Vermählung Mariä (Raffael)

Vermählung Mariä (Raffael)
 
Vermählung Mariä
Raffael, 1504
Öl auf Holz, 170 cm × 117 cm
Pinacoteca di Brera, Mailand

Die Vermählung Mariä ist ein Gemälde von Raffael. In der Literatur wird es auch Vermählung Mariens genannt, in Italien üblich und in kunstgeschichtlichen Darstellungen häufig zu finden ist die Bezeichnung Sposalizio. Geschaffen wurde es in der Stilepoche der Renaissance am Anfang des 16. Jahrhunderts. Das Bild gilt als Raffaels erstes Meisterwerk, mit dem er seinen Lehrer Perugino übertraf[1]. Es ist mit Ölfarbe auf einer Holztafel in Format 120,6 x 174 cm ausgeführt und schließt im oberen Teil bogenförmig ab. Umfasst wird es von einem unregelmäßigen, circa 3 cm breiten Holzrand, der durch den Falz der Rahmenleiste abgedeckt wurde. Die bemalte Fläche beträgt 113,2 x 168,2 cm.[2]

Das Gemälde befindet sich heute in der Pinacoteca di Brera in Mailand.[3]

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Der zum Zeitpunkt der Entstehung des Gemäldes erst im 21. Lebensjahr stehende Raffael erbte die Werkstatt seines Vaters Giovanni Santi im Alter von elf Jahren[4] und war von etwa 1499[5] bis 1504 Schüler von Perugino. In dieser Phase wurde er von Künstlern wie Luciano da Laurana und Melozzo da Forli beeinflusst. Zudem hatte er wohl Kontakt zu Pinturicchio; unklar ist allerdings, ob dieser auch seine Malerei beeinflusste[5]. Die "Vermählung Mariä" ist das dritte Bild nach dem Christus am Kreuz (heute in London) und der Krönung Mariä (heute im Vatikan), in dem eine Lösung seines Malstils von der Peruginos festzustellen ist[5]. Nur langsam fand Raffael allerdings seinen eigenen, von der Perugino-Schule unterscheidbaren Stil[6].

Etwa zeitgleich oder jedenfalls kurz zuvor schuf Perugino seine eigene Darstellung des Themas, die Vermählung Mariä. Wegen der gleichen Motive und Herangehensweisen einerseits sowie der unterschiedlichen Details andererseits lässt sich nachvollziehen, dass und wie Raffael allmählich seinen eigenen Weg fand und entwickelte[5]. Er schuf das Werk ursprünglich für eine Kirche in Città di Castello bei Perugia[7] als eines von drei Altarbildern, die dort von unterschiedlichen geistlichen Orden bestellt worden waren[8].

Das Motiv

Das Gemälde von Perugino von 1502 war vermutlich Vorbild

Über eine Vermählung Marias mit Josef von Nazaret steht in der Bibel nichts geschrieben, lediglich eine Verlobung der beiden wird erwähnt (vgl. Lk 1, 27).

Die ausführliche Geschichte, auf deren Grundlage das Bild geschaffen wurde, findet sich in einer apokryphen Schrift, dem Protevangelium des Jakobus. Hier heißt es:

Als sie zwölf Jahre alt wurde, berieten sich die Priester und sprachen: "Seht, jetzt ist Maria im Tempel des Herrn zwölf Jahre alt geworden. Was sollen wir also mit ihr tun, damit sie das Heiligtum des Herrn, unseres Gottes, nicht unrein macht?" Und die Priester sagten zum Hohenpriester: "Du stehst am Brandopferaltar des Herrn. Geh hinein und bete für sie! Und das, was dir Gott, der Herr, gegebenenfalls zeigen wird, das wollen wir tun." Der Priester ging im Gewand mit den zwölf Glöckchen in das Allerheiligste hinein und betete für sie. Und siehe, ein Engel des Herrn war da und sprach: "Zaccharias, Zaccharias, geh hinaus und laß die Witwer des Volkes zusammenkommen! Jeder soll einen Stab bei sich tragen, und wem Gott, der Herr, ein Zeichen geben wird, dessen Frau soll sie sein." Herolde begaben sich in das gesamte Gebiet Judäas, und es ertönte die Posaune des Herrn, und siehe, alle kamen gelaufen. Josef aber legte die Axt beiseite und ging zur Versammlung. Und als sie gekommen waren, begaben sie sich mit ihren Stäben zum Priester. Der Priester nahm ihnen die Stäbe ab, ging in den Tempel hinein und betete. Als er sein Gebet beendet hatte, nahm er die Stäbe, ging hinaus und gab sie ihnen zurück. An keinem aber war ein Zeichen. Den letzten Stab aber bekam Josef. Und siehe, eine Taube kam aus dem Stab heraus und setzte sich auf Josefs Kopf. Da sprach der Priester: "Josef, Josef, dir ist die Jungfrau des Herrn zugeteilt. Nimm sie in deine Obhut!". Josef erwiderte: "Ich habe schon Söhne und bin ein alter Mann, sie aber ist eine junge Frau. Da werde ich doch zum Gespött für die Söhne Israels!". Der Priester aber sprach: "Josef, fürchte den Herrn, deinen Gott, und denke daran, was Gott Datan, Abiram und Korach angetan hat, wie sich die Erde gespalten und alle verschlungen hat wegen ihres Widerspruchs. Und nun sieh die vor, Josef, daß dies nicht auch deinem Haus geschehen möge!". Und Josef nahm sie voll Furcht in seine Obhut [...]"[9]

Diese Geschichte wurde später in der Legenda Aurea des Jacobus de Voragine wieder aufgegriffen[7]. Der Ring, den Maria von Josef empfangen hatte, soll der Überlieferung nach im Dom zu Perugia aufbewahrt werden, auch daher waren Darstellungen dieses Themas in der Malerei Umbriens recht häufig[7].

Die Darstellung

Der Tempel des Bramante, entstanden etwa zeitgleich

Die Grundkomposition des Gemäldes beruht auf der Zentralperspektive, der Fluchtpunkt liegt in den beiden geöffneten Türen des Tempels im Hintergrund[10]. Die Vermählung spielt sich auf einem Platz vor dem Tempel ab, im Hintergrund ist eine weitläufige, hügelige und bewaldete Landschaft zu sehen. Die beiden Gruppen links und rechts des Brautpaares sind in halbkreisförmiger Darstellung gemalt und wiederholen damit im umgekehrten Sinn den Halbkreis der vorderen Tempelfassade[11]. Links der Maria werden fünf der sieben Jungfrauen dargestellt, die mit ihr im Tempel aufwuchsen[7]; die rechte Gruppe zeigt die abgewiesenen Freier[12]. Das Paar ist im Moment der Ringübergabe dargestellt, der Ring befindet sich exakt in der Mitte des Gemäldes. Josef trägt, dem Eidesritus entsprechend[13], keine Schuhe. Die einzige Figur des Bildes, die in einer Bewegung dargestellt wird, ist der erfolglose Bewerber rechts neben Josef: Er zerbricht aus Enttäuschung über seine Ablehnung seinen Stab an seinem Knie[14]. Das Bild der Frauengruppe auf der linken Seite folgt noch ganz den Traditionen der Perugino-Schule. Bei der rechten Gruppe und in der Darstellung insgesamt ging Raffael jedoch bereits seinen eigenen Weg[15]. Die Darstellung insgesamt gilt als "mit einem Schleier der Schwermut"[16] gearbeitet.

Der Tempel im Hintergrund

Besondere Aufmerksamkeit gilt dem Tempel im Hintergrund. Seine Ähnlichkeit mit dem entweder kurze Zeit zuvor oder zeitgleich entstandenen Tempel des Bramante im Hof der Kirche San Pietro in Montorio in Rom ist bemerkenswert[17]. Es ist nicht bekannt, ob Raffael diesen selbst kannte; sicher ist jedoch, dass er damit das aus der Antike stammende und nun wiederentdeckte Motiv eines kuppelüberwölbten Zentralbaus übernahm, welches zu seiner Zeit neue Bedeutung gewann[7]. Raffael signierte sein Werk auf der Vorderseite des Tempels auf dem Architrav des mittleren Segmentes mit "RAPHAEL URBINAS" - Raffael stammte aus Urbino - und datierte es weiter unten in den Zwickeln des Bogensturzes mit "M" links und "DIIII" rechts, also in römischer Schreibweise MDIIII = 1504.

Wolfgang Braunfels bemerkt zu diesem Gemälde: Raffael findet mit der Anordnung der Figuren, ihrer Beziehung zu dem Tempel der oberen Bildhälfte, der rhythmischen, wieder perspektivischen Ordnung, vor allem jedoch mit dem das Ganze beherrschenden Stil für sich jenen neuen Bereich zwischen Früh- und Hochrenaissance, den mit gleicher Präzision von Farben und Figuren sonst nur Giorgione gleichzeitig erreicht hat[8]

Rezeption

Elia Volpi: Raffael zeigt Fra Tiferno das Gemälde „Vermählung Mariens in der Sakristei von S. Francesco” (um 1880), Verbleib unbekannt

1622 besichtigte der Perugeser Gelehrte Monsignore Giovanni Battista Lauri (1579-1629) Raffaels Gemälde in der Kirche S. Francesco in Città di Castello und stellte die starke Ähnlichkeit zu Peruginos Sposalizio fest. Das Motiv manifestiere in seiner Darstellung des Ringrituals durch den Hohenpriester im Tempel zu Jerusalem eine Verbindung des zeitgenössischen Sakraments der Ehe mit der alten jüdischen Tradition. Der italienische Historienmaler und Kunstsammler Elia Volpi (1858–1938) hielt eine Besichtigung des Gemäldes im Sommer 1621 durch Fra Tiferno in einem Gemäldes fest. Raffael, in einem rot-schwarzen Kostüm, steht im Zentrum des Bildes, rechts von ihm, vor der Staffelei, ein Höfling mit pelzbesetztem Wams und blauen Strumpfhosen. Die linke Seite nimmt der sitzende Fra Tiferno ein, der von drei Benediktinermönchen in schwarzen Kutten umgeben wird. Das Gemälde im Format 94 x 132 cm ist rechts unten mit elia volpi Citta di Castello bezeichnet und mit 1881 datiert.[18][19]

Einzelnachweise

  1. Zuffi, Die Renaissance – Kunst, Architektur, Geschichte, Meisterwerke, S. 209
  2. Jörg Traeger: Renaissance und Religion: die Kunst des Glaubens im Zeitalter Raphaels, C.H.Beck, München, 1997, ISBN 3-40642801-0, S. 277 (über Google-Books einsehbar)
  3. Pianacoteca di Brera
  4. Zuffi: Die Renaissance – Kunst, Architektur, Geschichte, Meisterwerke, S. 208
  5. a b c d Semrau: Die Kunst der Renaissance in Italien und im Norden, S. 286
  6. Toman (Hrsg.): Die Kunst der italienischen Renaissance – Architektur, Skulptur, Malerei, Zeichnung, S. 330
  7. a b c d e de Rynck, Die Kunst Bilder zu lesen - Die Alten Meister entschlüsseln und verstehen, S. 124
  8. a b Braunfels: Kleine italienische Kunstgeschichte, S. 338
  9. zitiert nach: Ceming/Werlitz, Die verbotenen Evangelien, S. 77 - 79
  10. Zuffi: Die Renaissance – Kunst, Architektur, Geschichte, Meisterwerke, S. 209
  11. Zuffi: Die Renaissance – Kunst, Architektur, Geschichte, Meisterwerke, S. 209
  12. de Rynck, Die Kunst Bilder zu lesen - Die Alten Meister entschlüsseln und verstehen, S. 125
  13. Toman (Hrsg.): Die Kunst der italienischen Renaissance – Architektur, Skulptur, Malerei, Zeichnung, S. 332
  14. Toman (Hrsg.): Die Kunst der italienischen Renaissance – Architektur, Skulptur, Malerei, Zeichnung, S. 332
  15. Toman (Hrsg.): Die Kunst der italienischen Renaissance – Architektur, Skulptur, Malerei, Zeichnung, S. 332
  16. Zuffi: Die Renaissance – Kunst, Architektur, Geschichte, Meisterwerke, S. 209
  17. Toman (Hrsg.): Die Kunst der italienischen Renaissance – Architektur, Skulptur, Malerei, Zeichnung, S. 332
  18. Sales, Band 774-783, Parke-Bernet Galleries, New York, 1972, S. 96
  19. American Federation of Arts, MacMillan Co., New York, 1945, S. 443

Literatur

  • Wolfgang Braunfels: Kleine italienische Kunstgeschichte. DuMont Buchverlag, Köln 1984, ISBN 3-7701-1509-0.
  • Katharina Ceming/ Jürgen Werlitz, Die verbotenen Evangelien, Piper, München und Zürich 2007, ISBN 978-3-492-25027-6
  • Patrick de Rynck, Die Kunst Bilder zu lesen - Die Alten Meister entschlüsseln und verstehen, Parthas Verlag, Berlin 2005, ISBN 3-86601-695-6
  • Max Semrau: Die Kunst der Renaissance in Italien und im Norden. 3. Aufl., Bd. III aus Wilhelm Lübke, Grundriss der Kunstgeschichte, 14. Aufl., Paul Neff Verlag, Esslingen 1912.
  • Rolf Toman (Hrsg.): Die Kunst der italienischen Renaissance – Architektur, Skulptur, Malerei, Zeichnung. Tandem Verlag, Köln 2007, ISBN 978-3-8331-4582-7.
  • Jörg Traeger: Renaissance und Religion: die Kunst des Glaubens im Zeitalter Raphaels, C.H.Beck, München, 1997, ISBN 3-40642801-0 (über Google-Books einsehbar)
  • Stefano Zuffi: Die Renaissance – Kunst, Architektur, Geschichte, Meisterwerke. DuMont Buchverlag, 2008, ISBN 978-3-8321-9113-9.

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