Johann Wilhelm von Tscharner

Johann Wilhelm von Tscharner

Johann Wilhelm von Tscharner (* 12. Mai 1886 in Lemberg; † 20. Juni 1946 in Zürich) war ein Schweizer Maler.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Kindheit und Jugend

Der Grossvater von Johann Wilhelm von Tscharner wanderte im 19. Jahrhundert. aus dem Kanton Graubünden nach Russland aus und kam dort zu Wohlstand. Die Verbindung der Familie zur Schweiz brach jedoch nie ab. Der Vater von Johann Wilhelm pendelte zwischen Zamość in Russland und der Schweiz.[1] Die meiste Zeit hielten er und seine Frau sich in Rorschach auf. Geboren wurde Johann Wilhelm jedoch nicht in der Schweiz, sondern in Lemberg in Österreich-Ungarn, weil seine Mutter für die Geburt ihres ersten Kindes dahin zu ihren Eltern reiste.[2] In Rorschach und St. Gallen besuchte Johann Wilhelm von Tscharner die Primarschule. 1897 kam der junge von Tscharner an ein Gymnasium nach Russland. Auch nachdem er dort die russische Sprache perfekt erlernt hatte, fühlte er sich nie recht heimisch in Russland.[3] In der Zeit am Gymnasium erhielt Tscharner zum ersten Mal Unterricht im Zeichnen und Malen.[4]

Krakau, München und Paris

Nach Abschluss des Gymnasiums schrieb sich von Tscharner 1904 an der Universität Krakau zum Philosophiestudium ein und besuchte gleichzeitig die dortige Kunsthochschule. 1905–1906 waren seine Lehrer Florian Cynk und Teodor Axentowicz. Ein Jahr später gab er trotz grossem Interesse das Philosophiestudium auf und zog nach München. Dort trat er in die Schule des ungarischen Malers Simon Hollósy ein. Mit der Hollósy-Schule fuhr er jeweils im Sommer zum Üben der Landschaftsmalerei nach Ungarn.[5] Im ungarischen Dorf Nagybánya lernte er Ilona Spiegelhalter (1889–1972) kennen, die den heissen Sommer mit ihrer Familie in einem kleinen Ferienhaus verbrachte und ebenfalls die Hollòsy-Schule besuchte.[6] Im darauf folgenden Herbst 1908 heirateten sie. Zwischen 1910 bis 1930 bekamen sie drei Töchter und einen Sohn.[7] Das Paar unternahm bis zum Ausbruch des ersten Weltkriegs zahlreiche Reisen. Die Sommer verbrachten sie bei den Schwiegereltern in Nagybánya und Felsőbánya oder bei von Tscharners Mutter in Russland. Im Winter waren sie meist in Paris. Dort besuchte Tscharner die Akademie von Henri Matisse.[8]

Rückkehr in die Schweiz und Krise

Der erste Weltkrieg veränderte schlagartig das Leben der Familie von Tscharner. Die landwirtschaftlichen Besitzungen und das Familienvermögen gingen verloren.[9] Bei Ausbruch des ersten Weltkrieges kehrte von Tscharner von Russland, wo er sich gerade befand, zurück in die Schweiz. Dort liess er sich für kurze Zeit in Genf und im Tessin nieder. 1916 zog er nach Zürich, wo die Familie in Armut lebte.[10]

Neubeginn, Dada Ausstellung und erste Erfolge

Der Galerist Han Coray half der Familie anfangs über die Runden, indem er statt des Mietzinses Bilder annahm. In der Galerie Corray konnte Tscharner 1917 zuerst auch seine Bilder ausstellen. Unter anderem nahm er an der ersten Dada-Ausstellung teil, die in der Galerie Corray 1917 stattfand und stellte dort auch aus, als die Galerie Corray von Tristan Tzara und Hugo Ball übernommen und in Galerie Dada umbenannt wurde.[11] Von da an waren Tscharners Werke regelmässig an Ausstellungen im In- und Ausland vertreten und wurden in der Kunstszene anerkannt.[12] Zum Durchbruch trugen auch die Würdigungen der Kunsthistoriker Max Raphael (1921)[13] und Erwin Poeschel (1924)[14] bei.

Freundeskreis

In den 1920er Jahren pflegte von Tscharner intensiven Kontakt zu den Zürcher Künstlern. Aus dem Kreis der Dadaisten waren dies vor allen Otto van Rees und Hans Arp. Zu den Freunden von Tscharners gehörten auch Walter Helbig und Ernst Morgenthaler, die ihn porträtierten sowie Hermann Haller und Karl Geiser, die beide eine Büste von ihm schufen. Auch mit dem Bildhauer Hermann Hubacher und dem Schriftsteller Hermann Hesse[15] pflegte von Tscharner engen Kontakt. In den 1930er Jahren befand von Tscharner sich wieder vermehrt auf Reisen, besonders nach Paris, wohin er zum Teil im Auftrag des Kunstsammlers Marcel Fleischmann fuhr. In dieser Zeit erschienen erste Monographien über von Tscharner.[16]

Zweiter Weltkrieg und Tod

Der Zweite Weltkrieg beendete erneut die Reisetätigkeit und von Tscharner litt zunehmend an Depressionen.[17]Seine Bilder wurden düsterer. 1942 erhielt er den Schweizer Preis für Malerei für sein Bild Gewitterstimmung. Am 20. Juni 1946 starb Johann von Tscharner in Zürich. Er wurde beigesetzt im Familiengrab in Rothenbrunnen, seinem Bürgerort.

Werk

Von Tscharner malte vorwiegend Stillleben, Familienbilder und Landschaften. Sein Frühwerk ist geprägt von den Eindrücken seiner zahlreichen Reisen.[18] In den Werken dieser Zeit setzte er sich mit Cézanne und den französischen Kubisten auseinander.[19]

Ab etwa 1917 beginnt sich Tscharner auf die traditionelle Kunst zurückzubesinnen. Inspiration findet er bei den Werken von Jean-Baptiste Siméon Chardin (1699–1779). Die Werke aus dieser Zeit sind geprägt von der Suche nach dem perfektem Gleichgewicht von Form und Farbe. Er malt in gedämpften Farben. Die Personen auf den dunkeltonigen Porträts erscheinen in einem Dämmerlicht, wie durch einen Schleier. In den Stillleben malt von Tscharner Früchte, Bücher, Krüge und Gegenstände des alltäglichen Lebens und vor allem Brot.[20]

Ab 1930 entsteht ein neuer Bildtypus in von Tscharners Werken. Statt Gegenstände auf Tischen, tauchen nun ganze Interieurs mit Staffelei auf. Seine Palette hellt sich auf, die Bilder bleiben aber eher in gedämpften Farben.[21]

Ab 1935 wendet sich von Tscharner wieder dem Motiv des Tischs und den darauf befindlichen Gegenständen zu. Sein Pinselstrich gewinnt zunehmend an Eigenleben und ist nicht mehr so glatt und trocken wie in den früheren Bildern.[22]

Öffentlich zugängliche Werke

  • Bündner Kunstmuseum, Chur
  • Kunstmuseum Glarus
  • Kunstmuseum Winterthur
  • Kunsthaus Zürich
  • Versicherungsgesellschaft, Basel
  • Museum der Werner-Coninx-Stiftung, Zürich

Ausstellungen (Auswahl)

Ein vollständiger Nachweis aller Ausstellungen von Johann von Tscharner bis 1986 findet sich in Meier, Johann von Tscharner, 1986.

  • Zürich, Galerie Corray: Erste Dada-Ausstellung 1917
  • Zürich, Galerie Dada 1917
  • Chur, Villa Planta, Bündner Kunstverein, (Einzelausstellung) 1923
  • Zürich, Galerie Neupert (Einzelausstellung) 1945
  • Zürich, Kunsthaus (Einzelausstellung) 1957
  • Chur, Bündner Kunsthaus (Einzelausstellung) 1957
  • Zürich, Galerie Obere Zäune (50 Bilder aus der Sammlung M. Fleischmann) 1964.
  • Zürich, Kunstsalon Wolfsberg (Gedächtnisausstellung zum 100. Geburtstag) 1986

Auszeichnungen

  • Schweizer Preis für Malerei (1942)

Literatur

Eine nahezu vollständige Bibliographie der Literatur zu Johann von Tscharner bis 1986 findet sich in Meier (1986).

  • Charensol, Georges: Jean de Tscharner. Editions Le Triangle, Paris 1932.
  • Jedlicka, Gotthard: Johann von Tscharner. Niehans Verlag, Zürich 1936.
  • Jedlicka, Gotthard: Johann von Tscharner 1886–1946. Kunsthaus Zürich, Zürich 1957. Zürich 1947.
  • Meier, Irene: Johann von Tscharner: Eine Monographie. Werner Classen, Zürich 1986.
  • Morlang, Werner: Versuch über Tscharner. In: Der literarische Blick. Limmat-Verlag. Zürich 2008.

Lexikoneinträge

  • Busse, Jacques (Hrsg.): Dictionnaire critique et documentaire des peintres, sculpteurs, dessinateurs et graveurs de tous les temps et de tous les pays par un groupe d'écrivains spécialistes français et étrangers. Gründ, Paris 1999.
  • Biografisches Lexikon der Schweizer Kunst. Dictionnaire biographique de l'art suisse. Dizionario biografico dell'arte svizzera. Neue Zürcher Zeitung, Zürich/Lausanne; 1998.
  • Turner, Jane (Hrsg.): The Dictionary of Art. Grove, New York 1996.
  • Künstlerlexikon der Schweiz. XX. Jahrhundert. Huber, Frauenfeld 1958 ff.
  • Hans Vollmer (Hrsg.): Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler des XX. Jahrhunderts. Seemann, Leipzig 1953–1962.
  • Brun, Carl (Hrsg.): Schweizerisches Künstler-Lexikon. Huber, Frauenfeld 1905 ff.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Meier (1986), S. 14.
  2. Jedlicka (1957), S. 6.
  3. Jedlicka (1957), S. 6.
  4. Jedlicka (1957), S. 7.
  5. Jedlicka (1957), S. 7.
  6. Sie signierte ihre Bilder mit Jlonay.
  7. Meier (1986), S. 20.
  8. Meier (1986), S. 17.
  9. Meier (1986), S. 17.
  10. Meier (1986), S. 17.
  11. Vgl. ganzer Abschnitt: Meier (1986), S. 19.
  12. Meier (1986), S. 19.
  13. Raphael, Max: Johann von Tscharner. In: Schweizerland. Zürich, Juni 1920, S. 415 ff. / Raphael, Max: Wiegele und Tscharner. In: Das Kunstblatt. Potsdam-Berlin, Sept. 1920, S. 264 ff. / Raphael, Max: Idee und Gestalt. Ein Führer zum Wesen der Kunst. München, 1921, S. 41 ff. / Raphael, Max: Über Johann von Tscharner. In: Jahrbuch der jungen Kunst. Leipzig 1923. S. 293 ff.
  14. Poeschel, Erwin: Johann von Tscharner. In: Das Werk. Feb. 1924, S. 54 ff. / Poeschel, Erwin: Der Maler Johann von Tscharner. In: Das ideale Heim. Zürich Dez. 1930 S. 536 ff.
  15. Hermann Hesse widmete ihm das Gedicht Schmerzen (1933). Meier (1986), S. 25.
  16. Georges Charensol: Jean de Tscharner. 1932. / Jedlicka, Gotthard: Johann von Tscharner. Monographie. 1936.
  17. Meier (1986), S. 24 f.
  18. Meier (1986), S. 49.
  19. Meier (1986), S.49–51, S. 73.
  20. Meier (1986), S. 51–54.
  21. Meier (1986), S. 53.
  22. Meier (1986), S. 53.

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