St. Michaelis (Lüneburg)

St. Michaelis (Lüneburg)
Sankt Michaelis in Lüneburg
St. Michaelis um 1895 (Vordergrund)
Gedenktafel für Johann Sebastian Bach

St. Michaelis ist eine der Hauptkirchen in Lüneburg und stammt aus dem 14. Jahrhundert.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die älteste Urkunde, die von der Kirche und dem Kloster St. Michaelis in Lüneburg zeugt, stellt zugleich den ältesten Beleg für die Existenz der Stadt dar: Otto I. (der Große) gesteht im Jahre 956 dem Michaeliskloster die Zolleinnahmen aus den Verkäufen der Saline zu. Das Salzvorkommen bildete schon damals den Reichtum der Stadt. Das Michaeliskloster stand in der Burg der Billunger auf dem Kalkberg, der einzigen größeren Erhebung der Umgebung. Es war das Hauskloster der Billunger, und die Kirche wurde für die fürstlichen Begräbnisse benutzt. Im späten 10. Jahrhundert übernahm der Konvent die Benediktinerregel. Das „weiße Gold“ sorgte aber auch für ein steigendes Selbstbewusstsein der Stadtherren im Konflikt mit dem Landesherrn. Die Konkurrenz nahm bis zum Jahr 1371 zu: Die Städter stürmten die Burg und zerstörten sie. Das Kloster St. Michaelis wurde auf dem Kalkberg aufgelöst und in unmittelbarer Nähe, allerdings nun innerhalb der Stadtmauern, neu aufgebaut. Das Kloster wurde anlässlich der Reformation nicht aufgehoben und bestand als einziges Männerkloster im Fürstentum Lüneburg weiter. Der evangelische Konvent wurde 1655 aufgelöst, das Kloster und die dazugehörende Ritterakademie wurden allerdings erst per 1. Oktober 1850 aufgehoben. Das Klostervermögen mit der Kirche fiel dem Hannoverischen Klosterfond zu, der heute als Klosterkammer bezeichnet wird. Während die meisten Klostergebäude an weltliche Institutionen abgetreten wurden, blieb die Kirche bis heute im Besitz der Klosterkammer. Sie bestreitet aus ihrem Vermögen den Unterhalt der Kirche.

Baugeschichte

Die Grundsteinlegung für die heutige Kirche geschah im Jahr 1376. 1379 war die Unterkirche fertig. Die Hauptkirche mit der ursprünglich nicht geplanten Abtskapelle wurde 1412 vollendet. An dem Turm wurde bis 1434 gebaut. Ein Problem des Baus war offenbar schon von Anfang an die Statik: Die Kirche steht auf der Abbruchkante eines Salzstocks, und dadurch sind die mächtigen Rundpfeiler bis zu 70 cm aus dem Lot geraten.

Gebäude

Bei der Kirche handelt es sich um eine Hallenkirche aus Backsteinen. Sie besitzt sechs Joche und einen 7/12 Chorabschluss und ist 52,58 Meter lang. Die Kirche ist 26,29 Meter breit, die größte Innenhöhe beträgt 20,45 Meter. Die Hanglage erforderte im Osten starke Substruktionsbauten, welche in Form einer Unterkirche ausgeführt sind. Im Westen schließt der 79,00 Meter hohe Kirchturm an das Bauwerk.

Die beidseitig neben dem Chor angeordneten Chorkapellen hatten früher einen zum Schiff abgesenkten Boden und waren nur vom Hochchor aus zugänglich. Beide Kapellen besitzen zwei Joche und einen fünfseitig geschlossenen gewölbten Chorabschluss. In der nördlichen Kapelle ist der Fußboden noch abgesenkt. Hier befindet sich auch noch der ursprüngliche Bodenbelag, der abwechselnd aus glasierten und unglasierten Fliesen besteht. Der Fußboden der südlichen Seitenkapelle wurde nachträglich auf das Niveau des Kirchenschiffes gebracht. Der erhöhte Chorbereich erstreckte sich bis zum Umbau im 19. Jahrhundert bis zum dritten Joch des Kirchenschiffs. Die an der Nordseite angebaute Abtskapelle war ursprünglich zum Kirchenschiff hin geöffnet. Sie ist zweigeschossig ausgeführt, wobei der Fußboden der unteren Ebene gegenüber dem des Kirchenschiffes abgesenkt ist.

Ausstattung

Die Ausstattung war einst bedeutend. Das wichtigste Stück bildete der Hochaltar: Um die goldene Tafel, ein Antependium aus dem 11. Jahrhundert, wurde nach dem Neubau der Kirche durch den Meister der Goldenen Tafel ein Reliquienschrein und ein bedeutender Klappaltar errichtet, der insgesamt als die Goldene Tafel berühmt wurde. Das Retabel vom Anfang des 15. Jahrhunderts stammt möglicherweise aus der gleichen Werkstatt wie zwei Lübecker Hochaltäre der gleichen Zeit, die mit dem Notnamen Meister des (ehem.) Hochaltars der Marienkirche in Lübeck bezeichnet wird.

Von der alten Pracht ist nicht mehr viel übrig. Die goldene Tafel wurde im Jahr 1698 gestohlen und eingeschmolzen, die Reliquien und der Klappaltar wurden im Jahr 1796 bei einem umfassenden Umbau des Kircheninneren verkauft und bilden heute die Prunkstücke zweier Museen in Hannover. Geblieben sind die Kanzel von Daniel Schwencke aus dem Jahr 1602 und der Orgelprospekt von Matthias Dropa aus dem Jahr 1708, vor allem aber die großartige Raumwirkung.

Kunstwerke in der Kirche

In der Turmhalle, an der Nordseite gegenüber dem Eingang, hängt ein Kruzifix. Der Korpus entstand im späten 15. Jahrhundert, das Kreuz wird ins 17. Jahrhundert datiert.

Das Epitaph für den Abt Herbord von Holle (†1555), seines Zeichens der erste evangelische Abt, wird Jürgens Spinnrad zugeschrieben. Es befindet sich an der südlichen Wand des westlichen Kirchenschiffs.

Die vier in den Chorpolygonen hängenden Ölgemälde der vier Evangelisten wurden 1793 aufgehängt. Sie gelten als Werke des Martin de la Belle (*1744-†1800), der zu dieser Zeit Zeichenlehrer an der Ritterakademie war.

Abgegangene, erhaltene Kunstwerke

Von dem ehemaligen Hochaltar sind die bemalten Außenflügel vorhanden. Diese befinden sich im niedersächsischen Landesmuseum.

Vom ehemaligen Benediktzyklus, der vermutlich über 40 Tafeln umfasste, sind die letzten beiden bekannten Tafeln in der Niedersächsischen Landesgalerie aufbewahrt. Der Zyklus wurde um 1495 angefertigt.

Das Denkmal der Fürstengruft, wie es heute genannt wird, war als Monument in Form eines Nischensarkophags zur Abdeckung der sich im westlichen Teil des Kirchenschiffs befindlichen Fürstengruft angefertigt worden. Er wurde 1432 erstellt und zeigt auf den beiden Stirnseiten Wappen und auf den Seitenseiten je sieben Figuren. Die Wappen stellen in verkürzter Form die Stammreihe der welfischen Fürsten und Ehefrauen dar. Die Figuren sind Gruppen von je drei Personen, die sich um den Erzengel Michael bzw. Maria gruppieren. Ursprünglich waren auf der Oberseite die beiden aus der Kalkbergkirche geretteten Messing-Grabplatten eingefügt. Diese wurden 1830 entfernt und sind heute durch Rekonstruktionen ersetzt. Das Kunstwerk wird dem Lüneburger Bildhauer Hans Snitger d. J. zugeschrieben. Üblicherweise liegt es im Museum für das Fürstentum Lüneburg. Wegen dessen Renovierung befindet es sich vorübergehend wieder in der Kirche.

Orgel

Historischer Prospekt der Dropa-Orgel

Die Orgel von St. Michaelis geht zurück auf ein Instrument, das 1708 von Matthias Dropa, einem Schüler von Arp Schnitger, erbaut wurde. Im Laufe der Jahre wurde das Instrument mehrfach verändert, überarbeitet, umgebaut. Von dem ursprünglichen Instrument sind daher heute nur noch der Prospekt und einige wenige Register erhalten. Das Instrument wurde zuletzt 1999 von der Orgelbaufirma Scheffler (Sieversdorf) saniert.[1]

I Hauptwerk C–g3

1. Prinzipal 16′ D
2. Quintadena 16′ D
3. Prinzipal 8′ S
4. Gambe 8′ H
5. Hohlflöte 8′ F
6. Gedackt 8′ F
7. Oktave 4′ S
8. Blockflöte 4′ F
9. Quinte 22/3 H
10. Oktav 2′ S
11. Spitzflöte 2′ F
12. Kornett II-IV S
13. Mixtur V S
14. Trompete 16′ S
15. Trompete 8′ F
II Rückpositiv C–g3
16. Prinzipal 8′ D
17. Gedackt 8′ D
18. Oktave 4′ X
19. Rohrflöit 4′ D
20. Sesquialtera II 22/3 K
21. Flachflöte 2′ F
22. Sifflöte 11/3 F
23. Scharff IV S
24. Dulzian 16′ H/S
25. Krummhorn 8′ S
Tremulant
III Schwellwerk C–g3
26. Gedackt 16′ S
27. Principal 8′ X
28. Salizional 8′ H
29. Bordun 8′ S
30. Vox celestis 8′ S
31. Oktave 4′ X
32. Rohrflöte 4′ F
33. Nasard 22/3 F
34. Flachflöte 2′ F
35. Terzian II F
36. Mixtur IV S
37. Trompete 8′ S
38. Oboe 8′ S
Tremulant
Pedal C–f1
39. Prinzipal 16′ X
40. Subbaß 16′ X
41. Gedackt (Nr. 26) 16′
42. Quintadena (Nr. 2) 16′
43. Oktav 8′ X
44. Gedackt 8′ X
45. Quinte 102/3 S
46. Oktav 4′ X
47. Nachthorn 2′ F
48. Rauschpfeife III F
49. Posaune 16′ F
50. Trompete 8′ F
51. Trompete (Nr. 37) 4′
  • Anmerkungen:
D = Register von 1708 (Matthias Dropa)
F = Register von 1931 (P. Furtwängler & Hammer)
H = Register von 1974 (Gebr. Hillebrand)
K = Register von 1956 (Emanuel Kemper)
X = Register von 1871 (unbekannter Erbauer)

Glocken

Das Geläut der Michaeliskirche besteht aus zehn Glocken. Zwei von ihnen stammen aus dem Vorgängergeläut (b0, c1, d1, es1, f1 und g1) und wurden 1492 von Gerhard van Wou gegossen. Besonders die große Glocke zählt zu seinen besten Gussleistungen. Zwei Schlagglocken für den hängen ebenfalls im Turm. Aufgrund der chromatischen Tonfolge und der weiten Tonspanne des Geläuts sind viele klanglich verschiedene Teilgeläute möglich, die dagegen in der Läuteordnung kaum Verwendung finden.

Nr.
 
Name
 
Gussjahr
 
Gießer
 
Durchmesser
(mm)
Gewicht
(kg)
Nominal
(HT-1/16)
1 St.-Michaelis-Glocke 1492 Gerhard van Wou 1384 1800 es1 +6
2 1926 Petit & Gebr. Edelbrock 1180 1144 f1 +9
3 Sonntagsglocke 1492 Gerhard van Wou 1080 750 g1 +10
4 1930 Glockengießerei Bachert 1000 600 as1 +11
5 1928 Glockengießerei Bachert 860 350 b1 +12
6 1932 Glockengießerei Bachert 760 250 c2 +10
7 1934 Glockengießerei Bachert 730 200 des2 +10
8 1939 Glockengießerei Bachert 690 190 d2 +10
9 1975 Heidelberger Glockengießerei 640 177 es2 +10
10 Burgglocke 12. Jh. unbekannt 760 437 f2 ±0
I Stundenglocke 1976 Heidelberger Glockengießerei 980 661 as1 –6
II Viertelstundenglocke 12. Jh. unbekannt 150 es2 -6

Touristische Bedeutung

Wie die Kirchen St. Johannis und St. Nicolai ist auch St. Michaelis von hohem touristischen Interesse. Alle drei Kirchen sind bedeutende Bauwerke der Backsteingotik und bilden Stationen auf der Europäischen Route der Backsteingotik. Als verlässlich geöffnete Kirchen sind sie tagsüber, außer zu Gottesdienstzeiten, für Besucher geöffnet.

Literatur

  • Michael, Eckhard: Ev.-luth. Pfarrkirche St. Michaelis Lüneburg. Regensburg 1995.
  • Pfeiffer, Götz J.: Die Malerei der Goldenen Tafel. Ansätze zu einer Neuorientierung der Forschung, in: Kulturstiftung der Länder (Hg.): Die Goldene Tafel aus dem Michaeliskloster in Lüneburg, Hannover 2007, S. 34-57
  • Evang.-Luth. Pfarrkirche St. Michaelis Lüneburg, Schnell, Kunstführer Nr. 2238 1. Auflage 1995.
  • Fock, Gustav/Sarnighausen, Hans-Cord: Zur Musik und Glasmalerei in St. Michaelis Lüneburg,Husum 2004, 343 Seiten mit Abb.

Weblinks

 Commons: St. Michaelis (Lüneburg) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Ausführlich zur wechselvollen Geschichte der Dropa-Orgel von 1708, gesehen am 8. September 2011.

Siehe auch

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