Heeresreform des Marius

Heeresreform des Marius
Bildnis eines Unbekannten, mit Marius identifiziert, Münchner Glyptothek (Inv. 319)

Der Begriff „Heeresreform des Marius“ oder auch „marianische Heeresreform“ fasst eine Reihe von Entwicklungen im römischen Heerwesen zusammen, die in der älteren Forschung dem römischen Feldherrn und Politiker Gaius Marius zugeschrieben wurden.

Inhaltsverzeichnis

Angebliche Reformmaßnahmen

Im Rahmen der Feldzüge gegen die Kimbern und Teutonen soll Gaius Marius der älteren Forschung zufolge die römischen Legionen grundlegend reformiert haben. Die Maßnahmen sollen im Einzelnen umfasst haben:[1]

  • die Zusammenfassung der 30 Manipel zu 10 Kohorten
  • die Vereinheitlichung der Bewaffnung der Legionäre (und damit die Abschaffung der hastati, principes und triarii)
  • die Abschaffung der velites
  • die Einführung eines neuen pilum
  • die Verbesserung der Ausbildung durch Gladiatorentrainer, Dauermärsche und Läufe
  • die Auflösung des Trosses, indem Marius die Legionäre ihr Gepäck selbst tragen ließ (daher der Spitzname muli mariani)
  • die Einführung des silbernen Legionsadlers, um den Korpsgeist der Legionäre zu stärken
  • die Abschaffung des bislang geltenden Zensus, aufgrund dessen nur Bürger mit einem gewissen Einkommen in den Legionen dienen konnten (dies fand bereits nach der ersten Wahl Marius' zum Konsul 107 v. Chr. statt)
  • die Festlegung der Dienstzeit der Legionäre auf einheitliche 16 Jahre

Mithin hätte sich das römische Heer von einer Bürgermiliz in ein Berufsheer aus Freiwilligen verwandelt.

Die Reform in der Überlieferung

Abgeleitet wurde diese Reform aus einer Reihe von Textstellen antiker Autoren:[2]

  • Sallust (bell. iug. 84) spricht davon, dass Marius Bundesgenossen anwirbt und handverlesene Männer auswählt, ohne dies als Traditionsbruch zu charakterisieren
  • Plutarch (Marius 9,1) schreibt, dass Marius entgegen dem Herkommen Besitzlose und Sklaven als Freiwillige anwirbt
  • Ebenfalls bei Plutarch (Marius 25,2ff) findet sich das neue pilum
  • Der Spitzname muli mariani findet sich bei Plutarch (Marius 13) und bei Frontinus Festus (Strat. IV 1,7). Plutarch gibt zwei mögliche Erklärungen für die Bedeutung des Spitznamens: das schwere Gepäck, das die Legionäre unter Marius zu tragen hatten oder aber dass sie gut verpflegt und gehorsam waren.
  • Die Einführung des Legionsadlers findet sich bei Plinius dem Älteren (X 4)

Maßnahmen ohne Quellenbeleg sind die Kohortenlegion, die Vereinheitlichung der Bewaffnung, die Umwandlung des Milizheeres in ein Berufsheer und die Festlegung einer einheitlichen Dienstzeit. Die verbesserte Fechtausbildung der Legionäre durch Gladiatorentrainer geht hingegen auf Publius Rutilius Rufus zurück.

Ergebnisse der neueren Forschung

Die Untersuchungen der neueren Forschungen widersprechen hingegen dem Bild von einer Reform. Die Kohorte wurde bereits seit dem 2. punischen Krieg auf dem spanischen Kriegsschauplatz eingesetzt.[3] Im Osten hielt die Kohorte erst nach der Niederlage der hellenistischen Staaten Einzug, erst Lucullus setzte sie 135 v. Chr. gegen die Skordisker ein. Offenbar waren die Kohorten im Kampf gegen wenig organisierte, „barbarische“ Gegner besser geeignet als die Manipel.[4] In Afrika schließlich verwendete Marius' Vorgänger Quintus Caecilius Metellus Numidicus sowohl Manipel als auch Kohorten.[5] Im Rahmen dieser langwierigen Umstellung von Manipeln auf Kohorten fand vermutlich auch die Vereinheitlichung der Bewaffnung statt, deren Kosten spätestens seit den Reformen der Gracchen 123-122 v. Chr. durch den Staat übernommen wurden.[6] Das von Marius eingeführte neue Modell des pilum erwies sich als fehlerhaft, zu Zeiten Caesars war es bereits durch eine Weiterentwicklung ersetzt worden.[7] Velites sind noch unter Caesar dokumentiert.[8]

Die Ausbildung der Legionäre lag zur Zeit der Republik in den Händen des jeweiligen Feldherrn. Marius konnte dabei unter anderem auch auf das Vorbild des Scipio Aemilianus zurückgreifen, unter dem er vor Numantia gedient hatte. Feste Standards in der Ausbildung wurden erst unter Augustus entwickelt.[9] Dass Soldaten ihr Gepäck selbst zu tragen hatten, war ebenfalls eine in der Antike verbreitete Maßnahme: neben den Vorbildern Philipp II. von Makedonien und Alexanders des Großen hatte auch Metellus in Afrika dies von seinen Legionären verlangt.[10] Auch den silbernen Legionsadler hatte es schon vor Marius gegeben. Marius schaffte allerdings die anderen vier Standartenmotive Wolf, Minotaurus, Pferd und Eber ab.[11]

Als die grundlegendsten Traditionsbrüche des Marius wurden die Anwerbung Besitzloser und die Aufnahme Freiwilliger in die Legionen dargestellt. Freiwillige sind jedoch schon lange zuvor dokumentiert, so etwa 200 und 198 v. Chr. im Krieg gegen Philipp V. von Makedonien. Auch Scipio Aemilianus warb unter seinen Freunden und Klienten, bevor er nach Numantia aufbrach.[12] Die einmalige Anwerbung von nur 3.000 bis 5.000 Freiwilligen vor dem Aufbruch nach Afrika 107 v. Chr. kann auch kaum als signifikanter Bruch mit dem Herkommen bei der Aushebung von Legionen gewertet werden,[13] umso mehr, als die alte Aushebungsmethode des dilectus auch weiterhin fortbestand[14] und von Marius immer wieder selbst angewendet wurde.[15] Im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. fand allerdings ein langsamer Wandel statt, der dilectus verlor an Bedeutung, während die Zahl der Freiwilligen zunahm.[16]

Während des 3. und 2. Jahrhunderts v. Chr. hatte offenbar bereits eine Absenkung des Mindestvermögens für den Militärdienst stattgefunden. Von ursprünglich 11.000 Assen während des 2. punischen Kriegs auf 4.000 Asse und schließlich vermutlich 129 v. Chr. auf 1.500 abgesenkt,[17] bedeutete dies nichts weniger, als dass schließlich praktisch jeder, der eine Hütte besaß, in den Legionen dienen konnte.[18] So fand während des 2. Jahrhunderts eine schleichende Proletarisierung der Legionen statt.[19] Auch die explizite Anwerbung Besitzloser fand ihre Beispiele in der römischen Geschichte, zumeist in Notsituationen während des 2. punischen Krieges.[20]

Die Bedingungen, unter denen der Dienst in den Legionen stattfand, blieben auch unter Marius unverändert. Der Sold blieb gleich (112,5 Denare pro Jahr),[21] die Dienstzeit betrug maximal 16 Jahre, wobei der Legionär beim Eintritt in die Armee keineswegs wusste, ob er diese tatsächlich abzuleisten haben würde. Eingestellt und entlassen wurde nach Bedarf.[22]

Fazit

Marius hat also keine Reform des römischen Heeres durchgeführt. Die ihm zugeschriebenen Veränderungen waren vielmehr Ergebnis eines langfristigen Prozesses. Marius schuf jedoch einen Präzedenzfall auf ganz anderer Ebene. Offenbar hatte er den Freiwilligen von 107 v. Chr. zu ihrer Entlassung ein Stück Land versprochen.[23] Diesem Beispiel scheinen auch spätere Feldherren immer wieder gefolgt zu sein, so dass die Legionäre daraus bald einen Anspruch auf ein Stück Land bei ihrer Entlassung ableiteten, auch wenn dies keineswegs zutreffend war.[24] Die Auseinandersetzungen zwischen Feldherren und Senat trugen schließlich zum Untergang der Republik bei.

Literatur

  • Heribert Aigner: Gedanken zur sogenannten Heeresreform des Marius. In: Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft. 18, 1974, ZDB-ID 507453-8, S. 11–23.
  • M. J. V. Bell: Tactical Reform in the Roman Republican Army. In: Historia. 14, 1968, S. 404–422.
  • P. A. Brunt: The fall of the Roman Republic and related essays. Clarendon Press, Oxford 1988, ISBN 0-19-814849-6.
  • Richard J. Evans: Gaius Marius. A Political Biography. University of South Africa, Pretoria 1994, ISBN 0-86981-850-3 (Hiddingh-Currie 4).
  • Emilio Gabba: Republican Rome, the Army and the Allies. University of California Press, Berkeley CA u. a. 1976, ISBN 0-520-03259-4.
  • Kate Gilliver: Auf dem Weg zum Imperium. Eine Geschichte der römischen Armee. Theiss, Stuttgart 2003, ISBN 3-8062-1761-0.
  • Adrian Goldsworthy: The Roman Army at War. 100 BC – AD 200. Clarendon Press, Oxford u. a. 1996, ISBN 0-19-815057-1 (Oxford Classical Monographs).
  • Lawrence Keppie: The making of the Roman Army. From Republic to Empire. University of Oklahoma Press, Norman OK 1998, ISBN 0-8061-3014-8.
  • Bernhard Linke: Die römische Republik von den Gracchen bis Sulla. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005, ISBN 3-534-15498-3 (Geschichte kompakt – Antike).
  • Martin Miller: The professionalization of the Roman Army in the Second Century B.C. Loyola University of Chicago, Chicago IL 1984 (Dissertation).
  • J. W. Rich: The Supposed Roman Manpower Shortage of the Later Second Century B.C. In: Historia. 32, 1983, S. 287-331, online (PDF; 1,88 MB).
  • Michael M. Sage: The Roman Republican Army. A Sourcebook. Routledge, New York NY u. a. 2008, ISBN 978-0-415-17880-8.
  • Richard E. Smith: Service in the Post-Marian Roman Army. Manchester University Press, Manchester 1958 (Publications of the Faculty of Arts of the University of Manchester 9, ZDB-ID 1490743-4).
  • George R. Watson: The Pay of the Roman Army. In: Historia. 7, 1958, S. 113–120.

Einzelnachweise

  1. Diese Darstellung folgt im Wesentlichen Goldsworthy und Linke.
  2. Dieser Punkt basiert auf Aigner (1974): S. 11-16.
  3. Livius XXV,39,I und Frontinus II,6,II nennen als Urheber Lucius Marcius, der Manipel erstmals 210 v. Chr. zu Kohorten zusammengefasst habe. Bei Polybios II,23,I und II,33,I findet sich der Einsatz von Kohorten in den Schlachten von Ilpia und am Ebro 206 v. Chr.. Für die Dokumentation weiterer Einsätze vergleiche Bell (1965).
  4. Bell (1964): 410-416.
  5. Sallust bell. iug. 49,2, 49,6 und 51,3. Dazu auch Bell (1964): 415f und Sage (2008): 200.
  6. Gabba (1976): 11 und Gilliver (2003): 24f.
  7. Aigner (1974): 12f.
  8. Bell (1964): 421.
  9. Sage (2008): 229 und Keppie (1998): 47.
  10. Keppie (1998): 66.
  11. Aigner (1974): 13 und Keppie (1998): 67.
  12. Gabba (1976): 11, Keppie (1998): 31, Miller (1984): 138-141 und Smith (1958): 5.
  13. Rich (1983): 324.
  14. Brunt (1988): 255, Gabba (1976): 15, Keppie (1998): 77 und Smith (1958): 44f.
  15. Evans (1994): 82 und 118 sowie Rich (1983): 327.
  16. Smith (1958): 46.
  17. Gabba (1976): 6. Rich weist allerdings darauf hin, dass kein antiker Autor diese Vorgänge beschrieben hat und dass die „Absenkungen“ nur ein Erklärungsversuch der modernen Forschung sind, die divergierenden Zahlen verschiedener Autoren miteinander in Einklang zu bringen. Rich (1983): 305-314. Livius I,43 nennt 11.000 Asse, Polybios VI,19,3 4000 und Cicero Rep. II,22 1500.
  18. Brunt (1988): 16 und Rich (1983): 298. Miller rechnet das bei Eintritt in die Legion ausgezahlte stipendium mit ein, wonach jeder dienen konnte. Miller (1984): 21f.
  19. Gabba (1976): 4.
  20. Miller (1984): 13. Miller hält es auch für möglich, dass bereits während des 1. punischen Krieges Proletarier gemustert wurden. Miller (1984): 91.
  21. Watson (1958): 117.
  22. Brunt (1988): 256.
  23. Evans (1994): 117f. Vermutlich wurde das Versprechen gegeben, um die Veteranen des Afrikakrieges nach dessen Ende in den Legionen zu halten. Bei der Entlassung des Heeres nach dem Krieg gegen Jugurtha fand keine Landverteilung statt.
  24. Keppie (1998): 63.

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