Schuldenfalle

Schuldenfalle

Der Begriff Schuldenfalle beschreibt die mehr oder weniger durch den Schuldner kontrollierbare eigene Schuldensituation und abnehmende Beherrschbarkeit sich erhöhender Verschuldung, bis ein exzessiver Zustand der Überschuldung erreicht wird. Vorhandene Finanzierungsrisiken werden nicht erkannt, unterschätzt oder vernachlässigt. Da im deutschen Recht eher der Gläubigerschutz im Vordergrund steht, genießt der Schuldner bis auf wenige schuldnerschützende Bestimmungen keinen besonderen rechtlichen Schutz. Das kann im privaten, aber genauso bei Staaten passieren.

Inhaltsverzeichnis

Privat

Allgemeines, Deutschland

Der fragmentarische Schuldnerschutz setzt bereits bei verbraucherrechtlichen Regelungen des Verbraucherkredits ein, kann jedoch eine übermäßige Kreditaufnahme nicht verhindern. Sittenwidrigkeits- und Zinswucherregelungen (§ 138 BGB) verhindern durch eintretende Nichtigkeit der Kreditverträge ungleichgewichtige Vertragsregelungen oder überzogene Zins- und Gebührenvereinbarungen. Erst in der Finanzkrise des Verbrauchers wird etwa im Rahmen der Zwangsvollstreckung die Lohnpfändung geregelt oder gelten Unpfändbarkeitsvorschriften. Umfassenden Schuldnerschutz in der Zwangsversteigerung gewährt auch § 85a ZVG. Danach muss das Meistgebot in dem ersten Versteigerungstermin mindestens 50 % des zuvor festgesetzten Verkehrswertes erreichen. Wird diese Grenze nicht erreicht, so ist der Zuschlag zu versagen und ein neuer Versteigerungstermin anzuberaumen. Schuldnerschützende Regelungen gibt es auch für den Fall des Forderungskaufs (Kreditnehmerschutzgesetz).

Eine gesetzliche Schuldenbremse für Verbraucher, wie sie manche Staaten für ihre eigene Staatsverschuldung gesetzlich verankert haben, besteht mithin nicht. Sie würde auch dem Prinzip der Vertragsfreiheit widersprechen, wonach es jedem Verbraucher unbenommen ist, auch für ihn rechtlich und/oder wirtschaftlich unvorteilhafte Verträge und Risiken einzugehen. Auch die höchstrichterliche Rechtsprechung hat die private Verschuldung bislang lediglich bei Bürgen und sonst wie Mithaftenden für Kredite an Dritte eingeschränkt und solche Bürgenhaftungen oder Mithaftungen als sittenwidrig und damit nichtig bezeichnet, wenn bereits bei Vertragsabschluss mit großer Wahrscheinlichkeit die Erfüllung der Bürgschaftsverbindlichkeit selbst bei günstigster Prognose nicht zu erwarten ist.[1]

Der Begriff Falle bezeichnet eine Vorrichtung, die zum Einfangen, Töten oder Überlisten von Lebewesen geeignet ist.[2] Schuldenfalle ist entsprechend die Überlistung der Kontrollfähigkeit von Verbrauchern durch geschickte Vertragsgestaltung (Intransparenz, Kleingedrucktes), Verteilung der Zahlungsraten auf längere Zeiträume, Belastung zu einem späteren Zeitpunkt (wenn die Nutzung bereits längst erfolgt ist), offensichtlich unüberschaubare langfristige Verpflichtungen oder mangelnde Kenntnis über das Finanzwesen. Anlässe für Kreditaufnahmen von natürlichen Personen, bei denen unkontrolliert Schulden entstehen und sich erhöhen können (etwa bei Dauerschuldverhältnissen wie Handyvertrag oder Ratenkauf) sind typische Fälle einer Schuldenfalle. Der Zinseszinseffekt trägt aufgrund mathematischer Gesetzmäßigkeiten mit progressiver Eigendynamik zu einem exponentiellen Schuldenwachstum und damit zur Überschuldungsgefahr bei.

Ursachen

Diese latent zunehmende Verschuldung kann sowohl durch überhöhte Ausgaben als auch durch geringer als erwartet ausfallende Einnahmen verursacht werden. Dauerschuldverhältnisse wie Ratenverträge oder Kreditaufnahmen kommen für eine Schuldenfalle ebenso in Betracht wie die unkontrollierte Nutzung von Medien wie Handy, Smartphone oder Computer. Bei vertragsgebundenen Mobiltelefonen kann bereits ein Urlaub im Ausland mit üblicher Handy-Nutzung später Rechnungen auslösen, die häufig aus dem laufenden Einkommen nicht beglichen werden können. Mangelhafte Kenntnis über Gerätefunktionen bis hin zum sorglosen Surfen und Klicken im Internet sind Hauptursachen für Verschuldung. Auch die Sucht (Abhängigkeitssyndrome wie Alkohol-, Zigaretten- oder Spielsucht) erhöht die finanziellen Risiken und kann über unkontrollierte Ausgaben zur exzessiven Verschuldung führen.

Gefährlich ist die kreditweise Vorfinanzierung von später erwarteten Einkünften (Bonuszahlungen, Weihnachtsgeld), die dann jedoch überraschend ausbleiben. Unerwartete Ausgaben wie unversicherte Schäden oder hohe Energiekosten können ebenfalls zur Schuldenfalle werden. Einkommenseinbußen (etwa durch Arbeitslosigkeit, Krankheit, Scheidung, Tod Angehöriger) werden zum Schuldenrisiko, wenn die Ausgaben nicht gleichzeitig angepasst werden. Die Nutzung von Kreditkarten ist insofern ein Risiko, als Belastungen je nach Vertrag mindestens 1 Monat nach Nutzung hinausgezögert werden und sich somit der Kontrolle des Karteninhabers entziehen können. Mangelnde Kenntnis in Finanzfragen und schlechte finanzielle Beratung können ebenfalls zur Verschuldung beitragen.

Die Schuldenfalle kann auch aus der wirtschaftlichen und/oder rechtlichen Unterlegenheit der Verbraucher gegenüber ihren professionellen Vertragspartnern herrühren, die es diesen ermöglicht, den Verbraucher zu Vertragsabschlüssen zu bewegen, die in ihrer vollen Tragweite nicht überschaut werden können. Unerfahrenheit und Verniedlichung des Risikos sind Aspekte, die zu einer lebenslangen Verschuldung beitragen können.[3]

Die Bundesregierung sieht in den seit April 2006 durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau vergebenen Studienkrediten an Studenten keine Schuldenfalle, weil die bisherige Zinsentwicklung bei den allgemeinen Studienkrediten aus Sicht der Bundesregierung belege, „dass sich die von deren Kritikern befürchtete Gefahr einer zunehmenden Ver- und Überschuldung von Studierenden (Verschuldensfalle) als Folge des Studienkreditangebots nicht realisiert“ habe.[4]

Statistik

Arbeitslosigkeit ist der häufigste Auslöser für eine Überschuldung von Privatpersonen. Schulden entstehen dann dadurch, dass die Ausgaben nicht an das gesunkene Einkommensniveau angepasst werden. Wie das Statistische Bundesamt unter Berufung auf Daten der Schuldnerberatungsstellen mitteilte, war der Jobverlust 2008 bei 28,2 % der von Schuldnerberatungsstellen betreuten Personen der Hauptgrund für die Überschuldung. Der Erhebung zufolge führten andere Ereignisse in der persönlichen Sphäre wie etwa Trennung, Scheidung oder Tod des Partners oder der Partnerin (13,8 %) sowie Erkrankung und Sucht (10,4 %) oder Unfall (0,3 %) ebenfalls zu kritischen finanziellen Situationen. In 9,3 % der Fälle konnte eine unwirtschaftliche Haushaltsführung nachgewiesen werden, gleichauf mit einer gescheiterten Selbständigkeit; es folgten gescheiterte Immobilienfinanzierungen (4,1 %), unzureichende Kreditberatung (3,5 %) oder übernommene Bürgschaftsverpflichtungen (2,2 %).[5]

Nach Behördenangaben waren alleinlebende Männer mit 27 % überproportional von Überschuldung betroffen. Außerdem waren alleinerziehende Frauen mit 14 % doppelt so häufig in finanzielle Schwierigkeiten geraten als es ihrem Anteil von 6 % an allen Haushalten entsprach. Die überschuldeten Personen hatten 2008 laut Statistischem Bundesamt im Durchschnitt rund 36.000 Euro Schulden, davon entfielen 58 % auf Schulden gegenüber Banken, die somit die wichtigsten Gläubiger waren. Bei mehr als der Hälfte der überschuldeten Personen lag 2008 das monatliche Nettoeinkommen unter 900 Euro und damit unter der Pfändungsfreigrenze, die derzeit 990 Euro beträgt.

Wege aus der Schuldenfalle

Schulden sind keine Schande. Falsche Scham sollte überwunden werden. Die Schuldenfalle ist meist das Vorstadium für eine exzessive Überschuldung, sodass eine frühzeitig eingeschaltete fachkundige Beratung noch Handlungsalternativen eröffnen kann. Bei ausweglos erscheinenden Schuldenfallen muss die Schuldnerberatung bei den Wohlfahrtsverbänden, Verbraucherzentralen oder den Kommunen kontaktiert werden. Mit ihrer Hilfe, ihren Kontakten und ihrer Fachkompetenz können tragfähige Lösungen gefunden werden. Auf der Grundlage gesicherter Einkünfte sind zunächst rigoros die überflüssigen, nicht vertraglich feststehenden Ausgaben zu kürzen. Dann müssen die wesentlichen Gläubiger wie Kreditinstitute, Mobilfunkprovider oder Versandhandel in einen Stundungsplan einbezogen werden, der die Ratenzahlungen so dimensioniert, dass sie aus den Einkünften bestritten werden können. Falls ein exzessiver Überschuldungsstand erreicht ist, muss Verbraucherinsolvenz mit dem Ziel der Restschuldbefreiung angemeldet werden.

Finanzielle Allgemeinbildung – also das Wissen und die Kompetenzen im Umgang mit Finanzdienstleistungen und Konsumwünschen – ist eine wichtige Grundlage, um Risiken einer Schuldenfalle vorzubeugen. Entsprechend kommt der Verankerung der finanziellen Allgemeinbildung in der schulischen wie der außerschulischen Bildung eine zentrale Bedeutung zu.

Staaten in der Schuldenfalle

Die folgende makroökonimische Formel, die z. B. im Buch des heutigen Chefökonomen des IWF enthalten ist, wird in der NZZ auch als "Schuldenfallenformel" bezeichnet[6][7]: \frac {S_t}{B_t} - \frac{S_{t-1}}{B_{t-1}} = (z-b)\frac {S_{t-1}}{B_{t-1}} + \frac {A_t-E_t}{B_t}

S sind die gesamten Staatsschulden, B das BIP, A die jährlichen Ausgaben des Staates, E die jährlichen Einnahmen, z die realen Zinsen, b das reale Wachstum des BIP. t steht für ein bestimmtes Jahr, t-1 für das Jahr davor. S/B ist die Schuldenquote, das Verhältnis der Schulden zum BIP. Bei steigenden Einkommen ist es einfacher eine Schuld zurückzuzahlen.

Die linke Seite der Gleichung nach dem + zeigt die Veränderung der Schuldenquote im letzten Jahr. Die rechte Seite zeigt wieviel mehr ausgegeben als eingenommen wird, ebenfalls im Verhältnis zum BIP.

Der entscheidende Teil der Formel ist die Veränderung der Schuldenquote durch die Zinsen. Wenn die realen Zinsen höher sind als die Veränderung des BIP, dann steigt die Schuldenquote - und ein Staat befindet sich in der Schuldenfalle.

Als Beispiel wird hier Portugal angegeben. Nach der Einschätzung des IWF steigt das BIP bis 2015 um 1%. Die realen Schuldzinsen dürfen daher nicht höher als 1% sein, damit die Schuldenquote bei einem ausgeglichenen Budget nicht steigt. Der Zins lag im Januar 2011 bei 7%, die Inflationsrate bei 1.5%, das ergibt einen realen Zins von 5.5%. Der IWF geht von einem Budgetdefizit von 5% aus. Das heisst die Schuldenquote würde um 9.5% steigen pro Jahr steigen, wenn weder die Zinsen sinken, noch das Wachstum steigt, noch drastische Sparmassnahmen ergriffen würden. Sparmassnahmen drücken noch dazu auf das Wachstum.

Einzelnachweise

  1. BGH WM 1994, 677
  2. Wiktionary über Falle
  3. Wolfgang Grunsky, Vertragsfreiheit und Kräftegleichgewicht, 1995, S. 13
  4. Bundestagsdrucksache 17/3031 vom 28. September 2010, KfW-Studienkredite: Aktuelle Zwischenbilanz und Vorhaben der Bundesregierung zur Weiterentwicklung
  5. Welt Online vom 26. November 2009, Warum Deutsche in die Schuldenfalle rutschen
  6. Die Schuldenfallenformel, Markus Diem Mayer, Never Mind The Markets, Wirtschaftsblog der NZZ, 2011-01-12.
  7. Macroeconomics, Olivier Blanchard, Prentice Hall, ISBN 978-0132079631

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