Kriegsrecht in Polen 1981–1983

Kriegsrecht in Polen 1981–1983
Panzer auf den Straßen während des Kriegsrechts

Die Periode des Kriegsrechts in Polen 1981–1983 (poln. Stan Wojenny, Kriegszustand, Kriegsrecht) gilt als gewalttätiger Höhepunkt der Unruhen in der Volksrepublik Polen der späten 1970er und frühen 1980er Jahre, die größtenteils vom Aufbegehren der freien Gewerkschaftsbewegung Solidarność (pln. für Solidarität) und ihrer zahlreichen Mitglieder ausgingen, bei denen es um politische Forderungen und soziale Reformen ging.

Inhaltsverzeichnis

Vorausgehende Ereignisse

Bereits Anfang und vor allem Ende der 1970er Jahre war es in der Volksrepublik Polen zu ernsthaften Streiks und Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern bzw. der Bevölkerung und den kommunistischen Machthabern gekommen, siehe u.a. März-Unruhen 1968 in Polen und August-Streiks 1980 in Polen. Vor allem die immer schlechter werdende wirtschaftliche und soziale Lage des Landes hatte zu einem enormen Unmut in der Bevölkerung geführt. Auf dem vierten Plenum des Zentralkomitees der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (poln. kurz PZPR) vom 16. bis 18. Oktober 1981 wurde daraufhin der als gemäßigt geltende Parteichef Stanisław Kania durch den als Hardliner bekannten Verteidigungsminister General Wojciech Jaruzelski ersetzt. Ziel war es, so die immer größer werdenden Forderungen der stark anwachsenden Gewerkschaftsbewegung Solidarność, an deren Spitze Personen wie Lech Wałęsa, Anna Walentynowicz oder Tadeusz Mazowiecki standen, einzudämmen. Etwaige militärische Vorbereitungen für einen entscheidenden Schlag gegen die Opposition waren zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen.

Ausrufung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981

Trotz der Bereitschaft der Solidarność zu Kompromissen übernahmen in der Nacht vom 12. auf den 13. Dezember 1981 Militär und Sicherheitsorgane, wie die sog. Bürgermiliz (poln. Milicja Obywatelska) oder die ZOMO, die Macht in Polen. Am Sonntag, den 13. Dezember 1981 um 6.00 morgens trat General Jaruzelski im polnischen Fernsehen auf. Er verkündete, dass der Armeerat der Nationalen Errettung (poln. Wojskowa Rada Ocalenia Narodowego, kurz WRON) geformt und der Ausnahmezustand ausgerufen seien. Der Armeerat bestand aus 15 Generälen, einem Admiral und 5 Obersten, darunter Florian Siwicki, Michał Janiszewski, Czesław Kiszczak und Jaruzelski selbst. Die damalige polnische Verfassung sah die Bildung eines solchen Organs nicht vor, trotzdem wurden die Entstehung und sämtliche Anordnungen des Armeerates durch Mitglieder des Staatsrates (poln. Rada Państwa) bestätigt.

Wichtige Einrichtungen, wie Behörden und der Rundfunk, wurden von Militärs besetzt. Die Operation „Jodła“ (die Aktion der Internierungen) begann bereits am 12. Dezember nach 23:00 Uhr. In der ersten Nacht wurden über 3000 Menschen interniert, unter ihnen fast alle Mitglieder der Landeskommission der Solidarność. Nur einzelnen Mitgliedern, wie etwa Zbigniew Bujak, Władysław Frasyniuk, Bogdan Lis oder Mieczysław Gil, gelang es zu entkommen.[1] Unter den Internierten befanden sich ebenfalls einige frühere kommunistische Funktionäre, wie Edward Gierek, Piotr Jaroszewicz, Jerzy Lukaszewicz und Tadeusz Wrzaszczyk, die – so Jaruzelski in seiner Verkündung – während der 1970er Jahre das Land in eine tiefe Krise geführt hatten.

Jaruzelski rechtfertigt bis heute diese Schritte mit einer angeblichen unmittelbaren Gefahr des Einmarsches der Sowjetarmee, doch gibt es für diese kaum Beweise, vielmehr sprach zum damaligen Zeitpunkt manches gegen eine solche Option des Kreml[2]. Die Solidarność selbst wurde am 8. Oktober 1982 verboten, arbeitete aber ab dem Zeitpunkt im Untergrund und über das Ausland weiter.

Zustände während des Kriegsrechts

Lebensmittelkarte während der Rationierung im Rahmen des Kriegsrechts

Die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei, deren Tätigkeit ebenfalls während des Kriegsrechts kurzfristig suspendiert worden war, besaß kein Konzept zur inneren Erneuerung des Landes. Im gesamten Land herrschten Sonderregelungen, eine Ausgangssperre ab 22:00 Uhr, enorme Polizeikontrollen an wichtigen Verkehrsknotenpunkten und Panzerpräsenz in den Zentren der Großstädte. Selbst die Fernsehmoderation übernahmen Uniformierte.

Die innerstädtischen Telefonverbindungen in den Großstädten wurden nach Verhängung des Kriegsrechts für 29 Tage vollständig abgeschaltet.[3] Später wurden in allen Fernmeldeämtern automatische Ansagen geschaltet, die jeden Benutzer im Minutentakt mit der Durchsage "Dieses Gespräch wird abgehört" informierten. Auch wenn nicht wirklich jedes Gespräch abgehört wurde, so diente dieses Vorgehen doch der Einschüchterung.

Auch die Machthaber hatten allerdings mit Problemen zu kämpfen. Interne Machtkämpfe zwischen sogenannten „Falken“ und „Tauben“ innerhalb der kommunistischen Führung, deren Höhepunkt die Ermordung des oppositionellen Priesters Jerzy Popiełuszko durch Angehörige des Sicherheitsapparates (der Służba Bezpieczeństwa) war. Gegen Ende des Ausnahmezustandes versuchte man Wege der Verständigung mit den gesellschaftlichen Kräften, die nicht zur Solidarność gehörten, zu finden. Im wirtschaftlichen Sektor begann man mit zaghaften Reformen, deren Erfolge aber zu wünschen übrig ließen. Am 22. Juli 1983 hob die Regierung offiziell das Kriegsrecht auf.

Nach dem Ende des Kriegsrechts

Nach Beendigung des Kriegsrechts und vor dem Einzug der politischen Wende 1989 wurde die Solidarność wieder zugelassen und die inhaftierten Oppositionellen freigelassen. General Jaruzelski blieb noch bis 1990 offiziell als Staatspräsident im Amt, bis nach den ersten freien Präsidentschaftswahlen Wahlsieger Lech Wałęsa seine Nachfolge antrat. Der Intellektuelle und liberale Politiker Tadeusz Mazowiecki wurde bereits ein Jahr zuvor bei ersten teilweise freien Parlamentswahlen zusammen mit der späteren Partei Unia Wolności (dt. Freiheitsunion) neuer Regierungschef und damit Polens erster frei gewählter Ministerpräsident nach 1939.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. KRIEGSZUSTAND IN POLEN – 1981 DIE INTERNIERUNGSLAGER 1981–1982.
  2. Protokoll der Sitzung des Politbüros 10.Dezember 1981 (in Russisch)
  3. [1] Hamburger Abendblatt vom 11. Januar 1982

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