Carsten Curator

Carsten Curator

Carsten Curator ist eine Novelle von Theodor Storm.

Inhaltsverzeichnis

Handlung

In einem friesischen Hafenstädtchen lebt in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein kleinbürgerlicher, aus bescheidenen Verhältnissen stammender Mann namens Carsten Carstens mit seiner Schwester im von den Eltern ererbten Haus in besserer Wohnlage. Carstens hatte sich autodidaktisch etwas Bildung erworben und wurde deshalb aufgrund seines lauteren und ehrenhaften Charakters von seinen Mitbürgern oft um eine Art Vermögensverwaltung gebeten. In diesem Zusammenhang wurde ihm der Beiname „Curator“ verliehen, der auf Carstens' Tätigkeit Bezug nimmt.

Anlässlich eines Todesfalles, bei dem Carstens wiederum mit der Sichtung und Ordnung der Vermögenslage der unmündigen Erbin betraut wird, entsteht aus dem Pflegschaftsverhältnis eine engere Beziehung, die letztendlich in die Ehe zwischen Carstens und der weitaus jüngeren Juliane mündet. Aus dieser Ehe geht der gemeinsame Sohn Heinrich hervor, der vor allem das liebe, aber leichtfertige und sorglose, unstete Wesen seiner Mutter geerbt hatte. Juliane stirbt indessen im Kindbett und kann somit auf die weitere Erziehung des Sohnes keinen Einfluss nehmen. Mutterstelle vertritt Carstens' Schwester Brigitte, die ein kleines Wollgeschäft für ihren Bruder führt. Heinrich wächst zusammen mit einem Mündel Carstens' auf - dessen Ziehtochter Anna. Diese ist nicht nur von berückender Schönheit, Storm zeichnet sie als liebevoll, treu und selbstlos.

Carstens versucht unentwegt, die Wege seines Sohnes in ein solides Berufsleben mit dem Ziel einer gesicherten Existenz zu ebnen. Heinrich aber setzt das Erreichte immer wieder auf's Spiel, indem er mal anvertraute Gelder beim Glücksspiel veruntreut, mal gewagte Spekulationen abschließt, die sich nach anfänglichen kleinen Erfolgen als verlustreich erweisen. Mehr als einmal muss ihn der Vater unter Hinzuziehung des eigenen Vermögens aus desolater Lage befreien.

Als wieder einmal die Geschäftslage den Sohn an den Rand des Ruins treibt, rettet ihn die Heirat mit Anna, deren nicht unerhebliches Vermögen Carstens bislang verwaltete. Dennoch behält der Alte einen Teil von Annas Guthaben in Wahrnehmung seiner Treuepflicht zur Grundsicherung seiner Schwiegertochter und des Enkelsohnes ein.

Heinrichs liederlicher und riskanter Lebenswandel führen den jungen Mann erneut in den drohenden Bankrott. Sowohl seiner Schwiegertochter als auch seinem Sohn schlägt Carstens die Herausgabe der Sicherheitsreserve ab. Daraufhin flieht Heinrich während einer tosenden Novembersturmflut offensichtlich in den Tod.

Carstens Familienhaus als auch das von Annas Geld erworbene kleine Ladengeschäft am anderen Ortsende kommen unter den Hammer und der jahrzehntelang geachtete Carstens muss mit seiner Schwiegertochter und dem Enkel in die Armeleutegegend des Ortes ziehen um dort seinen Lebensabend zu verbringen. Dort erlebt er, von einer Alterssenilität gezeichnet, umsorgt von seiner Schwiegertochter, doch noch ein bescheidenes Glück.

Dramatik und Hintergrund

Unter dem Eindruck seines in Würzburg Medizin studierenden, verbummelten und der Trunksucht verfallenen Sohnes Hans, schreibt sich der sechzigjährige Storm 1877 seinen Kummer mit unerhörter literarischer Wucht von der Seele. Dass Hans Storms Lebenswandel einen nicht unerheblichen Einfluss auf das Sujet und die Behandlung des Themas gehabt hat, belegt ein Zitat aus der Feder Storms, Hans betreffend: „Es ist keine Sorge mehr, es ist ein Entsetzen, das mir das Blut vergiftet.“ In der Schlussszene von „Carsten Curator“ beschreibt er denn auch die letzte Konfrontation des alten Vaters mit seinem Heinrich: „‚Betrunken!‘ schrie er (der Vater, Anm. Bajun)‚ du bist betrunken!‘“ Mit dieser Erkenntnis verschließt sich der Vater nunmehr völlig und wortwörtlich gegen den um Hilfe bettelnden Sohn, den er doch abgöttisch liebte.

Die Handlung arbeitet stets und zielgerichtet auf das katastrophale Ende zu, wobei Storm selbst die Natur, sowohl ihre Schönheit als auch den Aspekt ihrer zerstörerischen Gewalt illustrierend zur Hilfe nimmt. Charaktere werden teilweise deutlich überzeichnet, so der als schmierig beschriebene und aufdringliche Makler Jaspers, dem ein diabolischer Zug anhaftet. Dem gegenübergestellt werden die makellosen Figuren Carstens, Brigitte und Anna, die für absolute moralische Solidität stehen. In dieses Spannungsfeld hinein werden Juliane und ihr Sohn Heinrich gestellt, die ungefestigt immer wieder kurzsichtig und rücksichtslos ihren Vorteil suchen und in einem kindlichen Verhaltensschema begriffen jede Form von Selbstdisziplin und Verantwortungsbewusstsein ablehnen.

Die Statik der Figuren ist für den Fortgang des Dramas entscheidend. Die Gespräche zwischen den Figuren bleiben unfruchtbar und ohne Gewinn, gegenseitiges Verständnis wird nicht erreicht. Die Kommunikation findet nur dem Schein nach statt, was an den Dialogen zwischen Carstensen und Brigitte ("Carsten fühlte wohl, dass er nur mit sich selbst gesprochen habe und daß er nach wie vor alleine sei"), Carsten und Anna ("Was geht nicht, Kind?" "Das da, Ohm, das mit den vielen Talern"). Heinrichs Redebeiträge dienen ausschließlich der Verdunkelung von Sachverhalten oder der Darstellung seines momentanen Gefühlszustandes, der sich allerdings in Sekundenschnelle veränderten Bedingungen abpasst ("Nein; denn ich habe nur noch zwei Wege: entweder hier in den Brunnen oder zum Büttel ins Gefängnis." "Ich verzins' es dir, ich stelle dir einen Schuldschein aus; du sollst keinen Schaden bei mir leiden ... Mannshand oben!"). Gesprächsinitiatorin ist häufig Anna, während Carstens die Kommunikation am häufigsten beendet. Durch die eingefahrene Redesituation bleibt die geistige Entwicklung der Figuren aus, die notwendig wäre, um die Situation zu meistern.

In konservativer Sicht der Dinge beschreibt Storm den Untergang einer alten, scheinbar in sich gefestigten Welt im Austausch gegen eine schnelllebige und riskanten Geschäften zugeneigte, die Menschen einander entfremdende Epoche, wie sie mit der Industrialisierung des neunzehnten Jahrhunderts immer mehr an Präsenz gewann. Immer wieder stellt der Autor den Gegensatz zwischen der verlockenden und mit der Zusicherung von Anonymität verführenden Metropole Hamburg und der soziale Kontrolle aber auch Geborgenheit und Fürsorge verheißenden Inselidylle gegenüber. Letzten Endes lässt er die Ära der Romantik gegen das Haifischbecken des anbrechenden Frühkapitalismus scheitern und bekennt sich damit zu einer realistisch-nüchternen Beurteilung der unvermeidlichen gesellschaftlichen Entwicklung.

Das Hauptthema der romantischen Literatur, die alle Fährnisse und Herausforderungen bezwingende Liebe, wird mit Storms „Carsten Curator“ deutlich in Frage gestellt. Zwar lässt er die positiv belegten Personen Carstens und Anna nicht völlig an der Unzulänglichkeit des Heinrich Carstens scheitern, dennoch stellt sich deren unverdienter sozialer Abstieg als ein durch nichts belohnter Opfergang dar, dessen realistische Zeichnung in seiner Trostlosigkeit geradezu erschütternd wirkt.

Quellenverweis

Theodor Strom, „Carsten Curator“, Verlag von Philipp Reclam jun. Leipzig, 1919, mit einem Vorwort von Dr. Walther Herrmann

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