oft zwischen die Fronten. So etwa scheiterten 1956 seine Vermittlungsversuche in den sich langsam zum Krieg entwickelnden Unruhen in Algerien, denn sein Plädoyer für eine bürgerrechtliche Gleichstellung der arabes war den meisten Franzosen viel zu radikal, wogegen seine Vorstellung von einem letztlich doch französischen Algerien für die meisten autochthonen Algerier inzwischen inakzeptabel war.

Sein belletristisches Schaffen war in diesen Jahren weniger intensiv, zumal ihn seine Tuberkulose häufig am Arbeiten hinderte. Immerhin kam 1956 der kurze Roman La Chute heraus und 1957 ein Sammelband von meist in Algerien spielenden Erzählungen, L’Exil et le Royaume.

1957 erhielt Camus den Literaturnobelpreis.

Tod

Albert Camus' Grabstein in Lourmarin, Vaucluse, Frankreich

Am Nachmittag des 4. Januar 1960 kam Camus bei einem Autounfall als Beifahrer auf der Fahrt von Lourmarin nach Paris in der Nähe von La Chapelle Champigny ums Leben. Der von Michel Gallimard, einem Neffen von Camus’ Verleger, gelenkte Facel Vega kam ins Schleudern, als ein hinterer Reifen platzte, und prallte mit der rechten Seite gegen einen Baum. Die Passagiere im Fond – Madame Gallimard mit Tochter Anni – und der Fahrer überlebten den Unfall. Camus war von Gallimard zur Mitfahrt überredet worden; man fand bei ihm später die unbenutzte Bahnfahrkarte nach Paris.

Camus war mitten in der Arbeit an Le Premier Homme, einem autobiografischen Roman um seine Kindheit und frühe Jugend als Sohn eines ihm nur vom Erzählen schemenhaft bekannten Vaters. Der Roman erschien posthum 1994 als Fragment.

Philosophie

Klassifizierung von Camus’ Philosophie

Albert Camus zählte sich selbst nicht zu den Vertretern des Existenzialismus. Insbesondere zu Beginn steht sein Werk dieser philosophischen Strömung jedoch sehr nahe. So würdigte Jean-Paul Sartre seinen Roman Der Fremde (1942) als wichtiges Werk für den Existentialismus.

Das philosophische Werk Camus’ hat jedoch auch einen eigenständigen Charakter. Die Camus’sche Philosophie wird daher in Abgrenzung zum Existenzialismus oft mit dem eigenen Titel „Philosophie des Absurden“ gekennzeichnet. Dies erscheint gerechtfertigt, da insbesondere Camus’ Sicht der Revolte von der existentialistischen Philosophie abweicht, was schließlich auch zum Bruch mit Sartre führte.

Die zwei philosophischen Hauptwerke Camus sind die Essays Der Mythos des Sisyphos (Le Mythe de Sisyphe, 1944) und Der Mensch in der Revolte (L'Homme révolté, 1951). Daneben kommt seine Philosophie jedoch auch in seinen Romanen und Bühnenstücken zum Tragen.

Das Absurde

Das Absurde ist der Ausgangspunkt der gesamten Philosophie Camus’. Das Absurde ist für Camus nicht irgendein Begriff, der isoliert denkbar wäre, sondern es ist die Erkenntnis eines Menschen, dass man all dem Leid und Elend in der Welt keinen Sinn abgewinnen kann. Der „absurde Mensch“ Camus’ ist stets atheistisch, da das Leid für ihn unerklärbar bleibt. Hinter Camus’ atheistischem Standpunkt steht also letztendlich das Theodizee-Problem, für das er keinerlei Lösung – eben keinen Sinn – sieht. Der Mensch fühlt, wie „fremd“ alles ist, die Außenwelt und ihre Sinnlosigkeit bringen ihn, der stets nach Sinn strebt, in existenzielle Konflikte. Dabei macht das Absurde vor niemandem halt: „Das Absurde kann jeden beliebigen Menschen an jeder beliebigen Straßenecke anspringen“. Für Camus besteht das Gefühl des Absurden also in der Entzweiung des Sinn-strebenden Menschen und der Sinn-leeren Welt.

Der Tod als absolutes Ende und unausweichliche Fatalität

Der Tod ist für Camus folgerichtig ein absolutes Ende, das, genau wie das Leben, keinen Sinn hat. Der Tod ist die einzige Fatalität, die schon vorgegeben ist und der man nicht entrinnen kann (hier zeigt sich der Einfluss Martin Heideggers). Oft ist der Tod „ungerecht“, etwa wenn er wie in dem Roman Die Pest unschuldige Kinder trifft. Wichtig dabei ist, dass der Tod für Camus auch ein abschließendes Moment gewinnt: All die sinnlosen Taten und Auflehnungen gegen das Absurde werden durch den Tod ein für alle Mal besiegelt. Der Tod ist für Camus' Menschen ein krönender Abschluss eines absurden Lebens.

Die „permanente Revolte“ als Weg zur Überwindung des Absurden

Es gibt zwar keinerlei „Ausweg“ aus der absurden Situation, dennoch kann das Absurde überwunden werden: Durch die Annahme der absurden Situation durch den Menschen. Der Mensch gesteht sich die Absurdität seiner Lage ein, sieht aber auch die Selbsttötung nicht als Lösung. Vielmehr strebt er trotz allem (und auch das sei absurd) weiter, nach vorne. Der Mensch ist – ebenso wie bei anderen Vertretern des Existenzialismus – ein Handelnder, ein Drängender. Sinnbild für diesen „absurden“ Menschen ist die mythologische Gestalt des Sisyphos (vgl. Der Mythos des Sisyphos).

Dennoch löst sich der Widerspruch des Absurden durch diese „permanente Revolte“ nie ganz auf. Die Revolte ist notwendig, führt aber letztlich nie zum Ziel. Es ist in gewisser Hinsicht ein ewiges Aufstehen mit einem „höhnischen Trotzdem“, mit dem der absurde Mensch den Tag aufs Neue beschließt. Dieser Prozess selbst ist endlos. Jene Sicht der Revolte entzweite Camus mit dem inzwischen marxistischen Sartre, der sich eine gesellschaftliche Revolte vorstellte, die zum historischen Ziel des Kommunismus führen sollte.

Menschliche Solidarität und Liebe als Werte

In seinem Roman Die Pest fügte Camus seiner Philosophie ein neues Element hinzu. Die Revolte allein reicht nun nicht mehr zur Sinngebung des Menschen aus. In ihrer hoffnungslosen Situation und ihrem aussichtslosen Kampf dagegen finden die Menschen zur gegenseitigen Solidarität, zu Freundschaft und Liebe:

„Letztendlich ist es sehr dumm, nur mit der Pest zu leben. Ein Mann muss natürlich kämpfen […]. Aber wenn es damit endet, dass er sonst nichts mehr liebt, wofür ist dann das Kämpfen gut?

(À la fin, c’est trop bête de ne vivre que dans la peste. Bien entendu, un homme doit se battre […]. Mais s’il cesse de rien aimer par ailleurs, à quoi sert qu’il se batte?) [1]

Ohne Werte ergibt die Revolte keinen Sinn. Aber diese Werte müssen sich auf das richten, was wirklich existiert: auf die Menschen selbst. Was der Mensch braucht, ist „menschliche Wärme“ („chaleur humaine“).

Ähnlich thematisiert Camus in seinem Drama Der Belagerungszustand den Widerstand gegen jede Form der Inhumanität, politischer wie existenzieller Art. Die spanische Stadt Cádiz ist als Schauplatz exemplarisch gewählt, weil dort in der Vergangenheit zum einen die Pest bereits gewütet hat und sie zum anderen eine wichtige Rolle in der spanischen Revolution von 1823 hatte, die mit der Schlacht von Trocadero niedergeschlagen wurde. Ähnlich manchen Republikanern gibt auch der Held Diego in diesem Drama trotz teils aussichtsloser Lage den Kampf nicht auf. Das Stück wurde daher oft als dramatische Variante des Romans Die Pest bezeichnet. Die Helden Bernard Rieux und Diego haben zwar manches gemeinsam, dennoch gibt es unterschiedliche Diskurse in beiden Werken.

In seinem Roman Der Fall (La chute, 1956) kritisiert Camus den oft heuchlerischen und oberflächlichen Charakter der menschlichen Beziehungen.

Quellen

  1. La Peste, colléction folio Gallimard, S. 230f. (Übersetzung von Gert Pinkernell)

Werke

  • Licht und Schatten (L’envers et l’endroit, 1937), in: Literarische Essays. Rowohlt, Hamburg 1959
  • Caligula (1938), in: Dramen. Rowohlt, Hamburg 1959
  • Hochzeit des Lichts. Impressionen am Rande der Wüste (Noces, 1938). Arche, Zürich 1954
  • Heimkehr nach Tipasa (L’été, 1938). Arche, Zürich 1957
  • Der Mythos von Sisyphos. Ein Versuch über das Absurde (Le mythe de Sisyphe, 1942). Rauch, Bad Salzig/Düsseldorf 1950
  • Der Fremde. Erzählung (L'étranger, 1942). Rauch, Boppard/Bad Salzig 1948
  • Das Missverständnis (Le malentendu, 1944), in: Dramen. Rowohlt, Hamburg 1959
  • Die Pest. Roman (La peste, 1947). Abendlandverlag, Innsbruck 1948
  • Der Belagerungszustand (L’état de siège, 1948), in: Dramen. Rowohlt, Hamburg 1959
  • Die Gerechten (Les justes, 1949), in: Dramen. Rowohlt, Hamburg 1959
  • Der Mensch in der Revolte (L’homme révolté, 1951). Rowohlt, Hamburg 1953
  • Der Fall. Roman (La chute, 1956). Rowohlt, Hamburg 1957
  • Das Exil und das Reich. Erzählungen (L’exil et le royaume, 1957). Rowohlt, Hamburg 1958
  • Der glückliche Tod. Roman (La mort heureuse, 1970). Rowohlt, Reinbek 1972 (Frühe Version bzw. Vorgänger von Der Fremde)
  • Der erste Mensch. Roman (Le premier homme, 1994). Rowohlt, Reinbek 1995 (Camus starb, als er am Manuskript arbeitete)

Literatur

Zum Leben

Als Standardwerk gilt Lottmans Biographie (die Originalausgabe erschien 1978 in Paris).

  • Germaine Brée: Albert Camus. Gestalt und Werk. Rowohlt, Reinbek 1960
  • Morvan Lebesque: Albert Camus in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Rowohlt (rm 50), Reinbek 1960
  • Conor Cruise O' Brien: Albert Camus. dtv, München 1971
  • Brigitte Sändig: Albert Camus. Eine Einführung in Leben und Werk. Reclam (UB 1006), Leipzig 1983
  • Herbert R. Lottman: Camus. Eine Biographie. Hoffmann und Campe, Hamburg 1986
    • als Taschenbuch unter dem Titel Camus. Das Bild eines Schriftstellers und seiner Epoche erschienen: Heyne (Biographien 169), München 1988
  • Heiner Feldhoff: Paris, Algier. Die Lebensgeschichte des Albert Camus. Beltz & Gelberg, Weinheim 1991/1998
  • Olivier Todd: Albert Camus. Ein Leben. Rowohlt, Reinbek, 1999, ISBN 3-498-06516-5
  • Brigitte Sändig: Albert Camus. Rowohlt Taschenbuch (rm 544; neu rm 635), Reinbek 1995; neu 2000, ISBN 3-499-50635-1
  • Marie-Laure Wieacker-Wolff: Albert Camus. dtv, München 2003, ISBN 3-423-31070-7

Zum Werk

  • Leo Pollmann: Sartre und Camus. Literatur der Existenz. Kohlhammer (Sprache und Literatur 40), Stuttgart 1967
  • Johannes Pfeifer: Sinnwidrigkeit und Solidarität. Beiträge zum Verständnis von Albert Camus. Die Spur, Berlin 1969
  • Heinz R. Schlette: Wege der Deutschen Camus-Rezeption Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1975
  • Heinz R. Schlette: Albert Camus: Welt und Revolte. Alber, Freiburg/München 1980
  • Walter Neuwöhner: Ethik im Widerspruch. Zur Entfaltung der Sittlichkeit unter dem Vorzeichen des Unglaubens, dargetan an den Essays „Le Mythe de Sisyphe“ und „L’Homme révolté“ von Albert Camus Lang, Frankfurt 1985
  • Albert Camus: Weder Opfer noch Henker Hg. Internationale der Kriegsdienstgegner/innen Oppo, Berlin 1991
  • Lou Marin: Ursprung der Revolte. Albert Camus und der Anarchismus Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 1998 ISBN 3-9806353-0-9
  • Asa Schillinger-Kind: Albert Camus zur Einführung Junius (reihe: Zur Einführung 299) Hamburg 1999 ISBN 3-88506-309-3
  • Heinz Robert Schlette: Rejoindre les Grecs. Griechen und Christen bei Albert Camus in: Jahrbuch für Antike und Christentum 42 (1999) S. 5-19
  • Jean Firges: Camus. Das Absurde und die Revolte Sonnenberg, Annweiler 2000 ISBN 3-933264-03-0 (Exemplarische Reihe Literatur und Philosophie)
  • Heiner Wittmann: Albert Camus. Kunst und Moral. Dialoghi/Dialogues. Literatur und Kultur Italiens und Frankreichs Lang, Frankfurt 2002
  • Brigitte Sändig: Albert Camus. Autonomie und Solidarität Königshausen & Neumann, Würzburg 2004 ISBN 3-8260-2630-6
  • Horst Wernicke (Hg): Albert Camus - René Char. Einsam und gemeinsam. Spuren einer Freundschaft Osiris. Zeitschrift für Literatur und Kunst Heft 5 /1998, Rimbaud ISBN 3890868290 Inhalt: [1]

Verfilmungen

Weblinks


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