Religion und Philosophie beim Volk der Asmat

Religion und Philosophie beim Volk der Asmat

Kernpunkt der Religion und Philosophie der Asmat ist das jederzeitiges Bestreben um Bewahrung des Gleichgewichts in allen Beziehungen. Ungleichgewichte - wie beispielsweise dörflicher Streit oder zu beklagende Todesopfer - stören die Harmonie im Kosmos und müssen ausgeglichen werden um die notwendige Eintracht wieder herzustellen. Im Endeffekt wird nie Vergeltung verlangt, sondern Ausgleich. Manipulationen, Gerissenheit und schlaue Überbietung der Asmat untereinander sind allerdings zulässig.

Anders als in westlichen Religionen fragen die Asmat nicht nach Gründen des Entstehens des Universums oder nach einem göttlichen Schöpfer. Ein präexistentes Nichts oder Chaos wird nicht befüllt oder geordnet. Diese Fragen sind ohne jede Bedeutung. Der Kosmos war immer schon vorhanden. Er erweist sich als beseelt, denn viele Mythen berichten von Menschen, die sich in Tiere verwandeln und umgekehrt. Himmelskörper und Erdelemente tragen spirituelle Energien in sich und können genutzt werden um den Überlebenskampf zu bestehen und daraus gestärkt hervorzugehen. Da innerhalb dieses Kontextes das menschliche Dasein als Eingliederung in die Ahnenfolge und nicht Selbstzweck individuellen Daseins verstanden wird, entbehrt das Weltbild der Vorstellung um den Schöpfungsgedanken.

Inhaltsverzeichnis

Mythen

Es gibt Legenden, bei denen mythische Tiere, ausgestattet mit außergewöhnlichen Kräften und auch Schlangen es vermochten, die Menschen aus Ausweglosigkeit und Dunkelheit zu befreien. Viele dieser Legenden werden unter den einzelnen Asmat-Gruppen widersprüchlich diskutiert. Andere Legenden sind geprägt von erstaunlichen Initiativen von Frauen (hervorgehoben seien: Tjowotsjbiwar[1] und Mbunar[2]), die entscheidende Lebenshilfestellungen gewährleisteten. Es handelte sich dabei nicht um Schöpfungsberichte, sondern Rückerinnerungen einst klein(er)er Volksgruppen, die den Überlebenskampf schilderten und bewahrten.

Der einzige (scheinbare) Schöpfungsansatz ist die Legende um Fumeripits[3], der hölzerne Schnitzfiguren zum Leben erweckte. Zwar ist dieser Mythos in Teilen des Siedlungsgebietes der Asmat bekannt, doch besteht Einigkeit darüber, dass nicht Asmat sondern Mimika geschaffen wurden.[4] Die Legende muss im Licht des Animismus interpretiert werden, wo auch Mythen der Inkarnation eines Vogels im Menschen ihren Platz finden.

Spirituelle Lebenskräfte des Körpers

Einbäume auf dem Lorentz-Fluss

Die Asmat glauben, dass Menschen mit zwei inneren, lebensspendenden Kräften geboren werden. Die Kraft yuwus ist das körperliche Kraftzentrum. ndamup ist ein bilokales Seelenzentrum, das Eigenschaften von Exkorporationen aufweist. Die Asmat betrachten ndamup als "Schatten" oder "Bild" der wirklichen Person. Diese "Schatten" vermögen sich im Schlaf von der wirklichen Person zu trennen, umherzuwandeln und sich zu verwandeln. Krokodilangriffe auf Dörfer werden auf solche Ereignisse zurückgeführt. Beide Kräfte sind von Geburt des Menschen an vorhanden.

In die persönliche Entwicklung eines Menschen gesellt sich noch eine dritte Kraft, ndet.[5] Sie wird als Geist eines Vorfahren verstanden, der dem noch "Namenlosen" zur Persönlichkeitsentwicklung verhilft. Des Ahnen Eigenschaften, Fähigkeiten und Verstandeskräfte gehen auf den Heranwachsenden über. Biologisch betrachtet, findet der Ahne sein Ziel im Wege der Reinkarnation. Als grüner Baumfrosch getarnt, sucht er in den Sagogründen der Dorffrauen eine Frau aus, auf deren rechte Schulter er springt. Deren Abkömmling erhält damit unfehlbar den ndet'-Namen des Ahnen.[6] Mehrere 'ndet können in einer Person zusammenkommen und ihr besonderen Kraftzuwachs bescheren.

Die Asmat kennen weitere spirituelle Kräfte, wie samu. Sie sind regelmäßig Vorboten von Verderben und Tod. Im Vorfeld treten sie dahin in Erscheinung, als ein Asmat sich anfängt abnorm zu verhalten. Er entleert seinen Darm in den Einbaum, isst rohen Fisch oder zerstört seine Speere.

Mensch und Kosmos

verschiedene Ahnenpfähle (Tropenmuseum/Amsterdam)

Der dichotome Diskurs der westlichen Welt ist dem Volk der Asmat völlig fremd. Zwischen Geistigem und Profanem wird nicht unterschieden. Vielmehr steht jede menschliche Aktivität in unmittelbarem Zusammenhang mit dem gesamten Kosmos. Der Mensch und der Kosmos sind holistischer Natur. Der Kosmos steht im Kräftegleichgewicht. Störungen müssen im Verständnis der Asmat ausgeglichen werden. Neben der Fortpflanzung und dem Überleben stehen Glück, Gesundheit und Prestige im Vordergrund erfolgreicher Lebensanschauung. Prestige erlangt man über den Erfolg bei Frauen, im Krieg und bei der Jagd. Damit geht Macht einher, die sich später nach dem Tod erhält und besonders gewürdigt wird. Dazu ist es immer wieder notwendig, spirituelle Kräfte anzuzapfen.

Die Bereinigung von Störungen und die Befreiung von in Zwischenwelten (ainamipits) lebenden Verstorbenen ins Ahnenreich werden durch animistische, zyklisch wiederkehrende Rituale gefeiert. Feste dieser Art sind das Maskenfest oder das Ahnenpfahlfest. Die Tatsache, dass die Geister die Lebenden dabei aufsuchen, ist von hoher Bedeutung, denn sie vermindert Ängste und räumt Unsicherheiten des dörflichen Zusammenlebens aus. Magische Elemente und Tabus sind in der Welt der Asmat allgegenwärtig.

Siehe auch

Literatur

  • Alphonse A. Sowada: Religiöse und Philosophische Grundkonzepte der Asmat. In: Gunter und Ursula Konrad (Hrsg.): Asmat: Mythen und Rituale – Inspiration der Kunst. Venedig 1995, ISBN 8870770354 (Hauptquelle für den Artikel)
  • Gunter Konrad, Ursula Konrad (unter Mitwirkung von Adam Saimas, Petrus Wer, Miguel Bingumeces und Soter Sokerau), Asmat: Mythen und Rituale. Inspiration der Kunst, Erizzo, 1995 - 454 Seiten

Einzelnachweise

  1. Alphonse A. Sowada, The Saga of Tjowotsjbiwar (1983)
  2. Alphonse A. Sowada, The Epic of two women (1983)
  3. Alphonse A. Sowada, The Saga of Fumeripits from Biwar Laut
  4. G. Zegwaard, The story of Fumeripits (1974)
  5. A. Kuruwaip, The Asmat Bis Pole (1974)
  6. G. Zegwaard, Name giving among the Asmat (1972)

Weblinks


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