Kaltstart (Buch)

Kaltstart (Buch)

Kaltstart ist eine als Buch herausgegebene wissenschaftliche Publikation von Hans-Werner Sinn und Gerlinde Sinn, die erstmals 1991 im Mohr Siebeck Verlag erschien. Die beiden Volkswirte analysieren in diesem Werk die volkswirtschaftlichen Aspekte der deutschen deutschen Wiedervereinigung. Die nicht nur für Ökonomen verfasste Publikation erhielt ein umfangreiches Echo in Politik und Medien und gilt als eine der umfassendsten Analysen zu den ökonomischen Konsequenzen der Systemtransformation in Ostdeutschland. Überarbeitete Auflagen des Buches erschienen 1992 und 1993.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Die Autoren wenden das gesellschaftliche Analysesystem von Marx auf den Zusammenbruch der DDR an und konstatieren, dass die Krise der „materiellen ökonomischen Basis“ eine Erneuerung des „ideologischen Überbaus“ notwendig gemacht habe. In dem Moment, in dem das kommunistisch-planwirtschaftliche System diese Basis für eine arbeitsteilige Industriegesellschaft nicht mehr gewährleisten konnte, habe das marktwirtschaftlich-kapitalistische System an seine Stelle treten müssen. Der Marxismus habe sich durch seine Abschaffung selbst bestätigt. Außerdem habe der marxistische Geschichtsfatalismus der Eliten in den Ostblockländern die Revolution erleichtert: die Kenntnis über den Verlauf revolutionärer Prozesse habe dort die Einsicht entstehen lassen, sich dem Gang der Geschichte nicht entgegenzustellen.[1]

Die Autoren analysieren den wirtschaftlichen Zusammenbruch der ehemaligen DDR-Wirtschaft und stufen ihn mit einem Einbruch der Industrieproduktion von zwei Dritteln als „beispiellos in der neueren Wirtschaftsgeschichte“ ein. Diese derart ausgeprägte und rapide Depression übertreffe selbst die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise. Die Entwicklung in der DDR sei wesentlich gravierender verlaufen als in den anderen ehemaligen RGW-Staaten. Das Ehepaar Sinn führt die extreme Unterauslastung der ostdeutschen Wirtschaft, die zu Arbeitslosenquoten von bis zu einem Drittel führten, auf verschiedene Fehler der Wirtschaftspolitik zurück. Im Gegensatz zu anderen Ökonomen machen sie weniger einen zu hohen Umtauschkurs bei der Währungsreform für die Krise verantwortlich, sondern die Politik der schnellen Lohnangleichung von Staat und Gewerkschaften sowie die mangelnde Klärung von Eigentumsrechten.

Bei der Privatisierung der ehemaligen Staatsbetriebe, die unabdingbare Voraussetzung für den Aufbau einer funktionsfähigen Marktwirtschaft sei, seien schwere Fehler gemacht worden. Die Autoren identifizieren neben den zu hohen Lohnstückkosten die Naturalrestitution als größte Bremse für die Privatisierung der Betriebe. Die auf Betreiben der FDP in den Einigungsvertrag aufgenommene Bestimmung, nach der von der DDR enteignete Vermögensobjekte den Altbesitzern zurückgegeben werden sollten, führe zu ungeklärten Eigentumsrechten und folglich zu einer Verhinderung von Investitionen. Da Altbesitzer eine Restitutionsklage erheben konnten und von diesem Recht in großer Zahl Gebrauch gemacht wurde, seien die Gerichte überlastet und die Verfahren zögen sich über mehrere Jahre hin. Die rückgängig zu machenden Enteignungen betrafen etwa 300.000 Grundstücke und etwa 20.000 Unternehmen, für die etwa zwei Millionen Rückerstattungsanträge gestellt wurden, davon für Unternehmen 11.200.[2]

Die fehlenden Grundbücher sowie die mangelnde Kompetenz der Erben vor langer Zeit enteigneter Unternehmensbesitzer, einen Betrieb zu führen, seien weitere gewichtige Hürden für die Privatisierung. Die Autoren plädieren für einen Vorrang der Entschädigung der Alteigentümer vor der Restitution der Objekte. Darüber hinaus solle die Treuhandanstalt Restbeteiligungen an den Unternehmen behalten, um einen Preisverfall am Markt für Unternehmen zu vermeiden, der durch die Überlastung des westdeutschen Kapitalmarkts entstünde. Außerdem sollten Unternehmensbeteiligungen zur Verteilung an die ostdeutsche Bevölkerung zur Verfügung stehen.

Rezeption

Wolfram Engels, Herausgeber der Wirtschaftswoche, bezeichnete Kaltstart als die „einzig gründliche Analyse.“ Bundespräsident Richard von Weizsäcker veranlasste das Buch, mit den Autoren ein Gespräch über die Probleme bei der Wiedervereinigung zu führen. Peter Bofinger, der Sinns wirtschaftswissenschaftliche Standpunkte äußerst kritisch sieht, beschreibt es in seinem Buch Wir sind besser als wir glauben als „sehr informativ“ bei der Beschreibung des Politikfehlers, in Ostdeutschland das Kapital anstelle von Arbeit massiv zu subventionieren.

Nachweise

  1. Kaltstart, 1993, S. 1–7
  2. Kaltstart, 1993, S. 102

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужно решить контрольную?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Kaltstart (Begriffsklärung) — Kaltstart steht für: das Starten eines nicht vorgewärmten Verbrennungsmotors. in der Maschinentechnik, das Hochfahren eines Computers siehe Reset. den Start von Raketen ohne laufendes Triebwerk ein Buch von Hans Werner Sinn und Gerlinde Sinn zu… …   Deutsch Wikipedia

  • Hans-Werner Sinn — (2008) Hans Werner Sinn (* 7. März 1948 in Brake, Westfalen) ist ein deutscher Ökonom und Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung. Er hat mehrere Sachbücher zu wirtschaftspolitischen Fragestellungen verfasst …   Deutsch Wikipedia

  • Rene Harder — René Harder (* 23. Dezember 1971 in Konstanz) ist ein deutscher Regisseur, Autor, Schauspieler und Professor für Schauspiel. Als freischaffender Künstler pendelt er zwischen (den Theatern von) Hamburg und Görlitz, seit April 2008 ist er als… …   Deutsch Wikipedia

  • René Harder — (* 23. Dezember 1971 in Konstanz) ist ein deutscher Regisseur, Autor, Schauspieler und Professor für Schauspiel. Als freischaffender Künstler pendelt er zwischen (den Theatern von) Hamburg und Görlitz, seit April 2008 ist er als Dozent an der… …   Deutsch Wikipedia

  • BMW M88/3 — Der BMW M88 ist eine Motorenbaureihe des deutschen Kraftfahrzeugherstellers BMW. Es handelt sich dabei um einen DOHC Reihen Sechszylinder Ottomotor in Vierventiltechnik mit Benzineinspritzung. Die zwei oben liegenden Nockenwellen werden über eine …   Deutsch Wikipedia

  • Elsbettmotor — Elsbett 3 Zylinder Reihenmotor Ein Elsbett Motor ist ein Vielstoff Hubkolbenmotor, der nach dem Dieselprinzip arbeitet. Das charakteristische Merkmal ist der optimierte Verbrennungsprozess der im Kolbenraum rotierenden Verbrennungsluft mit dem… …   Deutsch Wikipedia

  • Pflanzenölmotor — Elsbett 3 Zylinder Reihenmotor Ein Elsbett Motor ist ein Vielstoff Hubkolbenmotor, der nach dem Dieselprinzip arbeitet. Das charakteristische Merkmal ist der optimierte Verbrennungsprozess der im Kolbenraum rotierenden Verbrennungsluft mit dem… …   Deutsch Wikipedia

  • Psion — Serie 5 mx pro mit EPOC Release 5 Das britische Unternehmen Psion Plc. [ˈsaɪən] war in den 1990er Jahren einer der führenden Hersteller von Electronic Organizern und zählt zu den Miterfindern dieser Geräteklasse. Modelle nachfolgend dem Modell …   Deutsch Wikipedia

  • Treuhandanstalt — Haus der Elektroindustrie, der Hauptsitz der Treuhandanstalt am Berliner Alexanderplatz Die Treuhandanstalt (THA, auch kurz „Treuhand“) war eine in der Spätphase der DDR gegründete bundesunmittelbare Anstalt des öffentlichen Rechts in Deutschland …   Deutsch Wikipedia

  • Hans-Werner Sinn — Infobox Economist school tradition = Neoclassical economics color = #B0C4DE image caption = name = Hans Werner Sinn birth = birth date and age|1948|3|7 Brake, Westphalia death = nationality = flag|Germany field = Economics influences = opposed =… …   Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”