Geschichte der Keramik

Geschichte der Keramik

Inhaltsverzeichnis

Keramik - technische Aspekte

Das mineralische Pulver der Keramik galt als etwas Besonderes, weil die Tonminerale die einzigen Minerale waren, die mit Wasser plastisch geformt werden konnten. Die Plastizität beruht auf der Plättchenform der Kristalle, und sie ist umso größer, je kleiner die Kristalle sind. Sie sind bei Tonen kleiner als 10–4 µm bis herab auf die kolloide Größe von < 0,2 µm. Man konnte sie mit dem Lichtmikroskop nicht unterscheiden und nannte alle zusammen „Tonsubstanz“. Erst als das Elektronenmikroskop 1933 erfunden war, erkannte man die verschiedenen Arten von Tonmineralen, und es ergab sich ein neuer Wissenschaftszweig, die Tonmineralogie.[1] Die Tonminerale haben auch die besondere Eigenschaft, beim Trocknen eine feste Masse zu bilden und nicht wieder zu Pulver zu zerfallen. Die Festigkeit (als Trockenbiegefestigkeit gemessen) beträgt bei Tonen 0,8 bis 4,4 N/mm², (in früherer Schreibweise 0,08 bis 0,44 kg/mm²; bei Kaolinen weniger, denn die sind grobkörniger, weil sie nicht wie die Tone durch Wasser weggeschwemmt wurden, sondern auf ihrer primären Lagerstätte blieben. Beim Trocknen bilden sich Poren hinter dem ausgetretenen Wasser, und beim Brennen entsteht durch Sinterung und teilweises Schmelzen ein „Scherben“ aus Kristallen, Scherbenglas und Poren.

Tone und Kaoline sind je nach Lagerstätte chemisch und in den Korngrößenverhältnissen verschieden. Die meisten Tone sind vor 70 Millionen Jahren im Tertiär entstanden, als die Dinosaurier bereits ausgestorben waren und das Mammut noch nicht aufgetaucht war. Auch Tone aus dem Pleistozän, dem ersten Auftreten des Mammuts vor einer Million Jahren, werden noch für Töpferzwecke gebraucht. Jüngere enthalten schon hauptsächlich die Verunreinigungen des Tones (Kalkstein, Dolomit, Eisenoxid) und werden als Lehme mit dem Wind transportiert. Sie schmelzen früh und eignen sich für Lehmglasuren.

Die Tonminerale bilden den Hauptbestandteil der Tone, der Kaoline und der Bentonite. Das sind Sedimentgesteine. Das wichtigste Tonmineral ist der Kaolinit. Als Mineral wird er Al2[(OH)4/Si2O5] geschrieben; Keramiker schreiben es übersichtlicher als Formel aus einzelnen Oxiden: Al2O3·2SiO2·2H2O. Darin ist Al2O3, die Tonerde, mit 39,5 % vertreten, die Kieselsäure, SiO2, am stärksten, mit 46,54 %, und das Wasser mit 13,96 %. Die Tonminerale sind also wasserhaltige Aluminiumsilikate. Der Kaolinit ist das gesteinsbildende Mineral des Kaolins. Er ist als Verwitterungsprodukt feldspathaltiger Urgesteine (Granit, Gneis, Quarzporphyr) entstanden. Nicht aus diesen Gesteinen, sondern aus Glimmer sind die Illite verwittert. Illitische Tone waren wichtig für die Vasenmalerei der Griechen und die Terra sigillata der Römer. Kaolinite und Illite sind in allen Tonen enthalten. Eine dritte Art von Tonmineralen bildet der Montmorillonit, der als einziger bei Wasseraufnahme quillt. Er ist das gesteinsbildende Mineral des Bentonits und das Tonmineral mit der höchsten Plastizität.

Das in den Tonmineralen gebundene Wasser verdampft nicht bei 100, sondern erst bei 500 °C. Ein bis dahin gebrannter Ton kann immer noch plastisch geformt werden; darüber nicht mehr. Danach bilden sich über 600 °C die ersten Schmelzen, die die Pulverteilchen verkitten. Eine Keramik, die beim Anschlagen hell klingen soll, muss also mindestens bis zu dieser Temperatur gebrannt werden. Bis dahin waren alle Reaktionen wärmeverbrauchend (endotherm). Von 1000 °C an bildet sich ein neuer Kristall (Mullit). Das ist jetzt eine Kristallisationswärme abgebende, exotherme Reaktion. Ein Porzellan, das bei 1400 °C gebrannt wird, verbraucht je Kilogramm 2100 kJ Wärme.

In ältesten Zeiten brannte man in Gruben und Erdöfen, und schon im 4. Jahrtausend v. Chr. gab es im Vorderen Orient richtige Öfen (das heißt, dass Brennstoff und Brenngut getrennt waren). Die Öfen waren erst stehend (mit aufsteigender Flamme), dann – um 100 n. Chr. in Nordchina, in Europa im späten Mittelalter – liegend, um die Flammen besser auszunutzen, indem man sie durch den Zug eines Schornsteins durch den Ofen zog. Mit den liegenden Öfen tauchte erst das harte Steinzeug auf. Bis dahin brannten alle Öfen nur „periodisch“ (zeitweise). Moderne Industrieöfen, ob für Ziegel oder Porzellan, sind kontinuierlich brennende lange Tunnelöfen mit Temperaturregelung. Vor der Temperaturmessung und –regelung durch Thermoelemente wurde die Temperatur in ältesten Zeiten nach dem Niederschlag der Rauchgase, an der Farbe des Feuers, dann durch Ziehproben, mit optischen Pyrometern und seit 1886 mit den von Hermann August Seger (1839–1893) entwickelten Segerkegeln gemessen, die so zusammengesetzt waren, dass sie bei einer bestimmten Temperatur umsanken. Ähnliche schmelzende Pyrometer: Orton- und Staffordshire-Kegel (von Wedgwood) sowie schrumpfende (Bullers Ringe) wurden in England entwickelt. Als Brennstoffe dienten Rinder- und Schafsmist, Öl (heute noch in primitiven Öfen im Irak und in Mexiko), Holz, Kohle, Gas und Elektrizität.

Bereits 6000 v. Chr. wurden in Mesopotamien 850 bis 1050 °C erreicht, 500 Jahre später 1150 °C. Bis in die Gegenwart lag die übliche Brenntemperatur in der Töpferei der westlichen Hemisphäre bei 900 bis 1000 °C, der Steinzeugtöpfer mit liegenden Öfen seit etwa 1300 n. Chr. bei 1250 °C, während die Chinesen diese Temperatur schon in der Tang-Zeit (618–906) erreichten. Die großen Unterschiede lagen daran, dass im Vorderen Orient, von dem Europa abhing, keine höheren Temperaturen aufkamen, weil dort alle Tone schon über 1150 °C zu Klumpen zusammenschmelzen. Eine vermutlich höhere Temperatur erreichte Tschirnhaus 1687 in Dresden mit Brennspiegeln. Und das Porzellan Böttgers 1708 in Dresden war ein Hartporzellan, das höher gebrannt war als das Weichporzellan der Chinesen. Böttger brannte in einem liegenden Ofen, dem „Wiener Ofen“, den er verbesserte.

Die Frage nach Herkunft und Anfang

Durch die Bibel, in der es in der Gensis 1. Moses 2/7 heißt „Gott der Herr machte Menschen aus einem Erdenkloß“, glaubt man, dass der plastische Ton schon am Anfang dem Gestaltungstrieb der Menschen entsprochen habe. Aus der Altsteinzeit sind jedoch alle bisher gefundenen Figuren aus Knochen, Kalkstein, Lehm, sogar aus Kohle geschnitzt worden, und die älteste Figur aus Ton, die Venus von Dolní Věstonice in Mähren, 25.600 ±170 BP (before present, d. h. vor 1950), fand man an einem Lagerfeuer der Mammutjäger „neben einer Anzahl roh geformter Klumpen“ aus Ton, so dass die Vermutung nahe liegt, dass diese Venus, daneben auch Tierköpfe, daraus geschnitzt wurde.[2] Erstaunlicherweise sind die Tonklumpen mit pulverisiertem, verkohltem Elfenbein und Knochen gemischt, was eine feuchte Aufbereitung erfordert. Diese magernden Zusätze können zur Arbeitserleichterung beim Schnitzen gedient haben, sie können aber auch aus kultischen Gründen erfolgt sein; die feuchte Aufbereitung braucht aber nicht zwingend zum plastischen Modellieren geführt haben. Wenn die Venus aus Ton geschnitzt war, geschah dies zeitgemäß so, wie man in der Eiszeitkunst Figuren sonst aus Knochen und Elfenbein schnitzte. Diese Venus aus Ton fand sich an einem Brandplatz mit einer 80 Zentimeter hohen Aschenlage, aber das Brennen von Ton entsprach nicht dem Stand des Wissens. Überhaupt fehlt ein Anschluss an die spätere Entwicklung; es gibt ein missing link.

Lange Zeit sah die Forschung die Gefäßkeramik als ein charakteristisches Merkmal der neolithischen Revolution. Inzwischen ist jedoch längst deutlich geworden, dass es zumindest im Vorderen Orient eine Phase gab, die durch Sesshaftigkeit und Viehzucht charakterisiert wurde, in der man aber noch keine Keramik kannte (sog. pre pottery neolithic PPN).

In Japan fand man schon aus der Jōmon-Kultur (Schnurabdruck-Kultur) 12.350 ± 700 v. Chr. die ersten niedrig gebrannten Zeremonialgefäße mit reichen plastischen Verzierungen an etwa 75.000 Fundstellen. In China wird die erste Keramik in die Yangshao-Kultur am Gelben Fluss im 8. Jahrtausend v. Chr. gesetzt. Es waren ausschließlich Gefäße aus rotem, selten aus weißem Ton, häufig mit eingedrückten Schnurmustern und Ritzlinien verziert, auch schwarz in geometrischen Mustern und sogar mit Tierdarstellungen und menschlichen Köpfen auf den Gefäßhälsen bemalt. Sie wurden im Hammer-und-Amboss-Verfahren (das heute noch in Indien gebräuchlich ist) oder durch Aufwickeln vom Tonwülsten hergestellt. Daneben gab es eine Schwarz-Keramik, das heißt, dass das reduzierende Brennen bereits bekannt war. Die Öfen waren erst Erdöfen mit vorgelagerter Brenngrube und Lochtenne (Lung-Shan-Ofen seit dem 8. Jahrtausend v. Chr.), danach Kuppelofen mit der Feuerung unter der Tenne und Feuerzügen in den Wänden (Shang-Ofen seit dem 18. Jahrhundert v. Chr.), in denen man bei 1050 bis 1150 °C brannte. Der liegende Ofen mit Schornstein kam in China schon 100 n. Chr. auf (in Japan wurde er in die Bergwand gegraben). In der Song-Zeit (960–1279) wurde er mit einer Feuerwand („Ständer“) zwischen Heiz- und Brennraum versehen. Er war dann genauso konstruiert wie bei uns der Kasseler Ofen im 19./20.Jahrhundert.

Nach den archäologischen Berichten zu urteilen, dauerten die ersten Schritte im Vorderen Orient länger. Die frühesten, noch ungebrannten Tongefäße fand man aus der Zeit um 7600-6300 v. Chr. in El-Chiam in der Wüste Juda in Jordanien. Sie hatten wegen ihrer hohen Trockenbiegefestigkeit die Jahrtausende überstanden. Und die ersten schwach gebrannten modellierten einfachen Formen fand man aus 7000 bis 6000 in Karim Schahir bei Djarmo in Mesopotamien. Höher gebrannte und schon mit einem farbigen Streifen aus feingeschlämmtem Ton bemalte archaic painted ware gab es aus 6000-5600 in Tel Hassuna in Nord-Mesopotamien. Die Bemalung und die Muttergöttinen wurden immer kunstvoller. Die Keramik-Kunst florierte in Syrien, im Irak und Iran (besonders erwähnenswert in Tell-i-Bakum, Süd-Iran, 4000–3400). 3400 bis 2900 begann man Gefäße auf einem Stück Scherben zu drehen; das war die langsam laufende Töpferscheibe (Tournette) und die Zeit, als die Keilschrift entstand. Schließlich kam es 3250 ±250 v. Chr.in Südmesopotamien zur ersten großen epochemachenden Erfindung, der Töpferscheibe. Sie hatte zur Folge, dass nun der ägyptische Gott Chnum mit dem Widderkopf den Menschen aus Ton auf der Töpferscheibe schuf. So verlief die Entwicklung der Keramik mit der Entwicklung des Geisteslebens von den rituellen Kulten der Wildbeuter und Hirtennomaden bis zu den organisierten Religionen und den Berufstöpfern in den Siedlungen der Sesshaften. Von ihnen stammen weitere Erfindungen, wie die dreifarbige Bemalung in einer Werkstatt mit Schauraum im 5.Jahrtausend in Tell Halaf, Nord-Syrien. Sir Lindsay Scott beschrieb mehrere Typen von Öfen,[3] darunter einen liegenden Ofen aus Sialk im Iran aus dem 4. Jahrtausend, bei dem der kuppelförmige Ofen mit Lochtenne zu einem liegenden Ofen umkonstruiert wurde, indem die Feuergase zum Absteigen gezwungen und durch einen Schornstein ins Freie gezogen wurden. Sie waren die Voraussetzung, dass die Töpferei nicht mehr nebenbei, sondern als Beruf betrieben wurde. Im 4./3. Jahrtausend gab es eine weitere Höchstleistung, die nicht dem Stand der allgemeinen Entwicklung entsprach, aber vom hohen Erfahrungsschatz der Töpfer zeugt. Es war am Vulkan Karacadag im Grenzland zwischen Nord-Syrien und der Türkei, auf türkischem Gebiet, wo unter Verwendung der Vulkanasche ein hochgebranntes Steinzeug (metallic ware) einige tausend Jahre vor den Chinesen (die es erst Ende der Shang-Dynastie, 1500–1000 v. Chr., schafften) gebrannt wurde, aus dem man Werkzeuge herstellte. Es war die Zeit, als die Metalle aufkamen. Welches hohe Niveau die Töpferei zu dieser Zeit erreicht hatte, beweisen auch die Kochtöpfe (cooking pot ware). Sie waren nicht einfach aus Ton gebrannt, sondern aus ausgeklügelten Mischungen mit grobkörnigem Kalkzusatz, die so flammfest waren, dass man sie in das offene Feuer stellen konnte. Die Grabungen, bei denen man diese Keramiken fand, wurde vom Deutschen Archäologischen Institut betrieben, und die Keramik wurde von Gerwulf Schneider an der Freien Universität Berlin untersucht.[4]

Die kreativen Ägypter, der erfindungsreiche Vordere Orient und der voraneilende ferne Osten

Es begann mit einer Entdeckung, über die die Archäologen lange Zeit rätselten, und endete in der Erkenntnis, dass die Natur den Erfindungen Vorschub leistete. Die Töpfer machten es nicht anders als die Natur in dem ariden Klima, in dem das salzige Grundwasser durch das Gestein hindurch verdunstet und das Salz an die Oberfläche transportiert. Besteht diese Oberfläche aus Sand, so bildet das Gemisch aus Sand und Salz beim Brennen ein Glas. So kam es zur Erfindung des Glases, das auch als Glasur auf einen quarzreichen Scherben aufgetragen wurde.

1922 bis 1925 fand der Ausgräber Guy Brunton in El Badari am östlichen Rand des Niltals „reichlich Perlen“, darunter glasierte Steatitperlen.[5] Sie stammten von nomadisierenden Rinderhirten aus der Zeit um 4000 v. Chr. Man erklärt sich die Herstellung dieser Perlen durch Brennen in einer Grube, in der sie mit dem Salz aus der Verdunstung des Grundwassers in Berührung kamen. Das durch das verdampfende Chlor auf den quarzhaltigen Stein (Steatit ist ein Magnesiumsilikat) transportierte Natrium kann mit diesem schon bei 867°C eine Glasur bilden. Das war hundert Jahre früher als die erste Erzverhüttung. Mit diesem Verfahren, das man Zementation nennt, werden heute noch in Ghom, südlich von Teheran, Eselsperlen hergestellt. Das Natriumsalz[6] ist wasserlöslich und wird, wenn man es einer Masse aus Sand zusetzt, beim Trocknen mit dem verdunstenden Wasser an die Oberfläche transportiert, wie es die Natur mit dem salzigen Grundwasser tut. In diesem Ausblüh-(Effloreszenz-)Verfahren entstand im 3. Jahrtausend am oberen Nil die ägyptische Fayence. Sie beherrschte das Neue Reich in Ägypten (1552–1070). Blau, gelb, grün, rot, orange gefärbt, fand sie sogar neben Gold auf den Insignien der Pharaonen Platz. 700 Jahre später, um 1700 v. Chr., mischte man den lockeren Sandscherben nicht mehr mit Soda, sondern mit einer Sodafritte (sie wurde durch Schmelzen einer Mischung aus Soda und Sand hergestellt und nach dem Abkühlen zerkleinert; als Natriumsilikat war sie nicht mehr wasserlöslich). Jetzt konnte nichts mehr ausblühen, sondern die Glasur musste außen aufgetragen werden. Aus dieser jetzt festeren glasigen Fayence (glassy faience) entstand das Frittenporzellan, dessen Arkanum (alchemistisches Herstellunsgeheimnis) als „Persisches Porzellan“ 1752 von den Persern an Ludwig XIV. verkauft wurde und das seit 1766 heute noch in Marieberg und Rörstrand in Schweden hergestellt wird. Eine solche Frittenporzellan-Masse wird heute aus Lyon angeboten.

Für die Natrium-Silikat-Glasur tat sich im 1. Jahrtausend v. Chr. ein neuer Entwicklungsstrang auf, der mit der Glastechnologie verbunden war. Aus den Keilschrifttexten von Ninive geht hervor, dass das Glas aus einer Mischung von Sand und Pflanzenasche (aus der Verbrennung der salzhaltigen Pflanzen, der Halophyten) in zwei Stufen geschmolzen wurde. Dieses Glas wurde mit Pflanzengummi auf einen quarzreichen Scherben aufgeklebt und aufgeschmolzen. Im ganzen Vorderen Orient verbreitete sich diese Glasur nicht unter Verwendung der Soda aus den Salzseen, sondern aus der Asche der Salzpflanzen. In Europa werden diese Pflanzen als Schlickfänger zur Landgewinnung im Wattenmeer an der Nordseeküste eingesetzt und heißen Queller oder Glasschmalz. Die Asche dieser Salzpflanze war auch das Geheimnis der venezianischen Glasmacher. Sie pflanzten sie an verschiedenen Stellen des Mittelmeeres an. Das venezianische Glas war also ein Natronglas und ihr Geheimnis nichts anderes als das Rezept der Assyrer.

Die Glasur aus Sand und Soda oder Pflanzenasche war also auf den quarzhaltigen Untergrund angewiesen, und sie musste in zwei Stufen gebrannt werden, weil sonst der saugende Scherben die im Wasser gelöste Natriumverbindung weggesaugt hätte. Auf einem Ton hielt die Glasur nicht, denn sie hatte eine größere Wärmeausdehnung als ein Tonscherben. Mit vermindertem Alkali- und erhöhtem Erdalkaligehalt konnte sie zwar bei etwa 900 bis 1000 °C auf einen Tongrund aufgebrannt werden, der aber musste kalkreich sein, was im Vorderen Orient von Natur aus gegeben ist, nicht aber in Europa. Eine solche Glasur blieb mit engen Grenzwerten im Irak und Iran über Jahrtausende unverändert. Auf Quarzfrittescherben erreichte die Alkaliglasur ein technisches und künstlerisches Niveau, das weit über dem landläufiger Töpfereierzeugnisse stand.

In frühosmanischer Zeit, dem 9. Jahrhundert, erhielt Hārūn ar-Raschīd in Bagdad von dem Gouverneur von Chorasan „zwanzig Stück kaiserliches Porzellan“ aus China, das er nachahmen lassen wollte. Die irakischen Töpfer sahen wohl ein, dass ihnen die Natur nicht die gleichen Möglichkeiten bot wie den Chinesen. Mit ihren Erfahrungen mit Erdalkaliglasuren aus parthischer Zeit (250 v. Chr. bis 226 n. Chr.) schufen sie eine weiße Glasur, auf die sie mit Kobalt wie „mit Tinte auf Schnee“ malten. Die Weißtrübung erzielten sie durch Zinnoxid in der Glasur, deren Weißtrübung auf dem hohen Brechungsindex beruht. Die blaue Bemalung wurde von den Chinesen als „Hui-ch´ing = Mohammedanerblau“ übernommen (Kobalterz wurde aus dem sächsischen Erzgebirge importiert). Das kobaltbemalte Porzellan wurde zum überlegenen Exportprodukt der Ming-Zeit (1368–1644). Die Unmöglichkeit, das chinesische Porzellan nachzuahmen, führte zu einer neuen Erfindung, der Fayence, und in osmanischer Zeit wurde das Steingut à la porcellana erfunden. Die Fayence bestand aus einem naturfarbenen Scherben, der mit einer undurchsichtigen Glasur bedeckt ist, in die im rohen Zustand gemalt wurde („Inglasurmalerei“). Das Steingut hingegen bestand aus einem weißbrennenden Scherben, auf den gemalt wurde. Darüber kam eine durchsichtige Alkali-Blei-Glasur, wobei das Blei die Lichtbrechung erhöht und die Farben zum Leuchten bringt. Der Alkaligehalt beseitigt den Gelbstich der reinen Bleiglasur. Im Gegensatz zum europäischen Steingut enthielt die osmanische Steingutglasur kein Bor, obwohl es südlich von İznik, wo das Steingut erfunden wurde, große Colemanit-Lagerstätten gibt.

In China war die Glasur aus der Beobachtung erstanden, dass sich im Holzfeuer die Flugasche auf der Keramik absetzte und mit dem Tongrund eine Glasur bildete. Da die Holzaschen sehr kalkreich sind, waren es Calcium-Aluminium-Silikate, die schon bei 1170 °C schmelzen können. Die Chinesen erfanden diese Glasuren in der Zeit der West-Chou-Kulturen, 1122 bis 770 v. Chr. Das waren, wie im Vorderen Orient, die Glasuren vor dem Aufkommen des Auftragverfahrens. Etwa gleichzeitig mit dem Westen kamen in der dem Römischen Reich entsprechenden Han-Dynastie die Bleiglasuren auf, die mit Kupfer für Grün, mit Ocker für Honiggelb, mit Kobalt für Blau und mit Mangan für Violett gefärbt waren. Sie hörten erst mit den Buddhistenverfolgungen (9.–14. Jahrhundert) auf. Während die Bleiglasuren auf den vorgebrannten Scherben aufgetragen wurden, brannten die Chinesen fortan alles im Einbrandverfahren. Das Steinzeug war in der Han-Zeit aufgekommen und setzte sich in der Tang-Zeit mit einer Feldspat-Glasur bei 1260°C fort, die die weitere Entwicklung beherrschte. Das mit eisengefärbten Glasuren versehenen Steinzeug erhielt in Frankreich die Bezeichnung „Seladon“, weil es der Farbe der Kleidung des Hirten Celadon in dem Theaterstück von Honoré d’Urfé nach dessen Schäferroman „L'Astrée“ im 17. Jahrhundert entsprach. Dem Porzellan ging ein weißes Steinzeug in der Tang-Periode voran, dem im späten 8. und frühen 9. Jahrhundert das Porzellan folgte. Einige Stücke kamen bald danach als Diplomatengeschenke nach Bagdad.

Europa

Während der Assyrerkönig Assurbanipal (669 bis etwa 627 v. Chr) in seiner Bibliothek in Ninive schon ein Glasrezept auf eine Tontafel schreiben ließ und dieses Rezept auch zu einer Glasur führte, waren die griechischen Töpfer dabei, ihre Tonvasen mit schwarzen Figuren zu bemalen. Sie benutzten dazu einen eisengefärbten illitischen Feintonschlicker, wie es schon viertausend Jahre früher die Töpfer in Tel Halaf, in Mesopotamien, bei ihrer dreifarbigen Keramik getan hatten. Das war eine Technik, bei der durch verschiedene Auftragsdicken der Malfarbe und durch oxidierenden (luftreichen) und reduzierenden (luftarmen) Brand Schwarz und Rot auf einem weißen, kalkreichen Beguss erhalten wurden. Die Athener brachten die in Korinth neu erfundene schwarzfigurige Malerei um 700 v. Chr. zur höchsten Blüte. Es folgte um 530 die rotfigurige (mit „beabsichtigtem Rot“, intentional red, aus rotbrennendem Ton mit Ocker bei Reoxidation) und um 480 die weißgrundige Malerei mit reduzierter kupferroter Malerei auf einem weißbrennenden kaolinitischen Ton, dem Pottasche hinzugefügt wurde. Das war die Hochklassik der Malerei und zugleich die Hochblüte der griechischen Philosophie, die Zeit des Sokrates und der Sokratiker. Zum ersten Mal wurde die Keramik signiert. Sie fand ihren Namen nach Kerameikos, dem Stadtbezirk im antiken Athen, wo die Töpfer lebten und wo sich der vornehmste Friedhof der Stadt befand. Viele Jahrhunderte hindurch galten die griechischen Vasen als unerreichte Schöpfungen, und die Keramik zählte in Europa nur als Kunst, wenn sie bemalt war.

Minoische Stier- und Frauenstatuette

Die Herstellung von Terrakotten (terra cotta, italienisch für gebrannte Erde), die bis in vorgeschichtliche Zeit zurückgeht, hatte im minoischen Kreta in Menschen- und Tierstatuetten einen Höhepunkt. In spätmykenischer Zeit waren es Idole. Mit zierlichen und reich bemalten Mädchenstatuetten der Werkstatt von Tanagra in Böotien kam es im 4. Jahrhundert v. Chr., ausgehend von Attika, zur Blütezeit der griechischen Terrakotta. Auch die römische Kaiserzeit kannte eine reiche Terrakotta-Produktion; zum Teil von hoher Qualität, wie die architektonisch verwendeten Campana-Reliefs (vom 1. Jahrhundert v. Chr. bis gegen Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr.), die ebenfalls farbig bemalt waren.

In Mitteleuropa war die Töpferei zwar schon seit dem 6. Jahrtausend v. Chr. mit dem frühen Neolithikum bekannt, doch sind größere technische Fortschritte erst in den vorrömischen Metallzeiten zu beobachten. Viele archäologischen Kulturen sind nach den charakteristischen Keramiken benannt (z.B. Linearbandkeramik, Trichterbecher-Kultur, Glockenbecher-Kultur, Schnurkeramik). Im Gegensatz etwa zum Balkan - wo bemalte Keramik schon im Neolithikum gebräuchlich war - wurde erstmals am Ende der Bronzezeit polychrome Keramik produziert, und zunehmend wurde die Töpferscheibe verwendet. In der frühen Eisenzeit kamen griechische und etruskische Vasen in den Norden, beeinflussten die heimische Töpferei aber nur sehr bedingt.

Gefäß der jüngeren Linearbandkeramik aus Rauschenberg-Bracht (Hessen)

Die Römer führten die Technik des Feinschlamms auf eine neue Höhe. Ihre Terra sigillata wurde seit etwa 30 v. Chr. an dem Hauptfabrikationsort Arretium in Italien hergestellt, in späterer Zeit auch in fast allen römischen Provinzen. In West-Kleinasien hielt sie sich noch bis ins 7. Jahrhundert. Die besondere Technik bestand darin, dass sie auf der Töpferscheibe in eine Formschüssel aus Ton eingedreht wurde, wobei sich die in die Formschüssel eingedrückten Vertiefungen als erhabene Reliefs abformten. Der überstehende Ton wurde als glatter Rand frei gedreht. Durch die Trockenschwindung löste sich die Keramik von selbst von der Form. Nach dem Trocknen auf Lederhärte wurde sie mit einem Feinschlamm übergossen, der aus illitischem Ton, in Regenwasser aufgeschlämmt, gewonnen wurde. Dabei kam nach dem Absitzen der Aufschlämmung nur das Feinste als Beguss zur Verwendung. Die Ware wurde bei etwa 950 °C in korinthischen Öfen oxidierend gebrannt, wobei der Ofen immer so angelegt wurde, dass der Westwind in den Ofenhals blies. Dieser in Korinth erfundene Ofen mit Lochtenne war überall in Europa verbreitet und wurden erst in der Völkerwanderungszeit von den liegenden Öfen abgelöst, die die Slawen benutzten. In ihnen konnte man in reduzierendem Brand auch die schwarze Terra nigra herstellen. Die rote Terra sigillata war eine Massenware. Die Manufaktur in Rheinzabern (Tabernae) etwa besaß im 2. Jahrhundert fünf Öfen, 100 bis 150 Beschäftigte und hatte eine Jahresproduktion von 35.000 bis 70.000 Gefäßen.

Als das Blei aufkam, weil es bei der Silbergewinnung in großen Mengen als Abfallprodukt anfiel, taugte die jetzt bleihaltige Glasur auch zum Glasieren der europäischen Tone. In römischer Zeit hatten die Betreiber der Terra-sigillata-Manufakturen offenbar keine Motivation, sich auf die Glasur einzulassen. Glasierte Keramik blieb relativ unbedeutend. Nach dem Zerfall des Römischen Reiches geriet die Technik wohl weitestgehend in Vergessenheit. Eine Ausnahme bildete die maurische Keramik in Spanien seit 711, als die Mauren nach Granada kamen, und im 13. Jahrhundert, als die Keramik unter den Nasriden mit persischen Töpfern, die vor den Mongolen geflohen waren, eine Blütezeit erlebte. Die Mudejar (= Steuerpflichtigen) stellten vom 11. bis zum 16. Jahrhundert in Andalusien Metalllüster (metallisch schillernde Glasuren) und blaubemalte Keramik im Mudejar-Stil her und exportierten sie von Malaga aus nach Italien, Sizilien und in den Nahen Osten. Im übrigen Europa war die Keramik unbedeutend und von niedrigem kulturellen Rang. In den ehemals römischen Gebieten hielt sich die Tradition der Drehscheibe. Vielerorts war aber handgemachte oder nachgedrehte Keramik bedeutender. Erst im Spätmittelalter, als die Töpferei zunehmend ein städtisches Handwerk wurde, wurde Scheibenware wieder dominierend. Die Kreuzritter staunten über das hohe Niveau bei den Muselmanen. Erst in der Frührenaissance trat die Werkstatt der Familie Della Robbia in Florenz hervor und wurde sogar von Leonardo da Vinci gerühmt. Luca della Robbia verwendete unter anderem die Zinnglasur, und man hielt ihn lange Zeit für deren Erfinder. Er galt trotzdem nicht als Keramiker, sondern als Bildhauer. Eine Keramik gab es als Kunst gar nicht, und selbst die Malerei wurde erst im Laufe der Renaissance als Kunst anerkannt. Die Keramik war an der von Religion und Geist bestimmten Kultur nicht beteiligt. Obwohl schon 1429 in Siegburg die Salzglasur (bei der man Kochsalz in die Feuerung warf) auf Steinzeug aufkam, herrschte der Niedrigbrand vor, denn die für den hohen Steinzeugbrand geeigneten Tone kommen nur um den 50. Breitengrad vor, und die Entwicklung wurde vom vorderen Orient beeinflusst, der nur über niedrig brennbare Tone verfügt. Dazu war nun die Bleiglasur wie geschaffen. Die ersten hervortretenden Persönlichkeiten waren Bernard Palissy in Frankreich, der Bunthafner Paul Preuning in Nürnberg und Cipriano Piccolpasso in Casteldurante, alle im 16. Jahrhundert. Schon im 14. Jahrhundert war die Zinnglasur nach Italien gekommen, und die Pest brachte einen großen Bedarf an Apothekergefäßen mit sich. Die zinnglasierte Keramik hieß noch nicht Fayence. Erst als die Guelfen unter Astorgio Manfredi 1313 in Faenza eine Stadtherrschaft (Signoria) errichteten, stieg Faenza zu einer Metropole der Keramik auf, und von hier verbreitete sich die nach der Stadt benannte Fayence nach dem Sturz der Manfredis 1501 und durch Flucht aus der Inquisition in ganz Europa. Hervorragend unter den schier unzählbaren Fayencemanufakturen waren Delft und die Provence (Moustiers, Marseille, Toulon) im 17. und 18. Jahrhundert. Mit Ausnahme der muslimischen Majolika in Spanien, die über Mallorca nach Florenz und andere Städte gelangt und als Majolika bezeichnet wurde, waren die europäischen Fayencen, die auf die türkischen Vorbilder zurückgingen, immer weiß glasiert und in die rohe Glasur bemalt („Inglasurmalerei“).

Eine Kopie der Portland-Vase, ein Beispiel für Jasper ware aus dem Hause Wedgwood

1748 desertierte der Maler Christian Wilhelm von Löwenfinck „in voller Montur“ und auf einem gestohlenen Pferd aus Meißen, von wo er Aufglasurfarben mitnahm. In Fulda bemalte er damit Fayencen und schuf damit die Aufglasurfayencen (faience à grand feu), die von da an die Fayencekunst beherrschte. Im 19. Jahrhundert wurde die Fayence in Europa durch das im türkischen Iznik erfundene Steingut abgelöst. Es besteht aus einem weißbrennenden Ton mit einer durchsichtigen Glasur über der Bemalung. Die Glasur ist eine Bleiglasur, die infolge ihrer hohen Lichtbrechung die Farben glänzen lässt. Zur Verbreitung des Steinguts in Europa haben die klassizistischen Erzeugnisse Wedgwoods beigetragen, die dem Zeitgeschmack entsprachen.

Hartporzellan

Die Erfindung des Hartporzellans durch Johann Friedrich Böttger und Ehrenfried Walther von Tschirnhaus am 15. Januar 1708 in Dresden (nach dem Brandprotokoll um 5 Uhr Nachmittag) wie auch des chinesischen Porzellans war der Beginn einer synthetischen Keramik, die nicht (wie das Steinzeug) vom Vorkommen eines bestimmten Tones abhängig war. Das Arkanum (das alchemistische Geheimnis der Herstellung) wurde streng gehütet und verbreitete sich erst 1720 in Wien, 1740 in Höchst, 1743 in Fürstenberg, 1850 in Berlin und Sankt Petersburg, 1755 in Frankenthal, 1758 in Nymphenburg, 1764 in Wallendorf und 1772 in Sèvres und Kopenhagen. Seit der Renaissance war Europa von Wissensdurst erfasst. Noch in der Barockzeit hatten fast alle europäischen Herrscher einen Hofalchimisten. Im siebzehnten Jahrhundert kam aber mit Newton, Leibniz, Descartes auch die Naturwissenschaft auf.

Weitere Erfindungen

Im Wettlauf um die Porzellanerfindung hatten die Italiener mit ihrer Führungsrolle in Fayence- und Glaskunst einen weiten Vorsprung. Die Ergebnisse waren aber nur Pseudoporzellane [z .B. das Medici-Porzellan in Florenz um 1575–1620). Einen großen Anteil an der technischen Entwicklung hatten Franzosen und Engländer. In England erfand 1748 Thomas Frye das Knochenporzellan, und Josiah Wedgwood (1730–1795) experimentierte an der Nachbildung von Achat. Er ließ die Konturen seiner chinoisen Malerei in Liverpool aufdrucken und zu Hause ausmalen. Das für ihn typische farbige, meist blaue Steingut mit aufgarnierten Reliefs von klassischen weißen Figuren, das er Jasper ware nannte, erfand er 1774. Er machte Stoke-on-Trent zum Zentrum der englischen Keramikherstellung. Hier gelang auch Copeland & Garrett 1844 das dem parischen Marmor gleichende Biskuitporzellan (auch „Parian“), das bereits 1753 von Jean-Jacques Bachelier in der Manufaktur Vincennes erfunden worden sein soll.

Das industrielle Zeitalter

Wedgwood war nicht nur der erfolgreichste Keramiker des Klassizismus (er beschäftigte seit 1775 John Flaxmann, den Hauptmeister des englischen Klassizismus, als Modelleur), sondern er stellte auch eine der ersten Dampfmaschinen von James Watt und eine Drehbank in seinem Werk auf. Auch in Berlin installierte man nach dem Tod Friedrichs II. (1786) eine Dampfmaschine und baute 1797 den ersten Etagen-Rundofen. Der Klassizismus setzte hier schon 1767 mit dem „Antikzierat“ ein. In Sèvres führte man 1809 das Pressverfahren und 1816 das Gießverfahren ein. 1912 folgte das Pressluft-Gießverfahren. Maschinen, Öfen und Herstellungsverfahren waren voll von neuen Erfindungen. 1898 gab es das erste Patent für Tunnelöfen in Montereau, und 1906 ging der erste Porzellantunnelofen in Altwasser, Schlesien, in Betrieb. 1922 erhielt R. H. Staley in den Vereinigten Staaten das Patent auf eine Vakuumstrangpresse, 1946 Smith & Johnson in England auf eine Teller-Rollmaschine, 1964 wurde in Selb eine vollautomatische Gießanlage installiert.

Was Handwerk und Kunst betrifft, versuchten William Morris (1834–1896) und die 1888 von Charles-Robert Ashbee (1863–1942) gegründete Arts and Crafts Society, später, 1907, auch der Deutsche Werkbund, das Kunsthandwerk vor dem Ansturm der Maschine zu retten. Die Einflüsse des Vorderen Orients, die zur Fayencekunst geführt hatten, dauerten auf das europäische Kunsthandwerk noch so lange an, wie die hohen Brenntemperaturen noch eine Seltenheit waren. Noch 1919 galten für Max Laeuger (1864–1952) die Sultan-Abad-Fayencen des 12. bis 14.Jahrhunderts, die er 1910 auf der Ausstellung mohammedanischer Kunst in München kennenlernte, als Vorbilder. Mit der Weiterentwicklung der elektrisch beheizten Brennöfen und dem Aufkommen der Gasfeuerung nahm der Wunsch nach höheren Brenntemperaturen zu. So schwenkte das Vorbild auf die chinesischen Porzellane der Song-Zeit um, die auf der großen China-Ausstellung 1936 in London zu sehen waren. Die japanische Keramik wurde erst in der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts, gefördert durch Bernard Leachs „Potters Book“, durch die aufkommende Reisetätigkeit und durch das Raku, das sich einer zunehmenden Popularität erfreute, als Vorbild aufgefasst, obwohl sie schon 1867 in das Blickfeld Europas geraten war, als der letzte Shogun der Tokugawa-Familie seine Familienschätze in Paris ausstellte. 1919 spaltete sich in dem von Walter Gropius (1883–1969) gegründeten Bauhaus das Industriedesign vom Kunsthandwerk ab. Und 1952 trennte sich in einer globalen Entscheidung in Kalifornien, angeführt von Peter Voulkos, die Kunst vom Kunsthandwerk und von jeglicher Tradition und folgte dem abstrakten Expressionismus. Das Kunsthandwerk blieb unter dem Einfluss der japanischen, von Bernard Leach verfochtenen Keramik. In der allgemeinen Massenbewegungen verbreitete sich die Freizeitkeramik, die nicht auf den finanziellen Erfolg bedacht war, sondern einen sozialreformerischen Ausgleich zur industriellen Welt suchte. Sie fand ihn weitgehend im Raku, das kein Gebrauchsprodukt hervorbringt, sondern ein Surrogat für Naturnähe mit Erde und Feuer darstellt.

In der Industrie-Epoche ging die Vorherrschaft der auf Ton beruhenden Keramik zu Ende. Das Gebrauchsgeschirr war am Ziel seiner Entwicklung angekommen. Wie in der Kunst, so hat sich auch in der Technik ein traditionsloser Strang abgespalten, dem eine größere Bedeutung zukommt.

Die traditionelle Keramik, das sind die silikatkeramischen Werkstoffe von der Töpferware bis zum Porzellan, aber auch Erzeugnisse für den technischen Gebrauch: Ziegel, Fliesen und Bauteile, Silikate mit geringer Wärmedehnung (Cordierit und Lithiumaluminiumsilikate) oder mit einer bestimmten Porosität, Steatit und schließlich Porzellane für die Elektrotechnik, die Sanitärtechnik und die Zahnmedizin.

In der Anwendung zählen auch die feuerfesten Werkstoffe zur keramischen Tradition. Dazu kommen aber auch neue Werkstoffe wie keramische Fasertypen für die Wärmedämmung und Zirkonsilikate für die Auskleidung von Schmelzwannen in der Glasindustrie und im Stahlgießbereich.

Indem sich die Technik in immer neue Gebiete ausbreitete, wuchs auch die Vielfalt der Werkstoffe, die keine Silikate sind und nicht mehr der keramischen Tradition, aber ihrer Definition entsprechen. Diese lassen sich in fünf Gruppen gliedern: Oxidkeramik, Elektro- und Magnetokeramik, nichtoxidische Keramik, Glaskeramik und spezielle Sonderwerkstoffe.

Im deutschen Sprachgebrauch hat sich die Bezeichnung Oxidkeramik für Werkstoffe eingebürgert, die in der Mehrzahl nur aus einem Oxid bestehen und durch Sinterung hergestellt werden: Aluminiumoxd dient als verschleißfester Werkstoff im Maschinen- und Anlagenbau, als korrosionsfestes Material in der chemischen Industrie, als Isoliermaterial in der Elektrotechnik und Elektronik oder als Hochtemperaturwerkstoff in der Wärmetechnik. Berylliumoxid wird in der elektronischen Industrie verwendet. Magnesiumoxid ist ein Hochtemperaturwerkstoff und wird als feuerfestes Material und in der Elektrotechnik eingesetzt. Yttriumoxid kann porenfrei gesintert werden und ist deshalb transparent. Seine Verwendung unterliegt zur Zeit der Forschung. Zirkonoxid wird in der Textilindustrie als Fadenführer, in der Metallherstellung als Strangpressmatrize, zum Erschmelzen bestimmter Metalle und zu Messinstrumenten in Industrieöfen und Motoren verwendet. Thoriumoxid spielt in der Nukleartechnik eine sehr wichtige Rolle. Es ist das höchstschmelzende Oxid mit einem Schmelzpunkt bei 3220 °C.

Elektro- und Magnetokeramik hat ein vielseitiges Anwendungsfeld. Hierher gehört die Bariumtitanatkeramik als dielektrischer Werkstoff für Kondensatoren und als Kaltleiter für PTC-Widerstände, das Bleizirkonat-Titanat als piezoelektrischer Werkstoff für elektrooptische Anwendung, Zink-Varistoren mit einem spannungsabhängigen Widerstand zum Schutz von Geräten vor Überspannungen, und Heißleiter auf der Basis Aluminiumoxid/KupferIoxid für Fühler zur Temperaturmessung. Zur Magnetokeramik gehören weich- und dauermagnetische Ferrite (aus Eisenoxid mit Mn, Ni, Zn, Co, Cu, Mg beziehungsweise mit Ba, Sr, Pb) für die drahtgebundene Nachrichtentechnik beziehungsweise in elektromagnetischen Wandlern, Relais, Separatoren, Haftsystemen und Transporteinrichtungen.

Zur nichtoxidischen Keramik gehören Carbide, Nitride, Boride, Silicide, Sulfide und Fluoride. Unter den Carbiden ist das Siliciumkarbid am bekanntesten. Es besitzt eine hohe Härte, eine gute Wärmeleitfähigkeit und gute Temperaturfestigkeit. Kohlenstff-Fasern werden aus Cellulose, Polyacrylnitril und anderen langkettigen organischen Verbindungen hergestellt und besitzen eine hohe Elastizität. Sie dienen zur Herstellung von Verbundwerkstoffen, Unter den Nitriden besitzt das Bornitrid „Borazon“ die größte Härte hinter dem Diamanten.

Als Glaskeramik bezeichnet man Werkstoffe, die aus Lithium- und Bariumsilikatgläsern hergestellt werden. Die erschmolzenen und erkalteten Glasformen werden mit UV-Strahlem belichtet, wobei sie kristallisieren. Die belichtete kristalline Phase wird mit verdünnter Flusssäure herausgelöst, wodurch maßhaltige Durchbrüche entstehen, die als Raster und Siebe mit bis zu 50.000 Löchern je Quadratzentimeter enthalten („Fotoform“-Verfahren). In diesem Verfahren lassen sich durch erneute Sinterung auch „Pyroceram“-Produkte herstellen, die für Raketenspitzem, Kochgeschirr, Astrospiegel und Herdplatten dienen. Im „Fotoceram“-Verfahren kristallisiert das zumeist lithiumhaltige Glas mit Titandioxid als Keimbildner, indem das Glasformstück einer zweiten Temperung unterworfen wird, wodurch es kristallisiert. Man erhält feinstkristalline Miniaturbauteile höchster Präzision für die Elektronik und Elektrotechnik.

Spezielle Sonderwerkstoffe spielen in der Nukleartechnik als Kernbrennstoffe, als Hüll- und Strukturmaterial und andere Verwendungen eine bedeutende Rolle. Für Brennelemente wird der keramische Brennstoff (Urandioxid) in Form zylindrischer Sinterkörper („Pellets“) in metallische Hüllrohre eingefüllt. Das Urandioxidpulver wird bei 1700 °C unter Wasserstoff gesintert. Keramische Werkstoffe für die Medizin werden als „Biokeramik“ bezeichnet. Sie werden in drei Gruppen eingeteilte: 1. die inerten keramischen Werkstoffe für Implantate, vor allem Aluminiumoxid für Hüftgelenke, pyrolytischer Kohlenstoff für Herzklappen, 2. bioaktive Keramik für die Verträglichkeit mit dem Gewebe. Dazu dienen Silikat-Phosphat-Gläser, 3. resorbierbare Calciumphosphatkeramik. Eine weitere Gruppe von Sonderwerkstoffen bilden keramische Überzüge auf Metallen, die im Flammspritzen (mit einem Brenngas) oder im Plasmaspritzen ( im elektrischen Lichtbogen) aufgebracht werden. Die hohen Temperaturen im Plasma können bis zu 40.000 °C betragen. Als Beschichtungsstoffe dienen Ocide des Akluminiums, Titans, Chroms, Zirkons, jedoch auch Spinelle, Carbide, Nitride, Boride und Silicide. Andererseits werden zum Anbringen von Metallen auf Keramik Suspensionen von Metallpulvern in ätherischen Ölen verwendet, die eingebrannt, manchmal auch noch galvanisiert werden. Verbundwerkstoffe aus Keramik und Metall werden als „Cermets“ bezeichnet. Die Herstellung erfolgt durch Sintern oder durch Infiltration einer porösen Keramik durch eine Metallschmelze oder durch Flammspritzen. Anwendung finden Ceramets in der Hochtemperaturtechnologie und als Kontaktwerkstoffe in der Elektrotechnik.

Literatur

  • Bryan Sentance: Atlas der Keramik. Haupt, Bern 2004, ISBN 3-258-06803-8.
  • R. Schreg: Keramik aus Südwestdeutschland. Eine Hilfe zur Beschreibung, Bestimmung und Datierung archäologischer Funde vom Neolithikum bis zur Neuzeit. Lehr- und Arbeitsmaterialien zur Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit (Tübingen 1998. 3. Aufl. 2007)

Einzelnachweise

  1. Karl Jasmund: Die silikatischen Tonminerale. Verlag Chemie, Weinheim 1951 ebenso in Amerika R. E. Grim und R. W.Grimshaw.
  2. K. Absolon:„Die Erforschung der diluvialen Mammutjägerstation von Unter-Wisternitz. 1924 (Arbeitsbericht).
  3. Lindsay Scott: A History of Technology. Bd. 1, Oxford 1956
  4. Gerwulf Schneider: A technological Study of North-Mesopotamian Stone Ware. In: World Archaeology. 21, Nr. 1, 1989, S. 30–50.
  5. Guy Brunton, Gertrude Caton-Thompson: The Badarian civilisation and predynastic remains near Badari. 1928.
  6. Sabine Wenigwieser untersuchte in ihrer Dissertation 1992 die Salzseen im nordägyptischen Wadi Natrun. Danach sind es Na-Cl-Sole mit wechselnden Karbonat- und Sulfat-Anteilen. Die Chloridkonzentrationen betragen 10 bis über 50 Prozent in den einzelnen Seen. („Mineralogische Untersuchungen an den Evaporiten und Tonen des Wadi el-Natrun“ Universität Fridericiana zu Karlsruhe 1992).

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