Aberrometrie

Aberrometrie

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Bekannterweise ist das Auge kein perfektes optisches System. Die Sehschärfe eines Auges hängt von verschiedenen Faktoren ab, wobei beim gesunden Auge mit klaren Medien und intakter Netzhaut die Wellenfrontfehler des Auges eine wichtige limitierende Rolle spielen. Diese optischen Abbildungsfehler entstehen durch unregelmäßige Lichtbrechung an der Hornhaut, Linse sowie im Glaskörper. Die moderne Aberrometrie erfasst neben den Standardrefraktionsfehlern (Myopie, Astigmatismus, Hyperopie) auch die sog. Fehler höherer Ordnung (higher order aberrations, HOA). Diese sind eine Art irregulärer Astigmatismus. Die Wellenfrontfehler werden mithilfe von Aberrometern (Wellenfrontanalysegeräte) gemessen. Unter Wellenfrontanalyse versteht man allgemein die Vermessung und Analyse des Wellenfrontfehlers eines optischen Systems (Fernrohr, Fotoapparat, Camera, hier: menschliches Auge). Zur Verbreitung dieser relativ jungen Untersuchungsmethode in der Augenheilkunde haben die Einführung der wellenfrontgeführten LASIK (Augenlaserbehandlung zur Korrektur von Sehfehlern) und von aberrationskorrigierenden Intraokularlinsen geführt. Das menschliche Auge weist oft erhebliche optische Fehler auf, die sich aber erstaunlicherweise teilweise gegenseitig kompensieren können.

Optische Fehler niederer und höherer Ordnung

Bereits im 19. Jahrhundert beschrieb Zernike die optischen Fehler des Auges mit den so genannten Zernike-Polynomen. Dabei werden die optischen Fehler niederer Ordnung (LOA, Z0 - Z2) und höherer Ordnung, (HOA, Z 3 - Z 5) aufgeführt. Die Sphäre und der Zylinder sind als optische Fehler niederer Ordnung (LOA, lower-order aberrations) allgemein bekannt und können mittels Brille oder Kontaktlinsen korrigiert werden. Sie werden auch als Defocus bezeichnet. Die Wellenfrontanalyse liefert auch Informationen über Abbildungsfehler höherer Ordnung (HOA, higher-order aberrations), welche das Sehvermögen des Menschen negativ beeinflussen. Dazu gehören vor allem die Koma, einen Asymmetriefehler in der Optik, und die sphärische Aberration, ferner das Trifoil und Pentafoil als drei- bzw. fünfschenklige Variante des bekannten zweischenkligen Astigmatismus (dieser müsste eigentlich Bifoil heißen). Die Fehler höherer Ordnung können durch Brille oder Kontaktlinse nur wenig korrigiert werden. Sie äußern sich vor allem durch geringere Kontrastsehschärfe (sphärische Aberration) und erhöhte Blendempfindlichkeit (Koma). Insgesamt ist der Anteil der Fehler höherer Ordnung an den gesamten optischen Fehlern beim gesunden Auge (ohne Medientrübung und ohne Hornhautpathologie) meist nur gering. Die wichtigsten Fehler höherer Ordnung sind:

Koma

Bei der Koma (Schweif-Fehler) besteht eine asymmetrische Brechwertverteilung innerhalb der Pupille. Die optische Wirkung ist eine asymmetrische Verzeichnung des Bildes. Besonders schräg einfallende Lichtstrahlen werden verzerrt. Ein Stern wird als Komet mit Schweif gesehen.

Sphärische Aberration

Bei der sphärischen Aberration (Öffnungsfehler) besteht eine rotationssymmetrische Abweichung der durch das Randgebiet der Pupille durchtretenden Strahlen gegenüber den zentralen, also eine mangelhafte Vereinigung im Brennpunkt. Anders ausgedrückt: die Peripherie ist myoper oder hyperoper als das Zentrum. Die optische Wirkung ist ein das eigentliche Bild überlagerndes unscharfes Bild, das typischerweise als Schleier wahrgenommen wird. Ein Stern bekommt einen Halo. In der Fotografie wird die sphärische Aberration benutzt zum „Weichzeichnen“ eines Fotos. Dadurch werden die „Unebenheiten“ eines Gesichtes etwas verschönert.

Gegenseitige Beeinflussung der optischen Fehler

Aberrationen niederer und höherer Ordnung können sich gegenseitig auch günstig beeinflussen: liegen Defokus und sphärische Aberration mit gleichen Vorzeichen vor, so resultiert ein besseres Bild auf der Netzhaut als wenn die sphärische Aberration ganz fehlen würde. Ein perfektes, nicht aberriertes Auge ist gegenüber Defokussierung viel anfälliger als ein Auge mit sphärischen Aberrationen. Die positive sphärische Aberration der Hornhaut wird durch die negative sphärische Aberration der Linse kompensiert. Bei Patienten mit trockenem Auge ergeben sich doppelt so hohe Werte von Coma und sphärischer Aberration.


Abhängigkeit der Aberrationen vom Alter

Bei jungen Menschen bis zum Alter von ca. 45 Jahren werden die Aberrationen der Linse durch die Aberrationen der Hornhaut teilweise kompensiert. Die Aberrationen in der Hornhaut nehmen mit dem Alter kaum zu. Die Wellenfrontfehler des normalen menschlichen Auges nehmen jedoch mit dem Alter zu durch die Veränderungen der Linse. Vor allem die sphärische Aberration nimmt deutlich zu. Durch die senile Miosis (engere Pupille im Alter) wird dies jedoch wirkungsvoll kompensiert.

Wellenfrontkarte

Die Wellenfrontanalyse oder Aberrometrie misst die Abweichungen von der idealen Optik des Auges. Unter Wellenfrontkarte versteht man die farbcodierte Darstellung der Wellenfrontdeformation als Funktion des Ortes innerhalb der Pupille. Man unterscheidet die Wellenfrontanalyse des gesamten Auges (total aberration) und die corneale Wellenfrontanalyse (nur die Fehler in der Hornhaut). Die Fehler höherer Ordnung sind sehr vom Pupillendurchmesser abhängig, wie aus der Optik und Astronomie bekannt ist. Je kleiner die Pupille ist, desto geringer wirken sich die besonders die HOA aus und umgekehrt. Die Einheit für der Abweichung der Wellenfront wird in Mikrometern angegeben. Die gängigsten Aberrometer arbeiten mit dem Hartmann-Shack-Sensor, einige auch nach dem Tscherning-Prinzip oder dem ray tracing-Prinzip.

RMS-Wert

Die mittlere Abweichung aller Zernike-Polynome von der idealen Wellenfront wird als Standardabweichung des Wellenfrontfehlers bezeichnet, RMS-Fehler (engl. root-mean-square). Von den Aberrometern werden folgende Wellenfrontdaten ermittelt: RMS T = Gesamt-RMS, RMS-L = RMS der lower-order-aberrations (2. Ordnung), RMS-H = RMS der higher order aberrations (3.-5 Ordnung), RMS-Coma = RMS vom Coma, RMS-SA = RMS der sphärischen Aberration, RMS-res = RMS aller Aberrationen höherer Ordnung außer Coma und sphärische Aberration.

Wellenfrontanalyse vor einer Augenlaserbehandlung

Durch die Informationen der cornealen Wellenfrontmessung wird ein individueller Abtrag an der Hornhaut möglich, welcher die Sehqualität nach dem Eingriff für den Patienten in einigen Fällen verbessert. Diese spezielle Form der refraktiven Augenlaserbehandlung nennt man wellenfrontgeführte Lasik (bzw. Lasek oder PRK) oder WG-Lasik. Synonyme sind Custom-Lasik oder wavefront-guided Lasik. Dabei können in gewissem Ausmaß Fehler höherer Ordnung (Coma, sphärische Aberration, Trefoil) durch ein individuell einstellbares Abtragungsprofil des Lasers zusätzlich zu den Fehlern niedriger Ordnung (Myopie, Hyperopie, Astigmatismus) korrigiert werden.

Die Vorteile der kornealen Wellenfrontanalyse gegenüber der Wellenfronterfassung des gesamten Auges sind, dass sie unabhängig vom Pupillendurchmesser ist und die Entfernungsanpassung der Augenlinse (Akkommodation) unberücksichtigt bleibt. Ferner können sämtliche Aberrationen, auch solche durch Linse oder Glaskörper, durch Laserverfahren immer nur an der Hornhaut korrigiert werden. Es gilt das Prinzip, dass Fehler nur dort korrigiert werden sollten, wo sie entstehen. Im Alter verändern sich die Aberrationen der Linse ohnehin und eine frühe Korrektur von Linsenfehlern in der Hornhaut durch Augenlaserverfahren wären dann nachteilig. Die Daten der Wellenfrontanalyse werden in die Software des Excimer-Lasers eingespielt. Auf dieser Basis kalkuliert die integrierte Software ein Korrekturschema und erstellt ein individuelles Abtragungsprofil, welches den optimalen Betrag des zu entfernenden Hornhautgewebes an jedem Punkt der Hornhaut definiert.

Literatur

  • J. Bühren und T. Kohnen: Anwendung der Wellenfrontanalyse in Klinik und Wissenschaft. Vom irregulären Astigmatismus zu Aberrationen höherer Ordnung – Teil I: Grundlagen. In: Der Ophthalmologe. Band 104, Oktober 2007, ISSN 0941-293X (Print) 1433-0423 (Online)
  • Thibos LN, Hong X.: Clinical applications of the Shack-Hartmann aberrometer. Optom Vis Sci. 1999 Dec;76(12):817-25. PMID 10612402, (HTML).

Weblinks


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