Medien-Priming

Medien-Priming

Medien-Priming bezeichnet einen Prozess, bei dem durch medial vermittelte Information Wissenseinheiten - darunter auch Erinnerungen, Vorwissen, Voreinstellungen - aktiviert werden, um sich später eine Meinung zu bilden oder Entscheidungen zu treffen.

Inhaltsverzeichnis

Priming als Erweiterung des Agenda Setting-Ansatzes.

Die Medienwirkungsforschung öffnete sich in den 70er und 80er Jahren unter dem Einfluss kognitiver Ansatzpunkte der Sozialpsychologie den Rezipientenmerkmalen.[1] Der bereits vorhandene und empirisch breit aufgestellte Agenda-Setting-Ansatz reichte allerdings für die Illustration des medialen Einflusses auf bestimmte Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster bei den Rezipienten nicht aus. Das Medienpriming kann als eine Erweiterung des Agenda-Setting-Ansatzes angesehen werden und versucht, kognitive Medienwirkungen auf Basis des Agenda-Settings vor einem sozialpsychologischen Verständnishintergrund zu erklären. Schenk begreift das Priming als Aktivierungsprozess externer Stimuli:

„Fasst man das menschliche Gedächtnis als ein assoziatives Netzwerk auf, in welchem Ideen, Konzepte etc. als Knoten des Netzwerkes gespeichert und mit anderen solchen Ideen über semantische Pfade verknüpft sind, dann kann Priming als Aktivierung solcher Knoten durch externe Stimuli verstanden werden.“

Michael Schenk: "Medienwirkungsforschung", 2007[1]

Die Agenda-Setting-Hypothese geht davon aus, dass die Massenmedien über die Auswahl und Gewichtung der Themen, über die sie berichten, Einfluss darauf haben, worüber die Zuschauer nachdenken und welche Themen ihnen wichtig sind. Sie besagt, dass das Publikum die Themenagenda der Medien übernimmt.[2] Der Effekt konnte zuverlässig nachgewiesen werden.[3]

Studien zum Medienpriming gehen nun von der gleichen unabhängigen Variablen aus. Voraussetzung für die Untersuchungen ist wieder die Bestimmung der Medienagenda. Abhängige Variable ist nun aber nicht mehr die Publikumsagenda, sondern das Bewertungsmuster, nach dem Zuschauer (zumeist) Politiker beurteilen. Der Priming-Ansatz geht davon aus, dass Zuschauer bei der Beurteilung von Politikern auf Kriterien zurückgreifen, die von den Medien, genauer: von der Medienagenda vorgegeben werden:

„By calling attention to some matters while ignoring others, television news influences the standards by which governments, presidents, policies, and candidates for public office are judged.“

Iyengar & Kinder: "News that matters: television and American opinion. American politics and political economy.", 1987[4]

Medienpriming möchte damit nicht kognitive Medienwirkungen im Bereich des Wissens erklären, wie der Agenda-Setting-Ansatz, sondern vielmehr Einstellungen und daraus resultierend mögliches Verhalten der Zuschauer, wie zum Beispiel Wahlentscheidungen.

Psychologischer Ansatz des Medienprimings

In einer allgemeineren Form ist der Priming-Effekt in der Psychologie schon seit Anfang der 70er Jahre bekannt (vgl. Roskos-Ewoldsen et al., 2009[5]). Er gründet auf einem Netzmodell des Gedächtnisses: Wissenseinheiten werden nach diesem Modell als Knoten in einem Netzwerk verstanden, die untereinander über associative pathways vernetzt sind. Beim Priming wird ein solcher Knoten durch einen Reiz stärker aktiviert, und mit ihm auch die nächstverbundenen Wissenseinheiten (spreaded activation). Ein höheres Aktivierungsniveau steht für eine größere kognitive Zugänglichkeit der Wissenseinheit. Die Aktivierung lässt mit der Zeit wieder nach.[5] Bezogen auf Medienpriming bedeutet das, dass Nachrichtenbeiträge zu einem bestimmten Politikfeld die Zuschauer für dieses Feld primen und diese Wissenseinheiten somit für den Zuschauer zugänglicher machen.

Der Priming-Effekt tritt dann erst in einem zweiten Schritt zutage. Das erhöhte Aktivierungspotenzial der entsprechenden Wissenseinheiten führt dann dazu, dass beispielsweise bei der Beurteilung eines Politikers vorrangig auf solche zugänglichen Wissenseinheiten zurückgegriffen wird, das entsprechende Politikfeld also als Hauptkriterium für die Gesamtbeurteilung des Politikers dient. Somit kann Medienpriming unter Umgehung der Agenda-Setting-Hypothese als eine Unterform des allgemeinen, in der Psychologie begründeten Primings beschrieben werden.

Variablen

Das Phänomen des Medienprimings manifestiert sich, wie dargelegt, in zwei zeitlich auseinanderliegenden Schritten. Im ersten Schritt wird der Zuschauer durch Medieninhalte geprimed, im zweiten Schritt wendet er diesen Prime auf einen Zielstimulus an. Die Zeitgebundenheit des Vorgangs evoziert mehrere zeitabhängige Variablen, nämlich die Dauer des Primes, seine Häufigkeit und den Abstand zwischen dem Priming und seiner Anwendung (vgl. Peter, 2002[6]). Besonders letztere sorgt für verwirrende Befunde: Während in psychologischen Experimenten festgestellt wurde, dass Priming-Effekte nach einem Zeitabstand im Sekunden- und Minutenbereich verblassen, findet die Forschung zum politischen Medienpriming Effekte im Zeitraum von Wochen und Monaten. Diese Diskrepanz veranlasst Roskos-Ewoldson et al., den Zusammenhang zwischen politischem Medienpriming und allgemeinem Priming generell in Frage zu stellen.[5] Sie vermuten, dass die beiden Effekte auf neuronaler Ebene unterschiedliche Vorgänge darstellen und schlagen vor, die Effekte des politischen Medienpriming nicht unter Priming, sondern unter politischer Kultivation zu verorten. Darüber hinaus haben die bisherigen Studien zu Medienpriming die zeitabhängigen Variablen vernachlässigt, wie Peter [6] bemängelt.

Nur durch Vergleich von Experimental- und Feldstudien wagt er die Analyse, die auch den Erkenntnissen der Psychologie entspricht: Der Priming-Effekt ist stärker, je weniger Zeit seit dem Priming vergangen ist, je öfter der Prime gezeigt wurde und je länger er angedauert hat. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt offenbar eine Studie von Carpentier et al.[7] , die nach Roskos-Ewaldson et al. (2009)[5] als einzige Arbeit im Bereich des Medienprimings gezielt auch Zeitparameter untersucht hat.

Ein weniger einheitliches Bild ergibt sich bei den weiteren intervenierenden Variablen, nämlich denen der Prädisposition. Die Frage, inwieweit Vorwissen, Vertrauen in die Berichterstattung der Medien, persönliche Wichtigkeit des geprimeten Themas und Mediennutzung den Priming-Effekt verstärken oder abschwächen, konnte bislang nicht zuverlässig ermittelt werden. Iyengar und Kinder (1987)[4] haben zwar schon in die ersten Experimenten zum politischen Medienpriming auch mehrere Eigenschaften der Rezipienten einbezogen: politisches Interesse, Parteiangehörigkeit und Bildung. Allerdings haben spätere Studien gezeigt, dass noch eine Reihe weiterer Variablen berücksichtigt werden müssen, wie zum Beispiel das Vertrauen der Rezipienten in die Medienberichterstattung und das fachspezifische Wissen zum geprimeten Thema (Schenk, 2007[1]). Alles in allem sind diese Variablen bislang noch nicht erschöpfend erforscht.

Literatur

  • Jochen Peter: Medien-Priming - Grundlagen, Befunde und Forschungstendenzen. In: Publizistik. Nr. 1/2002, März 2002, S. 21-44.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c vgl. Schenk, M. (2007) Medienwirkungsforschung. Tübingen: Mohr Siebeck.
  2. McCombs, M. E. & Shaw, D. L. (1972). The Agenda-Setting Function of Mass Media. Public Opinion Quarterly, 36 (2), 176–187.
  3. Brosius, H. B. (1994). Agenda-Setting nach einem Vierteljahrhundert Forschung: Methodischer und theoretischer Stillstand? Publizistik, 39, 188–269.
  4. a b Iyengar, S. & Kinder, D. R. (1987). News that matters: television and American opinion. American politics and political economy. Chicago [u.a.]: Chicago Univ. Pr.
  5. a b c d vgl. Roskos-Ewoldsen, D. R., Roskos-Ewoldsen, B. & Carpentier, F. R. D. (2009). Media Priming: An Updated Synthesis. In J. Bryant & O. M. B. (Hrsg.), Media effects: advances in theory and research (S. 74–93). New York/London: Routledge.
  6. a b Peter, J. (2002). Medien-Priming: Grundlagen, Befunde und Forschungstendenzen. Publizistik, 47, 21–44.
  7. Carpentier, F. R. D., Roskos-Ewoldsen, D. R. & Roskos-Ewoldsen, B. (2008). A Test of the Network Models of Political Priming. Media Psychology, 11 (2), 186–206.

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