Norbert Denef

Norbert Denef
Norbert Denef, Rom, Italien, 2010
Norbert Denef mit Josef Philip Winkler und Siegmund Ehrmann, 2010
Norbert Denef, Delitzsch, 2009

Norbert Denef (* 5. Mai 1949 in Delitzsch) ist Vorsitzender des Netzwerks Betroffener von sexualisierter Gewalt (netzwerkB). Denef selbst ist Betroffener sexuellen Missbrauchs in der römisch-katholischen Kirche.[1]

Inhaltsverzeichnis

Leben und Beruf

Denef wurde in seiner Heimatstadt Delitzsch als Messdiener vom 10. bis zum 16. Lebensjahr von einem Priester und vom 16. bis zum 18. Lebensjahr von einem Organisten missbraucht. Der erste Täter, Alfons Kamphusmann (1924–1998), wurde 1952 zum Priester geweiht. Er war Vikar und Kurator in der Propstei zu Halle, dann in Droyßig, Delitzsch, Nordhausen, Langenweddingen, Hecklingen, Wittenberg-Piesteritz und Niedertiefenbach (Bistum Limburg) tätig. 1990 ging er in den Ruhestand und verstarb acht Jahre später. Der zweite Täter, Organist und Chorleiter der Gemeinde, lebt im Ruhestand und wurde nie belangt. Denef lebte in seinem weiteren Dasein unauffällig, er wurde technischer Leiter im Stadttheater Rüsselsheim, Ehemann und Vater von zwei Kindern. Er blendete das Geschehene aus, hatte sogar den Priester zu seiner Hochzeit eingeladen und sich von ihm trauen lassen.

Im 40. Lebensjahr erlitt er einen seelischen Zusammenbruch. Denef musste lernen, über sein Schicksal zu sprechen, was ihm erstmals im November 1993 in der Familie gelang.[2]Er erhielt 2003 vom Bistum Magdeburg eine Entschädigung für sein erlittenes Leid angeboten, jedoch in Verbindung mit einer Schweigeverpflichtung. Im Jahre 2005 erhielt er vom Bistum schließlich 25.000 Euro, wobei die Schweigeverpflichtung in dem 2005 geschlossenen Vertrag gestrichen wurde.[3] Norbert Denef gilt als das erste Opfer in Deutschland, das von der römisch-katholischen Kirche eine Entschädigung erwirken konnte.[4]

2007 erschien Denefs Buch Ich wurde sexuell missbraucht.[5] Denef leidet auch heute noch an den Folgen des jahrelangen Missbrauchs, unter anderem Depressionen und weiteren Folgen einer posttraumatischen Belastungsstörung als Folge von sexuellen Missbrauchs in der Kindheit.[6][7]

Norbert Denef reichte eine Petition zur Abschaffung der Verjährungsfristen für Vergehen bei Pädokriminaliät im Zivilrecht ein, die der Deutschen Bundestag im Dezember 2008 ablehnte. Denef kämpft nun vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte dafür, dass im Zivilrecht die Verjährungsfrist für sexuellen Missbrauch abgeschafft wird. [8][9] Im Dezember 2009 suchte Denef die Pfarrkirche St. Marien in seiner Heimatstadt Delitzsch auf. Eine Gesprächsmöglichkeit erhielt er nicht. Denef hinterließ einen offenen Brief an der Tür der Kirche.

netzwerkB

Auf der Gründungsversammlung des Netzwerks Betroffener von sexualisierter Gewalt, kurz netzwerkB, im März 2010 wurde Norbert Denef zum Sprecher gewählt. Der Verein wurde im April 2010 rechtsfähig.

Bei der Missbrauchsdebatte auf dem Ökumenischen Kirchentag 2010 trat Denef während der Rede von Pater Klaus Mertes, Rektor des Berliner Canisius-Kollegs vor das Podium und forderte, die Opfer an der Debatte um sexualisierte Gewalt zu beteiligen.[10] Bischof Stephan Ackermann, Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz, sagte daraufhin: „Ich bin erschrocken über den Verlauf der Veranstaltung. Der Mann hat doch Recht: Wir sprechen über Institution. Ich habe das Gefühl, dass die Opfer aus dem Blick geraten.“[11][12][13][14][15][16][17][18][19][20]

Als Sprecher von netzwerkB kritisiert Denef die Nicht-Beteiligung von Opfern am Runden Tisch Sexueller Kindesmissbrauch.[21] Er vertritt die Auffassung, dass aus Sicht der Opfer im Jahr 2010 viel über sexuelle Gewalt geredet, aber fast nichts getan wurde.[22] Vor dem Vatikan demonstrierte Denef zusammen mit Vertretern von Survivors Network of those Abused by Priests (SNAP) 2010 gegen die zu schonende Behandlung von Geistlichen, die sich an Kindern vergangen haben. Die Polizei verwies sie vom Petersplatz.[23]

Zur Seligsprechung von Johannes Paul II. am 1. Mai 2011 wies Denef, der selbst mit dem Papst in Korrespondenz gestanden hatte, auf die Opfer sexuellen Mißbrauchs in der römisch-katholischen Kirche hin. „Nicht nur für mich persönlich, sondern weltweit für viele Opfer, die als Mädchen und Jungen in der Amtszeit Papst Johannes Pauls II. missbraucht wurden, ist diese Seligsprechung Salz in ihren tiefen, noch immer frischen Wunden. Auch während seines Pontifikats wurden Verbrechen nicht nur in Deutschland, sondern in vielen anderen Ländern, darunter den USA und Mexiko, vertuscht und verschwiegen. Anstatt einen toten Papst seligzusprechen, sollte die Kirche den Opfern helfen.“[24][25]

Am 25. Mai 2011 kritisierte Liza Stein, Landesbeauftragte von netzwerkB für Mecklenburg-Vorpommern und selbst Opfer von Missbrauch in ihrer Familie, in Schwerin gegenüber Christine Bergmann, Missbrauchbeauftragte der Bundesregierung, dass die Betroffenenseite auf der Opferschutzkonferenz nicht vertreten seien.[26]

Schriften

  • Ich wurde sexuell missbraucht. Starks-Sture, München 2007, ISBN 978-3939586036.
  • Beschwerde gemäß Artikel 34 der Europäischen Menschenrechtskonvention und Artikel 45 und 47 der Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen die Bundesrepublik Deutschland, 24. Februar 2009. (online, PDF-Datei; 267 kB)

Einzelnachweise

  1. Norbert Denef: Ich wurde sexuell missbraucht. Starks-Sture, München 2007, ISBN 978-3939586036
  2. Sexualisierte Gewalt: „Wir sprechen über ein Massenverbrechen“. In: gulli.com, 14. März 2011 (online)
  3. Siehe hierzu die Erklärung des Bistums Magdeburg.
  4. Peter Wensierski: Verirrte Hirten. In: Der Spiegel, 5. Dezember 2005 (online)
  5. Antje Hildebrandt: Missbrauchsopfer im Interview. „Der Pfarrer war sich keiner Schuld bewusst.“ In: Die Welt, 26. Februar 2010 (online)
  6. Antje Hildebrandt: Ein Pfarrer vergriff sich über Jahre hinweg an Norbert Denef. Das Opfer leidet noch heute. In: Märkische Allgemeine, 5. Februar 2010 (online)
  7. Interview mit Dunja Hayali im ZDF-Morgenmagazin, 26. Februar 2010 (online)
  8. Antje Hildebrandt: „Er hat meine Seele getötet.“ In: Stuttgarter Zeitung, 5. Februar 2010 (online)
  9. Barbara Hans: Scham fressen Seele auf. In: Der Spiegel, 12. Februar 2010 (online)
  10. Das Jahr danach - Die Kirchen und die Vertrauenskrise. In: horizonte, Hessischer Rundfunk, 12. Februar 2011 (Fernsehbeitrag online)
  11. Barbara Hans: Missbrauchsopfer zum Kirchentag „Wir wollen endlich gehört werden“. In: Spiegel online, 14. Mai 2010 (online)
  12. Ein-Mann-Demo bei Diskussionsrunde. Missbrauchsopfer provoziert Eklat auf Kirchentag. In: Spiegel online, 14. Mai 2010 (online)
  13. Kirchentag: Eklat bei Missbrauchsdebatte. In: Mittelbayerische Zeitung, 15. Mai 2010 (online)
  14. Matthias Kamann: Missbrauch ist ungewollt das Thema Nummer 1. In: Die Welt, 14. Mai 2010 (online)
  15. Heftiger Streit um Missbrauch. In: Rheinische Post, 14. Mai 2010 (online)
  16. Missbrauchsopfer stürmt Podium. In: Hamburger Abendblatt, 15. Mai 2010 (online)
  17. ARD Brisant: Eklat auf dem Kirchentag. In: ARD, 14. Mai 2010 (online)
  18. ARD Tagesschau: Missbrauchsdebatte auf dem Kirchentag. In: ARD, 14. Mai 2010 (online)
  19. Das unverschämte Opfer. In: Süddeutsche Zeitung, 14. Mai 2010 (online)
  20. Matthias Kamann: Kritik an Geistlichen gilt noch immer als Majestätsbeleidigung. In: Die Welt, 15. Mai 2010 (online)
  21. Runder Tisch. Regierung will Rechte von Missbrauchsopfern stärken. In: Der Spiegel, 1. Dezember 2010 (online)
  22. Peter Hanack: Missbrauch: „Das Gesetz schützt die Täter“ In: Frankfurter Rundschau, 6. Januar 2011 (online)
  23. Rom: Kardinäle diskutieren sexuellen Missbrauch. In: Tageblatt, 19. November 2010 (online)
  24. Norbert Denef: Beten statt helfen. Wie Papst Johannes Paul mir einen niederschmetternden Brief schrieb. In: Die Zeit, 28. April 2011 (online)
  25. Vatikan: Missbrauchsopfer kritisieren Seligsprechung von Johannes Paul II. In: Der Spiegel, 28. April 2011 (online)
  26. Beitrag von Bernhard Hueske. In: ARD Brisant, 25. Mai 2011 (online)

Weblinks

 Commons: netzwerkB – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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