Divis Flats

Divis Flats
Divis Tower in Belfast (2004).

Die Divis Flats waren eine Wohnsiedlung im Westen der nordirischen Hauptstadt Belfast. Die ab 1966 erbaute Siedlung wurde fast ausschließlich von irischen Nationalisten bewohnt, die in ihrer Mehrzahl arbeitslos und auf Sozialhilfe angewiesen waren. Während des Nordirlandkonflikts entwickelten sich die Divis Flats zu einer Hochburg der Untergrundorganisationen IRA und INLA und waren der Schauplatz zahlreicher Straßenschlachten, Bombenanschläge und Schießereien. Zwischen 1980 und 1995 wurde die Siedlung weitgehend abgerissen; einzig erhaltenes Gebäude ist das Hochhaus Divis Tower.

Inhaltsverzeichnis

Bau

Die Divis Flats entstanden zwischen 1966 und 1974 im Zuge der Sanierung des Pound Loney-Viertels, einer Leinenwebersiedlung, die größtenteils Ende des 19. Jahrhunderts erbaut wurde. Im von starker Segregation geprägten Belfast war Pound Loney ein Stadtviertel unmittelbar westlich des Stadtzentrums am Anfang der Falls Road, der Hauptstraße des überwiegend von irischen Nationalisten bewohnten Westteils der Stadt. Nördlich und südlich von Pound Loney lagen die Gebiete der Shankill Road und von Sandy Row, beides Hochburgen von protestantischen Unionisten und Loyalisten. Mittelpunkt des Pound Loney-Viertels war die Kathedrale St. Peter.

Die Sanierung des Pound Loney-Viertels wurde mit der Verbesserung der Wohnverhältnisse und der Freimachung von Verkehrsflächen begründet.[1] Die Häuser aus dem 19. Jahrhundert umfassten einen Aufenthaltsraum im Erdgeschoss sowie zwei Schlafzimmer im Obergeschoss. Als sich nach dem Zweiten Weltkrieg der Niedergang der Belfaster Leinenindustrie verschärfte, wurden die ursprünglich im Besitz der Fabriken stehenden Häuser verkauft. Käufer waren meist kleine Geschäftsleute, die die Häuser als Geldanlage nutzen wollten. Bereits Anfang der 1950er Jahre war mit den Häusern kein Gewinn zu erzielen, so dass viele notwendige Reparaturen unterblieben.[2]

Das Pound Loney-Viertel wird als „Dorf in der Stadt“ beschrieben, als Ort intensiver sozialer Beziehungen mit einem starken Gemeinschaftssinn. Die Bewohner heirateten oft untereinander; viele verbrachten ihr gesamtes Leben im Stadtviertel.[3] Es war der Wunsch der Bewohner, auch nach der Sanierung zusammenzuwohnen. Hierbei wurden sie vom Pfarrer der Kathedrale St. Peter unterstützt. Der Pfarrer gilt als Schlüsselfigur bei der Entscheidung der Bewohner, dem Bau einer Hochhaussiedlung zuzustimmen.[4] Gegen das Bauprojekt wandte sich eine kleine Gruppe von Republikanern und Sozialisten,[5] zu denen Gerry Adams gehörte. Adams wurde 1983 Präsident der IRA-nahen Partei Sinn Féin; im gleichen Jahr wurde er erstmals für den Wahlkreis West Belfast ins britische Unterhaus gewählt. Nach Angaben von Adams[6] nannte die Gruppe das Bauprojekt einen „als Parkhaus getarnten Wohnblock“ und setzte sich mit Demonstrationen und Protestversammlungen für den Bau einer Reihenhaussiedlung ein.

Der Bau von Hochhäusern in weitgehend von Reihenhaussiedlungen geprägten nordirischen Städten konzentrierte sich auf von irischen Nationalisten bewohnte Gebiete. Dies wird zum Teil als Versuch von Unionisten gesehen, oppositionelles Wählerpotential in wenigen Stadtteilen zu konzentrieren, um sich unter Ausnutzung des Mehrheitswahlrechtes die Mehrheit auf kommunaler Ebene zu sichern.[7] Eine Studie über die nordirische Wohnungspolitik spricht dieser Interessenslage bei den Divis Flats eine nur untergeordnete Bedeutung zu.[8]

Wohnblöcke der Divis Flats.[9]

Die Divis Flats bestanden aus zwölf unregelmäßig angeordneten, sieben- oder achtgeschossigen Wohnblöcken mit einer Länge von bis zu 150 Metern. Die Blöcke wurden im „Sectra Deck System“ errichtet, das aus Frankreich stammte und auch im Wohnungsbau in Großbritannien angewandt wurde. Dabei handelte es sich um eine Fertigbauweise, von der man sich ein schnelles und preiswertes Bauen versprach. Der Zugang zu den Wohnblöcken erfolgte über Treppenhäuser und Fahrstühle, die in den Ecken der Blöcke angeordnet waren. Die Wohnblöcke hatten in drei Ebenen Wohnungen, die über Laubengänge erschlossen wurden. Die Laubengänge der einzelnen Blöcke waren untereinander verbunden, so dass es möglich war, die gesamte Siedlung zu durchqueren, ohne das Straßenniveau zu benutzen. Im Nordosten der Siedlung stand der Divis Tower, ein Hochhaus mit 19 Geschossen. Bis 1974 wurden zwei weitere Blöcke mittlerer Höhe (St. Peter's Court und Albert Court) fertiggestellt.

Der Divis Tower hat 95 Wohnungen; die zwölf Blocks sollten in 700 Wohnungen Wohnraum für 2634 Menschen bieten. Insgesamt wurden 850 Wohnungen errichtet; Anfang der 1980er Jahre waren 775 Wohnungen von circa 2400 Menschen bewohnt. Die Wohnungen bestanden aus einem Wohnzimmer, einer Küche, einem Badezimmer und bis zu sechs Schlafzimmern. Die Siedlung war mit Müllschluckern ausgerüstet und zum Teil an die Fernwärme angeschlossen. In der sechs Hektar großen Siedlung befanden sich zudem die Kathedrale St. Peter, eine Grundschule (St. Comgall's Primary School) sowie ein Nachbarschaftszentrum (Divis Community Center).[10]

Nordirlandkonflikt

Bei den Unruhen im August 1969, die durch den Einsatz der britischen Armee beendet wurden, brannte ein aus dem Gebiet der Shankill Road kommender loyalistischer Mob Häuser in der Umgebung der Divis Flats nieder. Die überwiegend aus Protestanten bestehende und von Katholiken meist als parteiisch angesehene nordirische Polizei Royal Ulster Constabulary (RUC) beschoss die Divis Flats mit Browning-Maschinengewehren. Hierbei wurden zwei Menschen getötet, darunter ein neunjähriger Junge. Der Scarman Report, eine von der nordirischen Regierung beauftragte Untersuchung der Unruhen, nannte den Einsatz der Maschinengewehre „gänzlich ungerechtfertigt“. Der Scarman Report machte die IRA für Schüsse verantwortlich, die vom Dach der Grundschule in den Divis Flats aus auf die Menschenmenge abgegeben wurden. Dabei wurde ein Mensch getötet und weitere verletzt.[11]

Gedenktafel für die beiden 1969 von der nordirischen Polizei erschossenen Bewohner der Divis Flats.

In Folge der Unruhen flohen insbesondere Katholiken aus den bislang gemeinsam mit Protestanten bewohnten Gebieten Belfasts. Bevorzugtes Fluchtziel waren die als vergleichsweise sicher geltenden Wohngebiete um die Falls Road. In den Divis Flats kam es zu Wohnungsbesetzungen durch Flüchtlinge. In der Siedlung blieben die Flüchtlinge häufig sozial isoliert; es entwickelte sich eine noch Anfang der 1980er Jahre nachweisbare „soziale Spaltung“: Die ehemaligen Bewohner von Pound Loney machten die Flüchtlinge oft für Probleme in der Siedlung verantwortlich.[12] 1971 entstand die Northern Ireland Housing Executive (NIHE) als zentral für die Wohnungspolitik verantwortliche Stelle, um Diskriminierungen im Wohnungswesen durch Kommunalbehörden zu beenden.[13] Die NIHE übernahm die Divis Flats und legalisierte die Wohnungsbesetzungen.

Ende 1969 spaltete sich die IRA in einen größeren, gewaltbereiteren und nationalistisch orientierten Flügel, die Provisional IRA, sowie einen marxistisch orientierten Flügel, die Offical IRA. In den Divis Flats waren beide IRA-Flügel aktiv. Nachdem die Official IRA einen dauerhaften Waffenstillstand verkündet hatte, spaltete sich Ende 1974 ein radikaler Flügel als Irish National Liberation Army (INLA) ab. Dabei kam es zu einer Fehde, in derem Verlauf in den Divis Flats zwei Menschen erschossen wurden. Die Officials in den Divis Flats schlossen sich der INLA an, deren politischer Flügel die Irish Republican Socialist Party (IRSP) war.[14]

Die nach den Unruhen im August 1969 zunächst guten Beziehungen zwischen den katholischen Nationalisten und der britischen Armee verschlechterten sich, als die Armee mit Hausdurchsuchungen gegen die IRA vorging. Als Schlüsselereignis gilt der Falls Curfew im Juli 1970, bei dem die Armee eine dreitägige Ausgangssperre über ein an die Divis Flats angrenzendes Wohngebiet verhängte. Bei Schießereien während der Ausgangssperre wurden auch Bewohner der Divis Flats verletzt.[15]

Zwischen dem 15. und dem 22. April 1972 starben vier Menschen in den Divis Flats: Unter den Toten war ein britischer Soldat, der von der Official IRA erschossen wurde, ein 86-jähriger Mann, der von Soldaten am Fenster seiner Wohnung erschossen wurde, sowie ein elfjähriger Junge, der von der Armee durch ein Gummigeschoss getötet wurde.[16] Nach Angaben von Anwohnern war es Anfang der 1970er Jahre nicht ungewöhnlich, maskierte und bewaffnete IRA-Mitglieder in den Laubengängen der Divis Flats zu sehen. Insbesondere nachts sei häufig auf Armeepatrouillen, Militärposten und Hubschrauber geschossen worden. Zum Teil hätten die IRA-Mitglieder die Bewohner vorab vor Schießereien gewarnt.[17] Im Dezember 1972 entführte und ermordete ein IRA-Kommando Jean McConville, eine verwitwete Bewohnerin der Divis Flats und Mutter von zehn Kindern. Nach Darstellung der IRA hatte McConville trotz einer Warnung als Informantin der britischen Armee gearbeitet und per Funk über IRA-Aktivitäten in den Divis Flats berichtet. McConvilles Verschwinden wurde Mitte der 1990er Jahre während des Friedensprozesses häufig thematisiert;[18] ihr Grab wurde 2003 gefunden. Eine Untersuchung der Polizei-Ombudsfrau für Nordirland ergab 2006 keine Beweise, dass McConville als Informantin gearbeitet hatte.[19]

Nach Angaben von Bewohnern nahmen die Zahl der IRA- und INLA-Anschläge ab Ende 1976 deutlich ab. Grund sollen Sicherheitsüberlegungen beider Organisationen gewesen sein: Durch den spätestens 1973[20] eingerichteten Beobachtungsposten der Armee auf dem Dach des Divis Tower sei eine ständige Überwachung der Siedlung möglich gewesen. Die Siedlung sei einfach abzuriegeln gewesen; die Zahl der Armeepatrouillen in den Laubengängen sei gestiegen und nach Schießereien habe es nur wenige Minuten gedauert, bis eine große Zahl britischer Soldaten vor Ort gewesen sei.[21]

Der Hungerstreik von IRA- und INLA-Gefangenen im Jahr 1981 führte in den Divis Flats zu einem Wiederaufleben der politischen Gewalt und Unruhen. Am 12. Mai wurde das INLA-Mitglied Emmanual McLarmon von der Armee in der Siedlung erschossen. Nach McLarmons Tod verbarrikadierten Jugendliche die Siedlung mit Autowracks. Die folgenden sechs Wochen waren die Divis Flats für die Armee als No-go-Area nicht zugänglich.[22] Im September 1982 verübte die INLA einen Bombenanschlag auf eine britische Patrouille in einem Laubengang der Divis Flats. Dabei starben zwei Kinder und ein Soldat. Bewohner, insbesondere Frauen, protestierten gegen den Anschlag vor dem Büro der IRSP in der Falls Road.[23]

Während des Nordirlandkonflikts kam es in den Divis Flats regelmäßig zu Straßenschlachten. Nach Beobachtungen von Jeffrey A. Sluka, einem amerikanischen politischen Anthropologen, der 1981 und 1982 eine Feldstudie in der Siedlung durchführte, lösten meist Kinder und Jugendliche die Unruhen aus, indem sie Steine oder Brandsätze auf Armeefahrzeuge warfen. Falls die Armee mit dem Einsatz von Plastikgeschossen oder mit Festnahmen reagierte, sei es zu einer Eskalation gekommen. Dabei wurden Herstellung und Einsatz von Brandsätzen organisiert und Barrikaden gebaut. Die Gründe für die Straßenschlachten sah Sluka in der Langeweile der Jugendlichen, denen es an Freizeitmöglichkeiten fehlte, sowie in der Ansicht der Jugendlichen, mit Angriffen auf die Sicherheitskräfte einen wertvollen Beitrag für die Sache des irischen Nationalismus zu leisten. Sluka fand keine Belege für die Behauptung der Armee, die IRA würde alle Krawalle in den Divis Flats organisieren.[24]

Viele Bewohner der Divis Flats lehnten die nordirische Polizei RUC als völlig voreingenommen ab; zugleich scheute sich die RUC wegen befürchteter Hinterhalte, in der Siedlung gegen Kriminalität und Vandalismus vorzugehen. Es bestand eine „faktische Nichtexistenz der Staatsmacht, die von den meisten Bewohnern begrüßt wurde“.[25] In der Siedlung entwickelten sich insbesondere Probleme mit Joy-Ridern, Kindern und Jugendlichen, die Autos stahlen und diese in den Höfen der Wohnblöcke zu Schrott fuhren.[26] Für Kriminalität und Vandalismus wurden von den Bewohnern als „Hoods“ bezeichnete Jugendliche verantwortlich gemacht. Der Begriff wurde im engeren Sinne für Hooligans benutzt; im weiteren Sinne bezeichnete er eine, zum Teil als Subkultur gesehene Gruppe von 14- bis 25-Jährigen. Die jüngeren „Hoods“ verweigerten oft den Schulbesuch; die Älteren lebten meist von Sozialhilfe und wurden für Wohnungseinbrüche, Raubüberfälle und Hehlerei verantwortlich gemacht.[27]

Das in den Divis Flats bestehende Machtvakuum wurde zum Teil von der IRA ausgefüllt. Die IRA sah sich selbst als Verteidiger katholischer Gebiete gegen die Sicherheitskräfte und protestantische Paramilitärs und wollte antisoziales und kriminelles Verhalten in diesen Gebieten begrenzen. Gegen Personen, die sich nach Ansicht der IRA solchen Verhaltens schuldig gemacht hatten, ging die Untergrundorganisation mit Verwarnungen, Prügelstrafen, Knieschüssen und Hinrichtungen vor. Die von der IRA ausgeübte „soziale Kontrolle“ war unter den Bewohnern der Divis Flats umstritten; die Maßnahmen der IRA wurden gleichermaßen als zu weitgehend, nicht weitgehend genug oder als ineffektiv kritisiert. Oft bestritten Freunde und Verwandte der Bestraften deren Schuld.[28]

Anfang der 1980er Jahre hatten die Divis Flats den Ruf, das schlimmste Ghetto von Nordirland, wenn nicht von Westeuropa zu sein. Sluka nannte die Siedlung eine der am stärksten benachteiligten Gebiete in einer Provinz, die unter einer akuten wirtschaftlichen Krise leide.[29] Die Siedlung galt als „IRA-Festung“ und wurde – in Anspielung auf die starke Präsenz von INLA und IRSP sowie den Film Planet of the Apes – als Planet of the IRPS bezeichnet. Den Bewohnern der Divis Flats wurde in ihrer Gesamtheit unterstellt, entweder Mitglieder der IRA oder INLA zu sein oder die Organisationen zu unterstützen.[30]

Bei einer Befragung Slukas sahen sich die Bewohner selbst als Teil einer politisch einflusslosen Minderheit in einem ungerechten sozialen, wirtschaftlichen und politischen System. Sluka konstatiert eine Enttäuschung über die politischen Parteien und eine Entfremdung von der Stadtverwaltung und der britischen Regierung.[31] Eine Mehrheit der Befragten meinte, IRA und INLA seien in den Divis Flats weniger aktiv als in anderen Gebieten Nordirland, gleichwohl es in der Siedlung besonders viele Unruhen gebe.[32] 69 Prozent der Befragten befürworteten eine Wiedervereinigung Irlands; 55 Prozent waren der Ansicht, dass der bewaffnete Kampf das hierbei einzig wirksame Mittel sei.[33] 84 Prozent der Befragten glaubten, IRA und INLA würden zur Verteidigung der Siedlung gegen Angriffe der Armee oder von loyalistischen Paramilitärs gebraucht. 77 Prozent befürworteten ein Vorgehen von IRA und INLA gegen Kriminialität und Vandalismus in den Divis Flats.[34] Als Unterstützer von IRA und INLA bezeichneten sich 47 Prozent der Befragten; ebenfalls 47 Prozent lehnten eine Unterstützung der beiden Organisationen ab.[33] Viele Bewohner hielten das Vorgehen der Armee für schikanierend und repressiv und verwiesen dabei unter anderem auf die fortwährende Überwachung, zahlreiche Hausdurchsuchungen, Kontrollen auf der Straße, den Einsatz von Plastikgeschossen sowie verbale Belästigungen durch Soldaten.[35]

Abriss

Die Lower Falls Residents Association (LFRA), eine Organisation der Bewohner, hatte erstmals 1973 den Abriss der Divis Flats gefordert und dies mit Konstruktionsmängeln wie feuchten Wohnungen, einem unzureichenden Heizungssystem sowie mit dem anonymen, Kriminalität und Vandalismus fördernden Wohnumfeld begründet.[36] Später versuchte das Divis Demolition Committee (DDC), durch die Zerstörung leerstehender Wohnungen deren Neuvermietung zu verhindern. Damit sollte eine möglichst hohe Leerstandsrate und eine Unrentabilität der Siedlung erreicht werden. Aktivisten des DDC wurden verhaftet und zu Geldstrafen verurteilt.[37]

1981 gründete sich die Divis Resident Association (DRA). Sie forderte den völligen Abriss der Siedlung und ihren Ersatz durch eine Reihenhaussiedlung. Zu den von der DRA benannten Problemen gehörten undichte Abwasserleitungen, eine Rattenplage, von einer nahegelegenen Stadtautobahn ausgehende Verschmutzung sowie die Verwendung von Asbest in den Wohnungen.[38] Die DRA stellte in ihrer Kampagne die baulichen Mängel in den Mittelpunkt und unterlief damit die Strategie der NIHE, die Probleme in der Siedlung allein auf die Folgen des Nordirlandkonflikts zurückzuführen. Zudem nahm die Initiative Kontakte zu Gewerkschaften, Mieterinitiativen in Großbritannien und Experten wie Architekten oder Mikrobiologen auf.[39]

Hierbei entstand eine 1987 abgeschlossene Studie der University of Ulster, die zu dem Ergebnis kam, dass die Lebensbedingungen in den Divis Flats erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit der Bewohner hatte. Für die Studie wurden Bewohner der Divis Flats und einer Reihenhaussiedlung am Stadtrand befragt; beide Gebiete waren von hoher Arbeitslosigkeit geprägt und wurden als sozial benachteiligt eingestuft. Die Gesundheit der Bewohner der Divis Flats war bei Kindern wie Erwachsenen deutlich schlechter als die der Bewohner der Reihenhaussiedlung. Frauen waren überdurchschnittlich häufig von gesundheitlichen Problemen betroffen; ebenso Bewohner von Wohnungen, die schlecht heizbar oder feucht waren. Der Studie zufolge waren 51 Prozent der Erwachsenen arbeitslos; 91 Prozent lebten unter der Armutsgrenze.[40] 66 Prozent der Wohnungen wurden als feucht eingestuft; 23 Prozent der Haushalte nutzten die Heizung nicht, weil sie defekt, unzureichend oder zu teuer war.[41] Die Autoren der Studie bezeichneten die Divis Flats als „Slum[42] und unterstützten die Forderungen nach der Räumung der Siedlung und der Umsiedlung der Bewohner.

Divis Tower während eines Marathonlaufs (Mai 2011).

1980 und 1984 waren insgesamt vier Wohnblöcke (Farset, Whitehall, Pound, St. Brendan) abgerissen worden; die NIHE wollte den Rest der Divis Flats erhalten und schlug Wohnumfeldverbesserungen vor.[43] Am 13. Oktober 1986 entschied die britische Regierung, die Wohnblöcke der Siedlung vollständig abzureißen.[44] Auf Kritik der DRA stieß die Entscheidung, den Divis Tower zu erhalten: Fra McCann, Sinn Fein-Mitglied und Sekretär der DRA, sah dies durch das Interesse der britischen Armee begründet, den Beobachtungsposten auf dem Dach des Hochhauses zu erhalten. Dies wurde von der NIHE bestritten, der zufolge das Hochhaus weniger von Vandalismus betroffen sei als die Wohnblocks.[45] Ein Einfluss der britischen Armee auf den öffentlichen Wohnungsbau während des Nordirlandkonflikts wird offiziell dementiert, aber oft angenommen. Im Fall der Divis Flats wird vermutet, dass die Armee auf den Abriss der Siedlung zugunsten kleiner Wohneinheiten drängte. Aus Sicht des Militärs waren die Divis Flats ein nicht zu kontrollierender Häuserkomplex, deren Unübersichtlichkeit und Anonymität hervorragende Bedingungen für IRA und INLA schufen.[46]

Zwischen 1989 und 1995 wurden die restlichen Wohnblocks der Divis Flats abgerissen. An ihrer Stelle entstanden 257 Reihenhäuser für circa 970 Bewohner. Der Zuschnitt der Wohnungen und die Gestaltung der Häuser orientierte sich an den traditionellen Bauweisen in Irland und Großbritannien; das Straßennetz greift zum Teil den Verlauf der Straßen im früheren Pound Loney-Viertel auf.[47] Bei einer um 1995 durchgeführten Befragung nannten 94 Prozent der Befragten die Sanierung „erfolgreich“ oder „sehr erfolgreich“. Die Mehrheit der Befragten sah Probleme wie Vandalismus, Joy-Riding, Einbrüche und Ungeziefer als besser gelöst an. Als weiterhin bestehende Probleme wurden Alkoholismus und andere Drogenprobleme genannt. Zudem wurden nachlassende nachbarschaftliche Kontakte beklagt. Dies wird zum Teil durch den Wegzug früherer Nachbarn erklärt, da sich die Zahl der Haushalte durch die Sanierung von 700 auf 257 reduziert hatte.[48]

Nach dem Karfreitagsabkommen von 1998 über den Friedensprozess in Nordirland und der Erklärung der IRA vom Juli 2005 über das Ende ihrer bewaffneten Kampagne begann die britische Armee im August 2005 mit dem Abbau des Beobachtungspostens auf dem Divis Tower.[49] Die zuletzt von der Armee genutzten Räume, die zeitweise nur mit Hubschraubern zu erreichen waren, werden nach einer Renovierung als Wohnungen genutzt.[50]

Literatur

  • Carsten Brieger: Eine völlig neue Wohnumwelt: Die Divis Flats in Belfast. In: Dokumentationshefte für das Wohnungswesen. 1/2000, S. 18–33.
  • Tim Blackman, Eileen Evason, Martin Melaugh, Roberta Woods: Housing and Health: A Case Study of Two Areas in West Belfast. In: Journal of Social Policy. (1989), 18, S. 1–26.
  • Jeffrey A. Sluka: Hearts and Minds, Water and Fish. Support for the IRA and INLA in a Northern Irish Ghetto. Jai Press, Greenwich 1989, ISBN 0-89232-961-0.

Einzelnachweise

  1. Carsten Brieger: Nordirische Wohnungspolitik. Ein Spagat zwischen Versorgung und Integration. IfdW-Verlag, Hamburg 1999, ISBN 3-934476-00-7, S. 31.
  2. Brieger, Wohnumwelt, S. 19.
  3. Sluka, Hearts, S. 46.
  4. Sluka, Hearts, S. 247.
  5. Sluka, Hearts, S. 246f.
  6. Gerry Adams: Bevor es Tag wird. Autobiographie. Volk und Welt, Berlin 1996, ISBN 3-353-01059-9, S. 77f.
  7. unter Nennung der Divis Flats: Peter Wuhrer: Sie nennen es Trouble. Nordirland. Reportagen und Geschichten aus einem Krieg. Rotpunktverlag, Zürich 1989, ISBN 3-85869-055-4, S. 141.
  8. Brieger, Wohnungspolitik, S. 26, 31.
  9. Luftbild der Divis Flats bei National Museums Northern Ireland (Abgerufen am 22. August 2011).
  10. Sluka, Hearts, S. 44; Brieger, Wohnumwelt, S. 22.
  11. Zu den Unruhen siehe Sluka, Hearts, S. 48ff. Scarman Report: Government of Northern Ireland (Hrsg.): Violence and Civil Disturbances in Northern Ireland in 1969. Report of Tribunal of Inquiry. Her Majesty's Stationery Office, Belfast 1972, ISBN 0-337-10566-9. In Auszügen online bei CAIN – Conflict Archive on the Internet (Abgerufen am 24. August 2011).
  12. Sluka, Hearts, S. 46f.
  13. Brieger, Wohnungspolitik, S. 23.
  14. Sluka, Hearts, S. 99ff.
  15. Sluka, Hearts, S. 51f.
  16. Sluka, Hearts, S. 53. Siehe auch Malcolm Sutton's Index of Deaths bei CAIN – Conflict Archive on the Internet (Abgerufen am 25. August 2011).
  17. Sluka, Hearts, S. 108.
  18. Ed Moloney: A secret history of the IRA. Lane, London 2002, ISBN 0-71399-665-X, S. 122ff.
  19. Disappeared victim 'not informer' bei BBC News, 7 Juli 2006 (abgerufen am 25. August 2011).
  20. Erste Erwähnung bei Sluka, Hearts, S. 54.
  21. Sluka, Hearts, S. 56, 109.
  22. Sluka, Hearts, S. 56f.
  23. Sluka, Hearts, S. 60, 62.
  24. Sluka, Hearts, S. 266f.
  25. Zitat Brieger, Wohnungspolitik, S. 33. Siehe auch Sluka, Hearts, S. 89f.
  26. Sluka, Hearts, S. 129ff; Brieger, Wohnumwelt, S. 26.
  27. Sluka, Hearts, S. 131f.
  28. Sluka, Hearts, S. 90f.
  29. Sluka, Hearts, S. 4f.
  30. Sluka, Hearts, S. 105.
  31. Sluka, Hearts, S. 77f.
  32. Sluka, Hearts, S. 265, 289.
  33. a b Sluka, Hearts, S. 290.
  34. Sluka, Hearts, S. 291.
  35. Sluka, Hearts, S. 191, 193, 232.
  36. Brieger, Wohnumwelt, S. 19f.
  37. Brieger, Wohnumfeld, S. 20.
  38. Blackman, Housing and Health, S. 6.
  39. Brieger, Wohnumfeld, S. 20f.
  40. Blackman, Housing and Health, S. 15.
  41. Blackman, Housing and Health, S. 18, 20.
  42. Blackman, Housing and Health, S. 1, 23.
  43. Brieger, Wohnumfeld, S. 20, 23.
  44. Robert Bell: Chronology of events 1970–90. In: Robert Johnstone (Hrsg.): Troubled Times. Fortnight Magazine and the Troubles in Northern Ireland 1970–91. Blackstaff, Belfast 1991, ISBN 0-85640-462-4, S. 147–221, hier S. 207.
  45. Belfast apartments see blood. In: The Union Democrat, 17. Dezember 1986 (Abgerufen am 25. August 2011).
  46. Diese Einschätzung bei Brieger, Wohnungspolitik, S. 28–33.
  47. Brieger, Wohnumwelt, S. 22f.
  48. Brieger, Wohnumwelt, S. 25, 28, 31f.
  49. Army begins removing Divis post. BBC News, 2 August 2005 (Abgerufen am 26. August 2011).
  50. Former Army post at Divis Tower gets £1m transformation. Belfast Telegraph, 20. Januar 2009 (Abgerufen am 26. August 2011).

Weblinks

54.6-5.9422

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