Simsimiyya

Simsimiyya

Simsimiyya, auch semsemiya, ist eine Leier, die in der volkstümlichen arabischen Musik von der Sinai-Halbinsel im Norden entlang der Küste des Roten Meeres bis in den Jemen gespielt wird. Das Zupfinstrument mit fünf oder mehr Saiten begleitet die traditionellen Lieder von Geschichtenerzählern der Beduinen, außerdem wird es zusammen mit anderen Melodieinstrumenten in der lebhaften Tanzmusik der Hafenstädte, besonders in Port Said eingesetzt.

Inhaltsverzeichnis

Herkunft und Verbreitung

Leiern haben ihren Ursprung bei den Sumerern in Mesopotamien, von wo sie sich nach Westen bis in den Mittelmeerraum ausgebreitet haben. Die bekannteste Leier in Palästina ist der im Alten Testament erwähnte kinnor. Ab Anfang des 2. Jahrtausend v. Chr. wurden Kastenleiern auf Wandbildern in altägyptischen Felsgräbern dargestellt. Spätestens in den ersten Jahrhunderten n. Chr. gelangten Leiern von Ägypten am Nil aufwärts nach Nubien, wo bis heute die beiden baugleichen Leiern kisir und tambūra zu den beliebtesten Musikinstrumenten gehören. Bis zum 4. Jahrhundert war die Leier ins Aksumitische Reich gekommen. Die Tradition der in Äthiopien zur Unterhaltung eingesetzten Kastenleier krar und der religiösen Anlässen vorbehaltenen beganna wird auf diese Zeit zurückgeführt. Der südlichste Verbreitungsschwerpunkt der afrikanischen Leiern ist Westkenia und Uganda. Eine sechs Zentimeter hohe sitzenden Bronzefigur mit Leier aus dem 1./2. Jahrhundert n. Chr. im Jemen gehört zu den wenigen Fundstücken aus sabäischer Zeit, die zeigen, dass die Leier im vorislamischen Arabien am Roten Meer bekannt war.[1]

Seit der islamischen Zeit spielten Leiern in der klassischen arabischen Musik nur eine geringe Rolle. Bis ins 10. Jahrhundert ist in Ägypten die Leier miʿzaf belegt. Noch im 11. Jahrhundert, zur Zeit der Fatimiden-Dynastie, gab es in Ägypten Leiern, später lässt sich ihre ursprüngliche arabische Bezeichnung al-kinnāra (abgeleitet von kinnor) nicht mehr von den gleichnamigen Lauteninstrumenten und Trommeln unterscheiden.[2] Arabische Leiern haben sich regional in der Volksmusik erhalten, die tambūra wird bis an den Persischen Golf und im südlichen Irak von Nachfahren ehemaliger schwarzer Sklaven bei Zeremonien verwendet.

Bauform und Spielweise

Die Bezeichnung simsimiyya gilt für Leiern ohne eine genau festgelegte Bauweise, die in der genannten Region und in den entsprechenden Musikstilen gespielt werden. Nach der Form des Resonanzkörpers lassen sie sich den Schalen- oder Kastenleiern zuordnen. Die Schalenleiern bestehen aus einem flach gerundeten Holzkorpus, dessen Decke im Unterschied zu allen anderen arabischen und afrikanischen Leiern nicht aus einer Tierhaut, sondern aus einem Holzbrett besteht. Bei trapezförmigen Kastenleiern sind Boden, Seitenteile und auch die Decke aus Brettern zusammengeleimt. Simsimiyya mit einem Korpus aus einem Blechkanister sind mit Haut überzogen. Während die tambūra einen dreieckigen, weit ausladenden Rahmen aus runden Holzstäben besitzt und im Sitzen gespielt wird, ist der Rahmen der simsimiyya etwas kleiner und trapezförmig. Die simsimiyya kann daher auch in senkrechter Position mit der linken Hand am unteren Jocharm gehalten und im Stehen gespielt werden. Die üblicherweise fünf Drahtsaiten werden durch moderne Metallwirbel an der Querstange gestimmt. Sie verlaufen über einen brückenförmigen Steg, der im unteren Drittel auf der Decke steht, bis zur Unterseite des Korpus.

Die Saiten werden mit einem Plektrum in der rechten Hand entweder einzeln gezupft oder in Sitzposition nach der seit der Antike gebräuchlichen Methode alle zusammen angeschlagen (bei der Gitarre englisch strumming genannt). Saiten, die nicht erklingen sollen, werden mit den Fingern der linken Hand von der anderen Seite abgedeckt. Der Ton schwingt wenig nach und ist je nach Bauweise metallisch klar oder etwas dumpf.

Vergleichbar mit der nubischen kisir und der äthiopischen krar wird die simsimiyya in Ägypten nur in der tanzbaren Unterhaltungsmusik und zur Liedbegleitung von Geschichtenerzählern gespielt und besitzt nicht die rituelle Bedeutung der tambūra und anderer Leiern. Die Erzählungen der Beduinen in der Sinai-Wüste werden von einem Sänger vorgetragen, der von einer simsimiyya und einem den Refrain singenden Chor begleitet wird. Für den Rhythmus sorgen Händeklatschen und dunkel tönende Ölfässer.

Im Jemen begleitete sich der poetische Sänger (mughannī) bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts auf dem Metallteller sahn nuhasi, der Blechdose tanak, der birnenförmigen Zupflaute qanbus oder – besonders in der Musikszene Adens – auf der simsimiyya. Mit zunehmender Verbreitung des Rundfunks begann die arabische Laute ʿūd allmählich alle anderen Begleitinstrumente zu ersetzen.[3]

Die Geschichte der heutigen Unterhaltungsmusik der ägyptischen Hafenstädte Port Said und Ismailia begann mit der Eröffnung des Sueskanals 1869.[4] Zur Unterhaltung der Hafenarbeiter und Seeleute entwickelten Straßenmusiker den Tanzmusikstil bambutiyya (bamboute), benannt nach dem Bumboot, einem kleinen Versorgungsschiff. Die in den Kaffeehäusern am Hafen auftretenden Musikgruppen nannten sich suhbagiyya. Der Musikstil erlebte den Höhepunkt seiner Popularität in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.[5] Heute sind die Begleitinstrumente der Tanzlieder neben der simsimiyya die Laute ʿūd, die einsaitige Fiedel rababa, gelegentlich die Längsflöte nay, mehrere Trommeln (allgemein ṭabl), darunter Tamburine (duff) oder Bechertrommeln (darbuka). Als Perkussionsinstrumente sind ebenso Blechtöpfe und Benzinkanister geeignet[6].

Diskografie

  • Bedouin Jerry Can Band: Coffee Time. 30 IPS, 2007
  • Ensemble Al-Tanburah (geleitet von Zakariya Ibrahim): Simsimiyya de Port-Said. Institut du Monde Arab, Paris 1999
  • El Tanbura: Friends of Bamboute: 20th Anniversary Edition. 30 IPS, 2009

Literatur

  • Ali Jihad Racy: The Lyre of the Arab Gulf: Historical Roots, Geographical Links, and the Local Context. In: Jacqueline Cogdell DjeDje (Hrsg.): Turn up the Volume. A Celebration of African Music. UCLA, Fowler Museum of Cultural History, Los Angeles 1999, S. 134–139

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Mohammed Maraqten: Statuette. Registration number: 1930,0613.16. The British Museum
  2. Hans Hickmann: Die Musik des Arabisch-Islamischen Bereichs. In: Bertold Spuler (Hrsg.): Handbuch der Orientalistik. 1. Abt. Der Nahe und der Mittlere Osten. Ergänzungsband IV. Orientalische Musik. E.J. Brill, Leiden/Köln 1970, S. 64
  3. Flagg Miller: Yemen. In: John Shepherd, David Horn, Dave Laing (Hrsg.): Continuum Encyclopedia of Popular Music of the World. Bd. VI. Africa and the Middle East. Continuum, London 2005, S. 245
  4. Osama Kamel : Searching for Ramadan sabils. Al Ahram Weekly, 17.–23. September 2009
  5. Martin Stokes : La Simsimiyya de Port-Said. Ensemble Al-Tanburah. Besprechung der CD des Institut du Monde Arab, Paris 1999
  6. Tim Cumming: Bedouin Jerry Can Band: Reinventing ancient musical traditions to breathe new life into Egypt's folk scene. The Independent, 12. Oktober 2007

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