Politische Entwicklung des Iran seit 1979

Politische Entwicklung des Iran seit 1979
Wappen der Islamischen Republik Iran

Die Islamische Republik Iran besteht seit dem 1. April 1979. Der Gründung vorausgegangen war der Sturz der Pahlavi-Dynastie durch die Islamische Revolution unter Führung von Ajatollah Ruhollah Chomeini.

Inhaltsverzeichnis

Konstituierung

Schah Mohammad Reza Pahlavi verließ am 16. Januar 1979 das Land. Zwei Wochen später war Chomeini nach Teheran zurückgekehrt. Es gab keinen Zweifel, dass er die politische Entwicklung des Landes weitestgehend bestimmen würde. Bei einem Referendum am 31. März 1979 sprachen sich, laut der Präambel der Verfassung, 98,2 % der Iraner für die Errichtung einer Islamischen Republik aus.

Chomeini hatte, vom Schah in den Irak und von dort ins Exil nach Paris verbannt, bereits einen Verfassungsentwurf für das Land ausgearbeitet, der in Verhandlungen zwischen allen an der Revolution beteiligten Fraktionen in der Expertenversammlung noch modifiziert und schließlich dem iranischen Volk am 3. Dezember zur Abstimmung vorgelegt wurde. Auf diese Weise kam es, auch durch Einfluss der liberal-islamischen Kräfte um Mehdī Bāzargān, zur Aufnahme demokratischer Elemente in der Verfassung. Das von Chomeini entwickelte Prinzip der Herrschaft des obersten Rechtsgelehrten (velayat-e faghih) blieb in allen Entwürfen bestehen.

Die neue Verfassung des Iran wurde durch das Referendum am 3. Dezember 1979 angenommen. Nach offiziellen Angaben lag die Zustimmung wie schon bei dem Referendum vom 31. März bei nahezu 100 %, andere Quellen sprechen jedoch nur von etwa 60 %. Somit wurde die einstige Monarchie Iran zur Islamischen Republik, einem schiitischen Gottesstaat, geführt von der höchsten religiösen Autorität. Der deutsche Botschafter Ritzel berichtete am 4. Dezember 1979 aus Teheran:

„Das Verfassungsreferendum ist ohne schwere Auseinandersetzungen über die Bühne gegangen. Zwar kam es zu Zusammenstößen in Täbris zwischen Verfassungsgegner aus dem Lager Schariatmadaris und Khomeini-Anhängern, und in den großen Städten Balutschistans konnte überhaupt nicht abgestimmt werden, weil die Wahllokale blockiert wurden. Aber die schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten sich nicht. ... Revolutionssprecher Habib kündigte gestern abend die nächsten Etappen im Staatswerdungsprozess der Islamischen Republik an. Danach sind in zwei Monaten Wahlen zum Amt des Staatspräsidenten und des Majles (Parlament) geplant. Khomeini werde voraussichtlich Ende dieser Woche die von ihm laut Verfassung zu bestimmende Hälfte des 'Wächterausschusses' (Kontrolle der Gesetzgebung des Parlaments auf ihre Vereinbarkeit mit islamischen Prinzipien) benennen.[1]

Siehe auch: Politisches System des Iran

Die Ära Chomeini (1979–1989)

Ajatollah Ruhollah Chomeini

Der erste geistige Führer der Islamischen Republik Iran war Ajatollah Ruhollah Chomeini. Von ihm stammt der Verfassungsentwurf und das Prinzip der Herrschaft des obersten Rechtsgelehrten. Bei seinem Amtsantritt 1979 war die Lage in Iran äußerst brisant. Die breite Oppositionsfront, die den Schah in der Islamischen Revolution gestürzt hatte, war äußerst heterogen und oft nur in dem Ziel einig, das Schahregime abschaffen zu wollen. Chomeini verkörperte allerdings den Führer der wichtigsten Bewegung, der islamischen Opposition, und wurde somit zur Symbolfigur der Revolution überhaupt. Durch diese Autorität gelang es ihm, die wichtigsten Gruppen in der Anfangsphase der jungen Islamischen Republik zu integrieren.

So wurde Mehdī Bāzargān, der Führer der im Vergleich zu Chomeinis Lager liberaler ausgerichteten Oppositionsgruppe Nationale Front zum ersten Ministerpräsidenten erkoren. Auch Vertreter aus dem sozialistischen Lager, z. B. Funktionäre der Tudeh-Partei erhielten Posten im Staatsapparat und durften sich frei bewegen. Abū l-Hasan Banīsadr wurde 1980 zum ersten Präsidenten der Islamischen Republik gewählt. Die Modjahedin-e Khalq (Kämpfer des Volkes), die auch gegen den Schah gekämpft hatten, wurden allerdings nicht in das Staatsgefüge eingebaut, weil die Partei Chomeini nicht als Führer anerkennen wollte, da sie eine Diktatur wie zur Shahzeiten befürchtete. Zwischen ihnen und dem Chomeiniregime entbrannte ein Kampf, der in beiderseitigen blutigen Auseinandersetzungen mündete.

Anti-USA Parolen auf einer Teheraner Hauswand, 2004

Bald nach der Verabschiedung der Verfassung begann die Verfolgung von Revolutionsgegnern. Hier rückten zunächst die verbliebenen Schahanhänger und Monarchisten in den Blickpunkt. Es dauerte allerdings nicht lange, bis das Feindbild der Revolution auf die USA und Israel ausgedehnt wurde. Es kam noch 1979 zum bekannten Geiseldrama von Teheran in der US-Botschaft, bei der 52 amerikanische Staatsbürger insgesamt 444 Tage festgehalten wurden. Dieser Vorfall und die umgehend nach der Revolution veranlasste Verstaatlichung der iranischen Ölproduktion brachte die amerikanisch-iranischen Beziehungen zum Erliegen und führten zu einem feindlichen Verhältnis zwischen den beiden Staaten.

Auf Chomeinis Agenda standen vor allem zwei Punkte: erstens die Konsolidierung der Republik und zweitens der Export der Revolution.

Die Machtsicherung und Stabilisierung des Systems war in den ersten Jahren der Revolution von besonderer Wichtigkeit. Chomeini veranlasste eine umfassende Islamisierung (auch als Kulturrevolution bezeichnet) der iranischen Gesellschaft. Er führte eine strenge Kleiderordnung für Frauen ein, verbot nicht-islamische Zeitungen und Parteien und machte unmissverständlich deutlich, dass jeder Verstoß gegen eine vom Revolutionsregime verhängte Regel als Angriff auf die Revolution gewertet und dementsprechend hart bestraft würde.

Auch die integrative Haltung zu den an der Revolution beteiligten Gruppierungen wurde aufgekündigt. Mehdī Bāzargān und alle anderen Vertreter einer nicht-islamistischen Politik, die eben noch Staatsämter innehatten, sahen sich plötzlich von der Chomeini-Miliz, den sogenannten Revolutionswächtern (in vielen Quellen auch Revolutionsgarde genannt), verfolgt. Hierbei kam es zu blutigen und brutalen Szenen. Das Chomeini-Regime ging 1980 bis 1982 mit schonungsloser Härte gegen jeden vor, der in ihren Augen eine Gefahr für die Islamische Republik darstellte. Es kam zu öffentlichen Massenhinrichtungen und regelrechten Verhaftungsorgien durch die Revolutionsgarde. Allein 1982 wurden zwischen 5.000 und 10.000 Menschen hingerichtet. In den Gefängnissen befinden sich bis zu 40.000 politische Gefangene, für die meisten bedeutet eine Inhaftierung Hunger, Folter und Krankheit.[2] Die Brutalität des Vorgehens trug sicherlich erheblich dazu bei, dass sich die Opposition innerhalb des Landes bald auf ein fast irrelevantes Maß verringert hatte. Einzig die Modjahedin leisteten heftigen Widerstand. Zwischen ihnen und Revolutionsgarden kam es immer wieder zu Straßenschlachten mit vielen Toten. Letztendlich konnte sich das Regime und die chomeinitreuen Milizen durchsetzen. Die Modjahedin blieben bis weit in die 80er Jahre hinein durch Attentate und bewaffneten Widerstand aktiv.

Friedhof iranischer Gefallener des Iran-Irak-Kriegs in Yazd
Gedenkstätte für Kriegsopfer in Qazvin

Die Erlangung der Stabilität des Systems ist darüber hinaus aber auf einen weiteren Faktor zurückzuführen. Am 22. September 1980 griff der Irak unter der Führung Saddam Husseins die Islamische Republik Iran an und begann damit den ersten Golfkrieg. Aus irakischer Sicht hoffte man die Instabilität der iranischen Verhältnisse 18 Monate nach der Revolution ausnützen zu können. Aber die Rechnung ging nicht auf. Stattdessen entwickelte sich ein achtjähriger, zermürbender Krieg, der insgesamt eine Million Opfer forderte (mindestens 300.000 Iraner, darunter 50.000 bis 100.000 Kinder und Jugendliche[3]).

Im Verlauf des Krieges wurde die iranische Aufmerksamkeit auf die äußere Bedrohung gebündelt, so dass konterrevolutionäre Strömungen noch weniger Aussicht auf Erfolg hatten den Feind im eigenen Land massenwirksam ins Bewusstsein zu rücken. Auch das Militär stand angesichts des irakischen Aggressors geschlossen hinter Chomeini. Nachdem Banīsadr aufgrund seiner zunehmenden Oppositionshaltung gegenüber Chomeini und seiner Annäherung an die Modjahedin im Juni 1981 vom Parlament als Staatspräsident abgesetzt wurde, gewann Mohammad Alī Radschāʾī die darauf folgenden Wahlen und wurde im Juli neuer Staatspräsident (siehe: Präsidentschaftswahlen im Juli 1981). Bereits im August fiel er allerdings einem Attentat zum Opfer und wurde im Oktober desselben Jahres durch Seyyed Ali Chamenei ersetzt, der das Amt des Staatspräsidenten bis Chomeinis Tod innehatte (siehe: Präsidentschaftswahlen im Oktober 1981, Präsidentschaftswahlen 1985), um dann das Erbe des obersten Rechtsgelehrten anzutreten. Innerstaatlich zeichneten sich immer deutlicher Konfliktlinien zwischen den Chomeinitreuen Parlamentariern ab. Grob eingeordnet stritten die Linksislamisten mit der Forderung nach einer stärkeren Regulierung des Marktes durch den Staat mit den konservativen Islamisten, die dieses Modell ablehnten. Chomeini war hier mehr als einmal Schlichter ohne aber jemals endgültig Partei zu ergreifen. Der Wächterrat als Gegenspieler des Parlaments trug das seinige zu äußerst lebendigen Auseinandersetzungen im iranischen Staatsapparat bei. 1988 errichtete Chomeini auf die immerwährenden Konflikte zwischen Parlament und Wächterrat den Schlichtungsrat, der ähnlich dem deutschen Vermittlungsausschuss die Streitigkeiten über Kompromissfindung beilegen sollte.

Der Krieg indes entwickelte sich für Chomeini, der bis 1983 alle nennenswerten innerstaatlichen Oppositionsgruppen hatte auflösen und ihre Mitglieder hinrichten lassen, bald zu einem Krieg um seine zweite politische Maxime, den Export der Revolution. Die Chancen standen nicht schlecht, im überwiegend schiitischen Irak nach einem Sieg über Saddam Hussein einen Gottesstaat nach iranischem Vorbild zu errichten. Ein erster Schritt in Richtung Chomeinis erklärtem Ziel, sein Staatsmodell in alle islamischen Länder zu tragen, notfalls auch mit militärischer Gewalt.

1987 begann sich eine Abkehr Chomeinis von diesem Ziel abzuzeichnen. Er sprach sich das Recht zu, jenseits religiöser Vorschriften zu stehen und nun die absolute Herrschaft des obersten Rechtsgelehrten anzutreten. Mit der Annahme des UN-Waffenstillstandsabkommens 1988 war das Eingeständnis gegeben, die Revolution nicht in den Irak tragen zu können. Das Unternehmen, für das hunderttausende Iraner ihr Leben gelassen hatten, war gescheitert. Es gab allerdings gute Gründe für Chomeini, den Krieg zu beenden. Die leeren Staatskassen ließen einen Systemkollaps befürchten, die Verluste in der Bevölkerung waren enorm und die Wirtschaft war nach acht Kriegsjahren fast gänzlich zum Erliegen gekommen. Dennoch war Chomeinis Ansehen in der iranischen Bevölkerung ungebrochen. Nach wie vor wurde er als Heiliger verehrt und nach wie vor konnte er seine Macht auch auf seine charismatische Ausstrahlung stützen.

Die Glaubwürdigkeit Chomeinis litt 1986 allerdings unter der Aufdeckung der Iran-Contra-Affäre, als bekannt wurde, dass mit Chomeinis Wissen geheime Abkommen mit dem Erzfeind USA geschmiedet wurden, in denen der Austausch von Waffen gegen inhaftierte Amerikaner besiegelt wurde.

Der Gesundheitszustand Chomeinis hatte sich bis 1988 erheblich verschlechtert und man begann sich Gedanken über die Regelung der Nachfolge zu machen. Aussichtsreichster Anwärter war Ayatollah Hussein Ali Montazeri, der einzige Groß-Ayatollah, der Chomeinis welayat-e-faghih akzeptierte. Die anderen geistigen Autoritäten des schiitischen Islams blieben bei ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der Einmischung in die Politik. Montazeri, der bereits 1986 von der Expertenversammlung zum Nachfolger Chomeinis ernannt wurde, fiel bei Chomeini allerdings durch allzu kritische Äußerungen in Bezug auf den Krieg, durch seinen Plan, unmittelbar nach Chomeinis Tod Neuwahlen unter Berücksichtigung aller Parteien abzuhalten [4] und durch den Einfluss Rafsandschānīs, der Montazeri bekämpfte, in Ungnade. Nachdem er sich für die Begnadigung des zum Tode verurteilten Mehdi Haschemi einsetzte, dieser aber öffentlich den Verrat an der Revolution gestand [5], kam es 1989 zum endgültigen Bruch.[6] Montazeri weckte durch Äußerungen wie: "Die radikalen Fundamentalisten sind daran schuld, dass wir im Ausland so einen schlechten Ruf haben. Wir brauchen eine Vielfalt an Meinungen und nicht nur eine einzige Meinung, die von einer einzigen politischen Linie monopolisiert wird." [7] in den westlichen Medien den Anschein eines Demokraten, isolierte sich in der iranischen Führungsriege aber zusehends.

Das Problem, welches sich daraufhin ergab, war einfach zu beschreiben aber leidlich zu lösen. Es gab niemanden, auf den die in der Verfassung festgeschriebenen Kriterien für den obersten Rechtsgelehrten zutrafen und der gleichzeitig auch bereit war die politische Herrschaft über die Islamische Republik Iran zu übernehmen. Diese Tatsache in Verbindung mit Chomeinis schlechtem Gesundheitszustand führten zur Verfassungsrevision am 28. Juli 1989. Das Amt des obersten Rechtsgelehrten musste fortan nicht mehr von einem Ayatollah besetzt werden, stattdessen wurde festgeschrieben, dass politische und soziale Fähigkeiten den entscheidenden Ausschlag geben sollen.

Am 3. Juni 1989 starb Chomeini. Als sein Nachfolger wurde der seit 1981 amtierende Staatspräsident Seyyed Alī Chāmene'ī bestimmt.

Die Ära Chamenei (Seit 1989)

Seyyed Ali Chamenei

Zum Zeitpunkt seines Amtsantrittes als oberster Rechtsgelehrter und geistiger Führer der Islamischen Republik Iran bekleidete Seyyed Ali Chamenei in der Hierarchie des schiitischen Klerus nur den Rang eines Hodschatoleslam. Er wurde zwar im Zuge der Amtsübernahme formal zum Ayatollah "aufgewertet", erlangte allerdings nie die notwendigen Reputationen innerhalb der Schia-Geistlichkeit, die diesen Rang gerechtfertigt hätten. Damit hatte Chamenei vom Beginn seiner Amtszeit an einen ungleich schwereren Stand als Chomeini. Ihm fehlte der Rückhalt in der gläubigen Bevölkerung, die Chomeini noch sicher hinter sich wusste, ihm fehlte die geistliche Autorität.[8]

Zwei weitere Faktoren führten zu der Tatsache, dass Chamenei bis heute den Status Chomeinis nicht erreichen konnte: Zum einen war im Zuge der Verfassungsänderung das Amt des Premierministers abgeschafft und alle seine Befugnisse und Aufgaben auf den Staatspräsidenten übergegangen. Dieses Amt hatte dadurch erheblich an Macht gewonnen, denn es war nun staatsrepräsentativ nach außen und gleichzeitig Inhaber der Exekutivmacht nach innen. Es war abzusehen, dass der Erfolg der Politik der islamischen Republik Iran in Zukunft von der Kooperation von Staatspräsidenten und obersten Rechtsgelehrten abhängen würde. Zum anderen war Chamenei kein Charismatiker wie Chomeini.[9] [10] Er konnte die Massen nur schwerlich durch seine bloße Anwesenheit begeistern.

Trotz der relativ schlechten Bedingungen übernahm Chamenei ein mächtiges Amt mit umfangreichen bis totalitären Kompetenzen. Sein Regime hatte zwar an Ansehen und Vertrauen eingebüßt, gerade weil die entscheidende Legitimation, nämlich die Vertretungsfunktion der größten weltlich-religiösen Kapazität - des 12. Imam - durch die Abschwächung der klerikalen Voraussetzungen für das Amt nicht mehr gegeben war. Eine oppositionelle Bewegung, die Chamenei hätte gefährlich werden können, war aber nicht in Sicht.

Der verstärkte Einfluss des Staatspräsidenten blieb aber teils wegen der Verfassung, teils wegen Chameneis Schwächen immanent.

Regierung Rafsandschānī (1989–1997)

Im Juli 1989 wurde Alī Akbar Hāschemī Rafsandschānī ins Amt des iranischen Staatspräsidenten gewählt (siehe: Wahlen 1989). Während der Anfangsphase seiner Amtszeit lag das Land in weiten Teilen in Schutt und Asche. Der Krieg hatte der Infrastruktur und der Ökonomie stark geschadet. Nach dem Ende des Krieges war trotz Chomeinis Tod eine allgemeine Hoffnung auf Besserung der Lage zu spüren.

Rafsandschānī war schon vor 1989 ein einflussreicher Politiker. Seit der Revolution 1979 war er ständig in mächtigen Positionen. Er war Mitglied im Revolutionsrat, bis 1989 Präsident des Parlamentes und gehörte zur Clique um Chomeini. Er hatte wohl erheblichen Einfluss auf die Verfassungsänderung und den Machtzuwachs des Staatspräsidentenamtes, den er zur Voraussetzung für seine Kandidatur machte.[11] In der neuen Rolle des Regierungschefs war Rafsandschānī entschlossen, die Wirtschaft anzukurbeln, durch eine Liberalisierung des Marktes Fortschritte in Richtung Wohlstand machen zu können.

Im Zweiergespann an der Spitze des iranischen Staates war Rafsandschānī neben Chamenei klar der präsentere. Der Staatspräsident verstand es, seine Wirtschaftspolitik durchzusetzen und gleichzeitig einen neuen außenpolitischen Kurs einzuschlagen. So ist seine Amtszeit durch viele Versuche der vorsichtigen Annäherung an den Westen gekennzeichnet. Es gab nach wie vor Anti-USA- und Anti-Israel-Demonstrationen und -Kundgebungen, aber Rafsandschānī entschärfte den Ton gegenüber Europa und sprach nicht mehr von einem Export der Revolution.

Die diesbezüglichen Bemühungen Rafsandschānīs wurden allerdings durch mehrere Attentate von Angehörigen des iranischen Geheimdienstes an Oppositionellen im ausländischen Exil untergraben. Der wichtigste Vorfall dieser Art, der nach Aufklärung die deutsch-iranischen Beziehungen zum Erliegen brachte, war das sogenannte Mykonos-Attentat 1992 in Berlin, bei dem drei hochrangige Exiliraner ums Leben kamen. Der iranischen Führung und damit auch Rafsandschānī selbst, wurde nachgewiesen, schon vorab vom Attentat gewusst zu haben.

Auch innerhalb Irans stand der Präsident vor Problemen. Den größten Widerstand gegen Rafsandschānīs Marktliberalisierung leistete die linksislamistische Fraktion im Parlament, die einen Staatsdirigismus für die geeignetere Antwort auf die wirtschaftliche Lage in der Nachkriegszeit hielt. Die Linksislamisten hatten schon zu Chomeinis Zeiten oft Anspruch auf Gestaltung der Wirtschaftspolitik erhoben, eine Eskalation konnte aber durch Chomeinis Vermittlungskünste stets verhindert werden. Diese Fraktion war auch Chamenei ein Dorn im Auge, ein Grund mehr weshalb er Rafsandschānī zunächst gewähren ließ. Dieser schaffte es bis 1990 alle Linksislamisten aus den Regierungskreisen und wichtigen Staatsämtern zu entfernen.[12]

Obwohl Rafsandschānī seine Pläne durchsetzen konnte, schaffte er es nicht die Wirtschaft nachhaltig zu beleben. Stattdessen hatte er sich mit der Aufnahme von Auslandskrediten zu Investitionszwecken und dem Massenimport von Konsumgütern deutlich übernommen. 1993 war die Islamische Republik Iran praktisch zahlungsunfähig. Rafsandschānī hatte binnen vier Jahren ca. 25 Milliarden US-Dollar Staatsschulden angehäuft. Hinzu kam eine seit 1992 überproportional steigende Inflationsrate.[13] Es kam zu Unruhen und Protesten in der Bevölkerung.

1993 wurde Rafsandschānī dennoch wiedergewählt (siehe: Wahlen 1993), es zeichnete sich allerdings ab, dass er in seiner zweiten Legislaturperiode mit wesentlich mehr Widerstand und Einmischung durch den obersten Rechtsgelehrten zu rechnen hatte. Tatsächlich drängte Chamenei mehr und mehr in den politischen Vordergrund. Er gab Rafsandschānī öffentlich die Schuld an der katastrophalen Lage des Landes und machte in wesentlich größerem Maße von seiner Macht Gebrauch als noch zu Beginn der ersten Amtszeit Rafsandschānīs. So installierte er nach und nach über den Kopf des Staatspräsidenten hinweg seine Gefolgsleute in wichtigen Ämtern, verhinderte Gesetze und drängte Rafsandschānī in den letzten Jahren seiner Amtszeit an den Rand der Bedeutungslosigkeit.

1995 verschärfte sich die wirtschaftliche Situation erneut, als US-Präsident Bill Clinton im sogenannten Iran-Lybia Sanctions-Act (ILSA) einen völligen Handels- und Investitionsboykott gegen die Islamische Republik Iran durchsetzte, der bis heute andauert.

In der iranischen Gesellschaft entstand Mitte der 90er Jahre große Unzufriedenheit über die Misserfolge der Regierung, die Machtspielchen zwischen geistigem Führer und Präsidenten und der internationalen Isolation des Landes. Stimmen, die eine Reform des unflexiblen und aufgrund der Vetomöglichkeiten für Wächterrat und obersten Rechtsgelehrten oft handlungsunfähigen Systems forderten, wurden lauter.

Bei den Präsidentschaftswahlen 1997 durfte Rafsandschānī nicht erneut kandidieren. Der Weg war frei für politische Veränderung.

Regierung Chātamī (1997–2005)

Mohammad Chātamī.

Von 238 Bewerbern auf eine Kandidatur zum Staatspräsidenten ließ der Wächterrat 1997 lediglich vier zu.[14][15] Alle anderen wurden unter Hinweis auf Unverträglichkeit mit islamischen Prinzipien abgelehnt. Die Wahl gewann, für viele überraschend, Mohammad Chātamī (siehe:Wahlen 1997). Dieser war bereits unter Rafsandschānī Kulturminister, trat aber 1992 aus Protest über die zunehmende Einschränkung der Meinungsfreiheit zurück. Seitdem war er nicht mehr politisch aktiv. Zu seiner Kandidatur musste er überredet werden. Da er zum Lager der gemäßigten Linksislamisten gezählt wird, war sein Wahlerfolg nach dem erbitterten Kampf der Vorgängerregierung gegen diese Fraktion umso erstaunlicher.

Trotz seiner politischen Vorgeschichte hatte der Wächterrat ihn zugelassen und Chātamī ließ bereits im Wahlkampf anklingen, was sein dringendstes Anliegen war: Reformen. Der Staatsapparat, die Menschenrechte, die Unterdrückung der Frauen, die Zensur, die außenpolitische Isolation - all dem widmete er kritisch seine Aufmerksamkeit. Er traf mit diesen Themen den Nerv der jungen iranischen Bevölkerung, die zu großen Teilen enttäuscht von ihrem Staat war. Chātamī erhielt 70 % der Stimmen und feierte damit einen überwältigenden Erfolg. Unterstützt wurde er durch die 1997 gegründete Partizipationsfront des islamischen Iran, die sich zur wichtigsten Reformpartei Irans entwickelte.

Vor allem in den westlichen Demokratien hoffte man durch den Einfluss Chātamīs auf eine Reform des iranischen Staates von Innen und beschwor die Selbstheilungskräfte der erstarkenden iranischen Zivilgesellschaft und einen Demokratisierungsprozess.[16] Zu Beginn der Regierungszeit Chātamīs sahen seine Erfolge aus westlicher Sicht tatsächlich vielversprechend aus. Er hatte eine Liberalisierung der Presselandschaft durchsetzen und so den kritischen Stimmen im Land zu mehr Gehör verhelfen können. In Iran etablierte sich ein kritischer Diskurs über die Errungenschaften der Islamischen Revolution auf der einen und Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaat auf der anderen Seite. Als die konservativen Kräfte erkannten, dass Chātamī sich tatsächlich zu einer Integrationsfigur für politische und gesellschaftliche Veränderungen entwickeln könnte und dass Lob aus westlichen Staaten nicht von ungefähr kam, leiteten sie Gegenmaßnahmen ein.

Der Geheimdienst VEVAK verübte 1998 eine Reihe von Morden und Entführungen an Oppositionellen und Intellektuellen. Diese als Kettenmorde bezeichneten Angriffe auf die Stabilität der jungen Regierung waren die heftigsten Gewaltausbrüche seit den Hinrichtungswellen unter Chomeini. Chātamī verurteilte die Morde scharf, ließ sich aber nicht von seinem Reformkurs abbringen. Er hatte nicht nur die religiösen Hardliner gegen sich, sondern auch das Parlament. Dort verfügten die Konservativen über die Mehrheit, verhinderten die Reformgesetze Chātamīs und brachten teilweise sogar Gesetze auf den Weg, die aus reformerischer Sicht als Rückschritt bewertet werden mussten.

Mit den Parlamentswahlen 2000 schien sich das Blatt zu Gunsten Chātamīs zu wenden. Die Reformer waren nun auch die stärkste Fraktion im Parlament. Chātamī, auf dessen politischer Agenda zum ersten und bislang einzigen Mal in der Geschichte des Iran nach 1979, die Frauenrechte eine wichtige Rolle spielten, wollte nun u. a. die rigorose Trennung der Geschlechter in der iranischen Gesellschaft auflockern.[17] Doch die Mehrheit im Parlament stellte sich als wertlos heraus, als der Wächterrat in den politischen Gestaltungsprozess Chātamīs eingriff.

Mohammad Chātamī im Dezember 2003

Die Bilanz war für alle Anhänger der Reformbewegung ernüchternd. Der Wächterrat blockierte fortan nicht nur nahezu alle Gesetze der Regierung Chātamī, er machte auch eine Vielzahl bereits verabschiedeter und in Kraft getretener Gesetze rückgängig. Allzu kritische Zeitungen wurden geschlossen, Journalisten verhaftet und der Ton und Umgang mit Regimekritikern generell verschärft. Der politische Stil der Reformer wurde von konservativer Seite als Säkularismus bezeichnet und bekämpft. Chātamī stellte resigniert fest, er habe nicht mehr Macht als jeder andere Iraner und drückte damit die sich ausbreitende Stimmung in Iran aus. Es verbreitete sich Resignation und Desinteresse als klar wurde, dass der geistige Führer Chamenei letztendlich die Geschicke des Staates lenken konnte.

Bei den Präsidentschaftswahlen 2001 konnte Chātamī trotz der sich abzeichnenden Machtlosigkeit 77 % der Stimmen holen. An den Machtverhältnissen änderte sich nichts mehr. Chamenei blieb der starke Mann im Hintergrund, der dafür Sorge tragen ließ, dass es zu keinem ernsthaften Versuch kommen konnte, das politische System mit seinen theokratischen und demokratischen Institutionen nachhaltig zu verändern. Aus diesem Grund wird der Reformbewegung um Chātamī oft nur eine Reform des Diskurses bescheinigt, die die institutionelle Ordnung des Landes unberührt ließ.[18] Die Resignation führte zu immer geringeren Wahlbeteiligungen. So gingen bei den Kommunalwahlen 2003 nur noch 36 % der Wahlberechtigten an die Urnen. Auch bei den Parlamentswahlen ein Jahr später wurde mit 50,7 % ein neuer Tiefstand erreicht. Im Vorfeld der Wahlen waren 2.500 (hauptsächlich reformorientierte) der 8.000 Bewerber durch den Wächterrat von der Wahl ausgeschlossen worden. Die Konservativen fuhren einen grandiosen Wahlsieg ein.[19] [20] Ein Indiz dafür, dass vor allem die Anhänger der Reformbewegung auf eine Stimmabgabe verzichtet haben.[21]

Die zweite Amtszeit Chātamīs endete 2005. Gemäß der iranischen Verfassung durfte er nicht erneut kandidieren. Seine achtjährige Amtszeit hatte große Erfolge in der Außenpolitik. Chātamī war international angesehen und schaffte es die Beziehungen zu vielen Staaten, sowie zur EU zu entspannen.[22] Außenminister war die gesamten 8 Jahre Kamal Charrazi. Außenpolitische Rückschläge waren die Einreihung des Iran in die Achse des Bösen unter George W. Bush, zum anderen Scheitern des Schweizer Memorandum. In der Innenpolitik musste sich Chātamī schließlich dem Machtübergewicht des geistigen Führers Chamenei beugen.

Regierung Ahmadinedschad (seit 2005)

Präsidentschaftswahlkampf 2005.
Mahmud Ahmadinedschad im September 2007

Bei den Präsidentschaftswahlen 2005 trat als aussichtsreichster Kandidat erneut Rafsandschānī an. Rafsandschānī war bemüht von sich das Bild eines weltoffenen und reformorientierten Präsidenten zu vermitteln, was ihm neben seinem Image als Pragmatiker und Mann der Tat auch die meisten Stimmen bescherte. Doch mit 21 % verfehlte er die erforderliche absolute Mehrheit deutlich.

Es kam zu einem Novum in der Geschichte des Iran: Eine Stichwahl zwischen den beiden erfolgreichsten Kandidaten musste die Entscheidung bringen. Die zweitmeisten Stimmen vereinigte der zur Zeit der Wahl amtierende Bürgermeister Teherans Mahmud Ahmadinedschad auf sich. Er war eine politisch eher unbekannte Figur, war aber bereits des Öfteren durch radikale Äußerungen gegen Israel und die so genannten „Feinde des Islams“ aufgefallen. Sein Wahlkampf war unscheinbar, er holte seine Stimmen vorwiegend in den Armenvierteln Teherans, deren Bewohnern er Besserung der Lebensverhältnisse, Arbeit und Zukunft versprach. Es gibt Gerüchte, dass es Wahlmanipulationen gegeben haben soll.[23]

Die noch wenige Jahre zuvor in vielen westlichen Zeitungen hochgelobte iranische Zivilgesellschaft konnte zur Stichwahl zum Präsidentenamt nicht ausreichend mobilisiert werden, um den (aus westlicher Sicht) politischen Rückschritt zu verhindern. Mahmud Ahmadinedschad gewann die Stichwahl deutlich mit knapp 62 % der Stimmen. Mit ihm zogen die sogenannten Fundamentalisten, Hardliner oder Radikalislamisten in die Teheraner Regierung ein. Die meisten Mitglieder seines Kabinetts sind ehemalige Mitglieder der Revolutionsgarde. Ihr Auftreten – Drohungen gegen Israel und feindlichen Parolen gegen die USA und Europa – trieb den Iran erneut in die außenpolitische Isolation, nachdem unter der Regierung Chātamī leichte Annäherungen zur westlichen Welt zu verzeichnen waren. Erster Außenminister unter Ahmadinedschad war Manutschehr Mottaki. Er galt als Gefolgsmann von Laridschani, einem Konkurrenten Ahmadinedschads. Mottaki wurde während eines Besuchs im Senegal entlassen. Sein kommissarischer Nachfolger wurde der MIT-Absolvent Ali Akbar Salehi. Mottaki hatte bei seiner Afrika-Reise angeblich versucht, illegale und geheimgehaltene Waffenlieferungen, die ohne Wissen des Teheraner Aussenamtes - aber wohl mit Wissen einflußeicher, dem Präsidenten nahestehender Kreise - nach Nigeria und weiter nach Gambia verschifft werden sollten - gegen den eigenen Präsidenten - zu entschuldigen. Gambia hatte die diplomatischen Beziehungen zum Iran beendet, der Botschafter im nigerianischen Lagos wurde ausgetauscht, einer von zweien in die Botschaft geflohener Diplomaten im Flugzeug mit zurückgenommen[24].

Seit der Regierungsübernahme Ahmadinedschads verschärfte sich der Streit um das iranische Atomprogramm und drohte mehrmals zu eskalieren. Nach Informationen der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) unterhält Iran mehrere Atomanlagen, die bei der Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrages seitens Iran nicht angegeben wurden. Seither wird der Islamischen Republik Iran von einer breiten internationalen Front unterstellt, Atombomben herstellen zu wollen. Von offizieller Seite weist der Iran immer wieder auf das im Atomwaffensperrvertrag festgeschriebene Recht der zivilen Nutzung von Kernenergie hin. Ahmadinedschad hat mit seiner Äußerung, Israels Präsenz in Jerusalem müsse Geschichte werden, die zunächst falsch als „Israel muss von der Landkarte getilgt werden“ übersetzt und verbreitet wurde[25][26] und die eine Debatte um die korrekte Übersetzung hervorrief[27], die Sorgen genährt, der Iran könne bald über die Möglichkeit eines Nuklearschlages verfügen und Israel bedrohen oder angreifen.

Karte mit den wichtigsten Standorten der iranischen Atompolitik.

Am 15. Dezember 2006 fanden mit den Kommunalwahlen und den Wahlen zum Expertenrat die ersten Wahlen nach dem Amtsantritt Ahmadinedschads statt. Überraschend wurde mit einem Landesdurchschnitt von 65 % eine außergewöhnlich hohe Wahlbeteiligung erreicht, die den Trend der letzten Jahre beendete. Das Ergebnis war im gesamten Iran einheitlich: eine herbe Niederlage für die Radikalislamisten um den Präsidenten Ahmadinedschad. Und das trotz der auch diesmal wieder erheblichen Kandidatenselektion durch den Wächterrat.

Nicht nur in den Stadt- und Gemeinderäten schnitten die Kandidaten aus dem Präsidentenlager deutlich schlechter ab als die Konservativen und vielerorts auch als die Reformer. Im fünfzehnköpfigen Teheraner Stadtrat befinden sich auf Platz 8 und 15 die einzigen Vertreter der Radikalen. In anderen Städten war deren Ergebnis noch schlechter, selbst in der Hochburg Qom konnten sie nur 30 % der Stimmen erringen. Auch die Wahl des Expertenrates, der den geistigen Führer des Irans einsetzt und theoretisch auch wieder absetzten kann, nahm ein enttäuschendes Ende für Ahmadinedschads Kandidaten, seinen „geistigen Ziehvater“ Mohammad Taghi Mesbah Yazdi. Dieser unterlag nach erbittert geführtem Wahlkampf dem Überraschungssieger Rafsandschānī und landete selbst sogar nur auf Platz 6.[28]

Der deutliche Wahlausgang und die hohe Wahlbeteiligung werden weltweit einvernehmlich als „Denkzettel“ für Ahmadinedschad und Aufbegehren der iranischen Gesellschaft interpretiert.[29][30] So wird, vornehmlich in westlichen Zeitungen, die Hoffnung genährt, die Menschen im Iran würden sich des „Problems“ Ahmadinedschad vermittels der republikanischen und demokratischen Elemente ihrer Verfassung letztendlich selbst entledigen. Dass Chamenei eine solche Entwicklung behindern würde, ist eher unwahrscheinlich. Ahmadinedschads Vorstöße scheinen auch dem geistigen Führer etwas zu radikal zu sein[31]

Massenwahlveranstaltung von Mir Hussein Mussawi

Ahmadinedschads Ansehen wurde am 14. März 2008 bei den Parlamentswahlen einem weiteren Test unterzogen. Der Wächterrat schloss allerdings vor der Wahl bereits einen Großteil der reformerischen Kandidaten von der Wahl aus, so dass der deutliche Sieg der konservativen Kräfte wenig aussagekräftig ist. Da die Reformer im aktuellen iranischen Parlament keine wichtige Rolle spielen, rückt die Fraktionierung innerhalb des konservativen Flügels zunehmend in den Blickpunkt westlicher Medien. Hier wird vor allem auf die Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Lager um Präsident Ahmadinedschad und den Abgeordneten um Ali Laridschani, den ehemaligen iranischen Unterhändler in den Atomverhandlungen hingewiesen.[32] Laridschani, der zu den moderaten Konservativen zählt, galt nach Mir Hussein Mussawi als aussichtsreicher Herausforderer Ahmadinedschads bei den Präsidentschaftswahlen am 12. Juni 2009.[33]

Die Wahl löste die größten Unruhen seit der Islamischen Revolution aus. Ahmadinedschad wurde noch am Wahlabend mit 62,63 % der Stimmen zum Wahlsieger erklärt. Das erwartet knappe Ergebnis blieb aus, was den Verdacht auf Wahlmanipulation aufkommen ließ. Der aussichtsreichste Gegenkandidat Mir Hussein Mussawi, der nur 33,75 % der Stimmen erhielt, sprach offen von Wahlbetrug und forderte Neuwahlen. Daraufhin gingen seine Anhänger in vielen iranischen Großstädten auf die Straße. Die Proteste nach den Wahlen erstreckten sich über mehrere Tage. Bei Zusammenstößen der Demonstranten und den Sicherheitskräften kamen mehrere Personen ums Leben. Trotz gewaltsamer Niederschlagung auch friedlicher Demonstrationen nahmen die Proteste vor allem gegen Ende 2009 weiter zu.[34][35]

Im März 2011 wurde Mohammed Reza Mahdavi-Kani Nachfolger des ehemaligen Präsidenten Akbar Hashemi Rafsanjani als Vorsitzender des Expertenrats. Im April 2011 griff Chamenei direkt in die Regierungsgeschäfte ein und machte erstmals in der Geschichte der Islamischen Republik Iran eine Entscheidung bezüglich eines Ministerpostens rückgängig. Ahmadinedschad hatte den Rücktrittsgesuch des Geheimdienstministers Heydar Moslehi akzeptiert, Chamenei berief ihn jedoch ins Amt zurück.[36]

Chronik

Chronik 1979 - 1989
1979
1978 - 1979 Islamische Revolution.
31. März Referendum über die Verfassung.
1. April Ausrufung der Islamischen Republik Iran. Mehdī Bāzargān wird erster Ministerpräsident. Ruhollah Chomeini wird oberster Rechtsgelehrter.
5. Mai Gründung der Iranische Revolutionsgarde.
4. November Beginn der Geiselnahme von Teheran.
1980
25. Januar Abū l-Hasan Banīsadr wird zum ersten Staatspräsidenten gewählt.
30. April Geiselnahme in der Iranischen Botschaft in London durch Iraker.
11. August Mohammad Alī Radschāʾī wird neuer Ministerpräsident.
22. September Der Irak beginnt den ersten Golfkrieg.
1981
24. Juli Präsidentschaftswahlen im Juli 1981: Mohammad Alī Radschāʾī wird Staatspräsident. Neuer Ministerpräsident wird Mohammad Javad Bahonar.
30. August Bei einem Attentat werden sowohl Radschāʾī als auch Bahonar getötet.
2. September Mohammed Reza Mahdavi-Kani wird neuer Ministerpräsident.
2. Oktober Präsidentschaftswahlen im Oktober 1981: Seyyed Alī Chāmene'ī wird neuer Staatspräsident. Mir Hossein Moussavi wird neuer Ministerpräsident.
1983
1983 Der Irak setzt Tabun und Senfgas ein.
8. November Iran klagt vor dem UN-Sicherheitsrat gegen den Einsatz von Chemiewaffen.
1985
16. August Präsidentschaftswahlen 1985.
1986
Oktober Die Iran-Contra-Affäre wird aufgedeckt.
1988
Februar Chomeini gründet den Schlichtungsrat als Reaktion auf den Streit zwischen Parlament und Wächterrat.
18. Juli Chomeini unterzeichnet das Waffenstillstandsabkommen. Der Krieg mit dem Irak ist beendet.
1989
14. Februar Chomeini erklärt den indisch-britischen Autor Salman Rushdie für vogelfrei.
20. März Ayatollah Hussein Ali Montazeri überwirft sich mit Chomeini und wird als dessen Nachfolger abgesetzt.
3. Juni Chomeini stirbt. Der bisherige Staatspräsident Seyyed Alī Chāmene'ī wird sein Nachfolger.
28. Juli Verfassungsrevision. Das Amt des Staatspräsidenten wird gestärkt, das des Ministerpräsidenten abgeschafft und die Voraussetzungen für das Amt des geistigen Führers verringert.
Chronik 1989 - 2009
1989
28. Juli Präsidentschaftswahlen 1989. Alī Akbar Hāschemī Rafsandschānī wird neuer Staatspräsident.
1992
10. April Parlamentswahlen 1992.
17. September Mykonos-Attentat in Berlin.
1993
11. Juni Präsidentschaftswahlen 1993. Rafsandschānī wird im Amt bestätigt.
1995
20. April Bill Clinton kündigt einen völligen Handels- und Investitionsboykott gegen Iran an.
1997
22. Mai Präsidentschaftswahlen 1997. Der Reformer Mohammad Chātamī wird neuer Staatspräsident.
1998
November Attentate auf Oppositionelle und Intellektuelle beginnen (Kettenmorde).
2000
18. Februar Die Parlamentswahlen 2000 gewinnen die Reformer.
2001
8. Juni Bei den Präsidentschaftswahlen 2001 wird Chātamī mit großer Mehrheit wiedergewählt.
2003
10. Oktober Schirin Ebadi erhält den Friedensnobelpreis.
2004
7. Mai Bei den Parlamentswahlen 2004 fahren die konservativen Kräfte einen klaren Sieg ein.
2005
17. Juni Bei den Präsidentschaftswahlen 2005 gibt es keinen Sieger. Rafsandschānī und Mahmud Ahmadinedschad müssen in die erste Stichwahl der iranischen Geschichte.
24. Juni Die Stichwahl gewinnt Ahmadinedschad und wird neuer Präsident des Iran.
26. Oktober Ahmadinedschad hält eine Rede, in der er fordert, dass das Besatzungsregime in Jerusalem Geschichte wird.
2006
Januar Die von der IAEO versiegelten Atomanlagen werden wieder in Betrieb genommen und der Atomstreit eskaliert.
15. Dezember Die Kommunalwahlen bringen für das Lager Ahmadinedschads eine herbe Niederlage ein.
2008
14. März Die Parlamentswahlen 2008 gewinnen die Konservativen.
2009
12. Juni Präsidentschaftswahlen 2009.
Juni Proteste nach den Wahlen.

Literatur

  • Wilfried Buchta: Ein Vierteljahrhundert Islamische Republik Iran. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Aus Politik und Zeitgeschichte. B9/2004, Bonn 2004. ISSN 0479-611X (PDF; 0,6 MB).
  • Katajun Amirpur, Reinhard Witzke: Schauplatz Iran. Freiburg im Breisgau 2004, ISBN 3-451-05535-X.
  • Katajun Amirpur: Gibt es in Iran noch einen Reformprozess?. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Aus Politik und Zeitgeschichte. B9/2004, Bonn 2004. ISSN 0479-611X
  • Amir Taheri: Chomeini und die Islamische Revolution. Hamburg 1985, ISBN 3-455-08237-8.
  • Ray Takeyh: Hidden Iran - Paradox and Power in the Islamic Republic, New York 2006, ISBN 978-0-8050-7976-0
  • Volker Pethes: Die Ratio des Iran, in: Blätter für Deutsche und Internationale Politik, Ausgabe 9, Jahrgang 2008, Berlin und Bonn 2008, S. 44-56

Einzelnachweise

  1. Michael Ploetz, Tim Szatkowski: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1979 Bd. II: 1. Juli bis 31. Dezember 1979. R. Oldenburg Verlag München, 2010, S. 1873.
  2. Amir Taheri: Chomeini und die Islamische Revolution, Hamburg 1985, S. 390
  3. "Ich fürchte, wir kommen in die Hölle"; In: Der Spiegel, Nr.9 1989, S. 160 - 168, S. 160
  4. "Ich fürchte, wir kommen in die Hölle"; In: Der Spiegel, Nr.9 1989, S. 160 - 168, S. 167
  5. Christopher de Bellaigue:Im Rosengarten der Märtyrer, München 2006, S. 188
  6. Translation of Ayatollah Khomeini Letter Dismissing Montazeri (englisch)
  7. "Ich fürchte, wir kommen in die Hölle"; In: Der Spiegel, Nr.9 1989, S. 160 - 168. S. 165
  8. Helene Mutschler: Stiller Wandel oder Stillstand?
  9. www.stern.de vom 18. Juni 2003: Ein Kleriker ohne Charisma
  10. Wilfried Buchta: Ein Vierteljahrhundert Islamische Republik Iran, S. 13
  11. Katajun Amirpur/Reinhard Witzke: Schauplatz Iran, Freiburg im Breisgau 2004, S. 103f
  12. Wilfried Buchta: Ein Vierteljahrhundert Islamische Republik Iran, S. 12
  13. Ebd. S. 13
  14. Christopher Lockwood: Calls for reform grow louder as Iran goes to polls; Electronic Telegraph Nr. 729, 24. Mai 1997 (englisch)
  15. Michael Rubin: Iran’s Myth of Moderation; 18. März 2002. (englisch)
  16. Johannes Reissner: Stabilitätsanalyse Iran PDF; In: Sigrid Faath (Hrsg.): Stabilitätsprobleme zentraler Staaten; Hamburg 2003
  17. Katajun Amirpur: Gibt es in Iran noch einen Reformprozess?, S. 21
  18. Michael Rubin: WHAT ARE IRAN'S DOMESTIC PRIORITIES?; MERIA Journal Vol. 6, Nr. 2; Juni 2002 (englisch)
  19. Matthias Nass: Die Qual der Nichtwahl. In: Die Zeit vom 26. Februar 2004
  20. Naika Foroutan: Iran nach den Wahlen - das Ende der Reformen von oben
  21. Andreas Jacobs: Die Präsidentschaftswahlen im Iran. In: Konrad Adenauer Stiftung (Hrsg.): Analysen und Argumente, Nr. 21/2005 PDF
  22. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat - Die Beziehungen zwischen der EU und der Islamischen Republik Iran
  23. Reformer sprechen offen von Betrug, Spiegel online, 19. Juni 2005
  24. Boell-Stiftung, Bahman Nirumand, Dezember 2010: Iran-Report. Gambia bricht Beziehungen zu Iran ab
  25. Kataju Amirpur: Der iranische Schlüsselsatz, in: Süddeutsche Zeitung vom 15. März 2008, S. 15
  26. Mariella Ourghi: http://www.sueddeutsche.de/kultur/450/437195/text/ Agitator des letzten Kampfes, in: Süddeutsche Zeitung vom 26. März 2008
  27. Debatte um die Position Irans, Bundeszentrale für politische Bildung
  28. Bahman Nirumand: Große Schlappe für Radikalislamisten. In: Heinrich Böll Stiftung (Hrsg.): Iran Report, Nr. 01/2007, S. 3f
  29. Niederlage für Radikale um Ahmadinedschad (nicht mehr online verfügbar) auf www.tagesschau.de
  30. Denkzettel für Ahmadinedschads Hardliner auf www.spiegel-online.de
  31. Ulrich Ladurner: „Anschwellendes Kampfgeheul“ In: Die Zeit Nr. 4/2007 vom 18. Januar 2007
  32. „Das Prinzip Ahmadinedschad“, in: Der Spiegel, 13/2008, S. 122-123
  33. Bahman Nirumand: Laridschani: Westen muss die Botschaft des iranischen Volkes ernst nehmen. In: Heinrich Böll Stiftung (Hrsg.): Iran Report, Nr. 04/2008, S. 4
  34. http://www.dw-world.de/dw/article/0,,4941501,00.html
  35. http://www.timesonline.co.uk/tol/news/world/middle_east/article6969094.ece
  36. Bahman Nirumand: Abgesetzter Geheimdienstminister bleibt im Amt. In: Heinrich Böll Stiftung (Hrsg.): Iran Report, Nr. 05/211, S. 3f

Weblinks


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