Schleuderblei

Schleuderblei
Römisches Schleuderblei vom Dünsberg

Schleuderbleie (lateinisch glans „Eichel“, plural glandes) sind antike Wurfgeschosse aus Blei, welche mittels einer Schleuder verschossen wurden.

Inhaltsverzeichnis

Herkunft

Schleuderer auf der Rückseite eines Staters aus Aspendos

Der griechische Historiker Strabon berichtet von einem Ephoros von Kyme, der den Aitolern die Erfindung der Schleuder zuschreibt.[1] Plinius der Ältere schreibt sie in seiner naturalis historia dagegen den Syrophönikern zu.[2] Aus Troja sind erstmals Schleudergeschosse aus Metall (Bronze) belegt.[3] Die ersten Bleigeschosse, die zum Schleudern verwendet worden sein könnten, stammen aus minoischer Zeit (LM III) aus dem Palast von Knossos.[4] Schleuderer sind in der europäischen Militärgeschichte in größerer Zahl erstmals in den Berichten des Thukydides über den Peloponnesischen Krieg erwähnt.[5] Dort gelten sie als die wichtigsten Abteilungen der leichtbewaffneten Einheiten. Seit etwa 413–395 v. Chr. scheinen die Achaier, Rhodier, Kreter und Akarnaner, Aitoler und Thessalier mit bleiernen Schleudergeschossen ausgerüstet gewesen zu sein, wie der älteste Fund eines solchen Geschosses mit der Aufschrift TISSAPHER aus Iulia Gordus (heute Gördes) in Lydien belegt.[6]

Seitens der schriftlichen Überlieferung erwähnt erstmals Xenophon aus Blei gegossene Schleudergeschosse. Er beschreibt in seiner Anabasis, dass die Rhodier mit diesen Bleigeschossen eine größere Reichweite erzielen konnten als die Perser, die Steine verwendeten. Der römische Historiker Titus Livius nennt die Schleuder als Bewaffnung der 5. Klasse in der servianischen Heeresordnung. Die Römer kannten verschiedene Arten der Schleuder, die aber vermutlich jedoch nicht gleichzeitig in Gebrauch waren. Die häufigste ist die funda, die einfache Handschleuder. Die funda wurde in erster Linie als Jagdwaffe verwendet und war erst nachrangig eine militärisch genutzte Waffe. Eine typologische Unterscheidung zwischen Jagd- und Kriegsschleuder ist nicht möglich. In der Schlacht von Cannae hatten die römischen Truppen Schleudern dabei.[7] Es ist jedoch wahrscheinlich, dass die Munition für Jagd und Krieg sich unterschieden. Blei scheint mehr oder weniger sicher für Geschosse verwendet worden zu sein, die man eher im Krieg als zur Jagd benutzte. Die römische Armee verwendete in der republikanischen Zeit achäische, von den Etruskern übernommene Schleudern. In der römischen Kaiserzeit wurden Schleudern verwendet, die ihren Ursprung in den Balearen hatten.

Antike Bezeichnungen

Die eichelähnliche Form der Geschosse gab ihnen ursprünglich den Namen glans.[8] Als Bezeichnung für Schleuderbleie wurden in römischer Zeit neben glans („Eichel“) auch die Bezeichnungen glans plumbea („Bleieichel“), plumbum („Blei“) oder plumbum pondes („Bleispitze“) verwendet. In der spätrepublikanischen und frühen Kaiserzeit verwendete man vor allem die Begriffe glans und plumbum.

Typologie

Formenspektrum

Typentafel römischer Schleuderbleie; Typen nach Völling, 1990

Eine typologische Gliederung der Schleuderbleie erfolgte durch Thomas Völling.[9] Anhand der Form der Bleigeschosse lassen sich sechs Typen erkennen, die teilweise noch in sich gegliedert werden:

Typ[10] Form
Typ I (a-c) ovoide Typen
Typ II (a-c) bikonoide Typen
Typ III mehrkantiger Typ
Typ IV rautenförmiger Typ mit zwei abgeflachten Seiten
Typ V eichelförmiger Typ
Typ VI sphäroider Typ

Die Typen I und II scheinen bei weitem die gebräuchlichsten gewesen zu sein. In Kampfsituationen wurden Schleuderbleie auch unter schlechten Bedingungen hergestellt. Die Soldaten konnten sie während einer Belagerung gießen. Die Qualität und Form werden dann durch die gegebene Eile bestimmt, in der sie hergestellt werden mussten.[11]

Gewicht

Die Gewichte der Schleuderbleie schwanken erheblich. So wurde am Dünsberg ein Geschoss vom Typ I mit einem Gewicht von 23 g gefunden, während der gleiche Typ in Haltern 129 g aufwies. Bei Typ II verhält es sicht es ähnlich. Ein Fund vom Dünsberg mit 26 g steht einem Fund aus Haltern mit 155 g gegenüber. Das Gros der Geschosse liegt bei 40–70 g, wobei es eine Entwicklung zu hin größerem Gewicht gegeben zu haben scheint. Es kommen aber immer leichte und schwere Geschosse innerhalb der einzelnen Geschosstypen vor. Schleuderbleie aus spätklassischer Zeit aus Olynth etwa wiegen zwischen 18 und 26 g. Die bleiernen Geschosse aus dem Kastell Gelduba bei Krefeld aus diokletianscher Zeit liegen dagegen im Schnitt um 80 g.

Dekor und Inschriften

Viele Bleigeschosse waren mit Bildern und Inschriften versehen, die entweder in die Gussform eingearbeitet waren oder nachträglich in das weiche Blei eingeritzt wurden. Besonders die Typen I, II und III weisen des Öfteren Inschriften, zumeist in Reliefform, auf. Daneben kommen aber auch bildhafte Darstellungen vor, wie etwa Blitze, Dolche (pugiones), Anker, Keulen und Delphine oder Phalli.

Schleudergeschoss aus Blei mit der Aufschrift „ΔΕΞΑ“

Das wohl bekannteste griechische Geschoss stammt aus dem Athen des 4. vorchristlichen Jahrhunderts und trägt die Inschrift ΔΕΞΑ, was soviel wie „Nimm das!“ oder „Fang auf!“ bedeutet. Es befindet sich heute im Britischen Museum in London. Aus dem antiken Dor sind Bleigeschosse mit der Inschrift „Für den Sieg von Tryphon“ und „Dor – das fünfte Jahr in dem Dor Sumach schmecken muss“ aus der Zeit der Belagerung des Diodotos Tryphon durch Antiochos VII. Sidetes bekannt.[12]

Die römischen Inschriften nennen meist Legionen oder Kommandeure. Ebenfalls konnten sie „Schmähschriften“ erhalten, die besonders in den römischen Bürgerkriegen vertreten waren. Man beschimpfte die Anführer der Gegenpartei oder lobte den eigenen.[13][14] Daneben konnten auch Botschaften oder taktische Anweisungen mit ihnen verschossen werden.[15] Daneben finden sich auch Hinweise auf den Eigentümer oder Hersteller der Geschosse oder den Feldherren „von Philippos“), was für Archäologen eine wichtige Hilfe bei der Datierung von Funden darstellt. Die Schmähung „Auf den Hintern von Octavian!“[16] ist ein Beispiel für eine Inschrift, die bei der Datierung eines Kampfplatzes hilfreich sein kann. Ein weiteres Beispiel hierfür ist die schwere Schlacht Caesars bei Munda.[17]

Darüber hinaus sind die Inschriften auf den Schleuderbleien gute Beispiele für die Alltagssprache einer Epoche.

Geschosse aus Stein und Ton

Neben Schleudergeschossen aus Blei kamen in der Antike auch Projektile aus Stein und aus gebrannten Ton zum Einsatz. Schleudersteine (lateinisch lapis, lapillus, lapis missilis, saxum oder saxum missilis) werden besonders häufig von Autoren der Spätantike genannt. Tönerne Geschosse sind in der überlieferten lateinischen Literatur nicht im Zusammenhang mit römischen Truppen belegt, kommen aber im archäologischen Befund bei vielen römischen Fundstellen vor. So wurden bei Ausgrabungen im Römerlager Haltern zahlreiche tönernen Geschosse gefundenen. Die meiste derartigen Funde stammen aus der Verfüllung der Lagergräben. Dieser Befund wird dahingehend interpretiert, dass die Projektile von den germanischen Eroberern ins Lager geschleudert worden sein. Eine andere Interpretion weist die Tongeschosse den Treverern zu, die als Hilfstruppen in Haltern stationiert waren. Bekannt ist den Einsatz von Tonprojektilen auch bei den Nerviern.

Wirkungsweise

Schleudergeschosse aus Blei sind denen aus Stein oder Ton überlegen. Versuche haben gezeigt, dass bei einem Abwurfwinkel von 40° und einer Wurfgeschwindigkeit von 75 m/s Weiten von 352 m erreicht werden können.[18] Der Energieverlust beträgt 58 %. Steingeschosse kommen auf nur etwa 232 m, bei einem Verlust von 77 %. Tongeschosse erreichen nur 200 m bei 81 % Verlust. Militärisch gesehen sind Stein- und Tongeschosse wohl auf weite Distanzen uneffektiv. Natürlich steigt bei größerer Entfernung die Flugdauer des Geschosses und der Windwiderstand, wohingegen die Zielgenauigkeit abnimmt. Für einen gezielten Abwurf ist eine gestreckte rasante Flugbahn vonnöten. Eine solche Flugbahn erlangt man bei einem Abwurfwinkel von 10°. Mit einem Bleigeschoss kann man so auf eine ungefähre Entfernung von 150 m kommen. Vermutlich lag die militärisch effektive Entfernung von Handschleudern bei etwa 100 m. Der effektivste Wirkbereich scheint zwischen 30 und 60 m gelegen zu haben. Einerseits war bei dieser Entfernung eine hohe Treffsicherheit gegeben und andererseits ein geringer Verlust an Energie. Somit konnte hier maximaler Schaden erreicht werden. Dennoch zeigen die Versuche von Baatz, dass Bleiglandes auf bis zu 200 m wirksam sind, allerdings nicht mehr treffgenau.

Der römische Arzt Aulus Cornelius Celsus beschrieb medizinische Techniken, um Schleudergeschosse aus dem Körper eines Getroffenen zu entfernen[19].

Antike Darstellungen

Darstellung eines Schleuderers auf der Trajansäule

Römische Schleuderer sind von der Trajanssäule bekannt, die am 12. Mai 113 eingeweiht wurde. Auch auf der Marcussäule sind Schleuderer dargestellt. Anderes als auf der Trajansäule sind dort aber nicht römische Hilfstruppen, sondern Barbaren, die einen Fluss gegen die Römer verteidigen gezeigt. Die einzige Darstellung einer möglichen Schleuder nördlich der Alpen findet sich auf einem Grabstein, der in die trajanische Zeit datiert wird und wahrscheinlich aus Xanten stammt.

Literatur

  • V. A. Anochin, R. Rolle: Griechische Schleuderbleie von den Mauern vor Olbia. In: Renate Rolle, Karin Schmidt (Hrsg.): Archäologische Studien in Kontaktzonen der antiken Welt. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998, ISBN 3-525-86278-4, (Veröffentlichung der Joachim-Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften 87), S. 837–848.
  • Dietwulf Baatz: Schleudergeschosse aus Blei. Eine waffentechnische Untersuchung. In: Saalburg-Jahrbuch 45, 1990, ISSN 0080-5157, S. 59–67.
  • A. V. A. J. Bosman: Pouring lead in the pouring rain. Making slingshot under battle conditions. In: Journal of Roman Military Equipment Studies 6, 1995, ISSN 0961-3684, S. 99–103.
  • Michel Feugère: Les Armes des Romains. Errance, Paris 1993, ISBN 2-87772-077-2, (Collection des Hesperides).
  • Michel Feugère: L'équipement militaire d'époque républicaine en Gaule. In: Journal of Roman Military Equipment Studies 5, 1994, ISSN 0961-3684, S. 3–23.
  • W. B. Griffith: The sling and its place in the Roman Imperial Army. Proceedings of the Fifth Roman Military Equipment Conference. In: Carol van Driel-Murray (Hrsg.): Roman Military Equipment. The sources of evidence. BAR, Oxford 1989, ISBN 0-86054-613-6, (British archaeological reports International series 476), S. 255–279.
  • Martin Grünewald, Alexandra Richter: Zeugen Caesars schwerster Schlacht? Beschriftete andalusische Schleuderbleie aus der Zeit des Zweiten Punischen Krieges und der Kampagne von Munda. In: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 157, 2006, S. 261–269.
  • A. V. M. Hubrecht: The use of the sling in the Balearic Islands. In: Bulletin Antieke Beschaving 39, 1964, ZDB-ID 215359-2, S. 92-93.
  • H. P. Isler: Glandes. Schleudergeschosse aus den Grabungen auf dem Monte Iato. In: Archäologischer Anzeiger 1994, 239–254.
  • Manfred Korfmann: Schleuder und Bogen in Südwestasien. Von den frühesten Belegen bis zum Beginn der historischen Stadtstaaten. Habelt, Bonn 1972, ISBN 3-7749-1227-0, (Antiquita Reihe 3: Abhandlungen zur Vor- und Frühgeschichte, zur klassischen und provinzial-römischen Archäologie und zur Geschichte des Altertums 13), (Zugleich: Frankfurt am Main, Univ., Diss., 1971 ).
  • G. D. Stiebel: „...You were the word of war.“ A sling shot testimony from Israel. In: Journal of Roman Military Equipment Studies 8, 1997, ISSN 0961-3684, S. 301-307.
  • Thomas Völling: Funditores im römischen Heer. In: Saalburg-Jahrbuch 45, 1990ISBN: 0080-5157, S. 24-58.
  • Karl Zangemeister: Glandes Plumbeae Latine Inscriptae. Instituto Berolini, Rom 1885, (Ephemeris epigraphica 6, ZDB-ID 216379-2).

Einzelnachweise

  1. Strabon 8,3
  2. Plin. nat. 7,57
  3. B. M. Henry: La fronde en Italie du VIIe s. av. J. C. a ’l Empire Romain (2 Bd.) 1971, S. 3.
  4. C. Foss, in: Journal of Hellenic Studies 95, 1975, S. 26 f.
  5. Thukydides 6,22.25.43.
  6. C. Foss, in: Journal of Hellenic Studies 95, 1975, S. 25 ff. Anm. 12
  7. Silius Italicus 7,521 ff.
  8. Caesar Bell. Gall. 7,81,4.
  9. Völling 1990, S. 34.
  10. nach Völling 1990, S. 34.
  11. Bosman 1995. S. 99.
  12. Ephraim Stern: Dor, ruler of the seas. Israel Exploration Society, Jerusalem 2000.
  13. 41/40 v. Chr. Marcus Antonius gegen Octavian. CIL 131; 132; 133
  14. CIL 130
  15. Pseudo-Caesar, bellum Hispaniense 13.
  16. Im Originaltext: „Pet[e] culum Octavia[ni]“, CIL I 682, die Textteile in eckiger Klammer sind ergänzt
  17. Grünewald, Richter 2006, 261-269.
  18. Baatz 1990, S. 60 f.
  19. Celsus "De Medicina", Buch VII. Siehe die folgende englische Übersetzung

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