Chinesische Sprichwörter

Chinesische Sprichwörter
Überschneidungen:
Links: Suyu 俗語
Unten links: Xiehouyu 歇後語
Mitte: Yanyu 諺語
Rechts: Chengyu 成語

Roter Pfeil nach links: mündlich
Blauer Pfeil nach rechts: literarisch

Die chinesischen Sprichwörter (chinesisch 成語 / 成语 Chéngyǔ) spiegeln das traditionelle Leben wider und bilden die Quintessenz der Lebenserfahrung des chinesischen Volkes. Bei den sprichwörtlichen Redensarten werden Chengyu (festgeformte Redewendungen) und Yanyu (諺語; die eigentlichen Sprichwörter) unterschieden. Die Grenzen zwischen beiden sind nicht immer klar zu erkennen.

Inhaltsverzeichnis

Stellenwert

China ist bekannt für seine „Sprichwortkultur“. Sich an Anlehnung an ein klassisches Werk angemessen auszudrücken, zeugt von Bildung. In der klassischen Rhetorik galten Zitate bekannter Persönlichkeiten als wichtigstes Stilmittel. Das häufige Zitieren von Spruchweisheiten zeugt auch heute von gutem Stil.

Eine chinesische Germanistikstudentin berichtet von dem unterschiedlichen Stellenwert, den Sprichwörter in Deutschland und China einnehmen:

Wir mussten während unseres Germanistikstudiums viele deutsche Sprichwörter lernen, da man bei uns glaubt, Sprichwörter im Deutschen sind genau so wichtig, wie diese Sprüche oder Cheng-yu in China. Doch dann kam eine deutsche Lektorin an unsere Hochschule. Wir mussten bei ihr Interpretationen deutscher Literatur schreiben. Und da waren wir völlig verwirrt, als sie nach Rückgabe der ersten Interpretationen uns mitteilte, es sei in Deutschland nicht üblich, wissenschaftliche Arbeiten mit Sprichwörtern zu schmücken.[1]

Dieser Umstand ist darauf zurückzuführen, dass in Deutschland die Eigenleistung im Mittelpunkt steht, während in China mehr Wert auf das Lernen von Anderen und deren Würdigung gelegt wird.

Chengyu

Am bekanntesten sind die Chengyu (wörtlich: zum Sprichwort werden), viergliedrige Redewendungen, die oft einen literarischen Hintergrund haben. Chengyu sind Verkürzungen längerer Äußerungen. Oft sind die Hintergrundgeschichten in Vergessenheit geraten, während die Redewendung geblieben ist.

Beispiele für Chengyu

愛屋及烏。 / 爱屋及乌。
Ài wū jí wū.
(Liebe für jemanden schließt auch den Raben auf seinem Hausdach ein. = Wer jemanden liebt, liebt alles an ihm. ~ Wer mich liebt, liebt auch meinen Hund.)
塞翁失馬,焉知非福。 / 塞翁失马,焉知非福。
Sài wēng shī mǎ, yān zhī fēi fú
(War es denn nicht ein Glück, dass dem Alten an der Grenze sein Pferd davonlief? – Ein heutiges Unglück muss nicht zwangsläufig auch in Zukunft ein Unglück bedeuten.)
百聞不如一見。 / 百闻不如一见。
Bǎi wén bù rú yí jiàn
(Einmal sehen ist besser als hundertmal hören.)
不登高山,不顯平地。 / 不登高山,不显平地。
Bù dēng gāoshān, bù xiǎn píngdì.
(Wer die hohen Berge nicht besteigt, kennt die Ebene nicht. = erst von höherer Warte aus kann man das Niedrige beurteilen.)
君子一言,四马难追。 / 君子一言,驷马难追。
Jūnzǐ yì yán,sì mǎ nán zhuī .
(Dem Edlen genügt ein Wort, dem schnellen Pferd ein Peitschenhieb. ~ Ein Mann, ein Wort.)
謀事在人,成事在天。 / 谋事在人,成事在天。
Móu shì zài rén, chéng shì zài tiān.
(Dinge zu planen liegt beim Menschen. Dinge zu vollenden liegt beim Himmel. ~ Der Mensch denkt, Gott lenkt.)
入境問俗。 / 入境问俗。
Rù jìng wèn sú.
(Kommt man in ein fremdes Land, fragt man nach seinen Sitten. ~ andere Länder, andere Sitten)
人怕出名豬怕壯。 / 人怕出名猪怕壮。
Rén pà chū míng, zhū pà zhuàng.
(Ein Mensch fürchtet sich davor, berühmt zu werden, ein Schwein davor, fett zu werden.)

Yanyu

Yanyu sind Spruchweisheiten, die zum Volksgut geworden sind. Mit ihren direkten Aussagen werden sie – anders als die hochstilisierten Chengyu, die einen bestimmten Bildungsgrad voraussetzen – auch vom einfachen Volk verstanden.

百世修來同船渡,千載修得共枕眠。 / 百世修来同船渡,千载修得共枕眠。
Bǎi shì xiū lái tóngchuán dù, qiānzǎi xiū de gòng zhěn mián.
(~ Es dauert hundert Wiedergeburten bis zwei Personen im gleichen Boot übersetzen, es dauert tausend Generationen bis zwei das gleiche Kopfkissen teilen.)
冰封三尺,絕非一日之寒。 / 冰封三尺,绝非一日之寒。
Bīng fēng sān chǐ, jué fēi yí rì zhī hán.
(Eis von drei Zoll ist nicht das Ergebnis eines kalten Tages. ~ Gut Ding will Weile haben. Allerdings hat dieses Sprichwort in China eine negative Bedeutung und wird eher mit „Schlechte Dinge benötigen lange bis sie entstehen.“ übersetzt)
家家都有一本難念的經。 / 家家都有一本难念的经。
Jiājiā dōu yǒu yìběn nán niànde jīng.
(~ Jede Familie hat ein schwer zu lesendes Buch.)
路遥知馬力,日久見人心。 / 路遥知马力,日久见人心。
Lù yáo zhī mǎ lì, rì jiǔ jiàn rén xīn.
(Ist der Weg lang, erkennt man die Stärke eines Pferdes. Ist der Tag lang, sieht man den Charakter eines Menschen.)
人要面,樹要皮。 / 人要面,树要皮。
Rén yào miàn, shù yào pí.
(~ Menschen brauchen ein Gesicht, Bäume brauchen eine Rinde.)
水能载舟亦能覆舟。 / 水能载舟亦能覆舟。
Shuǐ néng zài zhōu yì néng fù zhōu.
(~ Wasser kann das Boot tragen und kann das Boot versenken.)
天下烏鴉一般黑。 / 天下乌鸦一般黑。
Tiānxià wūyā yìbān hēi.
(~ Alle Raben unter dem Himmel sind schwarz.)
玉不琢不成器。
Yù bù zhuó bù chéng qì.
(~ Jade, die nicht bearbeitet wird, wird nicht zu einem Gefäß.)
知子莫若父。
Zhī zǐ mò ruò fù.
(~ Niemand kennt den Sohn so gut wie der Vater.)

Nongyan

Eine selbstständige Gruppe bilden die Bauernsprichwörter (Nongyan 農言 / 农言). Hierbei geht es um Vorzeichen, die mit der Landwirtschaft zu tun haben, und um Sprichwörter, die den Zeitpunkt von Aussaat und Ernte betreffen. Sie entsprechen im deutschsprachigen Raum am ehesten den Bauernregeln.

Xiehouyu

Ein besonderer Typ sind die Xiehouyu (歇後語 / 歇后语; wörtlich: Ausdrücke mit unausgesprochenem Schluss).

Xiehouyu stellen eine spezielle Form der chinesischen Redensarten dar. Sie sind vornehmlich in der gesprochenen Sprache anzutreffen. Es handelt sich dabei um zweigliedrige Phraseme, die in der Regel aus einem bildhaften A-Teil und einem idiomatischen B-Teil – der manchmal unausgesprochen bleibt – bestehen. Die Bilder aus dem A-Teil beschreiben vor allem Dinge aus dem chinesischen Alltag, aber auch historische Personen und Begebenheiten. Die Idiome aus dem B-Teil fallen in den Bereich der chinesischen Umgangssprache.

八哥〔兒〕的嘴巴——隨人說。 / 八哥〔儿〕的嘴巴——随人说。
bāgē(r) de zuǐba——suí rén shuō
Papageienschnabel —— spricht nach, was andere sagen; jmdm. immer zustimmen; das sagen, was der andere hören möchte; jmdm. nach dem Mund reden
八仙過海——各顯其能。 / 八仙过海——各显其能。
bāxiān guò hǎi——gè xiǎn qí néng
Die acht Genien überqueren das Meer —— jeder zeigt, was er kann; jeder gibt sein Bestes; jeder tut, was er [am besten] kann.
Die acht Genien – auch acht Unsterbliche genannt – sind Teil der taoistischen Mythologie. Die Legende besagt, dass jeder von ihnen ein besonderes Requisit besaß. Diese Zauberwaffen kamen u. a. dann zum Einsatz, wenn die Genien das Meer überqueren wollten, um zum Geburtstag der Königlichen Mutter des Westens (西王母 xīwángmǔ) ins Paradies des Westens (西天 xītiān) zu gelangen: Jeder machte sich seine übernatürlichen Fähigkeiten zunutze und stellte sein besonderes Können zur Schau.
狗咬耗子——多管閒事。 / 狗咬耗子——多管闲事。
gǒu yǎo hàozi——duō guǎn xiánshì
Ein Hund schnappt nach Mäusen —— kümmert sich um Dinge, die ihn nichts angehen (Mäuse fangen ist bekanntlich Katzensache), die Nase in anderer Leute Angelegenheiten stecken
泥菩薩過江——自身難保。 / 泥菩萨过江——自身难保。
ní púsà guòjiāng——zìshēn–nánbǎo
Der Lehm-Buddha überquert den Fluss —— sich selbst nicht schützen können (geschweige denn andere)
Aus Lehm geformte oder aus Holz geschnitzte Buddhafiguren werden als Talisman angesehen. Würde eine solche Figur aus ungebranntem Ton einen Fluss überqueren und somit für längere Zeit dem Wasser ausgesetzt sein, löste sie sich bald auf. Solch ein Lehm-Buddha, der sich selbst (zìshēn) kaum erhalten (nán bǎo) kann, dürfte auch nur schwerlich als Talisman anderen eine Hilfe sein. Bei Schwierigkeiten tröstet man sich mit dieser Wendung; oder aber man verwendet sie, indem man sich mit dem Lehm-Buddha vergleicht, als Ausrede, mit der man einen Hilfesuchenden höflich abzuwimmelt.
肉包子打狗——有去無回。 / 肉包子打狗——有去无回。
ròubāozi dǎ gǒu——yǒu qù wú huí
Mit einem Fleischpastetchen nach einem Hund werfen —— Das siehst du nicht wieder! etw. abschreiben/abhaken können
Ròubāozi sind gedämpfte Teigtaschen mit einer Fleischfüllung; ein Leckerbissen, den sich kein Hund entgehen lässt. Spöttische Bemerkung über Leute, die ihre Schulden nicht zurückzahlen.
紙老虎——嚇不住人。 / 纸老虎——吓不住人。
zhǐlǎohǔ——xià buzhù rén
Papiertiger —— kann keinen erschrecken

Quellennachweis

  1. Margrith A. Lin-Huber: Chinesen verstehen lernen. ISBN 3-456-83630-9

Literatur

  • Wan-Hsuan Yao-Weyrauch: Die Rolle der Frau im deutschen und chinesischen Sprichwort. Diss.phil. Bochum 1989
  • Wan-Hsuan Yao-Weyrauch: Frauen zählen nicht als Menschen – Chinesische Sprichwörter über das weibliche Geschlecht. Heuchelheim 2006

Sammlungen

  • Patrick Doan: Calembours et subjections de la langue chinoise. Xiēhòuyǔ xuǎnjí. Paris 2003
  • Erh-li Pao, Ying Cheng: Wörterbuch der chinesischen Redensarten : chinesisch-deutsch; Tetragramme des modernen Chinesisch. Berlin 1982
  • John S. Rohsenow: Chinese-English Dictionary of Enigmatic Folk Similes (Xiēhòuyǔ). Tuscon 1991
  • Elke Spielmanns-Rome, Wolfgang Kubin: Wörterbuch der chinesischen Sagwörter (Xiēhòuyǔ). Hamburg 2009
  • Chia-chun Sun: As the saying goes: an annotated anthology of Chinese and equivalent English sayings and expressions, and an introduction to Xiēhòuyǔ (Chinese wit). New York 1981

Weblinks


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