Der rote Christus

Der rote Christus
 
Der Rote Christus
Lovis Corinth, 1922
Öl auf Holz, 129 cm × 108 cm
Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Pinakothek der Moderne

Der Rote Christus ist ein Gemälde des deutschen Malers Lovis Corinth. Das Bild der Kreuzigung Jesu Christi wurde im Jahr 1922 gemalt und befindet sich seit 1956 im Besitz der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in der Pinakothek der Moderne in München.

Inhaltsverzeichnis

Bildbeschreibung

Das Bild zeigt eine Kreuzigungsszene, wobei der gekreuzigte Körper von Jesus Christus bildfüllend im Zentrum des Bildes dargestellt ist. Seine Hände greifen an den oberen Bildecken aus dem Bild heraus, Füße und Knie berühren fast den unteren Bildrand; dadurch dominiert und sprengt der Körper den sehr gedrängten Bildraum.[1] Der in Richtung des Betrachters kippende Körper hängt mit gestreckten Armen und durch die Nägel in den Füßen angewinkelten Knien am Kreuz, der Kopf ist zur linken Seite auf die Schulter gefallen und mit der Dornenkrone bekrönt. Der ansonsten nackte Körper ist nur mit einem Tuch um die Lenden bekleidet; er ist in Weiß gehalten und vollständig mit rotem Blut bespritzt. Das Kreuz ist nur im unteren Bildteil zwischen den Beinen erkennbar, in oberen Bildteil zwischen den Armen verschwindet es hinter den Strahlen der Sonne.

Unter der linken Brust wird dem Gekreuzigten durch einen in der unteren linken Bildecke stehenden Mann (Longinus) eine Lanze in den Körper gespießt, aus der Wunde spritzt Blut über den Körper. Oberhalb des Longinus befinden sich zwei weitere Figuren, die den Apostel Johannes und die Jungfrau Maria darstellen sollen. Johannes, bekleidet in einem roten Gewand, steht leicht versetzt hinter der ohnmächtigen Maria, die mit einem blauen Kleid bekleidet ist. Auf der rechten Seite ist undeutlich eine Figur zu erkennen, die auf einem langen Stab (einem Ysopzweig)[2] Jesus einen Schwamm hinhält, der nach dem Johannesevangelium mit Essig getränkt ist.[2]

Der Hintergrund wird durch die Komposition in drei Teile geteilt. Während sich die drei weiteren Personen in dem Feld links neben dem Leichnam befinden, wird rechts undeutlich die Landschaft dargestellt. Das Bild zeigt eine „trostlose“[1] Seelandschaft statt dem Berg Golgota, auf dem die Kreuzigung entsprechend dem Neuen Testament stattgefunden haben soll. In Brusthöhe des gekreuzigten Körpers liegt die Horizontlinie, darüber befindet sich der Himmel sowie im dritten Ausschnitt zwischen den gestreckten Armen die Sonne mit betonten Sonnenstrahlen. Sowohl der Himmel wie auch der See und die Sonne sind von roter Farbe durchsetzt, wodurch ein Dämmerungseindruck entsteht und das Blut auf dem Körper weiter betont beziehungsweise „reflektiert“ wird.

Das Bild ist am linken oberen Bildrand im Hintergrund zweizeilig und in Gelb signiert mit den Worten

Lovis Corinth 1922

Hintergrund, Entstehung und Deutung

In einem Brief an seine Frau Charlotte Berend-Corinth vom 23. September 1923 schilderte Corinth seine Unlust an der Arbeit zum Zeitpunkt der Entstehung des Bildes. Er schrieb:

„Ich bin leider sehr faul geworden. An dem Brett „Tod Jesu“ arbeite ich sehr unlustig. Ein Stilleben habe ich schnell gemalt; auch ohne Lust. Es ist wie immer faul.“

Lovis Corinth, 1923[3]

Die dargestellte Kreuzigungsszene entspricht in ihren Grundzügen der Schilderung im Johannesevangelium.[4] Dabei handelt es sich um eine Zusammenfassung mehrerer aufeinanderfolgender Szenen, die in Johannes 19, 29 bis Johannes 19, 34 beschrieben werden und den Tod Jesu Christi umfassen:

„(29) Ein Gefäß mit Essig stand da. Sie steckten einen Schwamm mit Essig auf einen Ysopzweig und hielten ihn an seinen Mund.(30) Als Jesus von dem Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht! Und er neigte das Haupt und gab seinen Geist auf.(31) Weil Rüsttag war und die Körper während des Sabbats nicht am Kreuz bleiben sollten, baten die Juden Pilatus, man möge den Gekreuzigten die Beine zerschlagen und ihre Leichen dann abnehmen; denn dieser Sabbat war ein großer Feiertag.(32) Also kamen die Soldaten und zerschlugen dem ersten die Beine, dann dem andern, der mit ihm gekreuzigt worden war.(33) Als sie aber zu Jesus kamen und sahen, dass er schon tot war, zerschlugen sie ihm die Beine nicht,(34) sondern einer der Soldaten stieß mit der Lanze in seine Seite, und sogleich floss Blut und Wasser heraus.“

Joh 19,29-34[2]

Corinth malte das Bild in der Tradition der Altarbilder altdeutscher und niederländischer Maler auf Holz.[1] Dabei wird die Darstellung als „schrecklichste Interpretation des Thema“[5] beschrieben, die den „Horror des Martyriums“ „brutal“[1] aufzeigt. Nach Bärnreuther wählte Corinth die expressionistische Malweise aufgrund der „Einsicht in die Grenzen naturalistischer Darstellung, die dort versagen muß, wo es um das Nichtfaßbare, den Sinnen nicht unmittelbar Zugängliche geht und die naturalistische Darstellung nur der Ausdruck von Sprachlosigkeit wird.“[5] Sie beschreibt zudem in der Darstellungsweise eine „Ästhetik des Häßlichen“, die „über die ästhetische Grenzen hinaus“ geht und „in der die Brutalität der Abstraktion in der Figur, die alle Regeln des guten Geschmacks verletzende Willkür in der Farbgebung des allgegenwärtigen Rots und nicht zuletzt der gewaltsame Farbauftrag in den dicken Flecken und die malträtierende Behandlung durch Palettmesser und Pinsel“ einen „Angriff auf die Wahrnehmung“ darstellt.[5]

Selbstbildnis als Schmerzensmann, 1925

Sonja de Puinef stellte das Bild in den politischen Kontext des Jahres 1922 in Deutschland und der persönlichen Situation Corinths. In diesem Jahr, vier Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs, kam es in Deutschland zu mehreren Inflationswellen. Zugleich befand sich die gesundheitliche und seelische Verfassung Corinths auf einem Tiefpunkt. Nach ihrer Interpretation „gilt sein Christus mit ungewissen Gesichtszügen zweifellos auch als Projektion des Leidens des Künstlers selbst und über ihn hinaus einer ganzen Nation“.[1] Sie führt darüber hinaus aus, dass er „ein religiöses Sujet von universeller Tragweite [wählt], um in ihm seine persönliche Erschütterung auszudrücken.“[1] 1925, am gleichen Tag wie er den Ecce Homo vollendete, malte Corinth ein Selbstporträt als Schmerzensmann, in dem er sich direkt mit der Figur des leidenden Christi identifizierte, indem er ihm seine Gesichtszüge gab.

Einordnung in das Werk Corinths

Das Bild entstand 1922 und gehört damit zu den Spätwerken des zu diesem Zeitpunkt 64 Jahre alten Künstlers. Dabei handelt es sich bei dem Bild um eines der zahlreichen Darstellungen des Leidenswegs Jesu Christi, die Corinth im Laufe seines Lebens gemalt hatte. Sein erstes verkauftes Gemälde war eine Kreuzabnahme aus dem Jahr 1895 und sein letztes Bild 1925 vor seinem Tod zeigte ihn selbst als Ecce homo.[1] Dabei entwickelt er sich von einer naturalistischen Darstellung, wie diese etwa in der Kreuzabnahme von 1895 und Das Große Martyrium von 1907 angewendet wurde, zu einer expressionistischen Darstellung, wie sie in Der rote Christus und Ecce Homo angewendet wurde.

LC02.jpg Mathis Gothart Grünewald 023.jpg
links: Gekreuzigter Christus, 1917, rechts: Detail der Kreuzigungstafel des Isenheimer Altars von Matthias Grünewald, Anfang 15. Jahrhundert.

Bereits 1917 malte Corinth ein expressionistisches Aquarell eines blutenden und verzerrten, gekreuzigten Christus (Gekreuzigter Christus), in dem er nach Bärnreuther die auf den Gekreuzigten konzentrierte Bildgestalt vorwegnimmt.[5] Hier wird der am Kreuz hängende Körper Jesu Christi frontal mit ausgebreiteten Armen und abgespreizten Fingern gezeigt, rechts neben ihm sticht ein Soldat auch hier eine Lanze in den Körper. Nach Uhr 1990 lässt sich dieses Bild als „Inkarnation physischen und psychischen Schmerzes“ nur mit den Pestkruzifixen von Mathias Grünewald im 14. und beginnenden 15. Jahrhundert vergleichen.[6] In dem Aquarell ist Christus mit einem Löwengesicht dargestellt, das entsprechend der mittelalterlichen Ikonographie als Symbol der Auferstehung steht; Einzelheiten sind der schnellen, expressiven Malweise untergeordnet.[7]

Kreuzigung, Zeichnung 1923

1923 griff Corinth das Motiv des roten Christus in leicht veränderter Form erneut für eine Kreidezeichnung auf, wobei die verschiedenen Personen am Kreuz in einer räumlichen Leere und nur temporär erscheinen.[6] Die Zeichnung diente offenbar als Studie für eine Druckgrafik, die Corinth im selben Jahr anfertigte. Wie der rote Christus ist auch diese Grafik geprägt von dem Expressionismus der späteren Werke des Künstlers.[6]

Provenienz

Der Rote Christus wurde im Entstehungsjahr 1922 in der Berliner Secession ausgestellt. Bis 1956 befand es sich im Besitz der Ehefrau des Künstlers, Charlotte Behrend-Corinth, die es bei ihrer Umsiedlung in die Vereinigten Staaten mitnahm. Dort wurde es in zahlreichen Ausstellungen gezeigt, bevor es 1956 durch den Verkauf über die Kunsthandlung Resch in Garching bei München in den Besitz der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen kam.[8]

Belege

  1. a b c d e f g Sonja de Puinef: Der rote Christus. In: Ulrike Lorenz, Marie-Amélie zu Salm-Salm, Hans-Werner Schmiedt (Hrsg.): Lovis Corinth und die Geburt der Moderne. Kerber Verlag Bielefeld 2008; S. 146–147. ISBN 978-3-86678-177-1.
  2. a b c Joh 19,29 EU
  3. Thomas Corinth: Lovis Corinth. Eine Dokumentation. Zusammengestellt und erläutert von Thomas Corinth. Verlag Ernst Wasmuth, 1979. S. 295. ISBN 3-8030-3025-0.
  4. Joh 19,34 EU
  5. a b c d Andrea Bärnreuther: Der rote Christus In: Peter-Klaus Schuster, Christoph Vitali, Barbara Butts (Hrsg.): Lovis Corinth. Prestel München 1996; S. 266–267. ISBN 3-7913-1645-1.
  6. a b c Horst Uhr: Lovis Corinth. California Press, Berkeley und Los Angeles 1990; S. 264-265.
  7. Barbara Butts: Gekreuzigter Christus In: Peter-Klaus Schuster, Christoph Vitali, Barbara Butts (Hrsg.): Lovis Corinth. Prestel München 1996; S. 342. ISBN 3-7913-1645-1.
  8. Charlotte Berend-Corinth: Lovis Corinth. Werkverzeichnis. Neu bearbeitet von Béatrice Hernad. Bruckmann Verlag, München 1958, 1992; BC 846b, S. 180. ISBN 3-7654-2566-4.

Literatur

  • Peter-Klaus Schuster, Christoph Vitali, Barbara Butts (Hrsg.): Lovis Corinth. (aus dem Englisch übersetzt von Volker Ellerbeck). Prestel, München 1996, S. 266–267. ISBN 3-7913-1645-1 (anlässlich der Ausstellung „Lovis Corinth, Retrospektive“, Haus der Kunst, München, 4. Mai bis 21. Juli 1996 und in der Tate Gallery, London, 20. Februar bis 4. Mai 1997).
  • Ulrike Lorenz, Marie-Amélie zu Salm-Salm, Hans-Werner Schmiedt (Hrsg.): Lovis Corinth und die Geburt der Moderne. Kerber, Bielefeld 2008, S. 146–147. ISBN 978-3-86678-177-1 (anlässlich der Retrospektive zum 150. Geburtstag von Lovis Corinth (1858 - 1925) in Paris, Musée d'Orsay, 1. April 2008 - 22. Juni 2008 / Leipzig, Museum der Bildenden Künste, 11. Juli 2008 - 19. Oktober 2008 / Regensburg, Kunstforum Ostdeutsche Galerie, 9. November 2008 - 15. Februar 2009).

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